Autobahn 23.06.2025, 14:20 Uhr

Tempolimit in Deutschland – sinnvoll oder reine Schikane?

Auf deutschen Autobahnen gibt es kein generelles Tempolimit – die Frage ist wie lange noch. Wir blicken auf aktuelle Studien und Einschätzungen.

Straße mit Lkw und Pkw Schild 130

Kommt das Tempolimit auf deutschen Autobahnen? Die Autoindustrie stellt sich auf Änderungen ein.

Foto: panthermedia.net/Astrid08

Seit Jahrzehnten wird in Deutschland über ein generelles Tempolimit auf Autobahnen gestritten. Die einen sehen darin einen überfälligen Schritt für Klimaschutz und Verkehrssicherheit. Die anderen fürchten Einschränkungen der individuellen Freiheit und sehen kaum Nutzen. Doch was sagen Zahlen, Studien und technische Fakten? Und welche Auswirkungen hätte ein Tempolimit wirklich?

Deutschland als Sonderfall

In Europa ist Deutschland das einzige Land ohne allgemeines Tempolimit auf Autobahnen. Weltweit teilen sich nur wenige Staaten diese Praxis – darunter Länder mit völlig anderen Verkehrssystemen wie Somalia oder Afghanistan. In Deutschland aber ist die freie Fahrt Teil der automobilen Identität. Viele verbinden sie mit Ingenieurskunst, Innovationskraft und individueller Autonomie.

Gleichzeitig hat sich die gesellschaftliche Stimmung in den letzten Jahren gewandelt. In repräsentativen Umfragen befürwortet eine Mehrheit der Bevölkerung mittlerweile eine Begrenzung auf 130 km/h. Auch unter Mitgliedern des ADAC wächst die Zustimmung.

Sicherheitsaspekte: Schützt ein Tempolimit?

Gegner führen oft an, dass Autobahnen ohnehin sicherer seien als Landstraßen. Tatsächlich passieren dort weniger tödliche Unfälle. Doch Statistiken allein erklären nicht alles: Auf Autobahnen gibt es keinen Gegenverkehr, was viele Risiken reduziert. Gleichzeitig steigen bei höheren Geschwindigkeiten die Unfallfolgen erheblich. Der Bremsweg ändert sich schneller als die Geschwindigkeit, und zwar im Quadrat (s=v²/(2a)). Auch der Reaktionsweg nimmt mit steigendem Tempo zu.

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Ein weiteres Problem ist die Heterogenität der Geschwindigkeiten. Wenn manche mit 200 km/h unterwegs sind, andere mit 120 km/h, entstehen immer wieder gefährliche Situationen. Studien belegen, dass eine Angleichung der Geschwindigkeit das Unfallrisiko senken kann – einfach weil weniger abrupt gebremst oder ausgewichen werden muss.

Der frühere Leiter der Unfallforschung der Versicherer, Siegfried Brockmann, plädierte 2024 für ein Limit von 140 bis 150 km/h. Damit lasse sich ein homogener Verkehrsfluss erreichen – der wichtigste Hebel zur Unfallvermeidung auf Autobahnen.

Klimaschutz: Bringt ein Tempolimit wirklich etwas?

Ein zentrales Argument für ein Tempolimit ist die Reduktion von Treibhausgasen. Deutschland hat sich im Bundes-Klimaschutzgesetz verpflichtet, die Emissionen im Verkehrssektor deutlich zu senken. Derzeit stößt der Straßenverkehr rund 144 Millionen Tonnen CO₂ jährlich aus – etwa 20 % der gesamten Emissionen.

Ende 2024 hat das Umweltbundesamt (UBA) eine neue Studie vorgelegt, die die Wirkung von Tempolimits auf den Klimaschutz untersucht. Demnach könnten rund 6,2 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr eingespart werden, wenn auf Autobahnen generell Tempo 120 gilt. Ein zusätzliches Tempolimit von 80 km/h auf Landstraßen würde die Einsparung sogar auf 7,4 Millionen Tonnen erhöhen. Auch der Ausstoß gesundheitsgefährdender Schadstoffe wie Stickstoffoxide würde deutlich zurückgehen.

Für Michael Müller-Görnert, verkehrspolitischer Sprecher des ökologischen Verkehrsclubs VCD, ist die Sache klar: „Keine andere Einzelmaßnahme bringt so viel für den Klimaschutz wie Tempolimits auf Autobahnen und Landstraßen.“ Zudem würden sie Leben retten – und das fast zum Nulltarif. Laut UBA entspricht das Klimaschutzpotenzial der vorgeschlagenen Tempolimits einer Reduktion von 4,7 Prozent der CO₂-Emissionen im Straßenverkehr – ein bedeutender Schritt in Richtung Verkehrswende.

Allerdings werden die Kraftstoffpreise in den nächsten Jahren gewaltig steigen – insbesondere auch, weil die CO₂-Preise ab 2027 frei gebildet werden. Viele Autofahrer werden es sich dann gar nicht mehr leisten können oder wollen, schneller zu fahren. Insofern sind die Berechnungen mit Vorsicht zu genießen, da sie von einem gleichbleibenden Fahrverhalten ausgehen.

Hier geht es zur Studie

Weniger Lärm, mehr Ruhe – der Lärmschutzfaktor

Ein oft unterschätzter Aspekt beim Tempolimit ist der Lärmschutz. Je schneller Fahrzeuge unterwegs sind, desto mehr Lärm verursachen sie. Das liegt nicht nur am Motor, sondern auch am Luftwiderstand und am Abrollgeräusch der Reifen. Gerade bei Autobahnen, die in der Nähe von Wohngebieten verlaufen, spielt das eine große Rolle.

Viele Gemeinden entlang vielbefahrener Strecken kämpfen mit Grenzwertüberschreitungen beim Umgebungslärm. Aufwendige Lärmschutzwände oder Tempo-30-Zonen in Wohnbereichen sind häufige Konsequenzen. Ein allgemeines Tempolimit könnte hier präventiv helfen – und zwar ohne bauliche Maßnahmen.

Außerdem führen geringere Geschwindigkeitsunterschiede zu weniger abruptem Beschleunigen und Bremsen. Auch das trägt zur Geräuschreduzierung bei – und sorgt für ein gleichmäßigeres und angenehmeres Verkehrsgefühl.

Technische Einwände: Wann greift ein Limit tatsächlich?

Viele Autofahrende kennen das Problem: Schilder mit Zusatzangaben wie „bei Nässe“ oder „werktags 7–17 Uhr“ sorgen regelmäßig für Unsicherheit. Wann ist es „nass genug“? Was gilt an Feiertagen?

Nach aktueller Rechtslage greift ein Tempolimit „bei Nässe“ nur dann, wenn sich eine zusammenhängende Wasserschicht auf der Fahrbahn gebildet hat. Die sprühende Gischt hinter den Fahrzeugen ist dabei ein guter Anhaltspunkt.

Bei zeitlich begrenzten Tempolimits – etwa an Schulen – kommt es auf die exakte Angabe auf dem Zusatzschild an. Steht dort „Mo–Fr“, dann gilt das Limit auch an Feiertagen, wenn diese auf einen Wochentag fallen. Anders ist es bei „werktags“, was Sonn- und Feiertage ausschließt.

Solche Detailfragen sind für die Diskussion über ein generelles Tempolimit auf Autobahnen zwar zweitrangig – zeigen aber, wie komplex Temporegeln im Alltag sein können. Ein einheitliches, flächendeckendes Limit könnte hier auch Klarheit schaffen.

Tempolimit und individuelle Freiheit – ein Widerspruch?

Kaum ein Argument wird emotionaler diskutiert als das der „persönlichen Freiheit“. Für viele steht das freie Fahren auf der linken Spur sinnbildlich für Autonomie und Selbstbestimmung. Und tatsächlich schränkt ein Tempolimit diese Freiheit ein – wie viele andere Regeln im Straßenverkehr auch.

Doch wo endet individuelle Freiheit, wenn andere gefährdet oder gestresst werden? Gerade bei hohen Geschwindigkeitsdifferenzen geraten andere Verkehrsteilnehmende leicht unter Druck. Situationen, in denen mit 200 km/h an eine Kolonne von 120 km/h schnellen Fahrzeugen herangefahren wird, sind stressbelastet – und riskant.

Die StVO sieht ein Rechtsfahrgebot vor. Das heißt jedoch nicht, dass jedes langsamer fahrende Auto sofort die Spur wechseln muss, wenn sich ein schnelleres nähert. Gerade auf vollen Straßen entstehen hier immer wieder Konflikte. Die Freiheit der einen trifft auf das Sicherheitsbedürfnis der anderen – ein klassischer Zielkonflikt.

Industrie und Image: Was bedeutet ein Limit für die Autohersteller?

Kritiker eines Tempolimits warnen oft vor einem Reputationsverlust der deutschen Autoindustrie. Doch greift dieses Argument wirklich?

Tatsache ist: Auch in Ländern mit strikten Tempolimits verkaufen sich leistungsstarke Fahrzeuge deutscher Hersteller gut. In den USA etwa gilt meist ein Limit von 112 bis 120 km/h. Trotzdem sind dort Porsche, Mercedes und BMW stark vertreten.

Wie der CEO des Instituts für Automobilwirtschaft, Stefan Reindl, betont, kaufen viele Menschen schnelle Autos, ohne je das volle Potenzial auszuschöpfen. Der Kaufgrund liegt oft in Technikbegeisterung, Prestige oder Fahrkomfort – nicht nur in der Höchstgeschwindigkeit.

Für den „Adrenalin-Kick“ auf der Autobahn gibt es Alternativen: Rennstrecken wie der Nürburgring oder spezielle Track-Days bieten legale Möglichkeiten, sportliche Autos auszureizen. Das Argument des Imageschadens erscheint also relativ schwach.

Wie es andere Länder regeln

Ein Blick über die Grenze zeigt: Deutschland ist eine Ausnahme. In allen Nachbarländern existieren allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzungen – meist 120 oder 130 km/h auf Autobahnen, 80 bis 100 km/h auf Landstraßen und 50 km/h innerorts.

Land Innerorts Landstraße Autobahn
Frankreich 50 80 130
Niederlande 50 80 100/130
Österreich 50 100 130
Schweiz 50 80 120
Polen 50/60 90 140

 

Aktuelle Studien und Untersuchungen zum Tempolimit

Abschließend noch aktuelle Studien und Untersuchungen zum Tempolimit im Schnelldurchlauf. Dabei geht es um Klimaschutz, ökonomische Analysen, Verkehrssicherheit und internationale Vergleiche.

Klimaschutzstudien

  1. BASt-Studie (im Auftrag des Bundes-Ministeriums, Sept 2024):
    • 1,3 bis 2 Mio. Tonnen CO₂ Einsparung pro Jahr bei 130 km/h.
    • Bei verpflichtender technischer Begrenzung könnte das Einsparpotenzial auf bis zu 4,2 Mio. Tonnen steigen.
  2. UBA-Studie (2023):
    • Limit auf 120 km/h spart etwa 6,7 Mio. Tonnen CO₂, zusätzliches Limit auf Landstraßen (80 km/h) erhöht das auf etwa 8 Mio. Tonnen.
  3. Deutsche Umwelthilfe:
    • Zusammen mit Tempo 100 / 80 / 30 rechnet sie mit über 11 Mio. Tonnen CO₂-Reduktion – das entspricht 36 % weniger Emissionen.
  4. DW-Analyse (Feb 2024):
    • Für Tempo 120 rechnet das UBA mit 4,5 Mio. Tonnen CO₂-Einsparung (rund 2,9 % des Verkehrssektors); mit 120 plus weitere Verkehrsminderung sogar bis zu 6,7 Mio. Tonnen.

Ökonomische Analysen

  1. Eine groß angelegte Kosten-Nutzen-Studie aus 2023 kommt zu einem Wohlfahrtsgewinn von mindestens 950 Mio.€ jährlich – durch geringere Unfallkosten, weniger Kraftstoffverbrauch, verkürzte Lieferzeiten und reduzierte Infrastrukturkosten.
  2. Eine regional fokussierte Analyse für Brandenburg ergab, dass durch ein 130 km/h-Limit die Unfallkosten (22,5 Mio. €) höher gesenkt werden als die zusätzlichen Zeitkosten (17,2 Mio. €).

Verkehrssicherheit und Gesundheit

  1. Laut einem EU-Bericht (ECA, 2023): Schon ein Rückgang der Durchschnittsgeschwindigkeit um 1 km/h auf allen Straßen würde über 2 000 Menschenleben jährlich retten.
  2. Eine Studie aus Passau/Berlin (2021) zeigt, dass 14,9 Mio. Menschen in Deutschland in der Nähe autobahnnaher, unlimitierter Abschnitte wohnen. Schnellfahrende Fahrzeuge erhöhen dort PM‑Emissionen, was Gesundheitsrisiken steigert

Internationale Vergleiche & Forschung

  1. Review zu 30‑km/h‑Zonen in EU‑Städten (2024):
    In Städten wie Brüssel, Paris und Zürich sanken Unfälle um ca. 23 %, schwere Verletzungen um 37 % und Verletzte um 38 %. Zudem brachten diese Zonen Umwelt- und Gesundheitsvorteile (‑18 % Emission, ‑7 % Kraftstoffverbrauch, ‑2,5 dB Lärm).
  2. Global Roads Safety Facility (Guide for Safe Speeds, 2024):
    Bewertet evidenzbasierte Ansätze zur Festlegung sicherer Geschwindigkeiten – nicht nur in Städten, sondern auch auf Autobahnen – basierend auf dem Safe‑System-Konzept.

Technologie & Fahrerüberwachung

  1. Forschungsarbeiten zu Geschwindigkeitswarnungen (Dänemark 2024) zeigen, dass akustische Alerts das Verhalten beeinflussen – je nach Fahrererfahrung unterschiedlich.
  2. Modellstudien (2023) zu multi‑objektiver Verkehrs- und Emissionsoptimierung zeigen: Geschwindigkeitsbegrenzungen können optimal gestaltet werden, um zugleich Umwelt- und Verkehrsziele zu erreichen.

 

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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