Geheimnisse der Tierkommunikation 02.09.2024, 07:00 Uhr

Warum Tiere sprechen: Zoologe aus Cambridge kennt die Antwort

Warum Tiere sprechen: Zoologe aus Cambridge enthüllt die Geheimnisse der Tierkommunikation und zeigt, wie sie sich von der menschlichen Sprache unterscheidet.

Gibbons

Gibbons kommunizieren auf komplexe Art und Weise miteinander, die allerdings nicht mit menschlicher Sprache zu vergleichen ist.

Foto: PantherMedia / EBFoto

Die Frage, warum und wie Tiere miteinander kommunizieren, beschäftigt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit Jahrhunderten. Der renommierte Zoologe Dr. Arik Kershenbaum von der Universität Cambridge hat sich intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt. In seinem Buch „Why Animals Talk“ beleuchtet er die vielschichtige Kommunikation in der Tierwelt und zeigt auf, wie sie sich von der menschlichen Sprache unterscheidet. In diesem Artikel werfen wir einen genaueren Blick auf seine Forschungsergebnisse und entdecken, wie Tiere auf bemerkenswerte Weise Informationen untereinander austauschen.

Stimmen im Dschungel: Die Gibbons von Nordvietnam

In den dichten Wäldern Nordvietnams, in denen die Zeit stillzustehen scheint, ertönen plötzlich laute und klare Stimmen. Es sind die Rufe des Östlichen Schwarzen Schopfgibbons, auch Cao Vit Gibbon genannt, einer seltenen und gefährdeten Primatenart. Jahrzehntelang glaubte man, ihre Stimmen seien in der Wildnis verstummt.

Doch jetzt, bei einer Wanderung durch die Berge, kann man ihre Stimmen hören, lange bevor man ihre Quelle sieht. Dr. Kershenbaum beschreibt den Gesang der Gibbons als „unglaublich eindringlich und schön“. Ihr Gesang ist nicht nur Ausdruck ihrer Anwesenheit, sondern auch Zeichen ihrer komplexen sozialen Struktur und Intelligenz.

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Die Rolle der Kommunikation für das Überleben

Primaten wie die Cao Vit Gibbons sind auf ein komplexes Kommunikationsnetz angewiesen, um in ihrer natürlichen Umgebung überleben zu können. Sie leben in dicht bewaldeten Gebieten, in denen Nahrung oft schwer zu finden ist. Sie ernähren sich hauptsächlich von Früchten, die nur zu bestimmten Jahreszeiten reif sind.

Gibbons müssen sich daher die Standorte und Reifezeiten von Obstbäumen merken können. Um die Nahrungsquellen effizient zu nutzen und sich vor Konkurrenz zu schützen, kommunizieren sie miteinander, tauschen Informationen aus und arbeiten als Team zusammen. Diese Kommunikation zeigt sich in den vielfältigen und nuancierten Rufen, mit denen sie Nahrungsquellen identifizieren, vor Gefahren warnen und ihr Territorium abgrenzen, erläutert Dr. Kershenbaum.

Tiere kommunizieren, aber sprechen sie auch?

Ein zentraler Punkt in Kershenbaums Forschung ist die Unterscheidung zwischen Kommunikation und Sprache. Obwohl alle Tiere in irgendeiner Form kommunizieren, sei es durch Laute, Gerüche oder Bewegungen, bedeutet dies nicht, dass sie eine Sprache im menschlichen Sinne besitzen. Sprache, wie wir sie definieren, beinhaltet nicht nur die Übermittlung von Informationen, sondern auch die Fähigkeit, eine unbegrenzte Anzahl von Ideen und Konzepten auszudrücken.

Tiere hingegen senden spezifische Botschaften, die auf bestimmte Verhaltensweisen oder Reaktionen abzielen. Kershenbaum warnt davor, Tierkommunikation als eine Art „Übersetzung“ der menschlichen Sprache zu betrachten. Vielmehr sollten wir ihre Kommunikationssysteme als einzigartige Ausdrucksformen ihrer Intelligenz und ihres Überlebensinstinkts verstehen.

Markieren des Territoriums: Die Bedeutung von Heulen und Pfeifen

Ein faszinierendes Beispiel für die Anpassungsfähigkeit tierischer Kommunikation findet sich bei Delfinen und Wölfen. Beide Arten haben Strategien entwickelt, um über große Entfernungen zu kommunizieren. Delphine nutzen eine Kombination aus Klick- und Pfeifgeräuschen, um durch Echoortung ihre Umgebung zu „sehen“ und miteinander zu sprechen. In der lauten Unterwasserwelt sind diese Laute unerlässlich, um Informationen über große Entfernungen zu übermitteln. Bemerkenswert ist, dass Delphine sogar individuelle „Namen“ füreinander haben, die sie durch spezielle Pfeiftöne ausdrücken.

„Delphine sind eindeutig intelligent“, sagt Kershenbaum und erinnert sich an seine Zeit beim Schwimmen mit ihnen. „Sie sind sehr an dir interessiert. Sie sind sich bewusst, dass du in dieser Unterwasserwelt erbärmlich bist. Im Vergleich zu ihren Fähigkeiten kann man kaum schwimmen“.

Wölfe hingegen heulen, um ihre Botschaften zu übermitteln. Ein Wolfsrudel nutzt das Heulen, um Territorien abzugrenzen, Kontakt zu anderen Rudelmitgliedern aufzunehmen und sich gegenseitig vor Bedrohungen zu warnen. Dr. Kershenbaum erklärt, dass sowohl Delphine als auch Wölfe aufgrund der physischen Einschränkungen ihrer Umwelt auf einfachere, aber durchdringende akustische Signale zurückgreifen. Diese Art der Kommunikation stellt sicher, dass die Botschaften über große Entfernungen verständlich bleiben, auch wenn nuancierte Details verloren gehen.

Ist die Kommunikation über große Entfernungen tatsächlich so komplex?

Es ist umstritten, ob diese Form der Kommunikation über große Entfernungen die Subtilität und Komplexität aufweist, die für das, was wir als Sprache verstehen, notwendig ist. Ian Roberts, Professor für Theoretische Linguistik am Department of Modern and Medieval Languages and Linguistics, glaubt, dass die von Kershenbaum beschriebenen Kommunikationssysteme begrenzt sind.

„Menschliche Sprachen basieren auf zwei getrennten Systemen“, erklärt Roberts. „Das erste System kombiniert bedeutungslose Laute zu bedeutungsvollen Wörtern, das zweite verbindet diese Wörter zu potenziell unendlich vielen Sätzen. Die von Arik beschriebenen Kommunikationssysteme scheinen jedoch nicht auf diese Weise zu funktionieren.

Delphine

Delphine kommunizieren mit Klick- und Pfeifgeräuschen, sie haben außerdem Namen füreinander und kennen eigene Spiele.

Foto: PantherMedia / razvanchirnoaga

Kurzstreckenkommunikation: Nuancen und Komplexität

Während Heulen und Pfeifen für die Kommunikation über große Entfernungen optimiert sind, verfügen Tiere auch über ausgefeilte Methoden für die Kommunikation über kurze Strecken. Diese Kurzstreckenkommunikation ist oft subtiler und komplexer.

Delphine zum Beispiel verwenden eine Vielzahl von Klick- und Pfeiftönen, um sich in unmittelbarer Nähe zu verständigen. Diese Laute enthalten viel mehr Informationen als Rufe über große Entfernungen. Ähnlich verhält es sich bei Wölfen, die durch Bellen, Knurren und andere Lautäußerungen ihren sozialen Status, ihre Gefühle oder Absichten ausdrücken.

Wenn der Wächter-Klippschliefer seine Artgenossen warnt

Dr. Kershenbaum erforscht auch weniger bekannte Tiere wie die Klippschliefer, deren Körperbau an Meerschweinchen erinnert. Diese kleinen, rundlichen Säugetiere, die in Afrika beheimatet sind, leben in großen Gruppen und verständigen sich mit lauten Gesängen. Klippschliefer warnen ihre Gruppe mit speziellen Rufen vor Raubtieren.

Kershenbaum erläutert: „Klippschliefer halten Wache. Einer von ihnen hält Ausschau nach Raubtieren und ruft, wenn ein solches gesichtet wird. Je nach Art des Rufs kann sich die Gruppe zusammenschließen, um das potenzielle Raubtier zu verfolgen“.

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In Versuchen spielte Kershenbaum Warnrufe ab und beobachtete, wie die Klippschliefer sofort reagierten, indem sie sich zusammenschlossen oder in Deckung gingen. Diese klare Unterscheidung zwischen verschiedenen Arten von Warnrufen zeigt, wie präzise und spezifisch die Kommunikation innerhalb von Tiergruppen sein kann.

Warum hat sich die Kommunikation bei Menschen und Tier so unterschiedlich entwickelt?

Die Frage, warum sich die menschliche Sprache entwickelt hat, während Tiere bei komplexen Kommunikationsformen geblieben sind, führt zu grundlegenden Überlegungen über die Evolution. Sprache ist mehr als nur ein Mittel zur Übermittlung von Informationen – sie ist ein Instrument des kulturellen Austauschs, der sozialen Bindung und des kreativen Ausdrucks.

Dr. Kershenbaum vermutet, dass die Entwicklung der Sprache das Ergebnis einer besonderen Mischung aus Intelligenz und sozialer Notwendigkeit war. Vor Millionen von Jahren lebten unsere Vorfahren in komplexen sozialen Gruppen, die eine ausgeklügelte Kommunikation und Zusammenarbeit erforderten. Diese Anforderungen könnten die evolutionären Voraussetzungen für die Entwicklung der Sprache geschaffen haben.

KI ist nicht alles, um die Tierkommunikation zu verstehen

Mit dem technologischen Fortschritt wachsen auch die Möglichkeiten, die Kommunikation von Tieren besser zu verstehen. Initiativen wie das Earth Species Project und die Cetacean Translation Initiative (CETI) nutzen maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz, um Muster und Bedeutungen in Tierlauten zu entschlüsseln.

Diese Projekte könnten einen großen Durchbruch beim Verständnis der Art und Weise, wie Tiere Informationen kodieren und übermitteln, bedeuten. Kershenbaum betont jedoch, dass eine rein datenbasierte Analyse nicht ausreicht. Um die volle Bedeutung der Tierkommunikation zu erfassen, muss der Verhaltenskontext berücksichtigt werden, der nur durch direkte Beobachtung und Untersuchung in der natürlichen Umgebung verstanden werden kann.

Lassen sich die Erkenntnisse für den Naturschutz nutzen?

Kershenbaum hofft, seine Erkenntnisse über die Kommunikation von Tieren künftig auch für den Naturschutz einsetzen zu können. Ein besseres Verständnis davon, was Tiere mitteilen, könnte uns ermöglichen, sie in ihrer natürlichen Umgebung genauer zu verfolgen und ihr Verhalten besser zu überwachen.

Unterdessen lenken Forschende in Cambridge die Untersuchung der Tierkommunikation in unerwartete Richtungen. Dr. James Herbert-Read erforscht, wie Meerestiere Informationen aus ihrer Umgebung wahrnehmen, während Wissenschaftler aus verschiedenen Fachbereichen darüber nachdenken, wie Sprachen auf anderen Planeten klingen könnten.

Herbert Read erläutert: „Das Hören und Verstehen der Botschaften, die Tiere übermitteln, hat tiefgreifende Folgen. Im eindrucksvollen Gesang der Gibbons und im sehnsüchtigen Heulen der Wölfe stecken komplexe, absichtsvoll vermittelte Botschaften, die wir erst allmählich zu entschlüsseln beginnen. Indem wir aufmerksam zuhören, vertiefen wir unser Verständnis und unsere Wertschätzung für das Leben der Tiere, während unser eigener Platz in der natürlichen Welt deutlicher wird und gleichzeitig neue Geheimnisse offenbart. Ariks Arbeit könnte uns Einblicke in das Denken anderer Spezies geben, uns mehr über unsere Herkunft verraten und erklären, warum wir sprechen“.

Sie wollen mehr über die faszinierende Welt der Tierkommunikation erfahren? Hier geht es zum Buch von Dr. Arik Kershenbaum: Why animals talk

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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