Jobwechsel 11.04.2023, 13:20 Uhr

Abwerben und abwerben lassen: Was Sie über Abwerbungen wissen müssen

Abwerbungen gehören zum Arbeitsmarkt wie der Käse auf die Pizza. Und die Tendenz, dem anderen auf den Teller zu langen, dürfte Angesicht der Fachkräfteengpässe in Zukunft eher noch zunehmen. Für Arbeitgeber wie für Arbeitnehmer sind Abwerbungen Chance und Risiko zugleich. So werben Sie ab — oder lassen sich abwerben.

Wenn die angebotene Stelle besser zu den Qualifikationen passt, sollte man die Chance nutzen.

Wenn die angebotene Stelle besser zu den Qualifikationen passt, sollte man die Chance nutzen.

Foto: panthermedia.net/iamnao

Was versteht man unter Abwerben?

Unternehmen, die sich aktiv bemühen, Mitarbeiter anderer Unternehmen zu rekrutieren, werben ab. Abwerbungen zielen per Definition auf Personen, die ungekündigt in einem aktiven Arbeitsverhältnis stehen, nicht auf Absolventen oder Arbeitslose.

Die Personalabteilungen von Unternehmen werben aktiv ab, aber auch Headhunter und Personalberatungen, eigene Mitarbeiter oder ehemalige Kollegen. Eine Sonderform sind interne Abwerbungen, bei denen die eine Abteilung im Unternehmen der anderen einen Mitarbeiter abspenstig macht. Zudem ist es nicht unüblich, neben Beschäftigten auch Kunden und Klienten oder Lieferanten abzuwerben.

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Abwerbungen sind ein wichtiges Thema im Arbeitsrecht, innerhalb des Wettbewerbsrechts kommen sie im Lauterkeitsrecht vor. Grundsätzlich ist es erlaubt, Arbeitnehmer abzuwerben. Es gibt aber Szenarien, in den das Abwerben von Mitarbeitern unzulässig ist.

Warum Arbeitgeber Abwerbungen verhindern sollten

Unternehmen verlieren beim Abgang von Mitarbeitern wertvolles Knowhow, Arbeitskraft und Kontakte — im schlimmsten Fall an einen direkten Konkurrenten. Und sie müssen Ressourcen für die Suche nach einem Nachfolger aufbringen.

Mehr noch: Laut einer Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München von 2016 sind Mitarbeiter gerade nach einem Jobwechsel darum bemüht, die Identifikation mit dem neuen Arbeitgeber zu stärken — und gerade deswegen gegenüber ihrer früheren Firma besonders wettbewerbsorientiert. Auf diese Weise würden sie ihren Loyalitätskonflikt lösen, denn im Grunde fühlten sie sich beiden Unternehmen verbunden, heißt es in der Studie. Die Münchener Forscher hatten anhand von Spielerwechseln von Eishockeyprofis untersucht, wie es sich auf die Leistungsbereitschaft auswirkt, wenn ehemalige Mannschaftskollegen auf einmal Konkurrenten sind. „Wir glauben, dass sich das Ergebnis auf die Wirtschaft übertragen lässt“, sagte damals Studienautor Thorsten Grohsjean.

Strategien zur Vermeidung von Abwerbungen

4 Maßnahmen, mit denen Unternehmen Abwerbungen unterbinden:

  1. Wettbewerbsverbot aufnehmen

    Unternehmen, die in ihre Arbeitsverträge ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot aufnehmen, wappnen sich gegen böse Überraschungen. Konkret besagt ein Wettbewerbsverbot, dass der entsprechende Mitarbeiter nach dem Ausscheiden aus dem Unternehmen für einen bestimmten Zeitraum – höchstens zwei Jahre – kein Arbeitsverhältnis bei einer Konkurrenzfirma aufnehmen darf. Diesen Schutz müssen sich Unternehmen aber erkaufen und eine Karenzentschädigung an den Arbeitnehmer zahlen.

  2. Kündigungsfrist verlängern

    Mit zunehmender Betriebszugehörigkeit verlängert sich die gesetzliche Kündigungsfrist, in der Arbeitgeber einen Mitarbeiter vor die Tür setzen können, ganz automatisch. Am Anfang beträgt sie einen Monat, nach 20 Jahren schon sieben Monate. Für Arbeitnehmer, die ihrerseits kündigen wollen, bleibt es hingegen stets bei einer Kündigungsfrist von einem Monat. Es sei denn, in ihrem Arbeitsvertrag wurde eine längere Kündigungsfrist festgezurrt. Arbeitsrechtler halten dies für zulässig. Vorausgesetzt, die Kündigungsfrist für den Arbeitnehmer ist nicht länger als die für den Arbeitgeber. Mit längeren Kündigungsfristen können Unternehmen Mitarbeiter an sich binden und gleichzeitig einen Firmenwechsel unattraktiver machen.

  3. Alternativen bieten

    Ein Wechselwunsch entzündet sich nicht selten an der Aussicht auf ein höheres Gehalt. Laut einer Yougov-Umfrage im Auftrag des Jobportals Indeed von 2021 wäre jeder zehnte Befragte bereit, schon für eine Gehaltssteigerung von sechs Prozent den Arbeitgeber zu wechseln. 28 Prozent würden sich bei einer Gehaltssteigerung zwischen elf und 20 Prozent abwerben lassen. Den Poker können und wollen sich viele Betriebe nicht leisten. Zudem kann eine großzügige Gehaltsanpassung Unruhe im Betrieb entfachen, eine Gerechtigkeitsdebatte innerhalb der Belegschaft lostreten. Zum Glück gibt es Alternativen: Benefits wie Urlaubstage, Vergünstigungen und Gutscheine, Sabbaticals oder Weiterbildung bringen einen Mitarbeiter womöglich von seinen Wechselplänen ab. Alles kann auf den Verhandlungstisch — letztlich natürlich auch das Gehalt.

  4. Probleme analysieren

    Im Gespräch mit einem wechselwilligen Mitarbeiter erfahren Führungskräfte, wo der Schuh drückt. Vielleicht können die Probleme ja beseitigt, die Rahmenbedingungen verbessert werden, um einen Verbleib schmackhaft zu machen. Flexiblere Arbeitszeiten oder Homeoffice-Optionen können ein Baustein sein, persönliche Entwicklungspläne die Motivation steigern, die Übernahme von Aufgaben und Verantwortlichkeiten dem Job neuen Sinn verleihen. Wichtig ist für Unternehmen auch die übergeordnete Analyse; vor allem dann, wenn die Fluktuation ungewöhnlich hoch ist.
    Gibt es wiederkehrende Muster; Defizite im Umfeld, die die Mitarbeiterzufriedenheit auf breiter Front schmälern? Wenn ja, dann ist spätestens jetzt Zeit zu handeln. Die Fachkräfteengpässe in der deutschen Wirtschaft werden sich so schnell nicht in Luft auflösen — und die Abwerbungsversuche eher zu- als abnehmen.

Wie man sich als Arbeitnehmer erfolgreich abwerben lässt

7 Tipps für Arbeitnehmer, die einer Abwerbung nicht abgeneigt sind:

  1. Sichtbarkeit erhöhen

    Mitunter genügt es schon, eine begehrte Fachkompetenz in das eigene Xing- oder Linkedin-Profil aufzunehmen, um die Recruiter anzulocken wie ein Stück Aas die Hyänen. Wer sich wirklich abwerben lassen möchte, fängt genau hier an — in den sozialen Medien. Profile komplettieren und aktualisieren, Kompetenzen und Interessen aufnehmen und so das Interesse der versammelten Heerschar an Headhuntern auf sich ziehen.

  2. Netzwerk ausbauen

    „Ich kenne da jemanden, der jemanden kennt, der gerade eine neue Projektingenieurin braucht.“ Netzwerke erleichtern und beschleunigen den Informationsaustausch — und servieren Stellenangebote manchmal auf dem Silbertablett. Das eigene Netzwerk lässt sich ganz leicht online erweitern, aber auch in der nicht-virtuellen realen Welt, zum Beispiel auf Messen, Konferenzen, Tagungen oder Meetups.

  3. Termin vereinbaren

    Arbeitszeit ist Arbeitszeit, Freizeit ist Freizeit. Ein Gespräch mit einem fremden Arbeitgeber oder Headhunter gehört natürlich in die Freizeit. Legen Sie daher Konversationen, die eine mögliche Abwerbung betreffen, in den Feierabend oder auf das Wochenende. Auch, weil Sie dann noch Zeit haben, um sich vorzubereiten. Kommunizieren Sie nicht am Arbeitsplatz, über das Diensthandy oder die berufliche E-Mail-Adresse mit Interessenten. Im Übrigen stellen längere Gespräche am Arbeitsplatz wettbewerbswidriges Verhalten dar und sind verboten. Eine erste kurze Kontaktaufnahme am Arbeitsplatz, zum Beispiel durch einen Headhunter, ist dagegen erlaubt.

  4. Arbeitsvertrag studieren

    Werfen Sie einen Blick in Ihren Arbeitsvertrag, bevor Sie in die Verhandlung einsteigen. Enthält er ein Wettbewerbsverbot? Wie lange dauert dieses? Steht Ihnen eine Karenzentschädigung zu? Welche Kündigungsfrist gilt eigentlich für Sie? Im Zweifel konsultieren Sie einen Fachanwalt für Arbeitsrecht, um offene Fragen zu klären.

  5. Zurückhaltung üben

    „Auf Ihren Anruf habe ich gewartet!“ Arbeitnehmer brechen besser nicht in Begeisterungsstürme aus, wenn der Headhunter anruft — selbst dann nicht, wenn sie wirklich sehnsüchtig darauf gewartet haben. Dadurch schwächen Sie Ihre Verhandlungsposition. Tenor beim Erstkontakt: Dezentes Interesse signalisieren, aber zurückhaltend bleiben und sich nicht festlegen.

  6. Angebot vergleichen

    Die Begeisterung über einen Abwerbungsversuch und die Aussicht auf eine neue Stellen mögen groß sein. Vor dem Ja-Wort aber sollte man noch mal einen Schritt zurücktreten und die Lage sorgfältig analysieren. Welche Vor- und Nachteile werden mit dem Jobwechsel wohl verbunden sein? Wird er mich – und meine Familie – zufriedener machen? Welche Entwicklungsmöglichkeiten habe ich dort und welche gebe ich hier auf?

  7. Diskretion wahren

    Sprechen Sie nicht mit Kolleginnen und Kollegen über die Abwerbungsversuche. Zu groß die Gefahr, dass das Gerücht über Umwege doch in die Chefetage wabert. So machen sich Arbeitnehmer angreifbar. Bevor Sie Ihren neuen Vertrag unterschreiben, können Sie Ihren Chef aber einweihen und sich von ihm durch ein Gegenangebot vielleicht doch noch zum Bleiben überreden lassen. Falls dies prinzipiell ausgeschlossen ist, dann gilt die Devise: Erst unterschreiben, dann kündigen.

Worauf Arbeitnehmer noch achten sollten

Achtung, Falle: Nicht jede Abwerbung ist ehrlich und ernst gemeint. Es gibt auch die hinterlistige Variante, eine fingierte oder arrangierte Abwerbung. Die geht so: Ein Arbeitgeber will einen Mitarbeiter loswerden, kann es aber nicht (z.B. wegen einer langen Kündigungsfrist). Deshalb lässt er ein Vertragsangebot aufsetzen und ihn umwerben, zum Beispiel durch einen befreundeten Unternehmer. Nimmt der vermeintlich umworbene Mitarbeiter an und kündigt seinen aktuellen Job, ist der Arbeitgeber ihn los. Kündigungsfristen, Abfindungen und Kündigungsschutzklagen sind plötzlich kein Thema mehr. Die neue Stelle kann ruckzuck und mit minimalem Aufwand in der Probezeit wieder gekündigt werden. Zugegeben, das ist an Niedertracht und Bösartigkeit kaum zu überbieten, aber möglich — und ein Thema, das so mancher Fachanwalt tatsächlich auf dem Schreibtisch hat.

Für Arbeitnehmer ist es daher ratsam, immer auch misstrauisch auf Abwerbungsversuche zu reagieren — erst recht, wenn die Kontaktaufnahme von einer Organisation initiiert wurde, die mit dem aktuellen Arbeitgeber auf die eine oder andere Weise in Verbindung steht. Eine Strategie kann es sein, eine ordentliche Kündigung in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses im Arbeitsvertrag ausschließen zu lassen oder zu vereinbaren, dass das Kündigungsschutzgesetz von Beginn an gilt.

Wann das Abwerben von Mitarbeitern illegal ist

Grundsätzlich ist die Abwerbung eines Mitarbeiters von einem anderen Unternehmen zulässig. Abwerbungen sind Teil der freien Marktwirtschaft, Arbeitnehmer sind in der Wahl ihres Arbeitsplatzes frei. Zulässig ist es etwa, ein höheres Gehalt oder bessere Arbeitsbedingungen in Aussicht zu stellen und den Arbeitnehmer dadurch zum Wechsel zu überreden.

In manchen Fällen aber kann eine Abwerbung auch wettbewerbswidrig sein und zu Schadensersatzansprüchen führen. Eine Abwerbung darf insbesondere nicht gegen das „Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb“ (UWG) verstoßen. Dies ist häufig der Fall, wenn das abwerbende Unternehmen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis zum momentanen Arbeitgeber des Umworbenen steht, also gleichartige Produkte oder Dienstleistungen anbietet.

Dann sind Abwerbungen unzulässig

Nicht zulässig ist es, wenn Unternehmen…

  • Arbeitnehmer zum Vertragsbruch auffordern
  • Handlungen vornehmen, die den Arbeitnehmer zum Vertragsbruch motivieren, zum Beispiel die Übernahme einer Vertragsbruchstrafe anbieten
  • Dem Arbeitnehmer gegenüber falsche, irreführende oder diffamierende Angaben über den bisherigen Arbeitgeber verbreiten und ihn dadurch zur Kündigung bringen
  • Arbeitnehmer systematisch abwerben, um einen Konkurrenten zu schwächen oder um an Betriebsgeheimnisse zu gelangen

Auch Mitarbeiter verstoßen gegen arbeitsvertragliche Treuepflichten, wenn sie Kollegen abwerben, aber noch im Arbeitsverhältnis mit ihrem aktuellen Arbeitgeber stehen, auch wenn sie diesen womöglich bald verlassen. Für ehemalige Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nicht mehr besteht, gilt die Treuepflicht naturgemäß nicht mehr. Sie dürfen ehemalige Kolleginnen und Kollegen im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten abwerben.

Welche Strafen bei Abwerbung drohen

Im Falle einer wettbewerbswidrigen Abwerbung kann ein geschädigtes Unternehmen Anspruch auf Unterlassung erwirken mit dem Ziel, künftige Abwerbeversuche zu unterbinden. Auch eine Klage auf Schadenersatz oder ein Beschäftigungsverbot des Mitarbeiters im neuen Unternehmen für die Dauer der Kündigungsfrist sind denkbar. In der Praxis ist es aber oft schwierig bis unmöglich, dem Rivalen unlautereres oder sittenwidriges Verhalten nachzuweisen.

Ein Beitrag von:

  • Sebastian Wolking

    Sebastian Wolking ist freier Journalist in Hamburg und schreibt seit über 15 Jahren für die VDI Nachrichten. Er beschäftigt sich hauptsächlich mit den Themen Arbeitsmarkt und Karriere.

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