Mit Rädern über das Meer: Zwei gescheiterte Ideen
Zwei historische Schiffsprojekte wollten mit rotierenden Rädern das Meer erobern – sie scheiterten spektakulär.

Das Rollerschiff von Ernest Bazin bei seinen Schwimmversuchen. Es war wesentlich langsamer als von seinem Erfinder gedacht.
Foto: picture alliance / Mary Evans Picture Library/Terry Parker
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts boomte die Technik. Besonders im Schiffbau suchten Ingenieurinnen und Ingenieure nach neuen Wegen, um Schiffe schneller, effizienter und sparsamer zu machen. In dieser Zeit entstanden einige der kuriosesten Konzepte der Seefahrtgeschichte – darunter Schiffe, die nicht durch das Wasser pflügen, sondern auf rotierenden Rädern über die Wellen rollen sollten.
Zwei besonders ehrgeizige Projekte stechen hervor: Das Rollerschiff Ernest-Bazin und das Roller Boat von Frederick Knapp. Beide Ideen versprachen eine Revolution des Seeverkehrs – beide endeten als teure Irrtümer.
Inhaltsverzeichnis
Das Rollerschiff von Ernest Bazin
Der französische Ingenieur und Erfinder Ernest Bazin war ein Pionier seines Fachs. Ende des 19. Jahrhunderts wollte er eines der größten Hindernisse der Schifffahrt überwinden: den enormen Wasserwiderstand, der die Geschwindigkeit und Effizienz der damaligen Dampfschiffe begrenzte.
Bazin dachte dabei grundlegend anders als seine Zeitgenossen. Er schlug vor, den Rumpf eines Schiffes komplett aus dem Wasser zu heben – und zwar nicht durch Auftriebskörper oder Tragflächen, sondern durch riesige, rotierende Schwimmräder. Sein Ziel war es, den Wasserwiderstand drastisch zu senken und gleichzeitig neue Geschwindigkeitsrekorde auf See zu ermöglichen.
Konstruktion: Auf Rädern über die Wellen
Der Entwurf Bazins sah sechs massive, hohle Räder vor, die seitlich am Schiffskörper angebracht waren. Jedes dieser linsenförmigen Schwimmkörper hatte einen Durchmesser von etwa zehn Metern und war in der Mitte 3,6 Meter dick. Die Form erinnerte an zwei aneinandergeklebte Untertassen. Ihre besondere Geometrie sollte den Wasserwiderstand minimieren und zugleich ausreichend Auftrieb bieten.
Die Räder wurden von eigenen 50-PS-Motoren unabhängig voneinander angetrieben. Der Hauptrumpf des Schiffes, auf dem Maschinenräume, Unterkünfte und Steuerung untergebracht waren, thronte etwa vier Meter über dem Meeresspiegel auf den Achsen der Räder. Zusätzlich war im Heck eine herkömmliche Schraube installiert, die das Schiff zusätzlich vorantreiben sollte.
Bazin glaubte, dass sein Rollerschiff mit der gleichen Antriebsleistung wie ein herkömmliches Dampfschiff deutlich höhere Geschwindigkeiten erreichen könne. Er prognostizierte: „Ein Schiff gleicher Tonnage könnte die doppelte Geschwindigkeit erreichen und dabei weniger als die Hälfte der Kohle verbrauchen.“ Er träumte davon, den Atlantik in nur 60 Stunden zu überqueren – eine revolutionäre Vorstellung in einer Zeit, in der Dampfschiffe für diese Strecke etwa doppelt so lange brauchten.

Zeichnung des Roller Boat Steamers. Dank der großen Rollen schwebte die Kabine über dem Wasser.
Foto: picture alliance / Mary Evans Picture Library/Terry Parker
Der Bau der Ernest-Bazin
Nach Jahren intensiver Planung, Modellerprobungen und Verfeinerungen begann schließlich der Bau des Prototyps. Die „Ernest-Bazin“, benannt nach ihrem Schöpfer, wurde bei der Werft Societe Cail in Saint-Denis bei Paris gebaut.
Am 19. August 1896 wurde das Schiff mit großem öffentlichen Interesse vom Stapel gelassen. Es wog etwa 280 Tonnen und hatte eine Länge von knapp 40 Metern bei einer Breite von 12 Metern. Die Maschine an Bord entwickelte insgesamt 750 PS, davon wurden etwa 550 PS für die Schraube und 200 PS für die Drehung der Räder verwendet.
Schon der Stapellauf war ein gesellschaftliches Ereignis. Presse, Technikinteressierte, Schiffbauerinnen und Seefahrer waren vor Ort. Bazins Projekt hatte die Phantasie der Menschen beflügelt: Würde dieses eigenartige Fahrzeug wirklich schneller sein als herkömmliche Dampfer?
Die ersten Testfahrten
Die Probefahrten der „Ernest-Bazin“ begannen auf der Seine und weckten zunächst große Erwartungen. Der neuartige Antrieb versprach eine bisher ungekannte Laufruhe und Schnelligkeit. Beobachter hofften auf ein Schiff, das zugleich stabil, sparsam und geeignet für lange Hochseestrecken wäre.
Doch bald zeigte sich, dass die Praxis andere Anforderungen stellte als die Theorie. Als die riesigen Räder unter Volllast drehten, nahmen sie große Mengen Wasser mit und transportierten diese auf ihren Oberflächen weiter. Anstatt elegant über die Wellen zu gleiten, wirkte das Schiff, als würde es sich mühsam durch eine zähe Masse wühlen.
Der zusätzliche Wasserwiderstand verlangsamte die Räder erheblich. Die Energie, die eigentlich für Vortrieb sorgen sollte, ging zum großen Teil verloren. Der Kraftstoffverbrauch stieg deutlich über die ursprünglichen Berechnungen hinaus.
Die geplanten 32 Knoten Geschwindigkeit – etwa 59 km/h – blieben unerreichbar. Stattdessen brachte es die „Ernest-Bazin“ nur auf etwa ein Drittel dieser Leistung. Ein zeitgenössischer Bericht kommentierte nüchtern: „Statt ein Windhund war sie eine Schnecke.“
Ursachen des Scheiterns
Bazin hatte bei der Planung einige kritische Effekte unterschätzt. Er kalkulierte die Antriebskraft, die nötig war, um die massiven Räder effektiv in Bewegung zu halten, zu niedrig. Die Wassermassen, die an den Rädern hafteten, erhöhten die Trägheit erheblich und verlangsamten die Rotation dramatisch.
Zudem zeigte sich, dass die Materialtechnologien jener Zeit noch nicht ausgereift genug waren, um Bazins Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Die Konstruktion war schwerfällig, anfällig für Strukturschäden und auf hoher See kaum praktikabel.
Auch ein neues hydraulisches Ruder, das Bazin eigens für sein Rollerschiff entwickelt hatte, konnte die Probleme nicht lösen. Zwar versprach es eine hohe Wendigkeit, doch angesichts der geringen Geschwindigkeit und des immensen Energieverbrauchs blieb auch dieses Detail ein theoretisches Kuriosum.
Bazins letzte Versuche
Bazin gab jedoch nicht sofort auf. Er arbeitete fieberhaft an Verbesserungen. Er plante, größere Schiffe mit noch mehr Radpaaren zu bauen, neue Radmaterialien einzusetzen und eine optimierte Ruderanlage zu testen.
Im Januar 1898 erklärte er öffentlich, eine Lösung für die Wasseraufnahmeproblematik gefunden zu haben. Er präsentierte Entwürfe für ein neues, großes Hochseeschiff, das vier Scheibenpaare tragen und in nur 60 Stunden den Atlantik überqueren sollte.
Doch es war zu spät. Am 21. Januar 1898 starb Ernest Bazin im Alter von 59 Jahren an einer Krankheit. Damit endete das ambitionierte Rollerschiff-Projekt. Die „Ernest-Bazin“ wurde wenige Jahre später stillgelegt, ausgeschlachtet und schließlich verschrottet.
Das Roller Boat von Frederick Knapp
Während in Europa Ernest Bazin sein Rollerschiff erprobte, entwickelte der kanadische Anwalt Frederick Knapp in Prescott, Ontario seine eigene Vision eines revolutionären Wasserfahrzeugs. Knapps Entwurf unterschied sich jedoch deutlich von Bazins Ansatz. Statt auf mehreren seitlich angebrachten Rädern zu ruhen, setzte Knapp auf einen einzigen, riesigen, liegenden Zylinder.
Dieser Zylinder sollte nicht nur für den Auftrieb sorgen, sondern auch den Antrieb übernehmen. Im Inneren des hohlen Körpers war ein Motor installiert. Durch die Rotation des gesamten Schiffskörpers wollte Knapp sein Gefährt vorwärts bewegen – ähnlich einem Schaufelrad oder einem sich über die Oberfläche drehenden Rollkörper. Die Vorstellung war einfach: Das Schiff würde nicht durch das Wasser pflügen, sondern sich darüber hinwegrollen.

Mit diesem Schiff wollte Frederick Knapp mit fast 100 km/h über das Meer brausen.
Foto: gemeinfrei
Bau und Ambitionen
Nach Jahren der Planung und Vorbereitung ließ Knapp 1897 schließlich einen ersten Prototyp bauen. Dieser hatte einen langen, zylindrischen Rumpf und sah eher wie ein riesiges, liegendes Fass als ein traditionelles Schiff aus. Das Roller Boat war ein eigenwilliger Anblick: ein massiver, sich drehender Stahlkörper mit einer relativ kleinen Aufbautstruktur für die Steuerung und die Unterbringung von Mannschaft und Maschinen.
Knapp hatte ehrgeizige Pläne. Er kündigte an, sein Roller Boat könne eine Geschwindigkeit von einer Meile pro Minute erreichen – also etwa 96 km/h. Damit wäre sein Schiff nicht nur schneller als jedes Dampfschiff jener Zeit gewesen, sondern hätte auch den Atlantikverkehr revolutionieren können.
Um seine Idee zu verwirklichen, investierte Knapp große Summen aus eigener Tasche. Die Baukosten beliefen sich auf damals beträchtliche Beträge, die er ohne staatliche Unterstützung oder Investoren aufbrachte.
Die ersten Fahrversuche und die Probleme
Die Probefahrten des Roller Boats auf dem Sankt-Lorenz-Strom verliefen jedoch enttäuschend. Schon beim ersten Test zeigte sich, dass Theorie und Praxis weit auseinanderlagen. Statt elegant und schnell über das Wasser zu rollen, kämpfte das Roller Boat gegen den Widerstand der Wasseroberfläche.
Das Schiff erreichte bestenfalls eine Geschwindigkeit von fünf Knoten – etwa 9 km/h. Von der erträumten Geschwindigkeit einer Meile pro Minute war es weit entfernt.
Ein weiteres großes Problem war die Steuerung. Die Rotation des gesamten Rumpfes machte es äußerst schwierig, den Kurs zu halten. Oft drehte sich das Schiff unkontrolliert um die eigene Achse oder driftete seitlich ab, ohne dass die Steuermechanismen ausreichend gegensteuern konnten.
Das Ende des Projekts
Nach wenigen Testfahrten musste Knapp einsehen, dass seine Vision nicht umsetzbar war. Das Roller Boat wurde nie kommerziell genutzt. Aufgrund der schlechten Leistung und der enormen Betriebskosten wurde es bald stillgelegt.
Knapps Prototyp lag jahrelang ungenutzt im Hafen, bis er schließlich als Schrott verkauft und verschrottet wurde.

Was mit hochtrabenden Plänen begann, endete als Schrotthaufen am Strand.
Foto: gemeinfrei
Ein kurzes Wiederaufleben der Idee
In den 1930er Jahren griffen Technikmagazine wie „Modern Mechanix“ und „Popular Science“ erneut die Idee schwimmender Räder auf. Sie zeigten futuristische Konzepte für Passagierschiffe mit rotierenden Zylindern oder Kugeln. Doch keines dieser Fahrzeuge wurde je realisiert.
Die Idee, Schiffe auf Rädern über das Meer zu bewegen, blieb ein faszinierender Traum – und eine lehrreiche Episode in der Geschichte des Schiffbaus.
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