Archäologie 15.04.2023, 12:08 Uhr

Astronomie in der Bronzezeit: Die Himmelsscheibe von Nebra

Die Himmelsscheibe von Nebra ist ein außergewöhnliches archäologisches Objekt aus der Bronzezeit, das einzigartige Einblicke in die astronomischen Kenntnisse und den kulturellen Kontext dieser Zeit gibt. Sie zeigt markante Himmelskörper und diente als Kalender, um sich jahreszeitlich zu orientieren. Ihre Sicherstellung war ein echtes Kriminalstück.

Himmelsscheibe von Nebra

Die Himmelsscheibe von Nebra hat das Verständnis für die Bronzezeit grundlegend verändert.

Foto: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, J. Lipták

Die Himmelsscheibe von Nebra gilt als eine der bedeutendsten archäologischen Entdeckungen der letzten Jahrzehnte, hat sie unser Verständnis der Bronzezeit in Europa doch erheblich erweitert. Erstaunlich ist vor allem, wie vertraut dem Konstrukteur der Scheibe das Geschehen am Himmel bereits vor rund 4000 Jahren gewesen sein muss. Nicht die Griechen, nicht die Ägypter waren die ersten, die den Himmel auf eine derartige Weise darstellten, es waren Menschen aus dem heutigen Sachsen-Anhalt.

Vom Raubfund zum UNESCO-Weltdokumentenerbe

Am 4. Juli 1999 fanden zwei Raubgräber mit Hilfe einer Sonde auf dem Mittelberg nahe der Stadt Nebra in Sachsen-Anhalt eine aus Bronze gefertigte Scheibe, die sie zunächst als Teil eines Schildes identifizierten und an einen Kölner Händler verkauften. Über Umwege gelangte die Himmelsscheibe von Nebra 2002 in den Besitz des Landesmuseum für Vorgeschichte Sachsen-Anhalt in Halle, seit 2013 gehört sie zum UNESCO-Weltdokumentenerbe in Deutschland. Doch was macht sie so besonders?

Da ist zunächst das Alter, wird sie doch auf ein Alter zwischen 3700 und 4100 Jahre geschätzt, sie stammt demnach aus der Bronzezeit. Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, was auf der 32 Zentimeter großen Scheibe abgebildet ist, enthält sie doch eine der ältesten Darstellungen des Himmels, die bisher gefunden wurden – und das weit bevor die Griechen oder Ägypter solche Kunstwerke schufen.

Was zeigt die Himmelscheibe?

Die Scheibe von Nebra zeigt mehrere Himmelskörper in markanten Darstellungen. Auf der rechten Seite ist ein Halbmond abgebildet, während links daneben eine Scheibe etwas aus der Mitte gerückt zu sein scheint und vermutlich den Vollmond darstellt. Am auffälligsten sind jedoch die sechs Plättchen aus Goldblech, die einen Kreis bilden, mit einem weiteren Plättchen in der Mitte.

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Diese bilden das sogenannte Siebengestirn – eine Gruppe von leuchtenden Sternen, die auch als Plejaden bekannt sind und etwa 440 Lichtjahre von uns entfernt sind. Es handelt sich um die leuchtkräftigsten Sterne des Sternhaufens, zu dem insgesamt etwas mehr als 1000 Sterne gehören und die mit bloßem Auge zu sehen sind. Diese Entdeckung ist von unschätzbarem Wert für unser Verständnis der frühen Astronomie und zeigt, dass bereits vor Jahrtausenden Menschen ein Interesse am Himmel hatten.

Illustration der Plejaden

Illustration der Plejaden, die auch als Siebengestirn oder sieben Schwestern bezeichnet werden.

Foto: Panthermedia.net/Furian

Interessanterweise wurde das Siebengestirn, das auf der Scheibe von Nebra abgebildet ist, auch in anderen Kulturkreisen als etwas Besonderes angesehen. Dies wird durch Funde in den Höhlen von Lascaux belegt, wo neben anderen Zeichnungen auch ein Bild dieser herausragenden Sternengruppe an den Wänden zu sehen ist.

Während die sechs Plättchen aus Goldblech auf der Scheibe das Siebengestirn darstellen, haben die restlichen Plättchen bisher keine klare Zuordnung zu bestimmten Sternen. Es bleibt ein Rätsel, welche Sterne sie darstellen könnten. Aktuell werden diese 25 Plättchen als Verzierung gewertet.

Die Himmelsscheibe als Kalender

Die Scheibe von Nebra ist nicht nur eine faszinierende Darstellung des Himmels, sondern auch ein primitiver Kalender. Obwohl es auf den ersten Blick nicht offensichtlich ist, enthält sie ein geniales System zur Bestimmung von Datum und Zeit. Der Clou des Kalenders verbirgt sich in den Horizont-Bögen, die ursprünglich am linken und rechten Rand der Scheibe eingelassen waren. Beide Bögen umfassen einen Winkel von genau 82 Grad (der linke Bogen wurde später wieder entfernt). Dieser Winkel entspricht exakt dem Bogen, den die Sonnenauf- bzw. Sonnenuntergangspunkte zwischen dem 21. Juni, der Sommersonnenwende, und dem 21. Dezember, der Wintersonnenwende, auf der geographischen Breite von Nebra am Horizont markieren.

Von einem kleinen Hügel aus, dem heute bewaldeten Mittelberg, kann man die Sonne am 21. Juni genau hinter dem Brocken, dem höchsten Berg des Harzes, untergehen sehen. Auf dieser Grundlage lässt sich die Scheibe justieren. Sie wird waagerecht auf einem Stock montiert und täglich wird über den Rand des Sonnenuntergangsbogens auf den Brocken gezielt. Wenn der Sonnenuntergang nicht mehr über den Rand des Bogens hinausgeht, hat man die sogenannte Sommersonnenwende, den 21. Juni, ermittelt. Nachdem die Scheibe justiert wurde, darf ihre Ausrichtung nicht mehr verändert werden.

In den nächsten sechs Monaten wandert die untergehende Sonne Tag für Tag vom Brocken weg nach links bzw. nach Süden. Nach einem Vierteljahr, am 21. September, erreicht die Sonne genau die Mitte des westlichen Horizontbogens. An diesem Punkt schneidet die Sichtlinie von Auge, Scheibenmitte und Sonnenuntergangspunkt den Horizontbogen genau in der Mitte. Nach einem weiteren Vierteljahr steht die Sonne dann hinter dem linken Ende des Horizontbogens.

Im Verlauf des folgenden Halbjahres wandert der Sonnenuntergangspunkt wieder zurück zum Ausgangspunkt auf dem Horizontbogen. Anhand der Stellung der untergehenden Sonne relativ zum Horizontbogen konnte man sich also jahreszeitlich ziemlich genau orientieren. Und wozu das Ganze? Vielleicht ging es ganz einfach darum, den richtigen Zeitpunkt für Aussaat und Ernte zu finden, es sind aber auch weitere Interpretationsmöglichkeiten denkbar. Auf jeden Fall war die Himmelsscheibe jedoch ein Instrument, das seinem Besitzer viel Macht gab – zumindest in der damaligen Zeit.

Himmelsscheibe von Nebra

Neben der Himmelsscheibe wurden in Nebra noch Bronzeschwerter, Beile, Meißel und Armreife gefunden.

Foto: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, J. Lipták

Wer könnte der „Herr der Himmelsscheibe“ sein?

Die Himmelsscheibe von Nebra gilt als ein machtvolles Instrument für die Zeit, in der sie erschaffen wurde. Es wird daher vermutet, dass mit einem Fürsten in Verbindung gebracht werden kann. Die Scheibe zeigt nicht nur exklusives astronomisches Wissen, das dazu genutzt wurde, die soziale Stellung des Besitzers zu festigen, sondern besteht auch aus einer Kombination von Bronze und Gold, die nur den oberen Schichten der Aunjetitzer Kultur vorbehalten war. Die Materialien, Kupfer aus den Alpen, Zinn und Gold aus Cornwall, sprechen für einen sehr einflussreichen Auftraggeber oder Hersteller mit weitreichenden Handelsbeziehungen.

Als möglicher „Herr der Himmelsscheibe“ kommt der Bestattete im Grabhügel Bornhöck bei Raßnitz in Frage. Dieser Hügel hatte einen Durchmesser von 65 Metern und war im 19. Jahrhundert abgetragen worden. Doch auf einem Luftbild entdeckte man später unterirdisch erhaltene Reste, die zwischen 2014 und 2017 archäologisch untersucht wurden. Die Größe des Hügels spricht für eine überregional herausragende Stellung des Bestatteten. Da er zur gleichen Zeit lebte, in der die Himmelsscheibe erschaffen wurde, gilt er als einer der aussichtsreichten Kandidaten, wenn es um den Besitzer geht.

Die Gegend um den Bornhöck war zudem ein wirtschaftliches und kulturelles Zentrum der Aunjetitzer Kultur. Hier findet man noch zwei weitere bedeutende Grabanlagen, den Grabhügel von Dieskau und den Hallberg bei Osmünde, sowie mehrere äußerst wertvolle und umfangreiche Hortfunde, wie beispielsweise das Depot von Bennewitz und die Depots I, II und III von Dieskau. All dies zeigt, dass die Himmelsscheibe von Nebra in einem umfassenden kulturellen und historischen Kontext steht.

Wie wurden Echtheit und Alter der Scheibe bestimmt?

Die Himmelsscheibe von Nebra wurde zunächst anhand der Stilmerkmale der Beifunde datiert, die aus der Zeit um 1600 v. Chr. stammen. Spätere Untersuchungen ergaben jedoch, dass sie vermutlich in mehreren zeitlich getrennten Phasen entstanden ist. Die genaue Altersbestimmung war schwierig, da der Werkstoff der Scheibe keinen Kohlenstoff enthält, der für die C14-Datierung notwendig wäre.

Um das Alter der Scheibe dennoch zu bestimmen, wandte die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung eine innovative Methode an: Die Goldauflagen wurden mit hochintensiven Röntgenstrahlen bestrahlt, um ihre Zusammensetzung zu analysieren. Es stellte sich heraus, dass die Goldauflagen keine einheitliche Zusammensetzung aufweisen, was darauf hinweist, dass die Scheibe in mehreren Phasen entstanden ist.

Eine weitere Methode, die zur Bestimmung des Alters der Scheibe verwendet wurde, war die Radiokohlenstoffdatierung von Kohlenstoffresten, die an einem der Beifunde, einem Stückchen Birkenrinde, gefunden wurden. Diese Datierung ergab, dass das Holzstück aus der Zeit um 1600 bis 1560 v. Chr. stammt, was darauf hindeutet, dass die Scheibe in dieser Zeit entstanden sein könnte.

Im Jahr 2020 kam die These auf, dass die Scheibe nicht aus der frühen Bronzezeit, sondern erst aus der Eisenzeit (ca. 800 bis 50 v. Chr.) stammt. Eine Begründung war, dass die Scheibe nicht zusammen mit den unstreitig bronzezeitlichen Beifunden gefunden wurde. Allerdings wurden diese Argumente von einer 13-köpfigen Forschergruppe um Ernst Pernicka vom Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie in Mannheim zurückgewiesen, die darauf hinwies, dass die Scheibe durch andere Methoden datiert wurde, die ihr Alter auf die Bronzezeit datieren.

Sicherstellung der Scheibe war ein Kriminalstück

Wie eingangs bereits geschrieben, wurde die Himmelsscheibe 1999 von zwei Raubgräbern mit Hilfe eines Metalldetektors entdeckt. Was danach passierte, liefert die Geschichte für ein Kriminalstück. Zunächst einmal verkauften die „Finder“ die Himmelscheibe an einen Kölner Händler für 31.000 DM, wobei neben der Scheibe noch zwei Bronzeschwerter, zwei Beile, ein Meißel und Bruchstücke spiralförmiger Armreife zum Fund gehörten und im Preis inbegriffen waren.

Der Käufer witterte ein dickes Geschäft und bot den Hortfund zunächst für eine Million Euro in Berlin und später auch in München an. Es sprach sich jedoch herum, dass der Fund rechtmäßig dem Land Sachsen-Anhalt gehörte. So wie alle Bodenfunde ganz automatisch nach Landesgesetz in Landeseigentum übergehen. Für den seriösen Kunsthandel wurde die Himmelscheibe von Nebra nebst den weiteren Funden daher wertlos. Der Fund wechselte bis 2001 mehrmals den Besitzer, zuletzt wurden 200.000 DM dafür bezahlt.

Die letzten „Besitzer“ boten ihren Schatz für 700.000 DM auf dem Schwarzmarkt an. Der Landesarchäologe Harald Meller gab sich höchstpersönlich als Kaufinteressent aus und traf die Hehler am 23. Februar 2002 in einem Basler Hotel. Anstatt einer großen Geldsumme erwartete die Verkäufer allerdings schwedische Gardinen. Die Schweizer Polizei verhaftete die Hehler und stellte die Himmelsscheibe sicher. Auch die Begleitfunde wurden sichergestellt. Der Wert der Himmelsscheibe ist übrigens unschätzbar, im Jahr 2006 lag der Versicherungswert bei 100 Millionen Euro.

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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