Raumfahrt-Revolution 01.09.2021, 14:50 Uhr

Kleinsatelliten: Warum sie eine Riesenchance und ein großes Risiko sind

Die Nachfrage nach Kleinsatelliten wächst. Eine Riesenchance, die der Industriestandort Deutschland besser nicht verpassen sollte. Doch die neue Raumfahrt birgt auch Risiken – für die es bereits jetzt Lösungsansätze gibt.

Im Januar startete der Satellit CubeSat Pixl 1 ins All: Der Mini-Würfel ist vom Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) und der Airbus-Tochter Tesat entwickelt worden und spiegelt einen Trend wider. Kleinsatelliten spielen in Forschung und Wirtschaft eine immer größere Rolle. Foto: DLR

Im Januar startete der Satellit CubeSat Pixl 1 ins All: Der Mini-Würfel ist vom Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) und der Airbus-Tochter Tesat entwickelt worden und spiegelt einen Trend wider. Kleinsatelliten spielen in Forschung und Wirtschaft eine immer größere Rolle.

Foto: DLR

Am Anfang war der Ball: 1958 startete Sputnik, jene silbrig glänzende Metallkugel mit Antennen, als erster Satellit zu seiner Umlaufbahn um die Erde. Seitdem sind Tausende weitere Satelliten ins All befördert worden. Die Exemplare wurden über die Jahrzehnte immer komplexer: Viel Technik musste mit, die die Satelliten größer und schwerer machte. 

Manche Exemplare wiegen mehrere Tonnen, sind so groß wie ein Kleinwagen oder größer. Diese Satelliten sind teuer in der Produktion und werden oft jahrelang geplant und konstruiert. Doch damit könnte bald Schluss sein, denn ein anderer Trend revolutioniert seit einigen Jahren die Raumfahrt: Kleinsatelliten. Als Satelliten-Konstellationen erfüllen sie die gleichen Aufgaben wie ihre großen Brüder, sind aber erheblich günstiger und können in riesigen Stückzahlen hergestellt werden. 

Privatunternehmen wie die US-Raumfahrtfirma SpaceX von Elon Musk machen es längst vor: Für sein Starlink-Projekt will SpaceX Zehntausende Mini-Satelliten ins All schießen, die als Mega-Konstellation für Breitband-Internet an jedem beliebigen Punkt auf de Erde sorgen sollen. “Das ist ein Meilenstein wie das Internet selbst”, sagt Astronaut und Physiker Ulrich Walter im Interview mit ingenieur.de. 

Satelliten: Positionspapier von VDI und BDI

Für den Industriestandort Deutschland ist die Entwicklung eine Chance, glauben manche Experten. Der VDI hat jetzt gemeinsam mit dem BDI ein Positionspapier dazu herausgegeben. Der Tenor: Deutschland müsse die Chance nutzen, wenn die hiesige Industrie nicht abgehängt werden will. “Deutschland ist in der Satellitenherstellung in Europa noch mit führend. Die zunehmende Miniaturisierung ermöglicht auch die steigende Produktion immer kleinerer Satelliten. Diese oft in Serie gefertigten Klein- und Kleinstsatelliten können mittlere und große Satelliten ideal ergänzen und spielen vor allem für den Aufbau von Konstellationen eine entscheidende Rolle”, heißt es in dem Papier. 

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Jetzt gelte es, “durch die bereits bestehenden Forschungsvorarbeiten und die eingeführte Industrie 4.0” Voraussetzungen für wettbewerbsfähige Fabriken in der Raumfahrtindustrie zu schaffen.

Kleinsatelliten als Schlüsselkomponente der Raumfahrt

Die Experten rechnen damit, dass Kleinsatelliten eine Schlüsselkomponente und einer der wesentlichen Motoren des dynamischen Zukunftsmarktes Weltraum sein werden. Bis zum Jahr 2030 werden voraussichtlich 15.200 Satelliten ins All Starten. Mehr als 90 Prozent davon sind Kleinsatelliten mit einem Gewicht von weniger als 500 Kilogramm. Und auch Kleinstsatelliten, die nur wenige Kilo wiegen und kaum größer sind als ein Fußball, spielen eine immer prominentere Rolle in der Raumfahrt. 

Die Aufgaben, die die Konstellationen der Winzlinge erfüllen, sind vielfältig und die Kleinsatelliten sind dabei flexibel einsetzbar: 

  • Schnelles Internet an jedem Ort wie bei Starlink
  • Digitale Vernetzung von Geräten (Internet der Dinge) 
  • Erdbeobachtungsdaten und Messungen für die Klimaforschung und den Katastrophenschutz
  • Navigationssysteme, perspektivisch etwa auch für autonome Fahrzeuge 

In seinen Handlungsempfehlungen an die kommende Bundesregierung plädieren VDI und BDI für eine Initiative “Kleinsatelliten made in Germany”. Die wesentlichen Punkte: 

  • Ankeraufträge vergeben, das heißt, der Staat soll Technologie für Kleinsatelliten bei kommerziellen Anbietern einkaufen. Das soll Anreize für Unternehmen schaffen, innovative Vorschläge zur Lösung staatlicher Aufgaben einzureichen. 
  • Wettbewerb: Mit je einem Wettbewerb für beide Kategorien sollten standardisierte Satellitenbusse für unterschiedliche Anwendungsbereiche und für Nutzlasten für Konstellationen und Formationen entwickelt werden, die für eine Serienproduktion geeignet sind und damit schnell und kostengünstig bereitgestellt werden können. Die Wettbewerbe sollten sich am erfolgreichen Mikrolauncher-Wettbewerb der Deutschen Raumfahrtagentur im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) orientieren und der gesamten Industrie offenstehen.
  • Industrielle Produktion fördern: Das Ziel sollen laut VDI und BDI geförderte „Zukunftsfabriken Kleinsatelliten“ sein. Diese sollen Wissenschaft, Forschung und Industrie zusammenbringen.
  • Integrierte Wertschöpfungskette schaffen: Für die neuen Kleinsatelliten sollte die Raumfahrtagentur im DLR und andere staatliche Institutionen gezielt Starts bei geeigneten europäischen Trägern einkaufen. Für die Verbringung sollte die Startplattform in der deutschen Nordsee genutzt werden, um zeitnahe, flexible und unabhängige Satellitenverbringungen zu ermöglichen. Dies könne zur Schaffung einer integrierten Wertschöpfungskette in Deutschland beitragen, heißt es im Positionspapier.

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Was machen Satelliten?

Sie schweben in Tausenden von Kilometern über unserer Erde und sind aus der Raumfahrt nicht mehr wegzudenken. Ob Wetterprognosen, Navigation, Internet oder Flugverkehr: Satelliten weisen vielfältige Funktionen auf. Daten werden in Blitzgeschwindigkeit übertragen. 3.400 Satelliten kreisten Ende 2020 um unsere Erde. 1.900 Stück entfallen auf die USA. 800 davon kreisen als Erdbeobachtungssatelliten um unseren Planeten. Die deutsche Bundeswehr rüstet ebenfalls auf und hat ein eigenes Weltraumkommando gegründet. Wozu die Zentrale dient, erfahren Sie hier.

Was ist ein Kleinsatellit?

Diese Satelliten wiegen nicht mehr als 500 Kilogramm. Die Gruppe der Kleinsatelliten lässt sich unterteilen in:

  • Minisatelliten (100–500 kg)
  • Mikrosatelliten (10–100 kg)
  • Nanosatelliten (1–10 kg) 
  • Picosatelliten (0,1–1 kg)
  • Femtosatelliten (< 0,1 kg).

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Weltraumschrott durch Satelliten

Die Megakonstellationen bergen allerdings auch Risiken. Immer mehr Satelliten müllen nicht nur das All zu, sondern können die Raumfahrt massiv stören und auch auf der Erde Schaden anrichten. Millionen Teile jagen wie Geschosse um unseren Planeten. 30.000 Objekte sind größer als zehn Zentimeter und lassen sich gut von der Erde aus beobachten. Laut der Europäischen Raumfahrtagentur ESA gibt es über 128 Millionen Teile Weltraumschrott. 75 % des entdeckten Weltraummülls sind dabei unbekannte Objekte, so  eine Untersuchung der „University of Warwick“ und das „Defence Science and Technology Laboratory“ in Großbritannien.

„10% davon sind aktive Satelliten. 750.000 Objekte sind größer als ein Zentimeter, das können aber auch Kühlmittel von Satelliten sein. Das klingt zwar viel, ist aber noch nicht dramatisch“, sagt Professor Enrico Stoll von der TU Berlin.

Hunderttausende Schrottteile umkreisen die Erde. Für die Raumfahrt können sie mittelfristig zum Problem werden. Foto: Technische Universität Braunschweig.

Hunderttausende Schrottteile umkreisen die Erde. Für die Raumfahrt können sie mittelfristig zum Problem werden.

Foto: Technische Universität Braunschweig.

Satelliten können nicht mehr wie Unikate behandelt und produziert werden. Sie unterliegen dem Wandel zur Serienproduktion. Das liegt unter anderem daran, dass kleine verteilte Sensorsatelliten anstelle von großen monolithischen Satelliten-Systemen betrieben werden sollen. An der TU Berlin und vielen anderen Universitäten wird an Kleinsatelliten geforscht. Bei akademischen Prototypen bleibt es schon lange nicht. Sie haben sich zu zuverlässigen Trägern in der Raumfahrt entwickelt. Vor 30 Jahren startete bereits die Satelliten-Reihe TUBSAT-A des Fachgebiets Raumfahrtgeräte- und Anlagen der TU Berlin ins All. Die Satelliten weisen eine Masse von 35 Kilogramm und eine Kantenlänge von 38 Zentimeter auf.  

Doch wie können all diese Hinterlassenschaften im Orbit wieder entfernt werden? “Einen Staubsauger für den Weltraum gibt es nicht”, so Stoll im Podcast “Technik aufs Ohr”. ESA und Co. arbeiten mit Kollisionswarnungen, sodass Satelliten und andere Objekte erkannt werden, die unserer Umlaufbahn gefährlich nahe kommen. Ausweichmanöver und die reine Beobachtungen binden natürlich extreme Ressourcen. 

Wenn Satelliten mit anderen Objekten kollidieren, werden sie in Stücke gerissen, die sich wiederum zu gefährlichen Geschossen im All entwickeln. Hierbei spricht man vom Kessler-Syndrom. Bereits 2009  stieß der US-Kommunikationssatellit Iridium 33 mit dem russischen Aufklärungssatelliten Kosmos 2251 in 800 Kilometern Höhe zusammen. Beide Objekte wurden komplett zerstört und in über 100.000 Bruchstücke zerrissen. Noch heute befinden sich Trümmerteile im Orbit, sodass die ISS immer wieder Ausweichmanöver fliegen muss. Ein Einschlag könnte verheerend sein: Die mehr als 20 Jahre alte ISS ist ohnehin auf dem Weg, allmählich in einen desolaten Zustand zu geraten. Erst kürzlich wurden neue Risse an der ISS entdeckt. Ob die Hülle der Raumstation noch zu retten ist, lesen Sie hier.

Astronaut Mark Vande Hei beim Spacewalk: Er führt Arbeiten am Roboterarm Canadarm 2 der ISS durch. Foto: Nasa

Astronaut Mark Vande Hei beim Spacewalk: Er führt Arbeiten am Roboterarm Canadarm 2 der ISS durch.

Foto: Nasa

Vor wenigen Monaten war Weltraumschrott tatsächlich mit der ISS kollidiert. Ein Trümmerstück hatte den 18 Meter langen Roboterarm „Canadarm“ der ISS getroffen, der die Crew bei Wartungsarbeiten unterstützt. In dem Arm klafft nun ein Loch, die Canada Space Agency (CSA) hatte den Schaden bei Routineinspektion im Mai entdeckt. Die Funktion des wichtigen Gerätes sei aber bislang nicht beeinträchtigt, heißt es bei der Nasa.

SpaceX schießt immer mehr Kleinsatelliten ins All

Im März 2021 wurden erst 60 neue Satelliten von SpaceX, dem Weltraum Unternehmen von Elon Musk, in den Orbit geschossen. Innerhalb eines Monats können es gut und gerne bis zu 240 Satelliten, die in erster Linie Internet bringen sollen, sein. Wird hier nicht einfach weiterer Weltraumschrott produziert und gefährliche Kollisionen hervorgerufen?

„Eine gewisse Gefahr ist dabei vorhanden. Man schaut sich das aber über eine Kollisionswahrscheinlichkeit an. Die sind in der Regel sehr gering. Erst bei einer Wahrscheinlichkeit bei 104 beginnt man dann mit Maßnahmen, um die Satelliten aus dem Weg zu räumen“, erklärt Stoll im Podcast. 

Wie genau diese Wahrscheinlichkeit berechnet wird und viele weitere Informationen zum Weltraumschrott, hören Sie in dieser Folge:

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Müllgebühren für Unternehmen wie SpaceX?

Die Entstehung von Weltraumschrott, der durch Kollisionen entsteht, ließe sich so künftig vermeiden. Doch was ist mit dem Schrott, der schon da ist? Rund 6.500 Tonnen davon rasen um die Erde. Die Robotikmission DEOS des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums (DLR) sollte eine mögliche Lösung zeigen: Mithilfe von Robotern sollten havarierte Satelliten aus der Umlaufbahnen geborgen und auf einen Absturzorbit gebracht werden, so die Idee.

Ein Team der Uni Würzburg hatte bereits Experimente zur Sensorik für ein zuverlässiges Andocken eines Service-Satelliten an eine defekte, zu entsorgende Raumsonde durchgeführt. Doch das das DEOS-Projekt wurde 2018 aufgegeben – auch aus Kostengründen. „Technisch wäre das möglich, aber es scheitert am Geld“, so Klaus Schilling vom Zentrum für Robotik und Telematik an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. „Man müsste eigentlich Müllgebühren von Satellitenbetreibern erheben“, findet er – so ließen sich Aufräum-Projekte finanzieren.

Auch hier könnten Kleinsatelliten eine Lösung sein: Die kostengünstigen könnten an Schrottteilen andocken und diese in Richtung Atmosphäre lenken, wo sie dann verglühen.

TU Berlin entwickelt neue Serie von Kleinsatelliten

Am Fachgebiet Raumfahrttechnik der Technischen Universität Berlin werden aktuell neuartige Kleinstsatelliten der BEESAT-Familie in Serie entwickelt. 375 Gramm wiegen diese ultraleichten Satelliten. Mit einem Bauraum von ca. ¼ Liter sind sie aufgrund ihres Designs bestens für eine Serienproduktion geeignet. Auf zwei Leiterplatten findet die Bordelektronik  Platz. Insgesamt werden für die Herstellung weniger Arbeitsschritte benötigt. 

Abbildung 1: a) Innenansicht eines BEESAT, b) die BEESAT-Serie 5-8, c) Integration in den Launchadapter. Fotos: TU Berlin

Abbildung 1: a) Innenansicht eines BEESAT, b) die BEESAT-Serie 5-8, c) Integration in den Launchadapter. Fotos: TU Berlin

Über zwei zentrale Schnittstellen können sämtliche Mikrocontroller der Satelliten programmiert und automatisierte Funktionstests durchgeführt werden. Danke der geringen Größe lassen sich viele dieser Kleinstsatelliten parallel vor dem Start testen.

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Ein Beitrag von:

  • Peter Sieben

    Peter Sieben schreibt über Forschung, Politik und Karrierethemen. Nach einem Volontariat bei der Funke Mediengruppe war er mehrere Jahre als Redakteur und Politik-Reporter in verschiedenen Ressorts von Tageszeitungen und Online-Medien unterwegs.

  • Sarah Janczura

    Sarah Janczura

    Sarah Janczura schreibt zu den Themen Technik, Forschung und Karriere. Nach einem Volontariat mit dem Schwerpunkt Social Media war sie als Online-Redakteurin in einer Digitalagentur unterwegs. Aktuell arbeitet sie als Referentin für Presse und Kommunikation beim VDI e.V.

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