Jahrhunderthochwasser 21.07.2021, 12:12 Uhr

Hochwasser: Welche technischen Maßnahmen helfen?

Nach dem Dauerregen ließen die Wassermassen ganze Ortschaften in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz versinken. Talsperren liefen über. Welche technischen Maßnahmen greifen bei Hochwasser und wie kann man es im besten Fall verhindern? Wir zeichnen die Möglichkeiten auf.

Haus im Hochwasser

Das Hochwasser hat Häuser im Westen des Landes mit sich gerissen. Foto/Symbolbild: panthermedia.net/2mmedia

Das Hochwasser in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und in geringerem Maße in Bayern und Sachsen hat bereits 170 Todesopfer gefordert (21. Juli). 48 Menschen starben in Nordrhein-Westfalen, mehr als 60 in Rheinland-Pfalz. In Regionen wie Ahrweiler herrscht eine katastrophale Lage. Im Eifelort Schuld an der Ahr sind sechs Häuser eingestürzt. Zahlreiche andere Orte sind von der Außenwelt abgeschnitten – Handyempfang besteht oftmals nicht, so dass viele Angehörige nicht wissen, wie es ihren Verwandten geht. 155 Personen werden im Landkreis Ahrweiler immer noch vermisst.

Update: Hochwasser-Soforthilfen in Höhe von 200 Millionen Euro

Die Bundesregierung hat am 21. Juli ein Hochwasser-Soforthilfe-Paket beschlossen. 200 Millionen Euro will der Bund den Ländern nach der Flutkatastrophe für den Wiederaufbau geben. Die schlimmsten Schäden an Gebäuden und und kommunaler Infrastruktur sollen behoben werden. Zudem sei ein Aufbaufonds in Milliardenhöhe geplant. Die Kabinettsvorlage von Olaf Scholz (SPD) und Innenminister Horst Seehofer (CDU) wurde gebilligt. Der Bedarf an Hilfe sei aber weitaus höher – hier geht die Bundesregierung von 400 Millionen Euro aus. Die Gesamtsumme soll zwischen Bund und Ländern geteilt werden. Nordrhein-Westfalen habe bereits 200 Millionen Euro Soforthilfe zugesichert. Bayern liegt bei 50 Millionen.

„Der Aufbau wird Jahre in Anspruch nehmen“, so Scholz.

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„Die Soforthilfen sind vor allem eine Unterstützung für die Menschen, die ihr ganzes Hab und Gut verloren haben“, sagte Horst Seehofer.

Zudem schlägt der Bund Gespräche mit den Bundesländern über ein Absicherungssystem „für künftige überregionale Schadensereignisse von erheblichem Ausmaß“ vor.

Wie entsteht Hochwasser?

Vor allem die Lage an den Talsperren war lange Zeit dramatisch. Wir berichten über die Gefahr eines Dammbruchs an der Steinbachtalsperre. Überschwemmungen kosten jedes Jahr Tausenden Menschen weltweit das Leben. Milliardenschwere Schäden entstehen. Welche technischen Maßnahmen helfen bei einem solchen Jahrhunderthochwasser?

Hochwasser gehört prinzipiell zum natürlichen Wasserkreislauf. Durch Eingriffe des Menschen in den Wasserkreislauf, zum Beispiel durch künstliche Kanäle oder dichtbesiedelte Wohnräume, erhöht sich die Gefahr von Hochwasser. Zu einem Überfluss an Wasser kommt es vereinfacht gesagt, wenn es zu viel Zufluss und zu wenig Abfluss von Wasser gibt. Die Ursachen sind unter anderem Stark- und Dauerregen oder starke Schneeschmelze. Die örtlichen Flüsse und Bäche können die Wassermengen nicht abfangen – wie Wupper und Ahr, die sich durch das Unwetter in reißende, riesige Flüsse verwandelt haben.

Viele Wohnsiedlungen befinden sich in Gewässernähe – diese werden in solchen Situationen unbewohnbar und müssen evakuiert werden. Asphalt und Beton „versiegeln“ zunehmend landschaftliche Flächen. Regenwasser kann nicht ausreichend im Boden versickern. Stattdessen fließt das Wasser über Straßen oder die Kanalisation in örtliche Gewässer, zum Beispiel einen Bach.

Dieses Haus wird bei Hochwasser einfach hochgefahren

Der Klimawandel wird ebenfalls als Grund angesehen, warum Wetterextreme zunehmen. Erwärmung und höhere Temperaturen intensivieren den Wasserkreislauf – unter anderem steigt die Verdunstung. Stärkere Niederschläge und häufigeres Hochwasser können dadurch auftreten. Meteorologen unterscheiden zwischen Klima und Wetter. Wetter ist das, was wir täglich erleben: Sonne, Regen, Wolken, Schnee. Fällt an einem Tag viel Neuschnee, spricht man von einem Wettereignis. Betrachtet man die durchschnittlichen Neuschneetage zwischen einem gewissen Zeitraum, wählt man den Begriff Klima.

Müssen wir uns in Zukunft verstärkt auf solche Extremereignisse einstellen? Mit diesen Fragen beschäftigen sich Klimaforschende des Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

„Das aktuelle Ereignis liegt für viele Kenngrößen außerhalb jeglicher bisheriger Beobachtungen. Die sehr hohen Niederschlagsmengen in kurzer Zeit, das relativ große betroffene Gebiet und die hohen Abflussmengen kleiner und mittlerer Bäche sowie Flüsse sind extrem“, sagt Dr. Christian Grams vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung – Troposphärenforschung.

Professor Andreas Fink vom Institut verweist auf die Parallelen zur Wetterlage während des Elbehochwassers von 2002: „Das Augenmerk sollte aktuell jedoch auf dem hohen Wassergehalt der Luftmasse im Kontext der Klimaerwärmung liegen. Der Wassergehalt erreichte Werte, die statistisch gesehen nur alle 40 Jahre zu erwarten sind.“

Laut den Expertinnen und Experten des KIT sei vor dem Hintergrund der Klimaerwärmung mit stärkeren Extremereignissen zu rechnen. Nicht nur Starkregenereignisse, sondern auch Hitze- und Dürreperioden kommen auf uns zu.

Technische Maßnahmen: Was hilft gegen Hochwasser?

Bei technischen Maßnahmen gegen Hochwasser sind in erster Linie Staudämme gemeint. In den Niederlanden setzt man auf schwimmende Häuser. Beim Bau werden mehrere Lagen eines leichten Baustoffs wie Styropor übereinander geschichtet. Hohlräume werden danach mit Spezialbeton ausgegossen. So kann das Fundament auf dem Wasser schwimmen.

Vom Dach aufs Wasser: Forscherteam bringt Solarmodulen das Schwimmen bei

Ein effizienter Wasserrückhalt wird in Zukunft entscheidend sein. Eine schnelle Wasser-Abflussgeschwindigkeit, die einen niedrigen Wasserstand ermöglicht, stellt eine Lösung dar. Dass der Wasserbau weiter gedacht werden muss, weiß auch Professor Arnd Hartlieb von der TU München.

„Wir schärfen da das Bewusstsein und lassen unsere Studierenden den Hochwasserschutz weiter denken“, sagt Hartlieb.

Er ist Betriebsleiter der Versuchsanstalt für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der Technischen Universität München, arbeitet gemeinsam mit seinen Studierenden an Entlastungsanlagen für Talsperren der Zukunft.

Um mit Hochwasser besser umgehen zu können, ist es wichtig, viele „entsiegelte“ Oberflächen und Stauraumkanäle in der Kanalisation zu schaffen. In Überschwemmungsgebieten wäre es ratsam keine weiteren Häuser zu bauen, so Worldwide Fund for Nature (WWF).

Die Versickerung von Niederschlagswasser ist prinzipiell eine simple und zuverlässige Variante. Bei der Grundstücksentwässerung kommen Mulden und Rigolen seit Jahrzehnten zum Einsatz. Nach 1990 wurden auch kombinierte Mulden-Rigolen-Systeme zur Abflussreduzierung eingesetzt. Das ist eine passende Maßnahme bei schlecht durchlässigen Böden. Im Straßenraum können auch Tiefbeete genutzt werden.

Die ersten Stadtteile auf Pfählen zum Schutz gegen Hochwasser

Die Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) entwickelt Handlungsempfehlungen zur weiteren Verbesserung von Hochwasservorhersagen – zum Beispiel an den deutschen Binnengewässern. Hochwasservorhersagen sind für Katastrophenstäbe eine notwendige Planungsbasis, um Schutzmaßnahmen rechtzeitig einzuleiten. Ein Vorwurf der aktuell Nordrhein-Westfalen gemacht wird. Seit Jahren wird vor Extremwetterlagen gewarnt. Hat die Politik des Landes versagt? Mit diesem Vorwurf wurde Armin Laschet, Ministerpräsident von NRW, bei einem Interview mit WDR-Moderatorin Susanne Wieseler, konfrontiert. Der Kanzlerkandidat der CDU reagierte dünnhäutig auf die kritischen Fragen der Journalistin.

„Das Ziel CO2 zu reduzieren, muss ein langfristiges sein. Wir haben die Summen für Klimaschutz versiebenfacht. Wir sind in NRW dabei unsere Industrie, die Stahlindustrie, die chemische Industrie umzuändern, sodass kein CO2 augestoßen wird“, sagte Laschet.

Laut dem Lawa sei es notwendig, zu prüfen, ob in Flussgebieten Erstellungen von Hochwasservorhersagemodellen sinnvoll sind. Bundesweit werden für mehr als 30 Prozent der hochwasserrelevanten Pegel an den Binnengewässern (543 von 1689 Pegeln) Hochwasservorhersagen getroffen und publiziert. Die Experten geben aber auch zu, dass die Erstellung von Vorhersagen für kleinere Gewässer aus urbanen Gebieten aufgrund der kurzen Reaktionszeiten sowie der komplexen Entwässerungssysteme „außerordentlich schwierig“ sei.

Pegeluhr Rhein Köln

Pegeluhr in Köln zeigt den Rheinwasserstand an.

Foto: StEB Köln

Für einen effektiven Hochwasserschutz sind nicht nur technische Aspekte wichtig, sondern auch gesellschaftliche, ökonomische und ökologische Auswirkungen zu integrieren.

Podcast-Tipp: Wie bauen wir nach dem Hochwasser?

Was haben wir aus der Hochwasserkatastrophe Mitte Juli gelernt? Was müssen wir künftig beim Häuser-, Straßen- und Landschaftsbau beachten? Darüber sprechen Sarah Janczura und Marco Dadomo mit Dr. Ulrich Klotz im Podcast „Technik aufs Ohr“. Er ist Bauingenieur und Vorstandsmitglied des Bauunternehmens Züblin AG.

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Sponge-City: Das Konzept einer Schwammstadt

Eine hohe Flächenversiegelung in Städten führt bei Starkregen zu erhöhtem Oberflächenabfluss. Kanalnetze sind schnell überlastet. Doch nicht nur Hochwasser gehört zu den Herausforderungen, mit denen Regionen und Städte umgehen müssen, sondern auch Hitzewellen und anhaltende Trockenheit. In stark versiegelten Bereichen heizen sich Glas-, Stahl- und Betonfassaden auf. Kühlung durch verdunstendes Wasser wird durch die Ableitung des fallenden Niederschlags verhindert. Das Konzept der „Sponge-City“ soll Abhilfe schaffen.

Nationale Wasserstrategie: Mehr Bewusstsein für die Ressource Wasser

Die sogenannte Schwammstadt sieht eine Begrünung von Dächern, Fassaden und Straßenzügen vor. So wird die Verdunstungskühlung gefördert. Regenwasser soll zu großen Teilen in der Stadt zurückgehalten werden. Das heißt, dass Wasser wird nicht mehr über Kanäle abgeführt. In einer Schwammstadt entstehen viele kleine Speicherräume auf Dachflächen und Straßenräumen für Wasser. Niederschlag fließt auf diese Weise gedrosselt ab. Durch eine zusätzliche Bepflanzung erhöht sich die Verdunstung und das Stadtklima verbessert sich.

Ein Beitrag von:

  • Sarah Janczura

    Sarah Janczura

    Sarah Janczura schreibt zu den Themen Technik, Forschung und Karriere. Nach einem Volontariat mit dem Schwerpunkt Social Media war sie als Online-Redakteurin in einer Digitalagentur unterwegs. Aktuell arbeitet sie als Referentin für Presse und Kommunikation beim VDI e.V.

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