Bedeutende Ingenieure 26.08.2024, 14:00 Uhr

Wie Carl von Linde mit seiner Kältemaschine den Bierkonsum ankurbelte

Carl von Linde zählt zu den bedeutendsten Ingenieuren des 19. Jahrhunderts. Wir schauen uns den Pionier der Kälte- und Tieftemperaturtechnik genauer an.

Carl von Linde

Carl von Linde gilt als der Pionier der Kältetechnik, seine Ideen wirken noch heute nach.

Foto: IMAGO/Zoonar/Heinz-Dieter Falkenstein

Er war Präsident (damals hieß es noch Vorsitzender) des VDI, aber weltberühmt wurde er durch die Weiterentwicklung der Kältemaschine. Damit ließ sich Eis für Brauereien herstellen, so dass diese auch im Sommer Bier brauen konnten. Sein Wirken bildet die Grundlage des heutigen Kühlschranks. Die Rede ist von Carl von Linde, dem Pionier der Kälte- und Tieftemperaturtechnik. Wir schauen uns den deutschen Ingenieur, Erfinder und Gründer eines Weltkonzerns etwas genauer an.

Studium endete mit Zwangsexmatrikulation

Carl von Linde, geboren am 11. Juni 1842 im oberfränkischen Berndorf, gilt als einer der bedeutendsten Ingenieure des 19. Jahrhunderts. Seine Erfindungen und Entwicklungen auf dem Gebiet der Kältetechnik prägten nicht nur die Brauindustrie nachhaltig, sondern ebneten auch den Weg für moderne Anwendungen wie Kühlschränke und Klimaanlagen.

Linde war das dritte von neun Kindern und der einzige Sohn, der eine höhere Schulbildung erhielt. Er besuchte das Humanistische Gymnasium in Kempten, das ihm zu Ehren heute den Namen Carl-von-Linde-Gymnasium trägt. Schon früh zeigte er Interesse an technischen und naturwissenschaftlichen Themen. Nach dem Abitur entschied sich Linde für ein Maschinenbaustudium am Polytechnikum in Zürich. Dort lernte er namhafte Professoren wie Rudolf Clausius und Gustav Zeuner kennen, die ihn in seinem wissenschaftlichen Streben stark beeinflussten.

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1864 fand sein Studium ein jähes Ende, als er wegen seiner Teilnahme an einer Studentendemonstration exmatrikuliert wurde. Seine Professoren Clausius und Zeuner ließen sich jedoch nicht davon abhalten, ihm zu einer Anstellung zu verhelfen. Außerdem erhielt er (er war im letzten Semester) dennoch die Abschlusszeugnisse und das Diplom. Nach ersten Anstellungen in einer Baumwollfabrik und als Ingenieur bei Borsig in Berlin fand Linde schließlich seinen Platz an der Polytechnischen Schule in München. Dort wurde er 1868 mit nur 26 Jahren Professor für Mechanik und richtete das erste Maschinenlaboratorium Deutschlands ein.

Ein Preisausschreiben ebnete den Weg in die Kältetechnik

1870 beteiligte sich Linde an einem Wettbewerb zur Entwicklung einer Kühlanlage für die Kristallisation von Paraffin aus Rohöl. Diese Aufgabe führte ihn zur Erforschung der künstlichen Kälteerzeugung. Sein wissenschaftlicher Ansatz und seine Neugier trieben ihn an, bestehende Kältemaschinen zu analysieren und zu verbessern. Bald konzentrierte sich Linde auf Kaltdampfmaschinen, die im Vergleich zu anderen Verfahren der Kälteerzeugung einen höheren Wirkungsgrad versprachen.

Die ersten Schritte zur Entwicklung seiner Kältemaschine unternahm Linde gemeinsam mit August Deiglmayr, dem Direktor der Dreher-Brauerei, und Gabriel Sedlmayr, dem Inhaber der Spaten-Brauerei in München. Beide Brauereien erkannten das Potenzial einer zuverlässigen Kälteerzeugung für ihre Produktionsprozesse. Die Brauer suchten nach einer Möglichkeit, unabhängig von Natureis zu werden, das saisonabhängig und unzuverlässig war. Die Nachfrage nach untergärigem Lagerbier, das bei konstant niedrigen Temperaturen gebraut werden musste, stieg rapide an. Für Linde war dies die ideale Gelegenheit, seine Erfindungen in der Praxis zu erproben.

Dazu eine Klarstellung: Carl von Linde wird häufig als der Erfinder der Kältemaschine bezeichnet. Das ist jedoch nicht ganz korrekt. Ähnlich wie James Watt nicht die Dampfmaschine erfunden hat (die quasi das Gegenstück zur Kältemaschine ist), kann man auch Linde nicht als den ursprünglichen Erfinder der Kältemaschine bezeichnen. Beide bauten auf den Arbeiten ihrer Vorgänger auf und entwickelten bestehende Technologien weiter. Dennoch sind Lindes Verdienste, insbesondere für die Brauindustrie, genauso unbestritten wie die von James Watt, der die Dampfmaschine entscheidend verbesserte und dadurch spezifische Probleme auf geniale Weise löste.

Die erste Kältemaschine und ihre Herausforderungen

Im Januar 1873 meldete Linde sein erstes Patent für eine Kältemaschine mit Methylether als Kältemittel an. Obwohl diese Maschine erfolgreich in Betrieb genommen wurde, zeigte sich bald, dass die Quecksilberdichtungen und das Kältemittel Methyläther Probleme bereiteten. Die Anlage war undicht und für den täglichen Brauereibetrieb zu wartungsintensiv. Linde ließ sich jedoch nicht entmutigen und entwickelte eine zweite, verbesserte Version der Maschine. Diese arbeitete mit Ammoniak als Kältemittel und erwies sich als wesentlich stabiler und effektiver.

Der erste erfolgreiche Einsatz dieser neuen Kältemaschine erfolgte 1877 in der Brauerei Dreher in Triest. In den folgenden Jahren bestellten Brauereien in ganz Europa Lindes Kältemaschinen, darunter die Mainzer Actien-Brauerei, Heineken in den Niederlanden und Carlsberg in Dänemark. Der Siegeszug der Kältemaschine war nicht mehr aufzuhalten.

Einfluss auf die Brauindustrie und den Bierkonsum

Die Einführung von Lindes Kältemaschine hatte tiefgreifende Auswirkungen auf die Bierherstellung. Vor Lindes Erfindung waren die Brauereien auf Natureis angewiesen, das im Winter aus zugefrorenen Seen und Flüssen geschnitten und in Eiskellern gelagert wurde. Dieses Eis war teuer und im Sommer oft knapp. Durch den Einsatz künstlicher Kühlung konnten Brauereien nun das ganze Jahr über Bier produzieren, insbesondere das beliebte untergärige Lagerbier, das stabile, niedrige Temperaturen benötigt.

Die Verfügbarkeit von Linde Kältemaschinen ermöglichte es den Brauereien, die Produktion zu steigern und die Qualität des Bieres konstant zu halten. Brauereien wie Heineken, Carlsberg und viele andere in Europa und den USA setzten bald auf die Technologie von Linde. Dies führte zu einer weltweiten Verbreitung von Lagerbier und machte es zu einem der beliebtesten Getränke der Welt.

Ein wichtiger Nebeneffekt war die Aufhebung des Sommerbrauverbots. Bis dahin war das Brauen von Bier in den heißen Sommermonaten in vielen Regionen verboten, um die Qualität des Bieres zu gewährleisten. Mit der neuen Technologie war es nun möglich, Bier auch bei hohen Außentemperaturen zu brauen und zu lagern. Dies führte zu einem Anstieg der Bierproduktion und des Bierkonsums, was nicht nur den Brauereien, sondern der gesamten Wirtschaft zugute kam.

Gründung der Linde AG: Vom Professor zum Unternehmer

1879 beschloss Linde, seine Professur aufzugeben und sich ganz der Vermarktung seiner Erfindung zu widmen. Zusammen mit anderen namhaften Investoren wie Gabriel Sedlmayr und Gustav Jung von der Mainzer Aktien-Bierbrauerei gründete er in Wiesbaden die „Gesellschaft für Lindes Eismaschinen AG“. Innerhalb kurzer Zeit entwickelte sich das Unternehmen zum europäischen Marktführer in der Kältetechnik.

Bereits 1890 waren 445 Brauereien mit Kältemaschinen von Linde ausgerüstet. Das Unternehmen expandierte auch in andere Industriezweige wie die Fleisch- und Milchwirtschaft sowie die chemische Produktion. Die Nachfrage nach zuverlässiger Kältetechnik war enorm und das Unternehmen Linde florierte.

Die Weiterentwicklung der Kältetechnik und neue Märkte

Nach dem Erfolg seiner Kältemaschine widmete sich Linde der Verflüssigung von Gasen. Im Jahr 1895 entwickelte er das nach ihm benannte Linde-Verfahren zur Luftverflüssigung. Dieses Verfahren ermöglichte nicht nur die Zerlegung der Luft in ihre Bestandteile wie Sauerstoff und Stickstoff, sondern legte auch den Grundstein für die industrielle Produktion technischer Gase. Diese Gase fanden Anwendung in der Metallverarbeitung, der Medizin und der Lebensmittelindustrie. Lindes Erfindungen spielten eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der modernen Kälte- und Gastechnik.

Carl von Linde zog sich 1890 aus dem operativen Geschäft zurück, blieb aber bis zu seinem Tod  als Aufsichtsratsvorsitzender der Linde AG aktiv. Seine Erfindungen und sein Unternehmergeist legten den Grundstein für einen Weltkonzern, der bis heute zu den führenden Unternehmen der Kälte- und Gastechnik zählt. Lindes Einfluss reichte weit über die Brauindustrie hinaus und prägte zahlreiche andere Industriezweige.

Im Jahr 1876 trat Carl von Linde dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI) bei und war Mitbegründer des Bayerischen Bezirksvereins des VDI. 1892 übernahm er den Vorsitz dieses Bezirksvereins. Zwei Jahre später wurde er in den Vorstand des VDI gewählt, 1895 folgte seine Berufung in die wissenschaftlich-technische Kommission des Vereins. In den Jahren 1904 und 1905 war Linde Vorsitzender des Gesamtvorstands des VDI. 1897 erhielt er die Grashof-Denkmünze, die höchste Auszeichnung des VDI. Als Vorstandsmitglied war er 1903 an der Gründung des Deutschen Museums beteiligt. Im Jahr 1909 wurde er zum Gründungsvorsitzenden des Deutschen Kältevereins (DKV) ernannt.

Apparatur für die Verflüssigung von Gasgemischen im Linde-Verfahren

Apparatur für die Verflüssigung von Gasgemischen im Linde-Verfahren.

Foto: IMAGO/Zoonar/Heinz-Dieter Falkenstein

Wie funktioniert das Linde-Verfahren genau?

Im Abschnitt zuvor haben wir das Linde-Verfahren kurz angerissen, nun wollen wir es uns etwas genauer anschauen. Das Linde-Verfahren spielt eine entscheidende Rolle bei der Verflüssigung von Gasen. Es wird insbesondere zur Herstellung flüssiger Luft in großem Maßstab eingesetzt. Hierbei werden Gase wie Sauerstoff, Stickstoff, Argon und andere Edelgase durch die Auftrennung von flüssiger Luft in ihre einzelnen Bestandteile gewonnen. Dieser Beitrag erklärt, wie das Linde-Verfahren genau funktioniert, welche technischen Schritte notwendig sind und wie es zur Verflüssigung von Luft und anderen Gasen eingesetzt wird.

Schritt 1: Vorreinigung der Luft

Bevor die Luft verflüssigt werden kann, muss sie zunächst gereinigt werden. In diesem ersten Schritt werden Wasserdampf, Staub und Kohlendioxid aus der Luft entfernt. Diese Verunreinigungen könnten sonst den Verflüssigungsprozess stören oder die Qualität der Endprodukte beeinträchtigen. Die gereinigte Luft ist nun bereit, im nächsten Schritt verdichtet zu werden.

Schritt 2: Kompression und Abkühlung

Nach der Reinigung wird die Luft in einem Kompressor auf einen Druck von etwa 200 bar verdichtet. Durch diese Verdichtung steigt die Temperatur der Luft zunächst an. Um den Verflüssigungsprozess einzuleiten, muss die Luft jedoch deutlich abgekühlt werden. Hier kommt ein Drosselventil oder eine Turbine zum Einsatz, über die die Luft entspannt wird. Bei dieser Entspannung sinkt die Temperatur im ersten Schritt um etwa 45 K auf ca. -25 °C.

Schritt 3: Gegenstrom-Wärmeübertrager

Die abgekühlte Luft wird nun über einen Gegenstrom-Wärmeübertrager geleitet. In diesem Wärmetauscher gibt die bereits abgekühlte Luft ihre Kälte an die nachfolgende, noch warme, komprimierte Luft ab. Dadurch wird der gesamte Luftstrom schrittweise weiter abgekühlt. Dieser Prozess läuft kontinuierlich ab und führt dazu, dass die Temperatur der Luft allmählich so weit sinkt, dass sie bei einem Druck von etwa 20 bar verflüssigt wird.

Schritt 4: Regeneratoren und Effizienzsteigerung

Ein bedeutender Durchbruch für das Linde-Verfahren war die Einführung von Regeneratoren anstelle der ursprünglichen Gegenstromrekuperatoren. Regeneratoren sind nicht nur kleiner und kostengünstiger, sondern auch leistungsfähiger. Sie neigen weniger zur Verstopfung durch Fremdgase und ermöglichen eine effizientere Kühlung. Moderne Techniken haben die Anwendung von Miniatur-Gegenstrom-Wärmeübertragern ebenfalls weiter verbessert.

Lagerung und Handhabung von flüssiger Luft

Nach der Verflüssigung nimmt die flüssige Luft in einem offenen Gefäß unter Atmosphärendruck eine Temperatur von etwa -190 °C (83 K) an. In diesem Zustand siedet die Luft, wodurch ihre niedrige Temperatur konstant bleibt, da die zum Sieden notwendige Verdampfungswärme der flüssigen Luft entzogen wird. Die Menge der verdampfenden Luft reguliert sich so, dass die zugeführte Wärme durch Verdampfungswärme ausgeglichen wird. Abhängig von der Größe und Isolierung des Behälters kann die flüssige Luft über Stunden oder sogar Tage hinweg erhalten bleiben. Wichtig ist jedoch, dass flüssige Luft niemals in fest verschlossenen Behältern aufbewahrt wird, da der steigende Innendruck durch allmähliche Erwärmung zu gefährlichen Explosionen führen könnte.

Trennung der Bestandteile durch Fraktionierung

Um die Bestandteile der flüssigen Luft, wie Sauerstoff und Stickstoff, zu trennen, wird das Fraktionierungsverfahren angewendet. Dies nutzt die unterschiedlichen Siedepunkte der Gase aus. Da die Siedepunkte von Sauerstoff und Stickstoff sehr nah beieinanderliegen, wird eine Rektifikationssäule eingesetzt. In dieser läuft die flüssige Luft über mehrere Böden nach unten, während gasförmiger Stickstoff aufsteigt. Auf diese Weise nimmt die Flüssigkeit Sauerstoff aus dem Gas auf und gibt Stickstoff ab, was zu einer Anreicherung des Sauerstoffs in der Flüssigkeit und einer Erhöhung des Stickstoffgehalts im Gas führt.

Anwendung bei Wasserstoff und Helium

Das Linde-Verfahren kann auch zur Verflüssigung von Wasserstoff und Helium verwendet werden, erfordert jedoch eine Vorkühlung dieser Gase unter ihre Inversionstemperatur, meist mit flüssiger Luft. Dabei handelt es sich um diejenige Temperatur, bei der beim Joule-Thomson-Prozeß die Abkühlung in eine Erwärmung umschlägt. Eine solche Temperatur existiert bei sämtlichen Gasen.

Das so erhaltene flüssige Helium hat den niedrigsten Siedepunkt aller Elemente bei 4,2 K. Durch Absaugen des Heliumgases über dem siedenden Helium kann die Temperatur weiter gesenkt werden, jedoch erreicht man aufgrund des sinkenden Dampfdrucks eine Mindesttemperatur von 0,84 K.

Das Vermächtnis von Carl von Linde

Carl von Lindes Erfindungen revolutionierten die Art und Weise, wie wir Lebensmittel lagern und verarbeiten. Mit der Entwicklung zuverlässiger Kältemaschinen legte er den Grundstein für die moderne Kühlung und Lagerung von Lebensmitteln. Seine Erfindungen ermöglichten es, Lebensmittel länger frisch zu halten und die Verfügbarkeit von Produkten unabhängig von saisonalen Schwankungen zu gewährleisten.

Lindes Beitrag zur Kältetechnik und Gasverflüssigung veränderte nicht nur die Brauindustrie, sondern trieb auch die industrielle Revolution voran. Er wurde 1897 in den persönlichen Adelsstand erhoben und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter das Ritterkreuz des Verdienstordens der Bayerischen Krone und den Maximiliansorden. Carl von Linde starb 1934 im Alter von 92 Jahren in München, hinterließ aber ein bleibendes Erbe, das bis heute fortwirkt.

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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