Wie wurde sie hergestellt? 05.06.2025, 11:20 Uhr

Ingenieure lösen Rätsel um die Himmelsscheibe von Nebra

Mit modernster Werkstoffanalyse rekonstruieren Ingenieure die Fertigung der Himmelsscheibe von Nebra – ein Blick in 4000 Jahre alte Technik.

Himmelsscheibe von Nebra

Die Himmelsscheibe von Nebra hat das Verständnis für die Bronzezeit grundlegend verändert.

Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb/Peter Endig

Die Himmelsscheibe von Nebra ist mehr als nur ein archäologisches Artefakt. Sie gilt als die älteste konkrete Darstellung des Himmels, die der Menschheit bislang bekannt ist. Mit ihrer Kombination aus Bronze und Gold, ihren symbolträchtigen Sternen, Monden und Bögen lässt sie tief blicken – nicht nur in astronomisches Wissen der Bronzezeit, sondern auch in deren Kulturverständnis. Doch ein Rätsel blieb jahrzehntelang offen: Wie wurde sie hergestellt?

Diese Frage konnte nun durch ein interdisziplinäres Team von Werkstoffwissenschaftler*innen der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg in enger Kooperation mit dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt beantwortet werden.

Ein Fund, der Geschichte schrieb

Im Sommer 1999 entdeckten zwei Raubgräber auf dem Mittelberg bei Nebra in Sachsen-Anhalt eine bronzene Scheibe mit goldenen Symbolen. Sie hielten sie zunächst für Teil eines Schildes und verkauften sie an einen Antiquitätenhändler. Was sie nicht ahnten: Sie hatten eines der bedeutendsten archäologischen Objekte Europas gefunden.

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Die sogenannte Himmelsscheibe von Nebra zeigt Sonne, Mond und ein auffälliges Sternenbild – das Siebengestirn, auch bekannt als Plejaden. Ihre Datierung weist auf ein Alter von rund 3700 bis 4100 Jahren hin. Damit ist sie die weltweit älteste bekannte konkrete Darstellung des Himmels. Seit 2013 gehört sie zum UNESCO-Weltdokumentenerbe.

Doch bis heute gab sie viele Rätsel auf: Was zeigt die Scheibe wirklich? Wozu diente sie? Und vor allem – wie wurde sie damals hergestellt?

Himmelskörper auf der Himmelsscheibe von Nebra:

• Goldene Sichel – vermutlich der zunehmende Mond
• Goldscheibe – vermutlich der Vollmond
• Sieben Goldpunkte – Darstellung des Siebengestirns (Plejaden)
• Weitere 25 Punkte – möglicherweise Sterne oder dekorative Elemente
• Zwei Goldbögen am Rand – Sonnenauf- und -untergangsposition zwischen Sommer- und Wintersonnenwende
• Unterer Goldbogen (später ergänzt) – vermutlich „Sonnenbarke“ oder Horizontlinie

 

Himmelskarte, Machtinstrument, Kalender

Die Scheibe besteht aus Bronze und ist rund 32 Zentimeter groß. In das Metall wurden Goldapplikationen eingearbeitet: ein Halbmond, eine kreisrunde Scheibe (wohl der Vollmond) und sieben goldene Punkte, die das Siebengestirn darstellen. Weitere Goldpunkte – insgesamt 32 – scheinen verstreut, doch nur sieben davon lassen sich sicher astronomisch deuten.

Besonders auffällig sind zwei ursprünglich angebrachte Randbögen aus Gold. Diese markierten genau den Winkel von 82 Grad – jener Abschnitt des Horizonts, über den sich zwischen Winter- und Sommersonnenwende der Sonnenuntergangspunkt verschiebt. Wer diese Scheibe besaß, konnte den jahreszeitlichen Rhythmus am Himmel exakt verfolgen.

Eine mögliche Anwendung: das Bestimmen von Saat- und Erntezeitpunkten – mit der Sonne als Maßstab. Die Scheibe diente also nicht nur der Himmelsbeobachtung, sondern auch als funktionaler Kalender. Und sie verlieh ihrem Besitzer wohl Autorität: Wer den Himmel lesen konnte, galt als mächtig.

Illustration der Plejaden

Illustration der Plejaden, die auch als Siebengestirn oder sieben Schwestern bezeichnet werden.

Foto: Panthermedia.net/Furian

Vom Raubfund zum Weltkulturerbe

Was nach dem Fund passierte, erinnert an einen Kriminalroman. Die Scheibe gelangte über Zwischenhändler auf den Schwarzmarkt, der Preis stieg von 31.000 DM auf bis zu 700.000 DM. 2002 stellte das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt die Scheibe bei einer verdeckten Aktion in Basel sicher. Landesarchäologe Harald Meller trat dabei als vermeintlicher Käufer auf.

Gemeinsam mit weiteren Beifunden – zwei Schwertern, einem Meißel, Beilen und Bronzeschmuck – wurde die Scheibe wissenschaftlich untersucht und restauriert. Heute ist sie im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle (Saale) ausgestellt. Ihr Versicherungswert lag bereits 2006 bei über 100 Millionen Euro.

Kalenderfunktion der Himmelsscheibe:

• Zwei Goldbögen am Rand markieren einen Winkel von 82 °
• Dieser Winkel entspricht der Spanne zwischen Sommer- und Wintersonnenwende
• Beobachtungspunkt: Mittelberg bei Nebra
• Justierung über den Sonnenuntergang hinter dem Brocken am 21. Juni
• Position der untergehenden Sonne zeigte den Jahresverlauf an

→ Nutzbar zur Bestimmung günstiger Zeitpunkte für Aussaat und Ernte

 

Materialwissenschaft entschlüsselt das Herstellungsverfahren

Möglich wurde die Rekonstruktion des Herstellungsprozesses durch den Einsatz hochpräziser Analysemethoden, wie sie heute in der modernen Werkstofftechnik zum Einsatz kommen. Konkret untersuchten die Forschenden ein nur wenige Kubikmillimeter großes Probenstück der Originalscheibe mit Elektronenrückstreu- und Rasterelektronenmikroskopie.

Prof. Dr. Thorsten Halle vom Institut für Werkstoffe, Technologien und Mechanik beschreibt die Methode so: „Dabei gehen wir mit dem Elektronenstrahl über die Oberfläche des Metalls, rastern sie ab, und daraus ergibt sich eine von der Werkstoffkonfiguration abhängige Rückstreuwirkung – quasi ein Fingerabdruck der Metallstruktur.“

Diese mikroskopisch kleinen Strukturen – sogenannte Kristallkörner – zeigen, wie oft und auf welche Weise ein Metallstück verformt und erhitzt wurde. Anhand ihrer Orientierung und Größe lassen sich die Bearbeitungsschritte rekonstruieren – vergleichbar mit dem Auslesen eines metallurgischen Tagebuchs.

Ingenieure untersuchen die Himmelsscheibe von Nebra

Dr. Christian-Heinrich Wunderlich vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt (vorn) mit einer Replik der Himmelsscheibe von Nebra und Prof. Dr. Thorsten Halle im Labor auf dem Campus der Uni Magdeburg, wo die Untersuchungen stattfanden.

Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg

Gießen, Schmieden, Erhitzen – mehrfach wiederholt

Die Auswertung zeigte: Der Bronze-Rohling der Scheibe wurde bei rund 1200 °C gegossen, anschließend mehrfach auf ca. 700 °C erhitzt und dazwischen wiederholt ausgeschmiedet. Mindestens zehn solcher Umformzyklen ließen sich nachweisen. Ziel war offenbar, das Material immer wieder weich und formbar zu machen – eine Technik, die der heutigen Rekristallisation in der Metallverarbeitung entspricht.

Bei der Rekristallisation bilden sich nach einer Verformung neue, unverformte Metallkörner, wenn das Werkstück ausreichend erwärmt wird. Dieser Prozess beseitigt innere Spannungen, die beim Schmieden entstehen, und macht das Metall wieder gut bearbeitbar.

Prof. Halle formuliert es so: „Das war reine Probierkunde: schlichtweg ausprobieren, was funktioniert, was nicht. Unsere Vorfahren haben vermutlich viele Fehlversuche in Kauf genommen, bis es funktionierte.“

Rekonstruktion des Herstellungsprozesses:

• Bronze-Rohling bei >1200 °C gegossen
• Mindestens zehn Mal bei ca. 700 °C erhitzt
• Dazwischen mehrfach ausgeschmiedet
• Letzte Verformung des Randes kalt durchgeführt
• Goldapplikationen anschließend eingebracht
• Vergleich mit Repliken bestätigte Bearbeitungsschritte

Der letzte Schliff: Kaltumformung des Rands

Besonders interessant ist der Befund, dass die Himmelsscheibe zum Schluss offenbar kalt bearbeitet wurde. Der Rand – dünn und präzise gearbeitet – wurde wohl in letzter Instanz ohne weitere Erwärmung verformt. Das deutet auf große Erfahrung und ein feines Gespür für das Material hin.

Die genaue Abfolge der Bearbeitungsschritte rekonstruierte das Forschungsteam mithilfe experimenteller Archäologie. Dafür fertigte der hallesche Kupferschmied Herbert Bauer Repliken der Scheibe unter bronzezeitlichen Bedingungen – inklusive Holzkohleofen und Steinhämmern. Diese Nachbildungen wurden anschließend mit den gleichen mikroskopischen Methoden untersucht wie das Original.

Das Ergebnis: Die Mikrostruktur der Repliken entsprach derjenigen des Originals, was die Hypothesen über den Herstellungsprozess zweifelsfrei bestätigte.

Hightech ohne Schrift – wie wurde das Wissen weitergegeben?

Eines der faszinierendsten Ergebnisse der Untersuchung ist die Feststellung, dass Menschen vor 4000 Jahren metallurgische Kenntnisse besaßen, die industriellen Prozessen in vielerlei Hinsicht ähneln – allerdings ohne formalisierte Theorien, schriftliche Aufzeichnungen oder Messinstrumente.

„Die Vorstellung, dass so etwas ohne Maschinen oder Theorie entstand, erfüllt mich mit Demut“, sagt Prof. Halle. „Es war ein kollektives Erfahrungswissen, weitergegeben über Generationen hinweg – durch Beobachtung, Handwerk und viele Versuche.“

Ein Werkzeug mit Macht

Schon zuvor war bekannt, dass die Himmelsscheibe von Nebra nicht nur ein Kunstobjekt war, sondern auch funktionale Eigenschaften hatte. Ihre goldenen Bögen markieren exakt den Sonnenaufgangs- und Sonnenuntergangswinkel zwischen Sommer- und Wintersonnenwende auf der geografischen Breite von Nebra.

Auf einem Hügel – dem Mittelberg – konnte man anhand der Position der Sonne über dem Horizont Zeitpunkte wie die Sommersonnenwende erkennen. Die Scheibe diente also auch als Kalendarium – vermutlich, um wichtige Termine wie Aussaat oder Ernte festzulegen. In einer Zeit, in der präzise Zeitmessung noch unbekannt war, bedeutete das eine erhebliche gesellschaftliche Macht.

Rohstoffe der Himmelsscheibe und ihre mutmaßliche Herkunft:

Kupfer: vermutlich aus dem Alpenraum
Zinn: wahrscheinlich aus Mitteleuropa
Gold: nach Isotopenanalyse aus Cornwall (Großbritannien)

Diese Verbindungen deuten auf ein weit verzweigtes bronzezeitliches Handelsnetz hin.

Rohstoffe mit Fernverbindung

Ein Blick auf die verwendeten Materialien zeigt: Die Himmelsscheibe war nicht nur technologisch anspruchsvoll, sondern auch Ergebnis eines weiträumigen Handelsnetzes. Kupfer kam vermutlich aus dem Alpenraum, Zinn und Gold aus Cornwall. Das spricht für weitreichende Beziehungen der damaligen Eliten.

Die Aunjetitzer Kultur, der die Himmelsscheibe zugerechnet wird, war ein frühes bronzezeitliches Zentrum in Mitteleuropa. Besonders große Grabhügel wie der Bornhöck bei Raßnitz lassen auf mächtige Herrscher schließen – möglicherweise auch auf den oder die ursprünglichen Besitzer der Himmelsscheibe.

Hier geht es zur Originalpublikation

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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