Abwracken mit System: Schiffsrecycling unter neuen Regeln
Bislang wurden viele Schiffe in Asien ohne Rücksicht auf die Umwelt abgewrackt. Nun startet Deutschland mit dem Schiffsrecycling.

In Deutschland nimmt das Schiffsrecycling langsam Fahrt auf.
Foto: PantherMedia / leungchopan
Deutschland startet mit dem Recycling ausgemusterter Schiffe. In Emden wurde die erste Genehmigung erteilt, Schiffe klimafreundlich und sicher zu zerlegen. Die neue Anlage folgt den Vorgaben der Hongkong-Konvention, die weltweit verbindliche Umwelt- und Arbeitsschutzstandards einführt. Damit nimmt Deutschland eine Vorreiterrolle beim fairen Schiffsabbau ein – ein wichtiger Schritt gegen die bisherigen Missstände in Südasien.
Inhaltsverzeichnis
- Deutschland recycelt erste Schiffe
- Internationales Regelwerk tritt in Kraft
- Verheerende Bedingungen an südasiatischen Stränden
- Emden als Modell für nachhaltiges Recycling
- Zukunftsperspektive: Emden, Stralsund – und mehr?
- Kritik an der Konvention – und der Ausblick
- Wie funktioniert Schiffsrecycling?
- Historischer Rückblick: Wie sich das Geschäft verlagerte
- Rohstoffquelle für die Industrie
- Nutzung von Schiffswracks als Alternative zum Recycling
Deutschland recycelt erste Schiffe
Jahrzehntelang landeten ausgediente Schiffe an Stränden in Südasien – zerlegt unter teils katastrophalen Bedingungen für Mensch und Umwelt. Jetzt kommt Bewegung in das Thema: Deutschland beginnt, seine Schiffe selbst und nach strengen Standards zu recyceln. Die EWD Benli Recycling GmbH in Emden hat als erstes Unternehmen hierzulande die offizielle Genehmigung erhalten, ausgemusterte Schiffe fachgerecht zu zerlegen.
Was lange Zeit undenkbar schien, wird Realität: Mit dem Start in Emden vollzieht die Branche einen Paradigmenwechsel. Gemeinsam mit der Emder Werft und Dock GmbH sowie dem Industrieabbau-Spezialisten Relog sollen künftig Seeschiffe, Binnenschiffe, Fähren und Fahrgastschiffe direkt vor Ort zurückgebaut werden – vorausgesetzt, sie passen durch die Große Seeschleuse in Emden.
„Im Prinzip können wir künftig alles zerlegen, was durch die Seeschleuse in den Emder Hafen einlaufen kann“, erklärt Geschäftsführer Björn Sommer. Schon vor der offiziellen Genehmigung habe es erste Anfragen gegeben – nun steigt das Interesse deutlich.
Internationales Regelwerk tritt in Kraft
Die Entwicklung in Emden fällt zeitlich zusammen mit einer historischen Neuerung: Nach 16 Jahren tritt endlich die Hongkong-Konvention der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) in Kraft. Damit gelten weltweit erstmals verbindliche Mindeststandards beim Schiffsrecycling.
„Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung“, sagt Anja Binkofski, Doktorandin am Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven. Die Konvention verpflichtet künftig alle Schiffe zu einem Gefahrenstoffpass, der genau dokumentiert, welche Materialien verbaut wurden – von Asbest über Altöl bis hin zu giftigen Lackpartikeln.
Zudem müssen Werften künftig zertifiziert sein, um den Rückbau überhaupt durchführen zu dürfen. „Damit verpflichten sie sich, einen gewissen Standard an Arbeits- und Umweltschutz zu haben“, so Binkofski weiter. Derartige Vorgaben könnten die europäische Schiffsrecyclingbranche langfristig stärken – zumal bislang rund 90 Prozent der weltweiten Schiffsverschrottung in Ländern wie Indien, Bangladesch oder Pakistan stattfinden.
Verheerende Bedingungen an südasiatischen Stränden
Noch immer geschieht die Mehrheit des Schiffsrecyclings unter gefährlichen und umweltschädlichen Bedingungen. Auf den berüchtigten Stränden von Alang (Indien) oder Chittagong (Bangladesch) zerlegen Tagelöhner Schiffe von Hand – meist ohne jede Schutzkleidung. Gasexplosionen, Stürze und herabfallende Stahlteile sind dort Alltag. 2023 starben laut der NGO „Shipbreaking Platform“ neun Menschen, 45 wurden schwer verletzt.
„Ein Schiff hat einfach sehr, sehr viele giftige Materialien verbaut“, erklärt Binkofski. Wenn solch ein Schiff auf dem Strand liegt und dort auseinandergenommen wird, „dann fallen zum Beispiel diese kleinen Partikel von der Farbe einfach auf den Strand. Bei der nächsten Flut werden sie weggeschwemmt und kommen ins Wasser.“
Emden als Modell für nachhaltiges Recycling
In Deutschland soll das anders laufen: In Emden wird nicht am Strand, sondern in einer kontrollierten Werftumgebung gearbeitet. Die Demontage beginnt mit der fachgerechten Entsorgung gefährlicher Stoffe wie Asbest oder Ölrückständen. Danach werden Rumpf und Aufbauten mit modernen Verfahren wie Plasma- oder Wasserschneidern zerlegt.
Besonderes Augenmerk liegt auf dem Recyclingwert: Etwa 95 % eines Schiffs können wiederverwertet werden. Vor allem Altstahl ist gefragt – er kann mit deutlich weniger Energie eingeschmolzen werden als Primärstahl aus Eisenerz. Das macht ihn attraktiv für die klimafreundlichere Industrieproduktion.
Zukunftsperspektive: Emden, Stralsund – und mehr?
Aktuell richtet sich die Emder Recyclinganlage vor allem an Behörden, öffentliche Betreiber und Havaristen. Doch das Potenzial reicht weiter. „Jetzt am Anfang wird es vermutlich um eher kleinere Schiffe gehen“, so Binkofski. Doch schon bald könnten auch Containerschiffe in Deutschland recycelt werden. Weitere Standorte sind bereits in Planung, etwa in Stralsund, wo die Leviathan GmbH auf eine Genehmigung hofft.
Die Hoffnung: Deutschland könnte sich ein neues Standbein in der maritimen Kreislaufwirtschaft aufbauen. Die Nachfrage ist da – jährlich werden weltweit etwa 700 Hochseeschiffe ausgemustert. In den kommenden zehn Jahren könnten es über 15.000 werden, schätzt der internationale Schifffahrtsverband Bimco.
Kritik an der Konvention – und der Ausblick
Trotz der großen Bedeutung der Hongkong-Konvention bleibt Kritik nicht aus. Die Regeln basieren noch immer auf dem Stand von 2009. Ein zentrales Problem: Das Recycling auf Stränden ist nach wie vor nicht ausdrücklich verboten. „Wenn man Beaching verbietet, müssten all diese Werften Trockendocks bauen. Das ist einfach unglaublich teuer und gar nicht richtig umzusetzen“, gibt Binkofski zu bedenken.
Ob die Konvention den Arbeits- und Umweltschutz tatsächlich nachhaltig verbessern wird, bleibt offen. „Es ist wirklich eine Frage des Willens“, sagt die Wissenschaftlerin. Der Druck müsse aus der Branche selbst kommen – von Reedereien, Werften und politischen Akteuren.
Wie funktioniert Schiffsrecycling?
Das Zerlegen eines Schiffes ist ein komplexer Prozess. Zunächst werden Schadstoffe wie Asbest oder Altöl fachgerecht entfernt. Danach beginnt die eigentliche Demontage – per Plasmaschneider, Brennschneider oder mit emissionsarmen Wasserschneidgeräten. Anschließend werden die Materialien sortiert: Stahl, Buntmetalle, Kunststoffe, Elektronik.
Etwa 95 % eines Schiffs können recycelt oder wiederverwendet werden. Besonders wertvoll ist der Stahl: Er lässt sich in der Industrie zur klimafreundlicheren Produktion einsetzen, denn das Einschmelzen von Altstahl verbraucht deutlich weniger Energie als die Erzeugung aus Eisenerz.
Historischer Rückblick: Wie sich das Geschäft verlagerte
Noch bis ins 20. Jahrhundert gab es auch in Europa viele Abwrackwerften. In Wilhelmshaven etwa wurden nach dem Ersten Weltkrieg hunderte Kriegs- und Handelsschiffe zerlegt. Erst ab den 1970er Jahren verlagerte sich die Branche zunehmend nach Südostasien.
1976 wurden rund 60 % der weltweiten Abbruchtonnage in Taiwan verschrottet, in Spanien etwa 20 % – Europa war noch stark vertreten. Heute dagegen dominiert Alang in Indien, gefolgt von Chittagong (Bangladesch) und Gadani (Pakistan). Gemeinsam übernehmen diese Zentren etwa drei Viertel des weltweiten Schiffsabbruchvolumens.
Rohstoffquelle für die Industrie
Schiffe enthalten nicht nur wertvolle Rohstoffe wie Stahl, sondern auch Elektronik, Kupfer, Maschinen, Aggregate und sogar Holz. Der Sekundärrohstoffmarkt profitiert direkt vom strukturierten Rückbau. In Ländern wie Bangladesch deckt das Schiffsrecycling bereits bis zu 80 % des nationalen Stahlbedarfs.
Auch für deutsche Stahlhersteller ist das Thema interessant – denn Altstahl ist ein Baustein auf dem Weg zur klimafreundlicheren Produktion.
Nutzung von Schiffswracks als Alternative zum Recycling
Nicht alle ausgedienten Schiffe werden vollständig verschrottet. Manche Wracks bleiben – nach dem Ausbau verwertbarer Teile und der Beseitigung gefährlicher Substanzen wie Asbest, Altöl oder Teer – bewusst erhalten. In bestimmten Fällen erfolgt sogar eine kontrollierte Versenkung. Das geschieht jedoch nicht zufällig oder aus wirtschaftlicher Bequemlichkeit, sondern verfolgt gezielte Zwecke.
Künstliche Riffe als Lebensraum
Eine häufige Nutzungsmöglichkeit liegt im ökologischen Bereich: Das versenkte Wrack dient als künstliches Riff. In strukturarmen Meeresregionen bieten die metallischen Strukturen Lebensraum für Fische, Muscheln und Korallen. So entstehen neue Biotope, die die marine Biodiversität fördern. Voraussetzung dafür ist eine sorgfältige Vorbehandlung des Schiffs. Schadstoffe müssen entfernt und Öffnungen geschaffen werden, damit Wasser gut zirkulieren kann.
Ein bekanntes Beispiel ist der ehemalige US-Flugzeugträger USS Oriskany. Die United States Navy ließ das 266 Meter lange Schiff im Jahr 2006 vor der Küste Floridas versenken. Zuvor wurde es von gefährlichen Materialien befreit und vorbereitet, um Tauchern und Meerestieren gleichermaßen zugänglich zu sein. Heute ist es ein beliebter Tauchspot und ein funktionierendes künstliches Riff.
Erlebnisse unter Wasser und militärische Nutzung
Neben ökologischen Zielen spielt auch der Tourismus eine Rolle. Gut zugängliche Wracks ziehen Taucherinnen und Taucher an und fördern den Unterwassertourismus. Gleichzeitig bieten sie Forschenden die Möglichkeit, die Besiedlung künstlicher Lebensräume zu untersuchen.
Eine weitere, weniger bekannte Nutzung: Einige Wracks dienen dem Militär als Zielobjekte. Bei Testübungen werden stillgelegte Schiffe verwendet, um die Wirkung von Bomben oder Raketen realistisch zu erproben. Auch Minenexplosionen oder Beschuss mit scharfer Munition lassen sich auf diese Weise unter realitätsnahen Bedingungen testen.
Nutzung an Land: Museumsschiffe und Denkmalpflege
Nicht jedes Schiff wird dem Meer überlassen. In vielen Fällen bleiben ehemalige Marine- oder Passagierschiffe an Land erhalten – als Museumsschiff oder technisches Denkmal. Solche Nutzungsmöglichkeiten erfordern allerdings hohe Investitionen in Wartung und Sanierung. Dennoch bieten sie einen wertvollen Beitrag zur Bewahrung maritimer Geschichte. In Deutschland ist die „Cap San Diego“ in Hamburg ein prominentes Beispiel: Das ehemalige Stückgutschiff liegt heute als Museum im Hafen und erinnert an den internationalen Seeverkehr der Nachkriegszeit. (mit dpa)
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