Technikgeschichte 21.10.2011, 12:05 Uhr

Der Zahnriemenantrieb für die Nockenwelle wird 50

In der Landmaschinenfabrik von Hans Glas in Dingolfing, bekannt als Produktionsort des legendären Goggomobil, wurde vor fünfzig Jahren mit der Erfindung des Zahnriemenantriebs für die Nockenwelle ein neues Kapitel Technikgeschichte geschrieben.

Bis Anfang der 60er-Jahre wurden die Nockenwellen in Viertaktmotoren – egal ob Benziner oder Diesel, ob zwei, vier, sechs, acht oder mehr Zylinder – entweder von einer oder zwei Rollenketten oder Stirnrädern angetrieben. Exotische Lösungen wie der NSU Prinz mit seiner „Ultramax“-Ventilsteuerung per Schubstange und Exzenter oder die über Königswellen angetriebenen vier Nockenwellen im Porsche 356 Carrera von 1955 blieben Eintagsfliegen.

Durch einen Zufall entdeckte Andreas Glas den Zahnriemenantrieb für die Nockenwelle

In Dingolfing waren 1960 die Entwicklungsarbeiten für eine völlig neue Motorengeneration in vollem Gange. Geplant war ein wassergekühlter Vierzylinder-Viertakter mit 1 l Hubraum und oben liegender Nockenwelle, die per Rollenkette angetrieben werden sollte. Der Zufall wollte es, dass Andreas Glas, der Sohn des Firmengründers, beim Zerlegen einer defekten Küchenmaschine auf einen winzigen Zahnriemen aus Kunststoff stieß. Mit einem solchen Teil, so sein Geistesblitz, müsste man doch auch die Nockenwelle antreiben können. Wochen später wurde seine Vision Wirklichkeit: Mit einem von Continental gefertigten Zahnriemen lief der neue Vierzylinder problemlos auf dem Prüfstand. Es folgten ausgedehnte Fahrversuche in den beiden Prototypen des projektierten, aber nie gebauten Isar S 35. In Serie ging das kurzhubige Einliter-Aggregat (992 cm3 Hubraum, 31 kW bei 5000 min-1) im neuen Glas S 1004 auf der IAA von 1961.

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Die Nachahmer ließen nicht allzu lange auf sich warten. Im Sommer 1965 begann der Zahnriemen im neuen 3,8-Liter-Reihensechszylinder des Pontiac Tempest zu rotieren, ein Jahr später im 1,4-Liter-Doppelnockenwellen-Triebwerk des Fiat 124 Sport Spider. Weil in den 70er- und 80er-Jahren immer mehr Motoren mit Vierventiltechnik entstanden, avancierte der Zahnriemen wegen seiner unbestreitbaren Vorteile – billig und geräuscharm – bei den meisten Autobauern mehr oder weniger zum Standardantrieb für Nockenwellen. Von der Stückzahl her ist er das noch immer, obwohl heute zahlreiche Hersteller nach leidvollen Erfahrungen zur Rollenkette zurückgekehrt sind. Sogar in zahlreichen Kleinwagen hat sie inzwischen wieder den Zahnriemen abgelöst.

Die Kinderkrankheiten des Zahnriemenantriebs sind mittlerweile geheilt

Zahnriemen sind klassische Verschleißteile und müssen, je nach Marke und Modell, in Intervallen zwischen 40 000 km und 180 000 km erneuert werden. Doch gibt es inzwischen Exemplare, die bis zu 240 000 km halten sollen.

Die Kinderkrankheiten der frühen Jahre, als sich die aus Polyurethan bestehenden Zahnriemen schon nach kurzer Zeit längten oder unter Zahnausfall litten, treten bei der aktuellen Generation aus Synthesekautschuk nicht mehr auf. Sie sind wesentlich alterungsbeständiger, hitze- und feuchtigkeitsresistenter als ihre Vorgänger. Auch typische konstruktive Mängel wie unzureichende Kapselung des Riemenantriebs, durch die Feuchtigkeit, Öl und Schmutzpartikel eindringen konnten, sind weitgehend Geschichte.

Einer der hartnäckigsten Feinde von Zahnriemen ist das Alter

Neben der starken Beanspruchung durch hohe Laufleistungen hat der Zahnriemen noch einen weiteren Feind: das Alter. Das kann dazu führen, dass selbst in wenig gefahrenen Fahrzeugen der Zahnriemen schon nach 15 000 km oder 20 000 km reißen kann. „Er altert nicht nur durch mechanischen Verschleiß und hohe Temperaturschwankungen im Betrieb, sondern auch durch langes Stehen“, erläutert Kai-Uwe Suppé, Technischer Trainer bei Conti Tech. Deshalb geben viele Hersteller auch Wechselempfehlungen nach Jahren an. Danach sollte man in der Werkstatt fragen, rät Suppé.

Die Werkstatt weiß auch über das Risiko von Folgeschäden Bescheid. Die können enorm ins Geld gehen, weil ein Zahnriemenausfall dazu führen kann, dass die auf- und niedersausenden Kolben die stehengebliebenen Ventile krumm schlagen oder köpfen. Dann wird mindestens ein neuer Zylinderkopf fällig. Läuft es besonders dumm, können sogar Kolben, Pleuellager und Kurbelwelle Schaden nehmen.

Es gibt allerdings bestimmte Motoren – sogenannte Freiläufer – , in denen ein defekter Zahnriemen keine weiteren Folgeschäden anrichtet, weil wegen niedriger Verdichtung oder spezieller Brennraumgestaltung der Kolben nicht mit den stehen gebliebenen Ventilen kollidieren kann.  

Ein Beitrag von:

  • Hans W. Mayer

    Hans W. Mayer ist Fachjournalist für Automobilthemen. Er u.a. für die FAZ und verschiedene andere Tageszeitungen und Magazine über Fahrzeugbau und Verkehrsthemen.

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