Weltrekord auf Salzsee 19.10.2020, 12:28 Uhr

Der schnellste Mensch auf dem Fahrrad erreicht 296 km/h

Kann man mit einem Fahrrad 296 km/h schnell fahren? Eine dreifache Mutter aus den USA kann es. Die 45-Jährige hat sich in der Salzwüste zuerst von einem Dragster mit einem Schleppseil auf 160 km/h ziehen lassen und dann bis auf 296 km/h beschleunigt. Diesen Weltrekord will dieser Mann 2021 toppen.

Weltrekord in der Salzwüste von Salt Lake City: Am Schleppseil des Dragsters wurde Denise Mueller-Korenek bis auf 160 km/h beschleunigt. Dann klinkte sie aus und steigerte ihr Tempo auf 296 km/h.

Foto: Matt Benstone/Speed Project

Das Rekordfahrrad ist ein modifiziertes Rad von KHS. Es ist mit einem Doppeluntersetzungsgetriebe ausgestattet, um eine Drehzahl zu erreichen, die für das Supertempo nötig ist.

Foto: Speed Project

Vorbereitungen für den Weltrekordversuch in der Salzwüste von Salt Lake City.

Foto: Matt Benstone/Speed Project

Angst oder Furcht kennt die US-Amerikanerin Denise Mueller-Korenek offenbar nicht. Sonst wäre sie wohl kaum auf die aberwitzige Idee gekommen, den Herren-Geschwindigkeits-Weltrekord auf dem Fahrrad zu brechen. Der liegt seit dem 3. Oktober 1995 bei 268 km/h und wurde gefahren vom niederländischen Ex-Radrennprofi Fred Rompelberg im Bonneville-Salzsee in der Nähe von Salt Lake City. Die 45-jährige Mutter von drei erwachsenen Söhnen raste ebenfalls im Bonneville-Salzsee mit dem Fahrrad und toppte den bisherigen Rekord mit einer Geschwindigkeit von 296,010 km/h.

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Diese Sause entspricht in etwa der Geschwindigkeit, die eine Boeing 747 erreicht, kurz bevor sie abhebt. „Es war eine verrückte wilde Fahrt bis 296,010 km/h, aber das Opfer und die jahrelange Konzentration darauf, der schnellste Mensch der Welt auf einem Fahrrad zu werden, absolut wert“, sagte sie im Anschluss an ihre Rekordfahrt der britischen BBC.

Diesen Wert zu knacken, hat sich Rennradfahrer Marius Prünte vorgenommen. Er will sich seinen Kindheitstraum erfüllen und der schnellste Radrennfahrer der Welt werden. Wie der 30-Jährige im kommenden Jahr den derzeit gehaltenen Geschwindigkeitsrekord von 296 km/h auf einem Fahrrad brechen möchte.

„Das wird mein neues Projekt. Ich will die Bestmarke knacken, über 300 km/h schnell sein und in das Guiness-Buch der Rekorde kommen.“

Prünte setzt auf eine gute Vorbereitung. Er hat in Südkorea an den World Firefighter Games teilgenommen und konnte bei den Olympischen Spielen der Feuerwehren auf dem Mountainbike und beim Einzelzeitfahren zwei Goldmedaillen gewinnen. Mit einem ausrangierten Linienbus möchte er in den kommenden Monaten auf Promotion-Tour gehen und für seinen Weltrekord-Versuch werben.  Seinen Rekordversuch möchte der junge Rennradfahrer am liebsten im US-amerikanischen Staat Utah wagen. Dort liegt der Bonneville Salt Flats State Park mit dem Bonneville-Speedway-Gelände, das aufgrund seiner Ebenheit und Größe oft für Geschwindigkeitsrekorde genutzt wird. Dort radelte ja auch schon Mueller-Korenek.

 „Man muss sein Fahrrad zu 100 Prozent beherrschen. Man muss viel Erfahrung mitbringen. Man muss hochkonzentriert sein. Und man darf die Geschwindigkeit nicht unterschätzen, wobei man vor ihr auch keine Angst haben darf“, erläutert Marius Prünte.

Um den Weltrekord zu knacken, benötigt der 30-Jährige einen Sportwagen, um Windschatten zu bekommen. „Wir brauchen also ein Auto, das über 300 Stundenkilometer fährt und das hinten einen entsprechenden Aufbau hat“, erklärt er.

Das Rad muss mit einer sogenannten Doppel-Übersetzung ausgestattet sein. „Der Gang wird also so hoch sein, dass ich den aus dem Stand heraus nicht treten kann“, führt er aus. Von dem Sportwagen wird Prünte anfangs durch ein Seil mitgezogen.

Wenn über 100 km/h Geschwindigkeit erreicht sind, klinkt er sich aus und muss sich anschließend komplett auf seine Beine verlassen. Die reine Muskelkraft wird das Rad auf die Geschwindigkeit bringen.

„Es wird wehtun“, weiß der Herausforderer.

Schnellste Frau auf dem Rad: „Streichholz, das auf Benzin geworfen wird“

Schon vor einigen Jahren sorgte die Ausnahmeradlerin Denise Mueller-Korenek für mediale Aufmerksamkeit, als sie mit einer Geschwindigkeit von 236,57 km/h den Weltrekord der schnellsten Frau auf einem Fahrrad aufstellte. Damals beschrieb sie diesen Moment als eine Offenbarung, die der Brisanz von „einem Streichholz, das auf Benzin geworfen wird“ ähnlich ist. Ihren inneren Antrieb nennt Denise Mueller-Korenek so: „To be fastest!“ Mit Ausrufezeichen. Sie ist die erste Frau mit diesem Weltrekord. Denn zuvor wagten sich immer nur Männer an die richtig hohen Geschwindigkeiten.

Angefangen hat der Irrsinn der Superraserei auf Fahrrädern bereits im vorvergangenen Jahrhundert. 1899 hatte Charles Murphy eine verrückte Idee: Er ließ sich von einer Lokomotive auf Geschwindigkeit ziehen, ließ die Lok los und raste dann alleine weiter. Niemals zuvor war ein Mensch mit 96 km/h auf dem Fahrrad unterwegs gewesen. Für dieses Event wurden auf einer Strecke von einer Meile extra Sperrholzplatten an den Eisenbahnschwellen befestigt. Auf der glatten Oberfläche konnte Charles Murphy hinter der Lok fahren.

Dragster ist das Zugfahrzeug der Wahl

Heute lässt sich eine Weltrekord-Aspirantin natürlich nicht mehr von einer Lok ziehen. Heute ist der Dragster das Zugfahrzeug der Wahl. Dragster sind speziell für Beschleunigungsrennen konstruierte oder modifizierte Rennfahrzeuge, deren Motoren mit mehreren Tausend PS Leistung ordentlich Zug erzeugen können.

Die Rekordfahrt verlief dann so: Die ersten 2,4 Kilometer fuhr Denise Mueller-Korenek mit einem Schleppseil am Auto befestigt mit Autoantrieb bis auf eine Geschwindigkeit von 160 km/h. Dann löste die Fahrerin des Dragsters, Shea Holbrook, die Verbindung und die 45-Jährige Mueller-Korenek profitierte die restlichen 5,6 Kilometer lediglich noch vom Windschatten des Fahrzeugs, um auf den Rekordwert von 296 km/h zu beschleunigen. „Es war die Fahrt ihres und meines Lebens“, meinte die Rennfahrerin Shea Holbrook. „Es war das erste Mal, dass Denise mich aus meiner Komfortzone geholt hat.“

Fahrrad wurde von KHS entwickelt

Das Fahrrad für die Weltrekordfahrt wurde von der US-amerikanischen Fahrradschmiede KHS gesponsert und speziell für diesen Rekord entwickelt. Es wurde statt mit Fahrradreifen mit 17-Zoll-Rädern und -Reifen von Motorradrädern ausgestattet, um den Schwerpunkt zu reduzieren. Der Rahmen des Rades ist zur Stabilisierung verlängert und verfügt über eine „Kurzweg“-Aufhängung, um die unvermeidlichen Vibrationen bei hoher Geschwindigkeit zu dämpfen. Zusätzlich ist das Rad mit einem Lenkungsstabilisator bestückt, der das Wackeln des Lenkers bei der wilden Raserei  vermeidet.

Gebaut haben das Rekordfahrrad Len Lochmiller in Zusammenarbeit mit SD Wheelworks in San Diego, vollständig von Hand. Das Doppeluntersetzungsgetriebe und der Antriebsstrang wurden von Todd Schustermann von Davinci Designs speziell angefertigt, damit Denise Mueller-Korenek das Fahrrad mit einer Drehzahl treten kann, die es ihr ermöglicht, die nötige Leistung für die 296 km/h zu erbringen.

„Ich tanze, singe und spiele auf dieser feinen Linie“

Die jetzt schnellste Frau der Welt auf einem Fahrrad war schon als Teenager schnell auf dem Rad. Denise Mueller-Korenek sammelte 13 nationale Meisterschafts- und 2 Weltmeisterschaftstitel, bevor sie das Rennradfahren aufgab, um eine Familie zu gründen. Nach über 20 Jahren ohne Rennradfahren sattelte sie wieder auf und raste los. Bis jetzt, bis zum Weltrekord.

Nein, Furcht kennt Denise Mueller-Korenek nicht. „Es gibt einen schmalen Grat zwischen dem Leben, als ob dies dein letzter Tag auf Erden wäre, und der Planung deiner Zukunft. Ich tanze, singe und spiele auf dieser feinen Linie und lebe ohne Reue.“

Ein Beitrag von:

  • Detlef Stoller

    Detlef Stoller ist Diplom-Photoingenieur. Er ist Fachjournalist für Umweltfragen und schreibt für verschiedene Printmagazine, Online-Medien und TV-Formate.

  • Sarah Janczura

    Sarah Janczura

    Sarah Janczura schreibt zu den Themen Technik, Forschung und Karriere. Nach einem Volontariat mit dem Schwerpunkt Social Media war sie als Online-Redakteurin in einer Digitalagentur unterwegs. Aktuell arbeitet sie als Referentin für Presse und Kommunikation beim VDI e.V.

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