Beauty-Quarks 10.11.2021, 11:42 Uhr

CERN: Hinweise auf fünfte physikalische Kraft

Schweizer Forschende haben bei Messungen der mysteriösen Beauty-Quarks überraschende Abweichungen festgestellt. Diese könnten unser Verständnis vom Aufbau der Welt grundlegend ändern.

Das LHCb-Experiment ist eines der vier großen Experimente am CERN-Teilchenbeschleuniger in Genf. Foto: Cern

Das LHCb-Experiment ist eines der vier großen Experimente am CERN-Teilchenbeschleuniger in Genf.

Foto: Cern

Stellen Sie sich vor, Smudo von den “Fantastischen Vier” würde plötzlich sagen: Ihr habt es all die Jahre nicht gemerkt, aber eigentlich sind wir zu fünft. Mind Blown. Was Schweizer Forschende jetzt herausgefunden haben, ist ein bisschen ähnlich – nur noch viel verblüffender. Vier physikalische Kräfte gibt es, das haben wir so gelernt: Gravitation, Elektromagnetismus, schwache Wechselwirkung (für Radioaktivität) und starke Wechselwirkung, die die Materie zusammenhält. Jetzt aber verdichten sich Hinweise darauf, dass es eine bislang unbekannte fünfte physikalische Kraft geben könnte. Das wirft unser Weltbild ziemlich durcheinander.

CERN-Forschende wollen Beauty-Quarks entschlüsseln

Entdeckt haben Forschende der Uni Zürich und des Schweizer Foschungszentrums CERN die Indizien dafür beim Large-Hadron-Collider-beauty-Experiment (LHCb-Experiment). Teil des Experiments: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollten die Eigenschaften sogenannter Beauty-Quarks rekonstruieren. Ein Beauty-Quark, eigentlich Bottom-Quark oder kurz b-Quark, ist eines der sechs Quarks – ein Elementarteilchen mit einer ganz bestimmten Masse. Das b-Quark ist extrem kurzlebig: Wenn sie bei der Kollision von hochenergetischen Protonenstrahlen im Teilchenbeschleuniger des CERN entstehen, zerfallen sie praktisch sofort: Beauty-Quarks haben eine geschätzte Lebensdauer von nur etwa einer 1,5 Billionstel Sekunde. Gemäß dem sogenannten Standardmodell der Teilchenphysik müssten die Beauty-Quarks nach ihrem Ableben mit der gleichen Wahrscheinlichkeit in Elektronen beziehungsweise Myonen zerfallen. Myonen sind Elektronen sehr ähnlich, haben aber eine deutlich größere Masse.

Merkwürdige Abweichungen beim Zerfall der Teilchen

Nur: Immer wieder gibt es bei den Zerfällen Abweichungen, die es nach allen bisherigen Erkenntnissen nicht geben dürfte. Diese Erkenntnis rüttelt an den Grundpfeilern der Physik und legt die Vermutung nahe, dass es eine neue fundamentale Kraft zusätzlich zu den vier bekannten Grundkräften geben muss. “Es ist noch zu früh für eine endgültige Schlussfolgerung”, so Nicola Serra, Professor am Physik-Institut der Uni Zürich. “Doch die LHCb-Kollaboration verfügt über alle Voraussetzungen, um in Beauty-Quark-Zerfällen die mögliche Existenz von Effekten einer neuen Physik zu klären.” Jetzt seien viele weitere Messungen nötig.

Das erste Foto eines Schwarzen Lochs

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Was sind die vier physikalischen Kräfte?

Mit den vier physikalischen Kräften lassen sich theoretisch alle Prozesse, die auf der Erde oder im Weltall zu beobachten sind, erklären.

  • Gravitation: Die Gravitation auf der Erde nennt man auch Schwerkraft oder Erdanziehung – simpel ausgedrückt ist es die Kraft, die uns nach unten zieht. Die Ursache der Schwerkraft liegt in der Masse von Objekten, denn jede Masse hat eine Anziehungskraft. Die Erde stellt die größte Masse in unserem direkten Umfeld dar. Die Gravitation der Erde bewirkt, dass jede andere Masse innerhalb des Einflussbereichs zum Erdmittelpunkt gezogen wird. Daher sprechen wir auch von Erdanziehungskraft.
  • Elektromagnetismus: Hierunter versteht man magnetische Effekte infolge elektrischer Ströme. Bewegte Ladungen – also Strom – sind die Ursache des Elektromagnetismus.
  • Schwache Wechselwirkung (für Radioaktivität): Diese Kraft kann ebenfalls für Energie- und Impuls-Austausch sorgen, wirkt aber nur auf sehr kurze Distanz – vor allem bei Umwandlungen von beteiligten Teilchen, zum Beispiel dem Betazerfall bestimmter radioaktiver Atomkerne.
  • Starke Wechselwirkung: Die vierte physikalische Kraft erklärt die Bindung zwischen Quarks und Hadronen – also zwischen Elementarteilchen und subatomaren zusammengesetzten Teilchen. Vor der Einführung des Quark-Modells verstand man unter der starken Wechselwirkung die Anziehungskraft zwischen den Nukleonen des Atomkerns – also zwischen Protonen und Neutronen.

Rätsel um Antimaterie wird gelöst

Was sind die sechs Quarks?

Es gibt sechs verschiedene Sorten bzw. “Flavours” von Quarks. Diese nennen sich up (u), down (d), strange (s), charm (c), bottom (b) und top (t).

  • Die Flavours werden durch die Quantenzahlen Isospin (I), Strangeness (S), Charm (C), Bottomness (B′) und Topness (T) beschrieben. Jede Sorte unterscheidet sich hinsichtlich Masse, elektrischer Ladung und der schwachen Wechselwirkung. Farbladungen und andere Eigenschaften weisen alle Quarks gleichermaßen auf.
  • Die sechs Quarks unterteilen sich nochmals in drei Generationen. Jede Generation besteht aus zwei Quarks, einem elektrisch geladenen Teilchen und einem zugehörigen Neutrino (elektrisch neutrale Elementarteilchen mit sehr geringer Masse). Theoretisch denkbar sind weitere Generationen mit noch unbekannten Elementarteilchen – gefunden wurden diese bislang nicht.
  • Die zweite und dritte Generation werden oft als Kopien der ersten Generation mit größerer Masse bezeichnet. Die Eigenschaften sind ansonsten identisch.

Im August 2020 hatten bereits Vertreter einer anderen Disziplin ebenfalls Hinweise gefunden, die ein Physik-Standardmodell infrage stellen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der internationalen Forschergruppe Kilo-Degree Survey (KiDS) hatten festgestellt, dass die Materie im Universum wahrscheinlich gleichmäßiger verteilt, als gedacht. Das betrifft sowohl die Dunkle Materie als auch alles Sichtbare.

Eine Karte zeigt die Materieverteilung im Universum an: Das graue Quadrat zeigt die Größe einer einzelnen aufgenommenen Karte, mit dem Mond darin als Größenvergleich. Die Gesamtkarte besteht aus mehr als 1.000 Bildern. Bereiche mit hoher Materiedichte sind gelb gezeigt, Bereiche mit niedriger Dichte pink. Foto: B. Giblin, K. Kuijken, KiDS Team

Eine Karte zeigt die Materieverteilung im Universum an: Das graue Quadrat zeigt die Größe einer einzelnen aufgenommenen Karte, mit dem Mond darin als Größenvergleich. Die Gesamtkarte besteht aus mehr als 1.000 Bildern. Bereiche mit hoher Materiedichte sind gelb gezeigt, Bereiche mit niedriger Dichte pink.

Foto: B. Giblin, K. Kuijken, KiDS Team

Anhand von 31 Millionen Galaxie hat die Forschergruppe eine Art Karte der Materieverteilung im Universum erstellt. Demnach ist die Materie um etwa 10 % gleichmäßiger verteilt, als vom Standardmodell der Kosmologie vorhergesagt. Das bedeutet, dass sich das Universum vielleicht völlig anders entwickelt hat, als angenommen. Wenn Sie mehr über diese spannenden Erkenntnisse erfahren wollen: Kosmologe Hendrik Hildebrandt erklärte seinerzeit im Interview mit ingenieur.de, wie die Forschungen dazu abliefen.

Ein Beitrag von:

  • Peter Sieben

    Peter Sieben schreibt über Forschung, Politik und Karrierethemen. Nach einem Volontariat bei der Funke Mediengruppe war er mehrere Jahre als Redakteur und Politik-Reporter in verschiedenen Ressorts von Tageszeitungen und Online-Medien unterwegs.

  • Sarah Janczura

    Sarah Janczura

    Sarah Janczura schreibt zu den Themen Technik, Forschung und Karriere. Nach einem Volontariat mit dem Schwerpunkt Social Media war sie als Online-Redakteurin in einer Digitalagentur unterwegs. Aktuell arbeitet sie als Referentin für Presse und Kommunikation beim VDI e.V.

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