Kosmisches Eis im Röntgenlicht 13.10.2025, 20:00 Uhr

Wenn Wasser plötzlich gefriert – bei 20 Grad plus

Neue Eisform entdeckt: Mit Röntgenlaser und Diamantzelle erzeugen Forschende Eis XXI bei Raumtemperatur – und filmen das Gefrieren in Echtzeit.

European XFEL

Mit diesem Instrument konnte eine neue Eisphase sichtbar gemacht und gefilmt werden.

Foto: European XFEL

Wer an Eis denkt, hat meist gefrorenes Wasser im Kopf – klar, transparent und kalt. Doch Wasser kann mehr, viel mehr. Forschende haben inzwischen über 20 verschiedene feste Formen entdeckt, die sich nur in der Anordnung der Moleküle unterscheiden. Nun kommt eine weitere hinzu: Eis XXI. Es entsteht unter extremem Druck, hält Temperaturen um die 20 °C aus und wurde im stärksten Röntgenlaser der Welt sichtbar gemacht – dem European XFEL in Hamburg.

Die Entdeckung gelang einem internationalen Team unter Leitung des Korea Research Institute of Standards and Science (KRISS). Die Ergebnisse erschienen in der Fachzeitschrift Nature Materials. Mit ihrer Arbeit erweitern die Forschenden nicht nur das Verständnis von Wasser, sondern auch das Wissen über Prozesse im Inneren von Eismonden wie Titan oder Ganymed.

Wenn Wasser widerspenstig wird

Wasser verhält sich eigenwillig. Es dehnt sich beim Gefrieren aus, obwohl fast alle anderen Stoffe schrumpfen. Und selbst unter Druck zeigt es seltsame Launen: Statt brav zu kristallisieren, bleibt es manchmal flüssig – so lange, bis der Druck so groß wird, dass es plötzlich in eine andere Struktur springt. Genau diesen Moment wollten die Forschenden sichtbar machen.

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„Durch die schnelle Kompression von Wasser bleibt es bis zu höheren Drücken flüssig, bei denen es eigentlich bereits zu Eis VI kristallisiert sein müsste“, erklärt Geun Woo Lee vom KRISS. Diese Eis-VI-Phase ist keine gewöhnliche. Sie gilt als möglicher Bestandteil der Tiefen großer Eismonde und Planeten, wo Temperaturen niedrig und Drücke extrem sind. Doch Lee und sein Team beobachteten, dass das Wasser bei noch höheren Drücken eine völlig neue Struktur annimmt – eine, die zuvor niemand gesehen hatte.

Wenn Wasser zwischen zwei Diamanten klemmt

Um das möglich zu machen, nutzte das Team sogenannte Diamantstempelzellen. Dabei wird eine winzige Menge Wasser zwischen zwei Diamanten eingeklemmt. Da Diamanten das härteste bekannte Material sind, lassen sich mit ihnen enorme Drücke erzeugen – im Experiment bis zu zwei Gigapascal, etwa das 20.000-Fache des atmosphärischen Drucks.

Doch das allein reichte nicht. Entscheidend war die Geschwindigkeit: Das Wasser wurde innerhalb von 10 ms auf diesen Druck gebracht – eine Kompressionsrate von 120 GPa/s. Danach wurde die Zelle wieder entspannt. Dieser Zyklus wurde mehr als tausendmal wiederholt.

Diese hohen Kompressionsraten und zyklische Vorgehensweise ermöglichen es, kinetische Barrieren und metastabile Übergänge zu „erzwingen“, die bei langsamer Kompression oft übergangen werden.

Ein Labor für Extreme

Für die Beobachtung nutzte das Team den European XFEL – eine Anlage, die extrem kurze und intensive Röntgenblitze erzeugt. Diese Blitze treffen das Material in Abständen von wenigen Mikrosekunden. So entstehen Aufnahmen, die zeigen, wie sich die Moleküle bewegen, ordnen und schließlich gefrieren. Das Verfahren ähnelt einer Hochgeschwindigkeitskamera – nur eben auf atomarer Ebene.

Cornelius Strohm vom DESY-HIBEF-Team, das die Technik am High Energy Density (HED)-Instrument des European XFEL betreut, erklärt: „In dieser speziellen Druckzelle werden Proben zwischen den Spitzen zweier gegenüberliegender Diamantambosse zusammengedrückt und können entlang eines vordefinierten Druckpfades komprimiert werden.“

Die Kombination aus Diamantzelle und Röntgenlaser eröffnet Forschenden so die Möglichkeit, Phasenübergänge in Echtzeit zu verfolgen – eine bislang kaum erreichbare Präzision.

Eine neue Ordnung im Kristall

Im Experiment zeigte sich: Wenn Wasser schnell genug komprimiert wird, bildet es eine neuartige kristalline Struktur. Diese unterscheidet sich deutlich von den bekannten Eisformen. Bei weiteren Analysen an der PETRA III-Anlage des DESY stellten die Forschenden fest, dass Eis XXI tetragonal ist – also eine Form besitzt, bei der die Grundstruktur rechteckig, aber nicht würfelförmig ist.

Auffällig war außerdem, dass die sogenannte Einheitszelle – also der kleinste sich wiederholende Baustein eines Kristalls – deutlich größer ist als bei anderen Eisphasen. Das spricht für eine ungewöhnliche Anordnung der Wassermoleküle.

Eis XXI ist metastabil: Es bleibt eine gewisse Zeit bestehen, obwohl eine andere Struktur eigentlich energetisch günstiger wäre. Genau diese Eigenschaft macht es so spannend. Denn metastabile Zustände spielen in vielen physikalischen und geologischen Prozessen eine Rolle – etwa bei der Bildung von Planeten oder im Inneren von Eismonden.

Filme vom Gefrieren

Die Forschenden nutzten die Röntgenimpulse, um die Veränderungen der Kristallstruktur Bild für Bild zu dokumentieren. „Mit den einzigartigen Röntgenimpulsen des European XFEL haben wir mehrere Kristallisationswege in H₂O aufgedeckt, das mit einer dynamischen Diamant-Ambosszelle über 1000-mal schnell komprimiert und dekomprimiert wurde“, sagt Lee.

So entstand eine Art „Film“ des Gefrierens – eine Momentaufnahme, wie sie bislang nur in der Theorie existierte. Rachel Husband vom DESY-HIBEF-Team ergänzt: „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass es eine größere Anzahl von metastabilen Eisphasen bei hohen Temperaturen und damit verbundene Übergangswege geben könnte.“ Diese Erkenntnisse könnten künftig helfen, die Zusammensetzung ferner Himmelskörper besser zu verstehen.

Sakura Pascarelli, wissenschaftliche Direktorin bei European XFEL, sieht die Arbeit als Meilenstein innerhalb des sogenannten Water Call, einer Initiative, die Forschende weltweit zu innovativen Wasserstudien einlädt. „Wir freuen uns auf viele weitere spannende Entdeckungen in der Zukunft“, sagt sie.

Hier geht es zur Originalpublikation

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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