ÖPNV als Wirtschaftsfaktor 16.05.2025, 10:55 Uhr

Überraschung: Jeder Euro im Nahverkehr zahlt sich mehrfach aus

Neue Studie zeigt: Der ÖPNV bringt dreimal so viel Wert wie er kostet – und könnte bis 2030 zur 162-Mrd.-Euro-Branche wachsen.

Frau an Bushaltestelle

Busse und Bahnen sind gar nicht die reinen Zuschussgeschäfte, zu denen sie oft gemacht werden. Zumindest mit Blick auf die gesamte Wertschöpfungskette, die auch die indirekten Effekte berücksichtigt.

Foto: PantherMedia / val_th

Der öffentliche Personennahverkehr wird in politischen und gesellschaftlichen Debatten häufig auf seine Kosten reduziert. Aussagen über hohe Subventionen, leere Busse in der Fläche oder überfüllte S-Bahnen in Großstädten prägen die Wahrnehmung. Doch eine neue Studie der Technischen Universität München rückt dieses Bild zurecht.

Im Auftrag der Initiative Zukunft Nahverkehr analysierte das Forschungsnetzwerk MCube Consulting die volkswirtschaftliche Bedeutung des ÖPNV und kommt zu einem klaren Ergebnis: Busse und Bahnen schaffen jedes Jahr wirtschaftliche Werte, die ihre Kosten um ein Vielfaches übersteigen.

Die Studie liefert eine umfassende Bewertung ökonomischer Effekte, die bisher in vielen politischen Entscheidungen kaum berücksichtigt wurden. Dabei geht es nicht nur um die Betriebe selbst, sondern auch um deren Einflüsse auf andere Branchen, regionale Entwicklung, Standortqualität und soziale Teilhabe.

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Drei Ebenen der Wertschöpfung

Die Analyse gliedert die volkswirtschaftlichen Effekte des ÖPNV in drei Hauptkategorien. Erstens berücksichtigt sie die direkte und indirekte Wertschöpfung, die durch die Verkehrsbetriebe und deren Zulieferer entsteht. Zweitens untersucht sie den Einfluss des ÖPNV auf andere Sektoren wie Einzelhandel, Tourismus, Immobilienwirtschaft und den Arbeitsmarkt. Drittens wird die Einsparung gesellschaftlicher Kosten analysiert, etwa durch reduzierte Emissionen, weniger Flächenverbrauch oder niedrigere Unfallzahlen.

In Summe beziffert die Studie den wirtschaftlichen Nutzen des ÖPNV im Jahr 2019 – dem gewählten Referenzjahr vor der Corona-Pandemie – auf rund 75 Milliarden Euro jährlich. Die tatsächliche Wertschöpfung dürfte noch höher liegen, da manche Effekte nicht vollständig quantifiziert werden konnten.

Direkte und indirekte Effekte

Zur direkten Wertschöpfung zählen Einnahmen aus Ticketverkäufen, Zuschüssen, Löhnen und Gehältern sowie betriebsnotwendige Investitionen in Infrastruktur und Fahrzeuge. Die Studie errechnet auf dieser Basis eine direkte Bruttowertschöpfung von knapp 13,7 Milliarden Euro. Sie geht von rund 159.000 direkt Beschäftigten aus – überwiegend in den Bereichen Fahrbetrieb, Technik und Verwaltung.

Die indirekten Effekte ergeben sich aus den Lieferketten des ÖPNV: Unternehmen, die Fahrzeuge bauen, Software bereitstellen, Energie liefern oder Dienstleistungen wie Reinigung, Wartung und Planung erbringen. Je nach Berechnungsansatz liegt die indirekte Bruttowertschöpfung bei 4,4 bis 10,9 Milliarden Euro. Diese Differenz ergibt sich aus unterschiedlichen Annahmen zur Zuordnung von Wirtschaftszweigen in den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen. Besonders wichtig ist dabei die Methode der sogenannten Leontief-Inversen, die die wirtschaftliche Verflechtung verschiedener Branchen modelliert.

Ergänzend weisen die Autorinnen und Autoren auf induzierte Effekte hin, die in der Modellrechnung nicht enthalten sind. Dazu gehören Konsumausgaben der Beschäftigten im ÖPNV sowie wirtschaftliche Aktivitäten, die durch deren Arbeit erst ermöglicht werden.

Impulse für Einzelhandel und Tourismus

Ein besonders deutlicher wirtschaftlicher Einfluss zeigt sich im Einzelhandel. Die Studie differenziert zwischen einem konservativen und einem progressiven Szenario. Im konservativen Fall werden nur die Konsumaktivitäten von Menschen berücksichtigt, die auf den ÖPNV angewiesen sind – etwa weil sie keinen Führerschein besitzen. Das progressive Szenario hingegen bezieht alle ein, die für ihren Einkaufsweg Bus oder Bahn nutzen, unabhängig von ihrer Alternative.

Im konservativen Fall beträgt die durch den ÖPNV beeinflusste Bruttowertschöpfung im Einzelhandel rund 2,6 Milliarden Euro, verbunden mit etwa 62.000 Arbeitsplätzen. Das progressive Szenario kommt sogar auf 7,6 Milliarden Euro Wertschöpfung und rund 181.000 Beschäftigte. Damit zeigt sich, dass der ÖPNV ein entscheidender Frequenzbringer für Innenstädte und lokale Versorgungsstrukturen ist.

Auch der Tourismussektor ist stark abhängig vom ÖPNV. Die Studie weist nach, dass bis zu 9 Milliarden Euro an touristischer Wertschöpfung auf die Verfügbarkeit von Bus und Bahn zurückzuführen sind. Davon entfallen rund 172.000 Arbeitsplätze auf direkte oder indirekte Effekte. Der ÖPNV erschließt nicht nur touristische Ziele, sondern ermöglicht auch nachhaltige Anreisemöglichkeiten für Gäste ohne Auto. Veranstaltungen, Stadtbesichtigungen oder Bergregionen werden häufig durch Buslinien, Regionalbahnen oder Seilbahnen erreichbar gemacht.

Einfluss auf Immobilien und Arbeitsmarkt

Ein weiterer wirtschaftlicher Aspekt liegt in der Wirkung des ÖPNV auf den Immobilienmarkt. Die Studie zeigt, dass eine gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr den Wert von Wohn- und Gewerbeimmobilien steigert. Diese Aufwertung ist besonders in Metropolregionen relevant, in denen der Zugang zum Nahverkehr über Miet- und Kaufpreise mitentscheidet. Die Nähe zu Haltestellen beeinflusst das Investitionsverhalten ebenso wie die Standortwahl von Unternehmen.

Ein nicht quantifizierter, aber bedeutender Effekt zeigt sich im Arbeitsmarkt. Der ÖPNV ermöglicht Millionen von Menschen den täglichen Weg zur Arbeit – besonders in Regionen mit hohem Pendleraufkommen. Ohne ihn wären viele Jobs nicht erreichbar. Damit bildet der Nahverkehr eine zentrale Grundlage für Erwerbsarbeit und wirtschaftliche Teilhabe in allen Sektoren.

Gesellschaftliche und ökologische Effekte

Neben wirtschaftlichen Einflüssen bringt der ÖPNV auch erhebliche gesellschaftliche Vorteile. Durch den Umstieg vom Auto auf Bus und Bahn lassen sich externe Kosten einsparen – also volkswirtschaftliche Aufwendungen, die nicht unmittelbar beim Verkehrsteilnehmenden, sondern in der Gesamtgesellschaft entstehen.

Dazu gehören Emissionen von CO₂ und Schadstoffen, Lärmbelastung, Flächenverbrauch durch Straßeninfrastruktur und Unfallfolgekosten. Die Studie beziffert diese Einsparungen auf jährlich mehr als 39 Milliarden Euro. Diese Zahl unterstreicht die Rolle des ÖPNV im Klimaschutz, in der Stadtplanung und in der Gesundheitsprävention.

Szenario: Investitionen bis 2030

Ein Blick in die Zukunft rundet die Analyse ab. In einem Modell berechnet das Forschungsteam die Wirkung von Investitionen in den ÖPNV bis 2030. Bei einem Gesamtvolumen von 100 Milliarden Euro – 70 Milliarden für den Erhalt der Infrastruktur, 30 Milliarden für den Ausbau – könnte die jährliche Bruttowertschöpfung des ÖPNV auf 162 Milliarden Euro steigen. Der kumulierte Mehrwert bis 2030 würde laut Studie 479 Milliarden Euro betragen. Das entspräche einem Return on Investment von 1:5 – für jeden investierten Euro würden fünf Euro volkswirtschaftlicher Wert geschaffen.

Hier geht es zur Studie

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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