Neue Ära der Zeitmessung 07.06.2024, 13:04 Uhr

Mechanische Räderuhr: Blick auf die originellste Erfindung des Mittelalters

Die Erfindung der mechanischen Räderuhr im Mittelalter läutete eine neue Ära der Zeitmessung an. Schauen wir uns ihre Entwicklung einmal etwas genauer an.

Räderuhr Rouen

Eine der frühesten Räderuhren ist in Rouen zu bewundern. Sie stammt aus dem Jahr 1389 und ist mit einem Viertelstunden-Schlagwerk ausgestattet.

Foto: PantherMedia / sergey.rogalsky@gmail.com

Die mechanische Räderuhr ist eine der originellsten Erfindungen des europäischen Mittelalters. Sie misst die Zeit erstmals nicht mehr anhand des Sonnenstands, ablaufenden Wassers oder abbrennender Kerzen. Stattdessen nutzt sie einen Regelmechanismus, der durch Hin- und Herschwingen die Zeit in gleich lange Intervalle einteilt. Damit läutete sie eine neue Ära der Zeitmessung ein, denn bislang waren die Stunden im Sommer und im Winter unterschiedlich lang. Außerdem gab es von Stadt zu Stadt unterschiedliche „Zeitzonen“, die allerdings erst mit den ersten Fahrplänen für die Eisenbahn angeglichen wurden.

Anfänge der mechanischen Räderuhr

Obwohl arabische und chinesische Automatentechnik um das Jahr 1000 hoch entwickelt war, entstand daraus kein universelles Zeitmessgerät, das der mechanischen Räderuhr vergleichbar wäre. Ein Höhepunkt der chinesischen Uhrenbaukunst war die um 1090 errichtete, etwa 10 Meter hohe astronomische Monumentaluhr von Su Song. Diese wassergetriebene Uhr mit ausgeklügelter Regelung lief etwa 100 Jahre, bevor das Wissen darum verlorenging. Auch die bedeutende Tradition arabischer Unterhaltungsautomaten und Wasseruhren, die auf antike Vorbilder zurückging, stagnierte nach 1200.

Die mechanische Räderuhr, wahrscheinlich von Mönchen eines englischen Klosters in den letzten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts entwickelt, brachte eine revolutionäre technische Lösung. Ihre Verbreitung in Europa erfolgte schnell. Um 1300 sind erste Räderuhren nachweisbar, unter anderem in Erfurt, Augsburg und St. Gotthard in Mailand (1304/06). Zunächst fanden Räderuhren in Kirchen, Klöstern, speziellen Türmen und Rathäusern als öffentliche Uhren Verwendung. Im Jahr 1336 erhielt Mailand eine schlagende Turmuhr.

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Kronrad und Spindelhemmung als entscheidende Details

Das entscheidende technische Detail der mechanischen Räderuhr war die Kombination aus Kronrad und Spindelhemmung. Die Spindelhemmung bestand aus einem waagerechten Balken mit verschiebbaren Gewichten an den Enden, befestigt auf einer senkrechten Achse. Zwei kleine Eisenplättchen an der Achse der Spindelhemmung wurden von den Zähnen des Kronrads abwechselnd zur Seite gedreht und schwenkten dann zurück.

Das Kronrad, Teil des Uhrwerks, wurde durch ein an der Hauptachse aufgehängtes Gewicht in Bewegung gehalten. Die Verwendung fallender Gewichte für ähnliche Vorrichtungen hat eine lange Tradition, die bis in die Antike und den arabischen Raum zurückreicht. Die Kombination aus Spindelhemmung und Kronrad, zwei einfach zu konstruierenden Eisenteilen, ermöglichte jedoch erstmals die Einteilung des Fallens der Gewichte in gleichmäßige Zeitintervalle.

Entwicklung der mechanischen Räderuhr

Frühe monumentale Räderuhren waren oft Kunstwerke oder dienten astronomischen Beobachtungen. Sie waren aufwendig gestaltet und mit zahlreichen astronomischen Indikationen ausgestattet. Später entstanden kleinere, einfachere Uhren, die sich schnell weit verbreiteten. Bereits um 1440 wurden erste Räderuhren mit Federantrieb gebaut, wie die auf 1430 datierte Standuhr von Philipp dem Guten.

Um 1510 fertigte der Nürnberger Uhrmacher Peter Henlein bereits transportable Tischuhren von hoher Qualität an. Trotz dieser Fortschritte empfahl Vincenzo Viviani im 17. Jahrhundert wegen der Ungenauigkeit von Räder- und Sanduhren weiterhin Wasseruhren für wissenschaftliche Zwecke.

Galileo Galilei entdeckte 1583 den Isochronismus, eine Voraussetzung für die Erfindung des Uhrenpendels durch Christiaan Huygens um 1650. Huygens‘ erste Pendeluhr mit Spindelhemmung, gebaut von Salomo Coster, ist heute im Rijksmuseum in Leiden zu sehen. Die Entwicklung wirklich tragbarer Uhren, wie Taschenuhren, wurde erst mit Huygens‘ Erfindung der Unruh um 1674 möglich.

Verbreitung der mechanischen Räderuhr in Europa

Im 14. Jahrhundert verbreiteten sich mechanische Räderuhren schnell als städtische Turmuhren in Zentraleuropa. Anfangs gaben diese Turmuhren die Zeit nur akustisch an, doch nach einigen Jahrzehnten erhielten sie Ziffernblätter für die optische Zeitanzeige. Zunächst gab es nur Stundenzeiger, später kamen Minutenzeiger hinzu. Bald darauf wurden viele Kirchen mit aufwendigen astronomischen Uhren und Automatenfunktionen ausgestattet.

Diese neue Art der Zeitmessung hatte weitreichende Auswirkungen. Sie verdrängte ein zentrales Merkmal des traditionellen Tagesrhythmus: die jahreszeitlich wechselnde Länge der Stunden. Während zuvor Tag und Nacht in jeweils 12 ungleiche Intervalle unterteilt wurden, zeigte die mechanische Räderuhr stets gleich lange Stunden an. Im 15. Jahrhundert begannen Städte allmählich, ihre Zeitmessung entsprechend anzupassen. Eine Synchronisierung der Ortszeiten verschiedener Städte wurde jedoch erst mit den Eisenbahnfahrplänen im 19. Jahrhundert notwendig.

Warum konnte sich die Uhr so schnell verbreiten?

Über die Gründe für die schnelle Verbreitung mechanischer Turmuhren wurde viel spekuliert. Anfangs vermutete man, dass die prosperierenden Städte des Spätmittelalters eine genauere Zeitmessung benötigten, besonders für Händler und Kaufleute. Diese These gilt jedoch als widerlegt, da konventionelle Methoden wie Wasser-, Sonnen- und Kerzenuhren für ihre Terminplanung ausreichten.

Das mittelalterliche Stadtleben wurde durch zahlreiche akustische Signale geregelt, deren Bedeutung den Bewohnern bekannt war. Glocken kündigten den Beginn und das Ende des Markttages an, signalisierten das Öffnen und Schließen der Stadttore und warnten vor Feuer. Das Schlagen von Glocken durch mechanische Räderuhren war daher für die Bürger wenig spektakulär und der mechanische Ursprung der Zeitmessung zunächst nicht wahrnehmbar.

Der wahre Grund hinter den ersten Turmuhren

Die frühen Turmuhren beeindruckten vor allem durch ihr Glockenspiel, weniger durch präzise Zeitmessung. Bezeichnend ist, dass Minutenzeiger erst im 16. Jahrhundert an Turmuhren auftauchten. Vorher begnügte man sich mit Stundenzeigern. Die Präzision der Zeitanzeige hatte offensichtlich keine hohe Priorität, zumal Turmuhren oft ungenau liefen und reparaturanfällig waren.

Heutzutage geht man davon aus, dass Städte aus Prestigegründen erhebliche Summen in Turmuhren und deren kostspielige Wartung investierten. Schriftquellen aus dieser Zeit, wie städtische Rechnungsbücher, enthalten meist nur trockene Angaben. Dennoch ermöglichen sie es, die Mobilität namentlich genannter Uhrenbauer zu rekonstruieren.

Astronomische Uhren mit Figurenspielen und anderen Automatenfunktionen sollten Überraschung und Bewunderung hervorrufen. Diese Uhren wurden im 15. Jahrhundert an Rathäusern, öffentlichen Plätzen und vor allem in Kirchen aufgestellt. Ein gut erhaltenes Beispiel befindet sich in der Marienkirche in Rostock. Die genaue Zeitmessung war bei diesen Uhren nebensächlich. Im Vordergrund standen die Anzeige astronomischer Daten und der geregelte Ablauf der Figurenspiele.

Video von der astronomischen Uhr in St. Marien Rostock

Im Jahr 1472 baute der Uhrmacher Hans Düringer die Astronomische Uhr für die Sankt Marien Kirche in Rostock, basierend auf seinen Erfahrungen beim Bau einer ähnlichen Uhr für die Marienkirche in Danzig. Auch nach über 500 Jahren enthält das Hauptuhrwerk noch weitgehend die originalen Teile. Es wird täglich per Hand aufgezogen, ebenso wie das Kalenderwerk, das Glockenspiel, der Apostelumgang und die Stundenglocke. Im Jahr 1642, während des Dreißigjährigen Krieges, wurde die Uhr umgebaut und erweitert. Dabei wurden das Glockenspiel, der Apostelumgang und das kunstvolle Renaissancegehäuse hinzugefügt.

Ostkirche und Osmanisches Reich konnten wenig mit der Uhr anfangen

Die Stifter der ersten astronomischen Uhren sahen keinen Widerspruch zwischen diesen technischen Meisterwerken und den Kirchen als Orte religiöser Einkehr. Im Gegenteil, sie betrachteten die Uhren als Ehrung der göttlichen Schöpfung. Anders sah es die Ostkirche: Ohne bekannte Diskussionen zu diesem Thema wurden in Byzanz weder in Kirchen noch an öffentlichen Gebäuden Uhren angebracht.

Dies galt später auch für das Osmanische Reich. Obwohl die türkischen Sultane des 16. Jahrhunderts großes Interesse an mechanischen Uhrwerken zeigten, die europäische Diplomaten oft als Geschenke überreichten, blieben diese Uhren auf das höfische Umfeld beschränkt. Uhrwerke standen offenbar im unausgesprochenen Widerspruch zu islamischen Traditionen der Zeitbestimmung und der Autorität der Muezzins, die zum Gebet riefen.

Von der Räderuhr zur Armbanduhr

Die Führungsrolle in der Entwicklung und Verbesserung der Räderuhren lag im frühen 16. Jahrhundert in Nürnberg, wechselte dann nach Augsburg und schließlich Mitte des 17. Jahrhunderts nach England. Im Schwarzwald, in den Niederlanden und in Frankreich entstanden weitere bedeutende Zentren der Uhrmacherkunst, ebenso in Wien und Genf.

Mit Beginn der industriellen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts und der Massenproduktion in Fabriken wurde die Räderuhr endgültig zum Alltagsgegenstand. Der Übergang von der Taschenuhr zur Armbanduhr folgte zu Beginn des 20. Jahrhunderts und war nur noch ein kleiner Schritt.

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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