Geschwindigkeit auf Autobahnen 21.04.2023, 10:37 Uhr

Tempolimit in Deutschland – ja, nein, vielleicht?

Ein generelles Tempolimit auf Autobahnen ist immer wieder im Gespräch. Das führt stets zu heißen Diskussionen zwischen Gegnern und Befürwortern einer Geschwindigkeitsbegrenzung. Wir haben uns angeschaut, was für und was gegen eine Höchstgeschwindigkeit spricht.

Autos hohe Geschwindigkeit

In Europa darf nur noch auf deutschen Autobahnen schnell gefahren werden.

Foto: Panthermedia.net/filmfoto

Was hat Deutschland mit Ländern wie Nordkorea, Somalia oder Afghanistan gemein? Nun ja, es gehört zu den wenigen Ländern weltweit, in denen es noch kein generelles Tempolimit auf Autobahnen gibt. In Europa sind die Deutschen sogar die einzigen, die keine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung haben. Daran zu rütteln, ist jedoch schwierig, denn kaum ein anderes Thema lässt die Emotionen so gewaltig überkochen. Dabei ist die Mehrheit der Bevölkerung mittlerweile sogar für ein Tempolimit. Wir haben uns verschiedene Thesen, die rund um Geschwindigkeitsbeschränkungen immer wieder auftauchen, genauer angeschaut und versuchen sie, möglichst emotionsfrei zu beantworten.

These #1: Sorgt ein Tempolimit für mehr Sicherheit?

Hier wird von Gegnern eines Tempolimits gerne die Statistik zitiert. Tatsächlich ist es so, dass auf Landstraßen mehr Menschen sterben als auf Autobahnen. Aber was genau sagt uns das? Nicht viel. Auf Landstraßen sind zum Beispiel tendenziell mehr Zweiräder unterwegs oder es stehen Bäume am Straßenrand. Auch gibt es auf Autobahnen in der Regel keinen direkten Gegenverkehr, in den die Fahrzeuge hineinrauschen können. Womit einige häufige Ursachen von Verkehrstoten genannt sind.

Sicherlich wird auch die Technik in den Fahrzeugen immer besser und auch die Fahrzeuge selbst sind heute vergleichsweise sicher im Vergleich zu Autos aus den 70er-Jahren. Daher nehmen die schweren Unfälle mit Todesopfern auch immer weiter ab. Dennoch ist es rein physikalisch so, dass bei höheren Geschwindigkeiten größere Kräfte beim Aufprall wirken und es somit tendenziell zu schwereren Unfällen mit Personenschaden kommt.

Schaut man allein auf den Bremsweg, der sich mit zunehmender Geschwindigkeit exponentiell verlängert, lässt sich erahnen, dass ein Tempolimit für mehr Sicherheit sorgt. Zumal zum Bremsweg noch der Reaktionsweg kommt, der immer länger wird, je schneller Sie fahren. In den meisten Fällen passt zudem der Sicherheitsabstand nicht zur gefahrenen Geschwindigkeit. Dieser lässt sich zwar mittlerweile per ACC-Technik regeln, doch in vielen Autos gibt es sie noch nicht. Und dann gibt es noch diejenigen, die den Abstandstempomaten deaktivieren, weil sie damit nicht klarkommen.

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These #2: Senkt ein Tempolimit den Spritverbrauch?

Klar ist, dass der durchschnittliche Spritverbrauch unserer Fahrzeuge seit Jahren sinkt. Klar ist auch, dass immer mehr E-Autos auf unseren Straßen unterwegs sind. Der Spritbedarf auf deutschen Straßen wird dadurch noch weiter sinken. Ein Tempolimit würde aber dennoch dafür sorgen, dass wir sofort eine hohe Spritersparnis zu erwarten hätten.

Nach Zahlen des Umweltministeriums haben Autos in Deutschland etwa 24 Milliarden Liter Benzin und etwa 18 Milliarden Liter Diesel verbraucht. Das Ministerium hat ausgerechnet, dass wir bei einem Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen 600 Millionen Liter Sprit einsparen, bei Tempo 100 km/h sind es sogar 1,7 Milliarden Sprit.

Schaut man sich nur die Prozentzahlen an, klingt es weniger spannend. Bei Tempo 130 km/h sind es es 1,5 Prozent Spritersparnis, bei 100 km/h ist immerhin eine Spritersparnis von etwa 4 Prozent zu erwarten. Ursachen für einen höhen Spritverbrauch mit steigender Geschwindigkeit sind unter anderem ein höherer Luft- und Rollwiderstand.

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These #3: Sinkt durch ein Tempolimit die Staugefahr?

Das ist eine kniffelige Frage. Generell betrachtet nein, genauer hingeschaut jedoch schon. Bei freier Strecke, auf der jeder so schnell fahren kann, wie es der Wagen hergibt, ohne dass eine Behinderung durch andere Verkehrsteilnehmer stattfindet, bringt ein Tempolimit in der Tat nichts. Doch zu welchen Uhrzeiten und auf welchen Strecken ist überhaupt noch eine freie Fahrt möglich.

Optimal ist es, für verschiedene Verkehrsdichten verschiedene Geschwindigkeiten als Tempolimit vorzugeben, um die Staugefahr zu verringern. Das geschieht auf vielen Strecken mit Verkehrsleitsystemen und der Hilfe von Wechselverkehrszeichen. Gäbe es diese Systeme über das gesamte Autobahnnetz, bräuchten wir über ein generelles Tempolimit sicherlich nicht diskutieren. Zumindest, wenn es um die Stauvermeidung geht.

Messungen haben ergeben, dass die Staugefahr umso niedriger ist, je homogener ein Verkehrsstrom unterwegs ist. Das passiert, wenn alle Verkehrsteilnehmer annähernd mit gleicher Geschwindigkeit unterwegs sind. In diesem Fall finden seltener Spurwechsel statt und es kommt nicht so oft zu stärkeren Bremsvorgängen, wenn ein schnelles Fahrzeug auf eine langsam fahrende Kolonne auffährt. Diese führen immer wieder zu „Stau aus dem Nichts“.

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Verkehrsleitsystem mit Wechselverkehrszeichen

Verkehrsleitsysteme mit Wechselverkehrszeichen bieten eine gute Möglichkeit, die Geschwindigkeit auf Autobahnen bedarfsgerecht zu steuern.

Foto: Panthermedia.net/Joerg Hackemann

These #4: Senkt ein Tempolimit die Konzentrationsfähigkeit?

Dieses Argument kommt immer wieder von Gegnern des generellen Tempolimits auf Autobahnen. Es ist sicher auch nachvollziehbar, denn bei Tempo 200 müssen wir sicherlich aufmerksamer sein als bei Tempo 120. Das „müssen“ implementiert aber auch, dass es nicht immer so ist. Und dann sind die Gefahren, die von einem schnellen Fahrzeug ausgehen ungleich höher als bei einem langsameren Auto. Zumal sich solche hohe Konzentrationsleistungen in der Regel nicht über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten lassen.

Schaut man auf unsere Nachbarländer, lässt sich vielleicht etwas lernen. In den Niederlanden sind tagsüber zum Beispiel seit einiger Zeit nur noch 100 km/h erlaubt. Viele Deutsche finden es sehr entspannend, dort unterwegs zu sein. Es dauert zwar etwas länger, ehe man die Nordsee erreicht, doch man ist am Ende bei weiten nicht so gestresst, als wenn man in Deutschland ans Meer fährt. Aber natürlich gibt es auch Stimmen, die solch eine Fahrerei als ermüdend finden.

Klar, es fließt weniger Adrenalin durch unsere Adern, wenn wir langsamer fahren. Das sorgt erst einmal dafür, dass unser Gehirn nicht unter Volllast arbeitet. Ein Adrenalinkick (und der kommt bei schnellem Fahren ganz automatisch), sorgt hingegen für einige positive Effekte. Wir fühlen uns aufmerksamer und frischer. Allerdings lassen sich solche Gefühle nicht über längere Zeit konservieren – ganz im Gegenteil, nach solch einer Adrenalinausschüttung ermüden wir umso schneller. Wer längere Strecken fährt, für den ist schnelles Fahren eher kontraproduktiv.

These #5: Gilt die Regel – wer schneller fährt, ist schneller da?

Bei freier Strecke ist es sicherlich so, dass man mit einer höheren Geschwindigkeit schneller am Ziel ist. Dem können auch Gegner des Tempolimits nicht widersprechen, das ist einfache Physik. Sobald es jedoch zu „Störungen“ auf der Strecke kommt, in diesem Fall in Form langsamer fahrenden Verkehrsteilnehmern, hilft es nur noch bedingt, den Fuß stets auf dem Gaspedal zu haben.

Wie oft lässt sich beobachten, wie Autofahrer mit 200 km/h auf eine langsamer fahrende Kolonne auffahren, nur um dann voll in die Eisen zu steigen. Nachfolgende Fahrzeuge, die konstant mit 130 km/h gefahren sind, schließen schnell wieder auf. Zeitgewinn gleich Null, dafür Bremsen, Reifen und Nerven belastet.

Sicherlich sind Sie nach 200 oder 300 Kilometern einige wenige Minuten schneller am Ziel als andere, die gleichmäßig mit einer gemäßigten Geschwindigkeit unterwegs waren. Dafür hatten Sie jede Menge Stress und auch Ihr Wagen wurde beim ständigen Bremsen und Beschleunigen ziemlich strapaziert. Zumal es zu weniger Staus kommt, wenn alle Fahrzeuge in etwa der gleichen Geschwindigkeit unterwegs sind. Und Staus sind nun einmal die größten Zeitfresser.

These #6: Ist ein Tempolimit gut für die Umwelt?

Hier ist es ähnlich wie beim Spritverbrauch, die Gegner eines Tempolimits argumentieren beim CO2-Ausstoß häufig mit Prozentzahlen – gerne wird auch der weltweite CO2-Ausstoß herangezogen und gezeigt, wie wenig Einfluss der deutsche Straßenverkehr darauf hat. Kann man machen und ist sicherlich auch richtig, allein von den Zahlen betrachtet. Doch dies zeigt nicht auf, wie viele Millionen Tonnen CO2 wir jährlich weniger in die Atmosphäre pusten würden, wenn wir das Tempo auf unseren Autobahnen drosseln würden.

Das Umweltbundesamt hat 2020 Zahlen veröffentlicht: Im Jahr 2018 verursachten PKW und leichte Nutzfahrzeuge auf deutschen Autobahnen Treibhausgasemissionen in der Höhe von rund 39,1 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Durch ein generelles Tempolimit von 120 km/h könnte dieser Wert um 2,6 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente reduziert werden, das sind rund 6,6 Prozent. Würde man sogar ein Tempolimit von 100 km/h einführen, ließen sich 5,4 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente einsparen.

Ein weiterer Aspekt in Sachen Umwelt: Führen Autobahnen nah an Wohngebieten vorbei, ist der Lärmschutz stets ein wichtiges Thema. Oft müssen kostspielige Maßnahmen ergriffen, um eine Lärmbelästigung in einem erträglichen Rahmen zu halten. Ein Tempolimit kann dabei helfen. Je langsamer Fahrzeuge unterwegs sind, desto weniger Lärm verursachen sie. Hinzu kommt, dass es durch die geringeren Geschwindigkeitsunterschiede zu weniger Brems- und Beschleunigungsvorgängen kommt, die besonders lärmintensiv sind.

These #7: Schadet ein Tempolimit der deutschen Autoindustrie?

Deutschland ist bekannt und beliebt für seine Autobauer. BMW, Mercedes, Porsche, VW, Audi und Co. haben auf der ganzen Welt einen gut Klang. Insbesondere die großen SUVs, leistungsstarken und schnellen Limousinen und Sportwagen Made in Germany werden überall gerne gekauft. Und das, obwohl es nahezu überall auf der Welt Tempolimits gibt, wie wir eingangs erwähnt haben.

„Ich sehe keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen einem möglichen Tempolimit und dem befürchteten Einbruch von Absatzzahlen der Automobilindustrie. In den USA beispielsweise gilt auf vielen Interstates ein Tempolimit zwischen 70-75 mph, also 112-120 km/h. Dennoch sind die Fahrzeuge deutscher Premium-Hersteller sehr präsent. Auch dort werden Porsche gekauft, die über 300 km/h fahren könnten, die aber im Realbetrieb niemand ausfahren kann.“ CEO Stefan Reindl vom Institut für Automobilwirtschaft (IfA) zur Süddeutschen Zeitung.

Es ist daher nicht zu befürchten, dass weniger deutsche Autos verkauft werden, wenn es ein Tempolimit auf Autobahnen gibt. Klar – sie können dann nicht mehr im öffentlichen Straßenverkehr ausgefahren werden. Wer den Kick braucht, mit 300 km/h unterwegs zu sein, kann diesen jedoch immerhin auf verschiedenen deutschen Rennstrecken zu bestimmten Zeiten haben.

These #8: Reduziert ein Tempolimit die persönliche Freiheit?

Natürlich reduziert ein Tempolimit die persönliche Freiheit – so wie die zigtausend anderen Regeln und Gesetze ebenfalls, die uns täglich begegnen. Manche sind nützlicher, andere müssten nicht unbedingt sein. So zumindest unsere persönliche Einschätzung. Nun ist es jedoch so, dass diese Einschätzungen von Mensch zu Mensch anders sind, es ist daher nahezu unmöglich, es allen recht zu machen.

Hinzu kommt: Bedeutet persönliche Freiheit auch, dass andere Menschen durch das Verhalten einzelner in ihrer Freiheit eingeschränkt werden dürfen? Dass die Umwelt dadurch geschädigt werden darf? Das alles sollten wir im Blick haben, wenn wir für oder gegen ein Tempolimit sind.

Normalerweise sollte nichts dagegensprechen, wenn wir ab und zu schneller auf der Autobahn unterwegs sind. Ist die Straße frei und wird niemand dadurch gefährdet, mag ein Tempolimit für viele störend wirken. In der Praxis führt das allerdings auch dazu, dass Autos schnell unterwegs sind, obwohl es die Verkehrssituation nicht hergibt. Dass es andere Autofahrer bedrängt werden und in Stress geraten, wenn sich sehr viel schnellere Fahrzeuge nähern.

Diese argumentieren dann gerne damit, dass es in Deutschland ein Rechtsfahrgebot gibt. Das stimmt, es bedeutet jedoch nicht, dass langsame Autos die Pflicht haben, schnellere Fahrzeuge immer und in jeder Situation vorbeilassen zu müssen. Dieses Gebot gilt nämlich erst, wenn die rechte Spur deutlich länger als 20 Sekunden vor dem nächsten Überholvorgang genutzt werden kann. Es kann daher nicht gefordert werden, dass sich ein mit 130 km/h fahrendes Auto zwischen zwei LKWs zwängt und auf 90 km/h abbremst, nur weil ein anderer Wagen von hinten mit 200 km/h anbraust und freie Fahrt haben möchte.

Sie sehen, das mit der Freiheit ist nicht immer einfach zu lösen und führt immer wieder zu Konflikten. Das gilt insbesondere immer dann, wenn mehrere Menschen aufeinandertreffen, die ein anderes Verständnis von Freiheit haben. Oder die in ihrer Freiheit eingeschränkt werden, weil andere glauben, ihre Freiheit voll ausleben zu müssen. Im Straßenverkehr kann das gefährlich werden, das sollte jeder im Kopf haben.

These #9: Hat ein Tempolimit einen ökonomischen Nutzen?

Häufig wird im Autofahrerland Deutschland argumentiert, ein Geschwindigkeitslimit auf Autobahnen sei gefährlich und wirtschaftlich schädlich. Eine Studie, die im April 2023 im Fachjournal „Ecological Economics“ veröffentlicht wurde, kommt zu einem ganz anderen Ergebnis. Die internationale Expertengruppe ermittelte Wohlfahrtsgewinne von mindestens 950 Millionen Euro pro Jahr. Hier geht es zum Beispiel um eingesparten Treibstoff, um weniger Unfälle, geringere Lieferkettenkosten und Einsparungen bei der Infrastruktur. Der Begriff „Wohlfahrt“ steht in der Ökonomie für den Nutzen Einzelner oder der Gesellschaft.

Professor Udo Becker vom Institut für Verkehrsplanung und Straßenverkehr an der TU Dresden bewertete die Ergebnisse der Studie positiv. Demnach sei ein Tempolimit aus volkswirtschaftlicher Sicht sehr vorteilhaft, da Fahrerinnen und Fahrer dadurch jährlich 766 Millionen Euro sparen könnten. Professor Felix Creutzig vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin nannte die Annahmen und Methodik der Studie plausibel. Die Annahmen seien konservativ getroffen, insbesondere bei den sozialen Kosten der CO2-Emissionen.

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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