Pipeline Technology Conference 20.04.2012, 11:58 Uhr

Neue Pipelines für Europas Erdgas-Hunger

Langfristig wird der Gasverbrauch in Deutschland und Europa zunehmen, eine zuverlässige Gasversorgung ist daher von großer Bedeutung. Wie sich die Versorgungssicherheit mithilfe neuer Pipelines und Technologien sicherstellen lässt, war Thema auf der diesjährigen Pipeline Technology Conference (PTC) Ende März in Hannover.

Erdgas wird für die EU in Zukunft als Energieträger immer wichtiger: Prognosen der Internationalen Energie-Agentur (IEA) gehen davon aus, dass die Nachfrage von 536 Mrd. m3 im Jahr 2008 bis 2020 auf 587 Mrd. m3 anwachsen wird. Im Jahr 2035 soll sie dann bei 636 Mrd. m3 liegen.

Dieser zunehmend wichtigen Rolle von Erdgas steht ein Rückgang der heimischen Produktion gegenüber: Die Erdgasreserven in der Nordsee gehen langsam zur Neige. Es muss also Gas aus Russland und den rohstoffreichen Ländern Asiens importiert werden. Dazu bedarf es als Transportmittel neuer, leistungsfähiger Pipelines (siehe Kasten).

Nord Stream: Erdgas aus Russland über die größte Offshore-Gasrohrleitung

Das wohl spektakulärste Projekt ist Nord Stream, die größte und komplexeste Offshore-Gasrohrleitung, die jemals gebaut wurde, von Russland durch die Nordsee zum mecklenburg-vorpommerischen Lubmin. Doch Europas Energiebedarf kann nicht allein durch die Leitungen im Norden gedeckt werden, daher laufen auch im Süden Planungen für Projekte, die allerdings teilweise miteinander konkurrieren.

So soll Nabucco 31 Mrd. m3/a liefern. Die Erdgaspipeline wird von der EU unterstützt. Deren Wettbewerbsregeln dürften jedoch auch ein Grund für Probleme sein. Denn sie verlangen, dass ein großer Teil der Kapazität frei ausgeschrieben werden muss.

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Dem wollen sich die als Partner ins Boot geholten Staaten Türkei und Aserbaidschan nicht unterwerfen. Ohne eine Zusage aus Aserbaidschan droht dem Nabucco-Konsortium jedoch ein Scheitern. Die Rettung könnte in den Plänen des türkischen Energieministers Taner Yildiz liegen, Nabucco mit der türkisch-aserbaidschanischen Trans-Anatolien-Pipeline (Tanap) zu „fusionieren“. Die Tanap würde demnach Gas aus Aserbaidschan bis in die Westtürkei bringen, Nabucco den Weg von Bulgarien bis Mitteleuropa übernehmen.

Als Onshore-Leitung ist Nabucco vergleichbar mit der Pipeline Opal (Ostsee-Pipeline-Anbindungs-Leitung) und der Nordeuropäischen Erdgaspipeline NEL mit einem Pipelinedruck von 100 bar, die das durch Nord Stream geführte Gas von Lubmin aus in Mitteleuropa weiterverteilen.

Bei der geplanten Offshore-Leitung South Stream dagegen wird die Belastung der Rohre noch höher sein als bei der Nord Stream. Geht es in der Ostsee bei Nord Stream nur in eine Wassertiefe von 210 m, würden im Schwarzen Meer 2200 m Wassersäule auf die Rohrwände drücken.

Um ein Zusammenfallen bzw. einen Kollaps der Rohre zu vermeiden, sollen bei South Stream kleinere Durchmesser von 32 Zoll mit größerer Wanddicke von 39 mm eingesetzt werden. Der erste Strang der 3600 km langen russisch-italienischen Erdgaspipeline soll im Jahr 2015 in Betrieb gehen und 2018 einen jährlichen Durchsatz von 63 Mrd. m3 erreichen.

Bei immer weiter steigenden Betriebsdrücken müssen die Komponentenhersteller in Zukunft Material verarbeiten, das noch fester ist, aber auch eine hohe Zähigkeit besitzt. Dies verhindert, dass „Risse, die entstehen können, sich nicht ausbreiten“, erklärt Manfred Keller von der Mannesmann-Forschung in Salzgitter. „Die Rohre werden damit effizienter: Weil die festeren Werkstoffe dünnere Wände erlauben, verringern sie das Gewicht, wodurch die Kosten sinken.“

Unwegsame Erdgas-Quellen für den wachsenden Energiebedarf erschließen

Da weil der Energiebedarf noch weiter wachsen wird, müssen immer unwegsamere Quellen erschlossen werden. Und das Gas wird über weite, zum Teil auch durch Meeresgrund verlaufende Wege zu den Verbrauchern gelangen. Der Druck in 3000 m Wassertiefe liegt bei 300 bar. Das erfordert trotz des metallografischen Fortschritts große Wanddicken. Doch auch das Medium selbst belastet die Rohrwerkstoffe. Sie müssen aggressiven Anteilen wie Sauergas oder Schwermetallen, die das Gas mitführt, standhalten.

Auf die Stahlrohrhersteller kommt viel Arbeit zu. Schon heute sind weltweit rund 3 Mio. km Pipelines verlegt. Jährlich kommen weitere 25 000 km hinzu. Die großen Leitungsstrecken müssen aber nicht nur gefertigt und montiert, sondern auch regelmäßig inspiziert und überprüft werden.

Aktuellstes Projekt bleibt aber die Nord Stream, an deren zweitem Strang zurzeit gebaut wird (s. Kasten) und der Ende 2012 fertiggestellt werden soll. Ist dieser fertig, reicht die Gesamtliefermenge von 55 Mrd. m3/a aus, um den Energiebedarf von 26 Mio. europäischen Haushalten abzudecken. Damit wird man über diese Pipeline fast ein Drittel der im Jahr 2030 in der EU zusätzlich benötigten Gasimporte bereitstellen können. Ausgelegt ist die Leitung auf eine Mindestbetriebszeit von 50 Jahren.

Aktuellstes Erdgas-Projekt ist und bleibt die Nord-Stream-Pipeline

Der erste Strang der Nord-Stream-Pipeline wurde am 8. November 2011 in Betrieb genommen. „Wir haben seitdem rund 3 Mrd. m3 Gas durch die Leitung nach Europa transportiert. Das ist etwa ein Drittel der technischen Gesamtkapazität, aber 100 % der von Gazprom angemeldeten zu transportierenden Gasmenge“, erläutert Steffen Ebert, Kommunikationsbeauftragter Deutschland der Nord Stream AG. Die Volumina würden entsprechend der Lieferverträge mit den abnehmenden Unternehmen in Europa gesteigert.

„Bei dem für die Rohre verwendeten Werkstoff handelt es sich um Stahl der Bezeichnung X70“, so Ebert. Dessen Streckgrenze liegt bei 485 N/mm2. Zur besseren Inneninspektion haben die Rohre einen konstanten Innendurchmesser.

„Von innen wurden die Rohre mit einem Epoxy Flow Coat versehen, um die Reibung des Gases an der Rohrinnenoberfläche zu verringern“, erklärt Christoph Kalwa, Senior Manager Sales bei Europipe, einem Joint Venture der Salzgitter Mannesmann und der Dillinger Hüttenwerke. Das Gemeinschaftsunternehmen fertigt 75 % der Stahlrohre für den ersten und 65 % für den zweiten Strang. Außen seien die Rohre mit einer dreilagigen Polyethylen-Beschichtung gegen Korrosion geschützt, so Kalwa. Deren aufgeraute Oberfläche ermöglicht eine gute Haftung der Beton-Schwer-Beschichtung, um die Rohre auf dem Meeresgrund zu halten.

Nord Stream werde „unter höherem Druck gefahren, da keine Pumpstationen in relativ kurzen Abständen möglich sind, wie das bei Überlandleitungen der Fall ist“, erläutert Frank Harms von der Wirtschaftsvereinigung Stahlrohre e. V. „Daher werden dickere Wände und/oder höhere Festigkeiten eingesetzt.“

Der Gasdruck beträgt am Anfang der Leitung in Russland 220 bar und die Wanddicke der Rohre 34,6 mm. Bis zur Hälfte der Leitungslänge nimmt der Druck auf 200 bar ab und die Wanddicke auf 30,9 mm. Für die Wegstrecke bis Deutschland reicht eine Wanddicke von 26,8 mm für einen Betriebsdruck von unter 170 bar. Harms: „An der deutschen Küste wird die Wanddicke aus Gründen zusätzlicher Sicherheit wieder auf 30,9 mm erhöht bei einem Druck von etwas über 100 bar.“

 

Ein Beitrag von:

  • Eckart Pasche

    Freier Fachjournalist. Themenschwerpunkte: Energie, Kerntechnik, Rohstoffe, Bergbau, Tunnelbau, Technikgeschichte

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