Umwelt 25.01.2013, 12:45 Uhr

Streit über Pestizide für Raps und Rüben entbrannt

Agrarfirmen und Landwirte kämpfen um eine Gruppe von Insektengiften. Sie warnen, dass ohne Neonikotinoide bis zu einem Fünftel Ernteausfall bei Raps und bis zu 40 % bei Zuckerrüben drohen. Umweltschützer halten diese Zahlen für übertrieben und betonen, diese Pestizidwirkstoffe tragen wesentlich zum Sterben von Bienenvölkern teil.

Agrarfirmen und Landwirte wollen Ernteausfälle bei Raps durch bestimmte Insektengifte verhindern.

Agrarfirmen und Landwirte wollen Ernteausfälle bei Raps durch bestimmte Insektengifte verhindern.

Foto: dpa

Als Neonikotinoide wird eine Gruppe von Insektengiften bezeichnet, die seit etwa 20 Jahren ihren Platz in der modernen Landwirtschaft gefunden hat. So wird in Deutschland das Saatgut von Raps und Zuckerrüben nahezu vollständig mit solchen Substanzen gebeizt. Dabei werden Saatkörner vor der Aussaat mit einer pestizidhaltigen Schicht ummantelt. Die Wirkstoffe nimmt die Pflanze während ihres Wachstums auf und verteilt sie in ihren Zellen.

Doch Neonikotinoide haben möglicherweise eine Schattenseite. Sie können am Sterben von Bienenvölkern beteiligt sein. Umweltschützer fordern daher von der EU-Lebensmittelsicherheitsbehörde Efsa, die europäische Zulassung für alle Neonikotinoide aufzuheben.

Diese Debatte heizt nun eine Studie an, die das Berliner Humboldt Forum for Food and Agriculture (HFFA) herausgeben hat. HFFA-Fachleute errechneten, welche wirtschaftlichen Folgen es hätte, würde der Einsatz dieser Substanzen verboten. Zwei Hersteller dieser Wirkstoffe – Bayer CropScience und Syngenta – haben diese Studie finanziert. Sie kommt zu dramatischen Ergebnissen. Zwei Beispiele:

-Raps: Ohne diese Wirkstoffe drohen etwa der Große Rapserdfloh und die Kleine Kohlfliege die Ernte um bis zu 15 % zu senken. „Der Ertrag eines Landwirts kann damit um 60 % schrumpfen“, erklärt Thomas Hahn, Leiter des Forschungsprojekts.

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-Zuckerrübe: Wird auf mit Neonikotinoiden gebeiztes Saatgut verzichtet, kann ein Befall etwa mit der Grünen Pfirsichblattlaus, die Vergilbungsviren überträgt, zu Ernteverlusten von bis zu 40 % führen. „Die Saatgutbehandlung mit Neonikotinoiden schützt meine jungen Rübenpflanzen vor Insekten und Viren, ohne dass ich zusätzlich spritzen muss“, sagt Landwirt Hans-Christian Koehler und Aufsichtsratsvorsitzender der Nordzucker AG.

„Die Beizung mit Neonikotinoiden trägt also zur sicheren Nahrungsmittelproduktion in Europa bei“, fasst Hahn zusammen. Der sozioökonomische Wertbeitrag durch diese Substanzen belaufe sich in Europa auf knapp 4 Mrd. €/Jahr. 50 000 Arbeitsplätze wären ohne diese Substanzen gefährdet – vor allem in der Landwirtschaft. Die Beizung mit diesen Substanzen helfe auch, Treibhausgasemissionen zu senken, da Landwirte weniger oft spritzen müssen.

Die Berechnung stößt auf Kritik. Tomas Brückmann vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) spricht von schlechtem Studiendesign. „Der ökonomische Nutzen der Bienen und anderer Bestäuber wie Hummeln und Schmetterlinge blieb unberücksichtigt.“

2008 starben viele Bienenvölker am Oberrhein durch das Neonikotinoid Clothianidin. Es wurde durch Abrieb beim Ausbringen von gebeiztem Maissaatgut frei. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) bestimmte daraufhin, dass in Deutschland mit Clothianidin gebeiztes Maissaatgut nur im äußersten Notfall eingesetzt werden darf.

Auch die EU-Bewertungsbehörde Efsa mischt sich in die Debatte ein. Ihre Fachleute schauten vorliegende Daten daraufhin durch, welche Folgen es für Bienen haben kann, wenn sie über Pollen, Nektar oder Stäube mit Clothianidin, Imidacloprid oder Thiametoxam in Kontakt kommen. Die ersten beiden Wirkstoffe stellt Bayer CropScience her, das dritte Syngenta aus der Schweiz.

Das Fazit: Die Efsa sieht bei allen drei Wirkstoffen und allen Übertragungswegen Risiken. „Wir erachten daher nur den Einsatz bei Nutzpflanzen, die für Bienen uninteressant sind, als risikofrei“, erklärt Sprecher Jan Op Gen Oorth – also etwa bei Kartoffeln, Zucker- und Futterrüben. Op Gen Oorth ergänzt, niemand wisse zurzeit, wie diese Wirkstoffe etwa auf Hummeln wirkten.

Für BUND-Mann Brückmann ist daher klar, Neonikotinoide dürfen im Rapsanbau nicht mehr eingesetzt werden. Er sieht auch den Einsatz dieser Wirkstoffe bei Zuckerrüben kritisch. Denn Bienen trinken in Trockenzeiten auch von Wassertropfen an anderen Pflanzen und können dabei diese Wirkstoffe aufnehmen.

So einfach könne man es sich nicht machen, ist aus der Landwirtschaft und von den Wirkstoffherstellern zu hören. So werde das Saatgut von Zuckerrüben seit Jahren in geschlossenen Räumen gebeizt, betont Erwin Ladewig vom Institut für Zuckerrübenforschung (IfZ) in Göttingen. Es wird dabei mit zwei Schichten ummantelt, die innere enthält die Wirkstoffe, die äußere schützt vor Abrieb.

„Beim Ausbringen des Saatguts besteht nur eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass Wirkstoffe über Stäube in die Umwelt gelangen“, so Ladewig. So professionell sei Maissaatgut in der Vergangenheit nicht immer gebeizt worden. Nach Angaben des Industrieverbands Agrar (IVA) bezeichnen die Hersteller von Clothianidin die Vorfälle von 2008 als Unfall, der sich nicht wiederholen könne.

Zudem verweist die Efsa bei Risiken durch die Aufnahme dieser Stoffe durch Pollen und Nektar auf Datenlücken. Das sei – juristisch gesehen – nicht die Schuld der Wirkstoffhersteller. Denn sie brauchten für die Zulassung nicht zu untersuchen, wie sich ihre Wirkstoffe auf Bienen und andere Bestäuber auswirken.

Der IVA kritisiert auch, dass sich die Efsa an einer Bienenrichtlinie orientiert hat, die noch nicht verabschiedet ist. Dennoch: Wirkstoffhersteller wie Bayer CropScience und Syngenta sind bereit, sich mit der Efsa zusammenzusetzen und wesentliche Datenlücken zu schließen. Denn in der EU werden Wirkstoffe meist alle zehn Jahre neu zugelassen – und dann müssen die Hersteller auch neue Erkenntnisse bewerten. RALPH H. AHRENS

 

Ein Beitrag von:

  • Ralph H. Ahrens

    Chefredakteur des UmweltMagazins der VDI Fachmediengruppe. Der promovierte Chemiker arbeitete u.a. beim Freiburger Regionalradio. Er absolvierte eine Weiterbildung zum „Fachjournalisten für Umweltfragen“ und arbeitete bis 2019 freiberuflich für dieverse Printmedien, u.a. VDI nachrichten. Seine Themenschwerpunkte sind Chemikalien-, Industrie- und Klimapolitik auf deutscher, EU- und internationaler Ebene.

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