Arbeitsrecht 20.04.2023, 09:08 Uhr

Flexibilität und Kontrolle: Neue Regelungen zur Arbeitszeiterfassung geplant

Arbeitsministerium plant elektronische Zeiterfassung für Beschäftigte. Das wird Auswirkungen für Millionen von Beschäftigten haben.

Zeiterfassung

Gesetzesreform zur Arbeitszeiterfassung: Was können Arbeitgeber und Arbeitnehmer erwarten?

Foto: PantherMedia / AndreyPopov

Millionen von Beschäftigten in Deutschland werden von einer bevorstehenden Reform des Arbeitszeitgesetzes betroffen sein, die vom Bundesarbeitsministerium vorangetrieben wird. Der Gesetzentwurf beinhaltet, dass die tägliche Arbeitszeit nun elektronisch erfasst werden soll.

Dieser Schritt ist eine Reaktion auf Urteile des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts, die eine Erfassung der Arbeitszeiten verlangen. Gemäß dem Entwurf sollen Arbeitgeber verpflichtet werden, den Beginn, das Ende und die Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer elektronisch aufzuzeichnen. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass die Aufzeichnung von den Arbeitnehmern selbst oder einem Dritten erfolgt. Darüber hinaus soll der Arbeitgeber auf Verlangen die aufgezeichnete Arbeitszeit zur Verfügung stellen.

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„Die Arbeitszeiten der Beschäftigten ufern immer mehr aus, die Zahl der geleisteten Überstunden bleibt seit Jahren auf besorgniserregend hohem Niveau“, zitiert die dpa die Worte des DGB-Vorstandsmitgliedes Anja Piel. Arbeitszeiterfassung sei ihren Worten zufolge kein bürokratischer Selbstzweck, sondern Grundbedingung, damit Ruhe- und Höchstarbeitszeiten eingehalten werden.

Was sieht der Gesetzentwurf vor?

Nachdem das Urteil des Bundesarbeitsgerichts ergangen war, kündigte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) eine Gesetzesreform an. In einem Interview mit der „Rheinischen Post“ erklärte er, dass es dabei um praxisorientierte Lösungen gehe und dass die Stechuhr nicht wieder eingeführt werde.

Im Gesetzentwurf wird nun vorgeschlagen, dass eine elektronische Arbeitszeitaufzeichnung vorgegeben werden soll. Dadurch soll es dem Arbeitgeber erleichtert werden, die aufgezeichnete Arbeitszeit zu kontrollieren, beispielsweise durch eine bessere Lesbarkeit und IT-gestützte Auswertung der Unterlagen. Dies erhöhe auch die Chance auf eine korrekte Erfassung.

Allerdings will das Arbeitsministerium keine spezifische Art der elektronischen Aufzeichnung vorschreiben. Neben den bereits gebräuchlichen Zeiterfassungsgeräten können auch andere Formen der elektronischen Aufzeichnung wie beispielsweise Apps auf einem Mobiltelefon in Betracht gezogen werden. Eine kollektive Arbeitszeiterfassung durch die Nutzung und Auswertung elektronischer Schichtpläne ist ebenfalls möglich, sofern daraus der Beginn, das Ende und die Dauer der täglichen Arbeitszeit abgeleitet werden können.

Übergangsregelung für die Einführung eines elektronischen Systems

Darüber hinaus ist eine Übergangsregelung für die Einführung eines elektronischen Systems geplant, die nach Unternehmensgröße gestaffelt ist. Arbeitgeber sollen generell bis zu einem Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes die Arbeitszeit nicht elektronisch, sondern beispielsweise handschriftlich aufzeichnen können.

Die Einführung der Pflicht zur Arbeitszeitaufzeichnung soll die Möglichkeit von „Vertrauensarbeitszeit“ nicht beeinträchtigen, wie es im Entwurf heißt. Damit ist ein flexibles Arbeitszeitmodell gemeint, bei dem der Arbeitgeber auf die Festlegung von Beginn und Ende der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit verzichtet.

Stimmen gegen die elektronische Zeiterfassung

Es gibt aber jetzt schon einige Kritikpunkte zu dem Gesetzentwurf. Oliver Zander, der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, bezeichnete den Entwurf als einen „Gruselkatalog“ an Bürokratie, Widersprüchlichkeiten und Fortschrittsverweigerung.

„Für viele Unternehmen ist die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung eine große Umstellung. Sie greift tief in die Unternehmenskultur ein, zwingt zu Kontrolle, wo bislang auf Vertrauensbasis gearbeitet wurde, und schafft eine völlig überflüssige Bürokratie. Aktuell arbeiten rund zwei Drittel der Beschäftigten, die von ihrem Arbeitgeber die Möglichkeit dazu bekommen, komplett oder teilweise im Homeoffice. Besonders in der Digitalwirtschaft ist eine auf Flexibilität und Vertrauen basierende Arbeitskultur wichtig, die Branche muss angesichts des immensen Fachkräftemangels attraktiv bleiben – die Arbeitszeiterfassung ist dabei absolut kontraproduktiv“, kommentierte Bitkom-Präsident Achim Berg. „Wenn das Bundesarbeitsgericht auf Basis des geltenden Rechts mehr als 34 Millionen Menschen in Deutschland zur minutiösen Erfassung ihrer Arbeitszeiten verpflichtet, dann zeigt das vor allem eines: Unser Arbeitsrecht passt nicht mehr in die Zeit und gehört sehr grundsätzlich überprüft und reformiert.“

59 Prozent der Unternehmen setzen Pflicht zur Arbeitszeiterfassung um

Seit September 2022 gilt in Deutschland die Verpflichtung für Arbeitgeber, die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten zu erfassen, einschließlich Arbeitsbeginn und -ende, Arbeitsdauer sowie Überstunden. Laut einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Digitalverbands Bitkom haben jedoch nur etwas mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen (59 Prozent) diese Vorgabe bereits umgesetzt. Ein Drittel (33 Prozent) hat die Arbeitszeit schon vor der Entscheidung erfasst und ein Viertel (26 Prozent) hat erst danach damit begonnen. 28 Prozent der Unternehmen haben noch keine Arbeitszeiterfassung, planen jedoch in diesem Jahr damit zu beginnen, während 12 Prozent planen, die Arbeitszeit zu erfassen, aber noch nicht wissen, ab wann. Insgesamt befolgen jedoch alle befragten Unternehmen die neue Vorgabe oder haben vor, dies zu tun.

Auf digitale Lösungen setzen

Die Unternehmen, die die Arbeitszeit bereits erfassen, nutzen größtenteils elektronische Systeme, die entweder am Computer (28 Prozent) oder per Smartphone-App (17 Prozent) verwendet werden. 25 Prozent setzen auf Stempel- oder Stechuhr, während je 20 Prozent ein stationäres Zeiterfassungssystem nutzen, das mittels Karte, Chip, Transponder oder Fingerabdruck bedient wird, oder Excel-Tabellen verwenden. Immerhin 16 Prozent der Unternehmen nutzen noch einen handschriftlichen Stundenzettel.

Dabei plädierte Berg: „Unternehmen sollten bei der Arbeitszeiterfassung auf digitale Lösungen setzen. Sie sind einfach zu bedienen und können auch im Homeoffice genutzt werden.“

Win-win-Situation für Arbeitgeber und Arbeitnehmer?

Ähnliche Ergebnisse erzielte die Befragung von tisoware, einem Experten für Zeiterfassung und Gruppenunternehmen des ERP+ Experten proALPHA. Diese Befragung wurde im Januar 2023 unter 1.000 Arbeitnehmern im deutschen Mittelstand durchgeführt und beschäftigte sich u.a. mit folgenden Fragen:

  • Wie sieht es aktuell in Unternehmen aus?
  • Ist der Mittelstand auf die Einführung der elektronischen Zeiterfassung vorbereitet?

Laut dieser Umfrage dokumentieren fast 90 Prozent der Befragten bereits ihre Arbeitszeit, jedoch bevorzugt auf Papier (25 Prozent) oder durch die Nutzung einer Stechuhr (24 Prozent). Einige (12 Prozent) setzen noch auf Excel-Tabellen. Moderne Tools wie eine App (11 Prozent), ein Internet-Browser (16 Prozent) oder ein zentrales digitales Erfassungssystem (18 Prozent) werden laut der Studie weniger häufig genutzt.

Die Mehrheit der Befragten sieht die bevorstehende Neuregelung positiv und erwartet eine Win-win-Situation für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Über die Hälfte der Befragten (56 Prozent) glaubt, dass die Dokumentation der Arbeitszeit Vorteile für Arbeitgeber bringt und 54 Prozent sehen auch Vorteile für Arbeitnehmer. Nur jeder Dritte befürchtet, durch die Dokumentation der Arbeitszeit zum gläsernen Mitarbeiter zu werden.

Nachholbedarf im Mittelstand

Markus Steinberger, Geschäftsführer bei tisoware (ein Unternehmen der proALPHA Gruppe) hat die Ausgangslage kommentiert:
„Unsere Studie zeigt deutlich, dass die Zeiterfassung im Mittelstand bereits häufiger zum Einsatz kommt als vielleicht erwartet wurde. Zudem kristallisiert sich heraus, dass ein Gesetz zur Zeiterfassung unter den Arbeitnehmenden eher positiv wahrgenommen wird. Allerdings geht aus der Befragung auch hervor, dass insbesondere der Mittelstand noch hinterher hinkt und großen Nachholbedarf hat. Denn viele kleinere und mittelgroße Betriebe sind noch meilenweit von einer rechtskonformen – also elektronischen – Arbeitszeiterfassung entfernt.“

Auch er plädierte dafür, dass für die Zeiterfassung vor allem moderne digitale Tools eingesetzt werden sollten. „Nicht nur aufgrund des Gesetzentwurfes, sondern auch aufgrund der durch Hybrid- und Remote-Arbeit immer mobiler werdenden Belegschaft, sollten moderne digitale Tools zur Erfassung gewählt werden, da sie den Vorgang vereinfachen und zentralisieren“

Warum ist die Arbeitszeiterfassung wichtig?

Die Arbeitszeiterfassung ist aus dem modernen Arbeitsleben nicht mehr wegzudenken. Damit kann man sicherstellen, dass die Arbeitszeiten der Mitarbeiter und der Mitarbeiterinnen den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. In vielen Ländern gibt es Arbeitszeitgesetze, die vorschreiben, wie lange Beschäftigte arbeiten dürfen und wie lange ihre Pausen sein müssen. Durch eine genaue Erfassung der Arbeitszeiten kann man gewährleisten, dass diese Vorgaben eingehalten werden.

Außerdem ist die Arbeitszeiterfassung wichtig, um sicherzustellen, dass die Mitarbeiter fair bezahlt werden. Viele Unternehmen bezahlen ihre Mitarbeiter auf Basis der geleisteten Arbeitszeit. Wenn die Arbeitszeiten nicht genau erfasst werden, kann es passieren, dass Mitarbeiter zu wenig oder zu viel bezahlt werden. Damit sorgt eine genaue Erfassung der Arbeitszeiten für mehr Fairness und Gerechtigkeit.

Arten der Arbeitszeiterfassung

Es gibt verschiedene Methoden und Systeme zur Erfassung von Arbeitszeiten. Hier sind einige der häufigsten Methoden:

  • Stempeluhr: Die Stempeluhr ist ein mechanisches System zur Erfassung der Arbeitszeit. Mitarbeiter stempeln beim Kommen und Gehen auf eine Karte und die Arbeitszeit wird automatisch berechnet. Dieses System ist einfach zu bedienen und relativ kostengünstig.
  • Zeiterfassungssoftware: Zeiterfassungssoftware wird auf einem Computer oder einem mobilen Gerät installiert und ermöglicht es den Mitarbeitern, ihre Arbeitszeit elektronisch zu erfassen. Mit so einer Software kann man auch Überstunden berechnen.
  • Biometrische Systeme: Biometrische Systeme verwenden die biometrischen Merkmale der Mitarbeiter, wie zum Beispiel Fingerabdrücke, zur Erfassung der Arbeitszeit.
  • Manuelle Erfassung: Bei der manuellen Erfassung müssen die Mitarbeiter ihre Arbeitszeit manuell auf einem Formular oder in einer Excel-Tabelle eintragen. Dieses System ist einfach, allerdings ist sie fehleranfällig und kann zu Betrug führen.

Die Frage hängt von verschiedenen Faktoren ab und kann unterschiedlich beantwortet werden. Manche Menschen sehen Vorteile in einer transparenten und geregelten Arbeitszeiterfassung, während andere Bedenken hinsichtlich möglicher Überwachung haben. Nun wird es sich zeigen, wie und ob die elektronische Arbeitszeiterfassung unser Arbeitsleben verändern wird.

Ein Beitrag von:

  • Alexandra Ilina

    Redakteurin beim VDI-Verlag. Nach einem Journalistik-Studium an der TU-Dortmund und Volontariat ist sie seit mehreren Jahren als Social Media Managerin, Redakteurin und Buchautorin unterwegs.  Sie schreibt über Karriere und Technik.

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