Röntgenblitz enthüllt Struktur von flüssigem Kohlenstoff
Erstmals wurde die Struktur von flüssigem Kohlenstoff unter extremem Druck sichtbar gemacht – ein Meilenstein für Planetologie und Fusionstechnologie.

Forschende konnten erstmals flüssigen Kohlenstoff experimentell messen. Dafür kombinierten sie einen Hochleistungslaser mit dem ultrakurzen Röntgenlaserblitz des European XFEL.
Foto: HZDR / M. Künsting
Ein internationales Forschungsteam hat mithilfe des European XFEL und des Hochleistungslasers DIPOLE100-X erstmals die Struktur von flüssigem Kohlenstoff gemessen. Diese Form des Elements entsteht nur unter extremen Druck- und Temperaturbedingungen – Bedingungen, wie sie etwa im Inneren von Planeten oder in Fusionsreaktoren auftreten. Die Messdaten liefern wichtige Erkenntnisse über die Eigenschaften dieser kaum erforschten Materieform.
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Extrembedingungen im Labor nachgebildet
Kohlenstoff ist ein vielseitiges Element. In fester Form begegnet er uns als Graphit oder Diamant. Doch was passiert, wenn er extremen Temperaturen und Drücken ausgesetzt wird? Unter Bedingungen, wie sie nur im Inneren von Planeten oder während der Kernfusion herrschen, geht Kohlenstoff in einen flüssigen Zustand über. Doch dieser Zustand war bislang experimentell kaum zugänglich.
Bei Normaldruck überspringt Kohlenstoff den flüssigen Zustand ganz: Er sublimiert – geht also direkt vom Feststoff in den Gaszustand über. Um ihn dennoch zu verflüssigen, braucht es Temperaturen um 4500 Grad Celsius und hohen Druck. Kein physisches Gefäß würde das aushalten. Daher nutzen Forschende Laserkompression: Eine Methode, mit der sich feste Materialien für extrem kurze Zeit – im Bereich von Nanosekunden – in einen flüssigen Zustand versetzen lassen.
Röntgenlaser trifft auf Hochleistungslaser
Für das Experiment wurde erstmals der DIPOLE100-X-Laser mit dem Röntgenlaser am European XFEL kombiniert. Der European XFEL in Schenefeld bei Hamburg ist der stärkste Röntgenlaser der Welt. Er erzeugt extrem kurze und intensive Röntgenpulse, mit denen sich atomare Strukturen abbilden lassen.
Der DIPOLE100-X stammt vom britischen Science and Technology Facilities Council und steht über das HIBEF-Konsortium internationalen Forschungsteams zur Verfügung. Die Zusammenarbeit mit der Universität Rostock und dem Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf ermöglichte nun ein Experiment unter bisher nie erreichten Bedingungen.
Die Laserpulse des DIPOLE100-X komprimieren eine Kohlenstoffprobe und erzeugen so kurzfristig flüssigen Kohlenstoff. Im gleichen Moment trifft ein Röntgenblitz des XFEL auf die Probe. Die dabei entstehenden Beugungsmuster erlauben Rückschlüsse auf die atomare Struktur.
Ein Film aus vielen Einzelbildern
Die eigentliche Messung dauert nur Nanosekunden. Um genügend Informationen zu gewinnen, wiederholen die Forschenden das Experiment mehrfach. Dabei verändern sie systematisch Druck, Temperatur oder den zeitlichen Abstand zwischen Laser- und Röntgenpuls. Aus vielen Einzelaufnahmen entsteht so ein zeitaufgelöster „Film“, der den Übergang von fest zu flüssig dokumentiert.
Diese Methode erlaubt es, hochkomplexe Prozesse sichtbar zu machen, die bisher rein theoretisch behandelt wurden. Zum ersten Mal konnte damit die Struktur von flüssigem Kohlenstoff direkt bestimmt werden.
Flüssiger Kohlenstoff ähnelt Wasser – zumindest strukturell
Die Auswertung zeigte: Flüssiger Kohlenstoff besitzt eine ungewöhnliche Struktur. Die Kohlenstoffatome sind von jeweils vier Nachbaratomen umgeben – ähnlich wie im Diamantgitter. Das deutet auf eine besondere Art von Flüssigkeit hin, die in gewisser Weise an Wasser erinnert. Auch Wasser weist bei Raumtemperatur eine komplexe, teils geordnete Molekularstruktur auf, die für viele seiner Eigenschaften verantwortlich ist.
Prof. Dominik Kraus, der die „Carbon Working Group“ der Forschungskollaboration leitet, erklärt dazu: „Das ist das erste Mal überhaupt, dass wir die Struktur von flüssigem Kohlenstoff experimentell beobachten konnten. Unser Experiment bestätigt Vorhersagen aus aufwändigen Simulationen von flüssigem Kohlenstoff.“
Neben der Struktur bestimmten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch den exakten Schmelzpunkt. Der lag bislang nur theoretisch vor, mit teils stark abweichenden Angaben. Die neuen Daten schließen diese Lücke. Das ist vor allem für die Modellierung von Planetenaufbau und Fusionsprozesse von Bedeutung, da hier genaue Materialdaten essenziell sind.
Der Anfang einer neuen Messtechnik
Dr. Ulf Zastrau, Leiter der HED-Gruppe am European XFEL, sieht in der erfolgreichen Messung einen entscheidenden Fortschritt: „Wir haben jetzt die Toolbox, um Materie unter sehr exotischen Bedingungen in unfassbarem Detail zu charakterisieren.“
Künftig sollen nicht nur flüssiger Kohlenstoff, sondern auch andere Materialien unter extremen Bedingungen untersucht werden – zum Beispiel Wasserstoff oder Silizium unter planetenähnlichem Druck. Ziel ist es, mehr über Materie in Extremsituationen zu lernen und so unter anderem die Energiegewinnung durch Fusionstechnologie weiterzuentwickeln.
Aktuell dauert die Auswertung der Messdaten noch mehrere Stunden. Doch die Forschenden arbeiten an einer verbesserten Steuerung und automatisierten Analyse. Langfristig sollen die Ergebnisse in Echtzeit verfügbar sein – ein weiterer Schritt hin zu dynamischen, zeitaufgelösten Materialstudien unter extremen Bedingungen.
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