Gravitationswellen gemessen 12.02.2016, 10:26 Uhr

Letztes Puzzlestück zu Einsteins Relativitätstheorie ist gefunden worden

Es ist der letzte Beweis für die Gültigkeit der allgemeinen Relativitätstheorie: 1915 hatte Albert Einstein in seinem epochalem Werk die Existenz von Gravitationswellen vorhergesagt. Diese entstehen nach der Relativitätstheorie immer dann, wenn Massen im Kosmos beschleunigt werden. Nur: Niemand hat sie bisher messen können. Jetzt ist diese physikalische Sensation gelungen.

Ein Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik in Potsdam (Albert-Einstein-Institut) erläutert anhand einer Computersimulation die Ausbreitung von Gravitationswellen.

Ein Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik in Potsdam (Albert-Einstein-Institut) erläutert anhand einer Computersimulation die Ausbreitung von Gravitationswellen.

Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Wow, was für ein Timing: Am 25. November 1915 trug der deutsche Physiker Albert Einstein vor der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin den Kern seiner bahnbrechenden allgemeinen Relativitätstheorie vor. Darin sagte das Jahrhundertgenie auch die Existenz geheimnisvoller Kräuselungen der Raumzeit, die sogenannten Gravitationswellen, voraus. Diese entstehen immer dann, wenn im Universum Massen beschleunigt werden. Sie sind umso stärker, je mehr Masse der bewegte Körper hat. Sie stauchen und strecken den Raum, ganz ähnlich wie die Wellen eines ins Wasser geworfenen Steins die Wasseroberfläche kräuseln.

Albert Einstein glaubte nicht an Nachweis der Gravitationswellen

Nur sind diese den Raum kräuselnden Gravitationswellen in aller Regel so winzig, dass selbst Albert Einstein nicht daran glaubte, dass es jemals gelingen könnte, sie auch zu messen. Seit 50 Jahren schon jagen Physiker dem direkten Nachweis der Gravitationswellen hinterher. Bisher immer vergeblich. Bis gestern war die Existenz dieser geheimnisvollen Gravitationswellen, die nach großen kosmischen Ereignissen Dellen in das Raum-Zeit-Kontinuum schlagen und dann mit Lichtgeschwindigkeit durch den Weltraum jagen, deshalb nicht mehr als eine plausible Theorie.

Mehr als 1000 Autoren haben die Sensation veröffentlicht

Nun haben Physiker die nachhallenden Signale von Gravitationswellen nachgewiesen. Gestern Nachmittag kündigten die Astrophysiker vom Advanced Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory (aLigo) in den USA eine großen Pressekonferenz an. Gleich in mehreren Städten rund um den Globus hatten sie zu einem Pressemarathon geladen, um ihre Messergebnisse zu verkünden. Die Sensation wurde in Washington, Moskau, Paris, Pisa, London und Hannover verkündet und gleichzeitig im Fachmagazin „Physical Review Letters“ veröffentlicht. Mehr als 1000 Autoren haben den achtseitigen Artikel verfasst.

Die Simulation visualisiert dreidimensional, wie zwei Schwarze Löcher verschmelzen – unter Abstrahlung von Gravitationswellen.

Die Simulation visualisiert dreidimensional, wie zwei Schwarze Löcher verschmelzen – unter Abstrahlung von Gravitationswellen.

Quelle: S. Ossokine/A. Buonanno/R. Haas/Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik/dpa

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„We have detected gravitational waves“, verkündete der Chef des aLigo-Experiments, David Reitze, gestern in Washington der staunenden Weltöffentlichkeit. Das entscheidende Signal ging den Astrophysikern bereits am 14. September 2015 um 10:51 Uhr ins Netz. Doch es dauerte noch einige Monate, bis auch jeder kleinste Zweifel daran ausgeräumt war, dass das Signal wirklich von einer Gravitationswelle ausgelöst wurde und kein Störfeuer war.

Nachhall eines gigantischen kosmischen Zusammenstoßes

„Es ist nicht nur eine Frage der Computerpower. Wir haben 100.000 Datenkanäle, die Temperatur, Luftdruck, Vibrationen und so weiter messen, damit man hinterher sagen kann, ob es eine Störung gab, ob jemand laut gesungen hat oder ob ein Schauer kosmischer Strahlung hereinkam. Das muss alles angeschaut und bewertet werden, viele Leute diskutieren miteinander – das braucht Zeit“, sagte Karsten Danzmann. Er forscht am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover und war an der Entdeckung der Gravitationswellen beteiligt. Es war das Nachhallen eines wahrhaft gigantischen kosmischen Zusammenstoßes. Zwei mittelschwere Schwarze Löcher, das eine mit 36 und das andere mit 29 Sonnenmassen, sind vor 1,3 Milliarden Jahren ineinander verschmolzen. Eine Sonnemasse entspricht 1,99 Quadrilliarden Tonnen.

Signal wurde am 14. September 2015 gemessen

„Es entstand in einer Zeit, als sich auf der Erde gerade die ersten mehrzelligen Lebewesen entwickelten“, erklärte Gabriela Gonzáles vom aLigo-Experiment. „Sie umkreisten einander mit einer Geschwindigkeit, halb so schnell wie Licht – immer schneller, bis sie zu einem einzigen Schwarzen Loch verschmolzen.“ In der letzten Phase, die kürzer als eine Sekunde war, strahlten die frisch fusionierten Schwarzen Löcher dann Gravitationswellen ab, die stark genug waren, um sie zu entdecken. Am 14. September 2015 kamen die sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitenden Gravitationswellen dieser kosmischen Riesenfusion dann auf der Erde an.

Und veränderten hier auf der Erde die Längen zweier Vakuum-Röhren. Das sind die Detektoren vom aLigo-Experiment. Diese Röhren sind nichts anderes als eine extrem vergrößerte Bauweise des aus der Optik gut bekannten Michelson-Interferometers. Mit diesem Messinstrument können räumliche Längenänderungen im kleinen Maßstab der Lichtwellenlängen exakt gemessen werden.

Länge ändert sich um den hundertstel Durchmesser eines Wasserstoffatoms

Normalerweise stehen diese Interferometer in einem Laserlabor. Die beiden Röhren im aLigo-Experiment sind dagegen beide exakt vier Kilometer lang und stehen in einem 90-Grad-Winkel zueinander. Ein Laserstrahl wird durch einen Strahlteiler in zwei Laserstrahlen aufgeteilt und in die Röhren geschickt. Am Röhrenende hängen als Vierfach-Pendel ausgelegte extrem plane Spiegel und reflektieren das Laserlicht wieder zurück. Ein Detektor zeichnet das Lichtspiel der Überlagerung der beiden reflektierten Laserlicht-Wellen auf und kann so Änderungen der Röhrenlänge erkennen.

Wissenschaftler Holger Wittel sitzt am 11. Februar 2016 in einem Kontrollraum des Gravitationswellendetektors GEO600 in Ruthe in der Region Hannover neben einem Pappaufsteller, der Albert Einstein darstellt. Im Forschungsprojekt GEO600 sind entscheidende technische Komponenten entwickelt und erprobt werden, die im Gravitationswellen-Observatorium

Wissenschaftler Holger Wittel sitzt am 11. Februar 2016 in einem Kontrollraum des Gravitationswellendetektors GEO600 in Ruthe in der Region Hannover neben einem Pappaufsteller, der Albert Einstein darstellt. Im Forschungsprojekt GEO600 sind entscheidende technische Komponenten entwickelt und erprobt werden, die im Gravitationswellen-Observatorium „Ligo“ in den USA zum Einsatz kommen. Der Gravitationswellendetektor GEO600 wird vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik und verschiedenen Universitäten betrieben.

Quelle: Julian Stratenschulte//dpa

Eine Gravitationswelle, die durch dieses Riesen-Interferometer hindurch pflügt, verändert die Länge einer der Röhren für einen kurzen Augenblick um den Bruchteil eines Atomdurchmessers. Die Spiegelposition schwankt in diesem Moment um den hundertstel Durchmesser eines Wasserstoffatoms. Das ist so, als würde man die Strecke zwischen unserer Erde und dem nächsten Stern auf eine Haaresbreite genau bestimmen. Diese winzige Längenänderung lässt sich im Überlagerungsmuster der reflektierten Laserlicht-Wellen erkennen.

Schon umfallender Baum kann Fehlalarm auslösen

Die aLigo-Interferometer sind so empfindlich, dass schon eine zu groß geratene Brandung oder ein umfallender Baum, aber auch ein winziges Erdbeben einen Gravitationswellen-Alarm auslösen kann. Um diese irdischen Störfeuer sicher auszuräumen, besteht das aLigo-Experiment aus zwei baugleichen Riesen-Interferometern, die etwa 3000 km voneinander entfernt stehen.

Der eine Riese steht auf dem Gelände des Atommüll-Lagers Hanford im Nordwesten des US-Bundesstaates Washington, der andere im Südosten in einem Sumpfgebiet bei Livingston im Bundesstaat Louisana. Beides sind ruhige, isolierte Gegenden. Die große Entfernung dieser beiden Laser-Interferometer ermöglicht es den Astrophysikern, aus den Laufzeitunterschieden zwischen zwei in diesen Observatorien gemessen Signalen auf die Position der Quelle am Himmel zu schließen. Zudem können durch die Entfernung alle irdischen Störungen, die sich nur mit Schallgeschwindigkeit ausbreiten, sicher als solche erkannt werden.

Forschungsgruppenleiter Hartmut Grote schaut am 11. Februar 2016 durch eine Röhre, wie sie am Gravitationswellendetektor GEO600 in Ruthe in der Region Hannover zum Einsatz kommt. 

Forschungsgruppenleiter Hartmut Grote schaut am 11. Februar 2016 durch eine Röhre, wie sie am Gravitationswellendetektor GEO600 in Ruthe in der Region Hannover zum Einsatz kommt.

Quelle: Julian Stratenschulte/dpa

Das Laser-Know-how für die aLigo-Interferometer kommt vom Gravitationswellen-Experiment Geo600 in Hannover. „Das dies eine Jahrhundertentdeckung ist, darüber muss man nicht nachdenken“, sagt Karsten Danzmann vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik. „Es ist so, als würden wir einen neuen Sinn für unsere Wahrnehmung des Universums bekommen.“

Riesen-Interferometer im All

Für den nächsten Schritt zur Messung von Gravitationswellen soll die Erde verlassen werden: 2034 soll mit „eLisa“ ein Weltraumteleskop ins All starten. Dort sollen drei Satelliten ein gigantisches Dreieck aufspannen und über eine Distanz von einer Million Kilometer Laserstrahlen hin und her schicken. Ein Michelson-Interferometer der kosmischen Dimension soll im Weltall entstehen. Dieser Riesensensor ist dann hoffentlich in der Lage, Gravitationswellen aufzuspüren, die vor 13,8 Milliarden Jahren vom Urknall erzeugt wurden und seitdem mit Lichtgeschwindigkeit durch das Weltall jagen. „Wir können uns heute noch gar nicht ausmalen, was wir alles aus Gravitationswellen lernen werden“, meint Karsten Danzmann.

Bereits im Dezember 2015 startete der ESA-Satellit Lisa Pathfinder ins All, um schon einmal erste Techniktests für eLisa durchzuführen. Die Jagd nach Gravitationswellen, sie geht weiter.

 

Ein Beitrag von:

  • Detlef Stoller

    Detlef Stoller ist Diplom-Photoingenieur. Er ist Fachjournalist für Umweltfragen und schreibt für verschiedene Printmagazine, Online-Medien und TV-Formate.

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