Air-India-Absturz: Der Streit um die Wahrheit
Air-India-Absturz AI171: Schalteten Piloten bewusst den Treibstoff ab? Der vorläufige Bericht wirft Fragen auf – und steht selbst in der Kritik.

Air India steht unter Druck: Nach dem Absturz der 787 werden Flüge ausgesetzt und Triebwerksfragen laut.
Foto: Smarterpix / rarrarorro
Am 12. Juni 2025 stürzt ein vollbesetzter Dreamliner kurz nach dem Start vom Flughafen Ahmedabad in ein Studentenwohnheim. 274 Menschen kommen ums Leben. Es ist die schwerste Katastrophe in der Geschichte der indischen Luftfahrt seit über vier Jahrzehnten. Nun liegt der vorläufige Bericht des Aircraft Accident Investigation Bureau (AAIB) vor – und entfacht eine Debatte, die weit über Indien hinausreicht. Im Zentrum: zwei Schalter, zwei Piloten und ein schockierender Funkdialog.
Inhaltsverzeichnis
Die Schalter, die alles veränderten
Nur wenige Sekunden nach dem Abheben von Startbahn 23 springt etwas im Cockpit um – buchstäblich. Beide Fuel Control Switches, die die Kerosinzufuhr regeln, wechseln fast gleichzeitig von RUN auf CUTOFF. Der Schub fällt ab, die Boeing 787-8 verliert rapide an Höhe. Ein doppelter Triebwerksausfall in kritischer Phase – für moderne Verkehrsflugzeuge ein absolutes Ausnahmeereignis.
Im Cockpit bleibt es zunächst ruhig. Clive Kunder (32) steuert als Pilot Flying das Flugzeug. Kommandant Sumeet Sabharwal (56), mit über 8.000 Stunden Erfahrung auf dem Muster, überwacht als Pilot Monitoring den Start. Dann fällt ein Satz im Cockpit Voice Recorder:
„Why did you cutoff?“ – „I didn’t do it.“
Wer was gesagt hat, bleibt unklar. Doch genau dieser Austausch steht nun im Fokus der internationalen Ermittlungen.
Wer zog den Schalter?
Laut einem Bericht des Wall Street Journal vermuten US-Ermittler, dass der Kommandant Sabharwal die Schalter bewusst deaktivierte. Kunder habe schockiert reagiert, versucht gegenzusteuern – und sei dabei zunehmend in Panik geraten. Sabharwal blieb laut Tonaufzeichnung ruhig und bestritt, etwas getan zu haben.
Beide Piloten versuchten zehn Sekunden nach dem CUTOFF, die Schalter zurück auf RUN zu stellen. Nur ein Triebwerk startet erneut. Um 08:09:16 UTC stürzt die Boeing in fünf Gebäude des BJ Medical College – darunter ein Studentenwohnheim. 19 Menschen sterben am Boden. Insgesamt: 274 Tote, ein Überlebender.
Flugzeugabsturz AI171 – Die wichtigsten Fakten
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- Flugnummer: Air India AI171
- Flugzeugtyp: Boeing 787-8 (VT-ANB)
- Unfallzeitpunkt: 12. Juni 2025, 08:09 UTC (13:39 IST)
- Route: Ahmedabad (VAAH) → London Gatwick (EGKK)
- Ort des Absturzes: Gelände des BJ Medical College, ca. 0,9 NM vom Start entfernt
- Todesopfer: 260 (12 Crew, 229 Passagiere, 19 am Boden)
- Unfallursache: Beide Triebwerke schalteten sich unmittelbar nach dem Start ab – genaue Ursache unklar
- Besonderheit: Notstromturbine (RAT) wurde automatisch aktiviert, CVR-Aufnahme dokumentiert Verwirrung im Cockpit
- Status der Untersuchung: Vorläufig – technisches und menschliches Versagen nicht ausgeschlossen
Experten sehen Suizid-Muster – doch die Kritik wächst
Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt sieht ein klares Muster: „Dass einer der beiden Piloten bewusst die Treibstoffzufuhr unterbrochen hat – genau in dem Moment, in dem das Flugzeug am verwundbarsten war.“ Auch der US-Flugunfallanalyst Ben Berman bewertet den Sekundenabstand zwischen den Schalterbewegungen als Hinweis auf eine bewusste Entscheidung.
Doch nicht alle schließen sich dieser Sichtweise an. Die Vereinigung Cockpit mahnt zur Zurückhaltung: Der Bericht lasse keine eindeutige Schlussfolgerung auf eine vorsätzliche Handlung zu. Auch die Federation of Indian Pilots kritisiert die Darstellung. Der Bericht sei selektiv, paraphrasiere Aussagen aus dem Cockpit und stelle die Integrität der Besatzung infrage. Ein objektiver und vollständiger Ansatz sehe anders aus.
AAIB warnt vor voreiligen Urteilen
Die indische Flugunfalluntersuchungsbehörde selbst geht auf Distanz zu medialen Interpretationen. In einer offiziellen Stellungnahme kritisiert die AAIB die „selektive und unbestätigte Berichterstattung“ in internationalen Medien als „unverantwortlich“. Ziel des vorläufigen Berichts sei es, den Hergang zu dokumentieren – nicht, Schuld zuzuweisen.
„Es ist zu früh, um endgültige Schlüsse zu ziehen“, so die AAIB. Man bitte die Öffentlichkeit, sich nicht von vereinzelten Passagen leiten zu lassen. Der Abschlussbericht werde Ursachen und Empfehlungen umfassend darstellen.
Tatsächlich enthält der bisherige Bericht keine konkrete technische Handlungsanweisung an Boeing oder Triebwerkshersteller GE. Kritiker bemängeln, dass selbst Hinweise auf frühere FAA-Empfehlungen von 2018 nicht zum Anlass für weiterführende Untersuchungen gemacht wurden. Air India hatte damals auf eine Inspektion verzichtet – da kein akutes Sicherheitsrisiko bestand.
Alle Zeitangaben in UTC. Quelle: Vorläufiger AAIB-Bericht
- 08:07:33 – Startfreigabe für Runway 23 in Ahmedabad.
- 08:07:37 – Die Boeing 787-8 beginnt mit dem Startlauf.
- 08:08:33 – Entscheidungsgeschwindigkeit (V1 = 153 kn) wird erreicht.
- 08:08:39 – Das Flugzeug hebt ab. Maximalgeschwindigkeit 180 kn.
- 08:08:42 – Beide Fuel Control Switches springen von „RUN“ auf „CUTOFF“.
- 08:08:43 – Im Cockpit: „Why did you cutoff?“ – „I didn’t do it.“
- 08:08:47 – Triebwerksdrehzahlen fallen. Ram-Air-Turbine wird aktiviert.
- 08:08:52 – Fuel Control Switch von Triebwerk 1 wird auf „RUN“ zurückgestellt.
- 08:08:54 – Lufteinlassklappe der Hilfsturbine (APU) öffnet sich.
- 08:08:56 – Auch Triebwerk 2 wird wieder auf „RUN“ gestellt.
- 08:09:05 – „Mayday“-Ruf aus dem Cockpit wird gesendet.
- 08:09:11 – Flugdatenschreiber stoppt – das Flugzeug schlägt auf.
Simulatortest bestätigt: Nur CUTOFF erklärt den Absturz
Air India ließ die letzten Sekunden im Flugsimulator rekonstruieren. Kein anderes Szenario – weder Fehlbedienung noch Überladung oder Trimmfehler – führte zu einem vergleichbaren Flugverlauf. Nur der gleichzeitige Triebwerksausfall passte exakt zum aufgezeichneten Profil.
Der Moment der Schalterumlegung ist exakt dokumentiert: 08:08:42 UTC, zu Beginn des Steigflugs. Der Voice Recorder und der Flight Data Recorder liefern ein lückenloses Bild der letzten 98 Sekunden.
Iata-Chef spricht sich für Cockpit-Kameras aus
Nach dem tragischen Absturz einer Boeing 787 von Air India mit 260 Todesopfern fordert der Chef des internationalen Luftfahrtverbands Iata, Willie Walsh, Konsequenzen – und plädiert für die Einführung von Videokameras im Cockpit. Der Einsatz solcher Systeme könne die Aufklärung künftiger Unfälle deutlich erleichtern.
„Es gibt gute Gründe für Kameras im Cockpit“, sagte Walsh am Mittwoch auf einer Veranstaltung in Singapur.
„Mehr Einblick für Ermittler“
Walsh, selbst ehemaliger Pilot, zeigt Verständnis für die Skepsis vieler Cockpit-Crews gegenüber einer möglichen Videoüberwachung. Gleichwohl spricht er sich klar für zusätzliche Aufzeichnungen aus: „Video kann ergänzend zu Tonaufnahmen wichtige Hinweise liefern – gerade wenn es um Abläufe und Gestik im Cockpit geht.“
Ob Iata konkrete technische Empfehlungen zum Schutz gegen unbeabsichtigte Schalterbetätigungen geben werde, ließ Walsh offen. Zunächst müsse man den Abschlussbericht der indischen Ermittler*innen abwarten. Dieser müsse gründlich und vollständig sein, so Walsh – erst dann könnten verlässliche Schlussfolgerungen gezogen werden.
Internationale Airlines ziehen Konsequenzen
Die Schockwellen des AI171-Absturzes reichen weit über Indien hinaus. Weltweit reagieren Fluggesellschaften auf die neuen Erkenntnisse – mit konkreten Maßnahmen. Lufthansa etwa ließ ihre Boeing-787-Flotte vorsorglich erneut überprüfen. Im Fokus: die Kraftstoffschalter. „Es gibt keinen Befund, es ist alles in Ordnung“, erklärte ein Lufthansa-Sprecher. Bereits 2018 hatte die Airline auf die damalige Empfehlung der US-Luftfahrtbehörde FAA reagiert und eine Überprüfung vorgenommen – auch damals ohne Auffälligkeiten.
Auch die österreichische Tochtergesellschaft Austrian Airlines hat ihre Dreamliner kontrollieren lassen. Ähnlich äußerten sich andere internationale Betreiber*innen des Typs. Die australische Qantas und die japanische ANA teilten mit, die entsprechenden Bauteile bereits 2018 inspiziert zu haben. Singapore Airlines erklärte, dass sowohl die eigene Flotte als auch die der Tochter Scoot nach den neuesten Vorfällen erneut untersucht wurden – mit positivem Ergebnis: Alle Systeme arbeiteten einwandfrei.
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