Drucktechnik 14.05.2010, 19:46 Uhr

Ein Rührstab für die Farbkammer

Kaum eine Branche ist so konjunkturabhängig wie der klassische Druckmaschinenbau. Als Folge ist beständige Innovation eine der Hauptherausforderungen. Und das in einer Branche, in der eigentlich jeder jeden kennt. Forschung und Entwicklung sind wichtige Themen für die Unternehmen. Die Redaktion der VDI nachrichten konnte bei der Heidelberger Druckmaschinen AG einen Blick hinter die Kulissen werfen.

Mitten in Heidelberg, gerade mal fünf Minuten zu Fuß vom Bahnhof entfernt, herrscht in einer Halle ungewohnte Stille. Das Technikum der Forschung & Entwicklung (F&E) der Heidelberger Druckmaschinen AG ist der Ort, an dem die Ingenieure Neues ausprobieren. Druckmaschinen, ein Surren, Wummern, das Rauschen von Gebläsen oder das „Pfft“ von Druckluftprozessen könnten diese Halle füllen. Doch es ist weitgehend ruhig, eine gute Zahl der Maschinenstellplätze ist leer, ein paar Menschen verlieren sich im Raum.

„Das ist der Ipex geschuldet. Die neuen Maschinen sind schon auf dem Weg nach England“, erklärt Manfred Jurkewitz, Leiter Forschung und Entwicklung bei Heidelberger. Die Messe Ipex im englischen Birmingham ist nach der Düsseldorfer Drupa der größte Branchentreffpunkt weltweit. Der Aufbau dauert Wochen, viele Neuheiten sind früh unterwegs.

Jurkewitz verschweigt aber nicht: Die Stille ist auch der Kurzarbeit geschuldet. Es ist Freitag, am letzten Wochentag arbeiten durch die Kurzarbeit weniger Mitarbeiter. Denn den Weltmarktführer im Druckmaschinenbau hat die Wirtschaftskrise getroffen (s. Kasten). Nicht nur ihn, auch die Wettbewerber.

Für Jurkewitz ist die Kurzarbeit eine Herausforderung, denn er muss hoch motivierte Ingenieure und Naturwissenschaftler planmäßig von ihrer Arbeit abhalten. Immerhin 1300 Menschen arbeiten bei Heidelberg im Bereich F&E, davon 32 % mit Universitätsabschluss. „Es ist wichtig, in dieser Zeit eine Balance zu halten. Unsere besten Leute wollen zurzeit oft mehr tun, als sie dürfen. Das Ziel, unseren Kunden weiterhin Innovationen anzubieten, haben wir jedoch erreicht.“

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Zwei seiner besten Ingenieure stehen im Technikum an einer kleineren Druckmaschine: Vier Farbwerke – für Cyan, Magenta, Gelb und Schwarz –, rund 6 m lang, das ist eine Speedmaster SM 52.

So eine Offsetdruckmaschine hat für jede Farbe eine eigene Druckeinheit, kleine Türme, in die von oben Farbe eingefüllt wird, unten drunter durch läuft das zu bedruckende Papier. Die Farbkammer ist das Reservoir, aus dem die Offsetfarbe zum Druck in die Maschine abgegeben wird – eine längliche Wanne, über die ganze Druckbreite gezogen: Sie liegt ganz oben, direkt an einer Walze, auf der die Farbe dann aufgetragen wird.

„Offsetfarbe hat die Konsistenz eines ganz zähen Honigs“, sagt Hans Butterfass, einer der beiden Experten, die an der Maschine stehen, „und die muss jetzt mit der sehr schnell laufenden Rasterwalze kommunizieren und die Näpfchen dieser Rasterwalze füllen.“

„Schauen Sie jetzt mal von oben in die Farbkammer und sehen Sie, was passiert“, sagt Butterfass, der die Entwicklung der Klein- und Mittelformatmaschinen leitet. Die Maschine fährt surrend hoch, die Walze fängt an sich zu drehen. Die schwenkbare Rückwand der Farbkammer schiebt die Farbe Richtung Walze.

Plötzlich – da, wo Farbe und Walze zusammenkommen – fängt die Farbe an zu rotieren, es bildet sich fast über die ganze Länge vor der Walze eine Farbraupe, teilt sich schließlich und wandert die Rasterwalze entlang.

„Die Farbraupe schließt Luftblasen mit ein, große Luftblasen. Dort, wo die sind, habe ich helle Streifen auf dem Druckbild. Unverkäuflich, kein Mensch möchte eine Maschine, die solch einen Fehler hat, kaufen. Es hat uns viel Arbeit gekostet, dafür eine Lösung zu finden“, erklärt der große, schlaksige Maschinenbauingenieur, setzt aber verschmitzt lächelnd hinzu: „Aber wir haben eine gefunden.“

Der Experte ist ebenfalls Maschinenbauingenieur, heißt Wolfgang Schönberger und steht neben Hans Butterfass. „Wir haben einen Rührstab eingesetzt, der in der Farbkammer hin- und herfährt“, sagt Schönberger. 1 m/s ist der Stift schnell, der vor der Rasterwalze hin- und herfährt und so die Blasen zerstört. So ganz einfach war es nicht, wird deutlich. Schönberger ist kein Mann großer Worte, aber den einen oder anderen verlängerten Abend im Technikum wird er gehabt haben.

„Bei uns ist die Entwicklung auch verantwortlich für die Qualität und Zuverlässigkeit der Produkte“ erklärt Forschungsleiter Jurkewitz. Falls etwas nicht klappt, müssen die Entwickler raus zum Kunden. Das Problem lösen.

Damit das gar nicht erst passiert, gibt es Dauertests. „Das heißt, die Maschinen laufen Tag und Nacht, machen eine Menge Krach und liefern uns gleichzeitig eine Menge wichtiger Daten. Wir werten diese Ergebnisse aus, schauen, wo es Probleme gibt, und arbeiten möglichst rasch und effizient an einer Lösung.“

In einer Zeit mit knappen Ressourcen wie dieser ist eine Fokussierung wichtig. Jurkewitz betont, dass sich
F&E bei Heidelberger gewandelt hat. „Es ist schwierig, beim Innovationsmanagement Dinge zu stoppen. Schließlich hängen unsere Entwickler an ihren Projekten. Dennoch ist das nötig. Ich als Forschungsleiter möchte, dass wir uns noch stärker auf Aufgaben und Produkte konzentrieren, die wir unter den gegebenen Rahmenbedingungen auch wirklich umsetzen können.“

Dazu gibt es seit gut einem Jahr auch einen Technologiekreis, der systematisch Ideen bewertet. Knapp 60 Suchfelder nimmt der Technologiekreis aktuell unter die Lupe, fünf Entwickler, darunter Jurkewitz höchstpersönlich, gehören zu diesem Team.

Hinzu kommt, dass die Forscher sich regelmäßig im Atrium, in der Mitte des Forschungszentrums, zum persönlichen Wissensaustausch versammeln. Direkt über dem Technikum stellen dann die Forscher ihre Ideen vor. Dieser Infomarkt ist ein wesentliches Element von Bird, „Best in Research & Development“, ein Programm zur ständigen Verbesserung des F&E-Bereiches.

Austausch ist wichtig, denn die Heidelberger Druckmaschinen AG sieht sich als Technologiedienstleister. Da gilt es quer zu denken, für die Verwendung der Technik über den Druckprozess hinaus. Allein 60 Leute arbeiten an Themen wie organische Elektronik, Laserentwicklung und Oberflächenbehandlung.

Der umfangreichere Entwicklungsprozess, von dem Butterfass und Schönberger erzählen, kommt aber auch vor, nicht nur fokussierte Entwicklung. Die Technik, um die es geht, heißt Anicolor und ist eine der Langzeitentwicklungen bei Heidelberger. Seit 1997 hat Schönberger erste Erfahrungen damit gesammelt, auf der Messe Ipex 2006 stellte Heidelberger in einer SM 52-Vierfarbenmaschine Anicolor erstmals öffentlich vor.

„Eine Markteinführung ist manchmal auch mit Herausforderungen verbunden und es ist nicht nur so, dass alles sofort rund läuft“, sagt Butterfass. Charaktere wie Schönberger brauche ein Unternehmen, betont er: „Einen, der begeistert Jahr um Jahr für eine Idee kämpft.“ Das Besondere an Anicolor, so Butterfass: „Das ist keine gewöhnliche Offsetdruckmaschine, diese arbeitet mit einem farbzonenlosen Kurzfarbwerk.“

Butterfass‘ Fachchinesisch vom „farbzonenlosen Kurzfarbwerk“ bedeutet für den kleinen Druckbetrieb, den traditionellen Heidelberg-Kunden, den Abschied von einem typischen Teil des Druckprozesses.

Eigentlich wird beim Offset die Farbabgabe aus dem Farbkasten eingeteilt in Zonen, justierbar über Stellschrauben. In jeder Zone kann der kundige Drucker spielen: Jeder Druck ist anders, braucht hier oder dort ein wenig mehr oder weniger Farbe. „Das gibt es hier einfach nicht mehr“, sagt Butterfass und begründet, warum dies von Vorteil ist. „Immer, wenn etwas nicht mehr da ist, kann der Bediener es auch nicht mehr falsch einstellen.“ Die Rasterwalze, auf die die Farbe aus dem Farbkasten übertragen wird, sorgt durch ihre laserstrukturierte Oberfläche für die richtige Verteilung der Farbe. Sie kenne man aus dem Flexodruck, sagt Schönberger.

Wofür der Aufwand? Die kleineren Offsetmaschinen müssen wettbewerbsfähiger werden, auch gegenüber der Digitaldrucktechnologie, vor allem bei Kleinstauflagen. Brauchte ein Drucker bisher 100 bis 200 Papierbögen, bis die Maschine fertig eingerichtet ist, sind es, so Butterfass, mit Anicolor zehn bis 15 Bögen. Weniger Makulatur ist bares Geld. Und da die Drucker die Farbzonen nicht mehr einstellen müssen, verringern sich die Rüstzeiten um bis zu 40 %, dies erhöht die Verfügbarkeit der Druckmaschine um ein Viertel.

Zur Messe Ipex nächste Woche in Birmingham stellt Heidelberger Schönbergers neuestes Kind vor: die Anicolor für UV-trocknende Farben. Dann dürfte es auch vorbei sein mit der Stille: Denn auf einer Messe muss man schon etwas lauter werden. Schließlich will man gehört werden. swe

 

Ein Beitrag von:

  • Stephan W. Eder

    Stephan W. Eder

    Redakteur VDI nachrichten
    Fachthemen: Energie, Energierohstoffe, Klimaschutz, CO2-Handel, Drucker und Druckmaschinenbau, Medien, Quantentechnologien

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