Alarm in Häfen: Schiffe lösen Methan aus Meeresboden
Schiffe lösen in flachen Gewässern Methan aus dem Meeresboden – ein übersehener Klimafaktor, der globale Emissionsbilanzen verändern könnte.

Schiffsverkehr im Hafen: Neue Studien zeigen, dass allein die Bewegung großer Schiffe in flachen Gewässern erhebliche Mengen Methan freisetzen kann – ein bislang unterschätzter Klimafaktor.
Foto: Smarterpix / I_am_Daniel
In der Debatte um den Beitrag des Schiffsverkehrs zum Klimawandel stehen meist Diesel, Schweröl und die Emission von Kohlendioxid im Fokus. Doch aktuelle Forschung zeigt: Auch Schiffe, die scheinbar emissionsarm fahren, verursachen Treibhausgase – ganz ohne Auspuff. Besonders in flachen Gewässern wie Hafeneinfahrten oder Flussdeltas fördern Schiffsdurchfahrten die Freisetzung großer Mengen Methan aus dem Meeresboden.
Methan: Der unsichtbare Klimafaktor unter Wasser
Methan gilt als eines der wirksamsten Treibhausgase – über einen Zeitraum von 100 Jahren wirkt es rund 27-mal stärker als CO₂. Es entsteht unter anderem in sauerstoffarmen, organikreichen Sedimentschichten auf dem Meeresgrund. Wird dieses Gleichgewicht gestört, gelangt das Methan in die Wassersäule und schließlich in die Atmosphäre. Genau das passiert, wenn Schiffe durch flache Küstengewässer fahren.
Ein Forschungsteam der Chalmers University of Technology in Göteborg hat diesen bislang übersehenen Effekt erstmals systematisch untersucht – mit alarmierenden Ergebnissen.
Schiffsdurchfahrten als Methan-Treiber
Im Zentrum der Studie steht die Newabucht bei Sankt Petersburg, eine flache, stark befahrene Bucht in der Ostsee. In zwei umfangreichen Messkampagnen dokumentierten die Forschenden insgesamt 464 Schiffspassagen. In 28 % dieser Fahrten kam es zu einer deutlichen Methanfreisetzung. Besonders auffällig: Große Containerschiffe und Kreuzfahrtschiffe lösten in rund drei Vierteln der Fälle sogenannte „Methanschübe“ aus. Auch RoPax-Fähren – eine Kombination aus Passagier- und Frachtfähre – zeigten auffällige Emissionsraten.
Die Ursache liegt im Zusammenspiel physikalischer Effekte: Wenn ein Schiff durch flaches Wasser fährt, entsteht unter dem Rumpf ein Druckabfall – der sogenannte „Squat-Effekt“. Ab einem Druckabfall von etwa 60 Millibar steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Methangas aus dem Sediment austritt. Parallel erzeugen die Schiffsschrauben Turbulenzen, die die Wasserschichten durchmischen. Das fördert den Gasaustausch mit der Atmosphäre.

Schiffe wirbeln in flachen Gewässern den Meeresboden auf und setzen Methan frei.
Foto: Chalmers University of Technology | Amanda Nylund
20-mal mehr Methan als in ruhigen Gewässern
Die Methankonzentrationen lagen im untersuchten Abschnitt der Fahrrinne bei rund 11,1 Millimol pro Quadratmeter und Tag – rund 20-mal höher als in ungestörten Nachbarzonen. Auf eine Sommersaison hochgerechnet entspricht das einem Ausstoß von über 10 Tonnen Methan. Das wiederum entspricht – je nach Bewertungszeitraum – bis zu 0,85 Gigagramm CO₂-Äquivalenten.
„Unsere Messungen zeigen, dass Schiffsdurchfahrten deutliche Impulse für hohe Methanflüsse aus dem Wasser in die Atmosphäre auslösen“, erklärt Amanda Nylund, Mitautorin der Studie. Brisant: Diese Emissionen stammen nicht aus den Maschinen – sie entstehen durch das Zusammenspiel von Schiff, Wasser und Sediment.
Methan und seine Klimawirkung
✅ Methan ist rund 27-mal klimaschädlicher als CO₂ (über 100 Jahre).
✅ In Küstengewässern entsteht Methan vor allem durch Zersetzung organischen Materials im Sediment.
✅ Wird Methan als Blase (Ebullition) freigesetzt, gelangt es fast ungehindert in die Atmosphäre.
✅ Schiffsdurchfahrten können diesen Prozess gezielt auslösen – ungewollt, aber systematisch.
Ein globales Phänomen
Die Forschenden betonen, dass der Effekt nicht auf die Newabucht beschränkt ist. Viele der größten Häfen weltweit – etwa in China, Singapur, Südkorea oder Europa – liegen in ähnlich flachen, sedimenteichen Gewässern. Auch Flusssysteme in Deutschland oder die Seezugänge von Antwerpen und Rotterdam erfüllen vergleichbare Bedingungen. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir auch dort die Methanemissionen unterschätzen“, sagt Ida-Maja Hassellöv, Professorin für Meeresumweltwissenschaften an der Chalmers-Universität.
Besonders relevant wird das mit Blick auf den Klimawandel: Steigende Wassertemperaturen können die biogene Methanproduktion im Sediment weiter anregen. Das bedeutet, dass auch bei gleichbleibendem Schiffsverkehr künftig mehr Methan freigesetzt werden könnte.
Unabhängig vom Treibstoff
Ein überraschendes Ergebnis der Studie: Die Methanfreisetzung hängt nicht vom verwendeten Schiffskraftstoff ab. LNG-Schiffe, die wegen möglicher Leckagen häufig im Fokus stehen, sind hier nicht die Hauptverursacher. „Die gemessenen Emissionen sind vollständig von der Wahl des Schiffskraftstoffs entkoppelt“, so Amanda Nylund. Die Bewegung allein – also hydrodynamische Effekte – führt zur Freisetzung des Methans.
Das hat Konsequenzen: Klimabilanzen, die sich nur auf die Abgase konzentrieren, bilden die Realität nicht vollständig ab. In einigen Fällen könnte das zusätzliche Methan bis zu 35 % der eigentlichen CO₂-Emissionen eines Schiffes entsprechen. Diese Werte fehlen bisher in internationalen Emissionsinventaren.
Was lässt sich tun?
Lösungen für dieses Problem sind komplex. Technische Maßnahmen an Bord helfen nicht weiter – denn die Emissionen entstehen durch physikalische Wechselwirkungen mit dem Wasser. Ein Ansatz wäre die Reduktion von Geschwindigkeit und Schiffsgröße, zumindest in besonders gefährdeten Gewässerabschnitten. Schiffe mit geringerer Geschwindigkeit und weniger Tiefgang erzeugen kleinere Druckunterschiede und weniger Turbulenzen – das reduziert den Methanausstoß messbar.
Zudem fordern die Forschenden eine Neubewertung der Messpraxis. Bislang meiden viele Klimamessungen bewusst die Hauptschifffahrtsrouten – um Störungen zu vermeiden. Damit bleiben genau die Emissionen unsichtbar, die das Klimaprofil der Seeschifffahrt erheblich beeinflussen könnten.
„Der nächste Schritt besteht darin, abzuschätzen, wie groß diese Effekte weltweit sein können“, sagt Johan Mellqvist, Professor für optische Fernerkundung an der Chalmers-Universität. Sein Team hatte das Phänomen ursprünglich zufällig entdeckt – bei anderen Messungen in der Newabucht.
Ein Beitrag von: