Stadtplanung der Zukunft 02.08.2023, 06:03 Uhr

Urbaner Kollaps: Klimatische Folgen von Baumaßnahmen simulieren

Langanhaltende Hitzeperioden, gefolgt von schweren Unwettern und Überschwemmungen: Das Wetter macht auch unseren Städten zu schaffen und Veränderungen in der Bauweise sind notwendig, um einen möglichen Stadtkollaps zu stoppen. Ein neues Stadtklimamodell, das die Auswirkungen geplanter Baumaßnahmen auf das Stadtklima simuliert, könnte dabei helfen.

Stadtklima

Die extremen Wetterlagen treffen das urbane Klima besonders hart.

Foto: Panthermedia.net/kwest

Zunehmende Wetterextreme mindern die Lebensqualität in den Städten, und die Folgen des Klimawandels werden in den kommenden Jahren immer deutlicher spürbar werden. Es ist höchste Zeit, etwas dagegen zu tun. Ein Teil der Lösung könnte das neue Stadtklimamodell PALM-4U sein. Es unterstützt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kommunen sowie Stadtplanerinnen und Stadtplaner dabei, die richtigen Entscheidungen für mehr Klimaschutz zu treffen. Bauliche Maßnahmen können damit bereits im Vorfeld hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das Stadtklima simuliert werden. An der Entwicklung war das Fraunhofer-Institut für Bauphysik IPB in Stuttgart beteiligt.

Extremes Wetter trifft Stadtbewohner besonders hart

Der Klimawandel stellt die Stadtplanung vor große Herausforderungen. Forscher erwarten in Zukunft eine Zunahme von langen Hitzeperioden, Starkregen und Unwettern. Diese Wetterextreme treffen dicht besiedelte urbane Räume besonders hart und wirken sich nicht nur auf das Wohlbefinden der Menschen aus, sondern können für vulnerable Gruppen wie Bewohner von Altenheimen, Kindertagesstätten oder Krankenhäusern, die gesundheitlich beeinträchtigt oder geschwächt sind, eine ernsthafte Gefahr darstellen.

Matthias Winkler, Experte für Hygrothermik am Fraunhofer IBP, erklärt, dass Städte und Kommunen deshalb intensiv daran arbeiten, bauliche Maßnahmen zu planen, um die Folgen des Klimawandels abzumildern. Ziel ist es, das Klima in der Stadt bis zu einem gewissen Grad beherrschbar zu machen, um die Lebensqualität zu erhalten und weiter auszubauen. Die Sicherheit und das Wohlbefinden der Bürgerinnen und Bürger stünden dabei im Vordergrund.

Das ist bei künftiger Stadtplanung zu beachten

Die Planung künftiger städtbaulicher Maßnahmen zielt darauf ab, die negativen Auswirkungen der zunehmenden Extremwetterereignisse zu minimieren. Durch eine vorausschauende Gestaltung von Infrastruktur und Gebäuden kann die Belastung durch Hitze, Starkregen und Stürme reduziert werden. Dazu gehört beispielsweise die Schaffung von Grünflächen und kühlen Oasen in der Stadt, um das städtische Mikroklima zu verbessern.

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Darüber hinaus werden neue Technologien und innovative Ansätze erforscht, um urbane Räume besser an sich verändernde Klimabedingungen anzupassen. Dazu gehören beispielsweise intelligente Regenwasserrückhaltesysteme zur Vermeidung von Überschwemmungen oder Maßnahmen zur Reduzierung von Hitzeinseln in dicht bebauten Gebieten.

Die Planung und Umsetzung solcher Maßnahmen erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Stadtverwaltungen, Planern, Wissenschaftlern und der Bevölkerung. Bürgerbeteiligung und Sensibilisierung für die Auswirkungen des Klimawandels sind entscheidend für eine nachhaltige und zukunftsfähige Stadtentwicklung.

Simulation möglicher baulicher Maßnahmen

Das neue Stadtklimamodell PALM-4U ist ein nützliches Werkzeug für Planungsbüros und Kommunen, da es eine genaue Darstellung und Simulation von baulichen Maßnahmen auf das Stadtklima ermöglicht. Mit dieser innovativen Technologie können verschiedene Szenarien untersucht werden, z.B. ob die Begrünung einer Fassade oder das Pflanzen von Bäumen den thermischen Komfort der Bewohnerinnen und Bewohner verbessern würde.

Die Stadtklimasimulation geht aber noch einen Schritt weiter und bietet die Möglichkeit, gezielt Schwerpunkte der Wärmebelastung zu identifizieren. So können anstehende bauliche Maßnahmen, wie die Platzierung von Grünflächen oder die Entsiegelung von Flächen, hinsichtlich ihrer klimatischen Auswirkungen auf das jeweilige Umfeld berechnet werden. Diese Vorausschau ermöglicht es Städten und Gemeinden, besser informierte Entscheidungen zu treffen, die das Wohlbefinden und die Lebensqualität ihrer Bewohnerinnen und Bewohner verbessern.

PALM-4U wurde von Matthias Winkler und seinem Team entwickelt. Sie haben sich nicht nur auf die Funktionalität des komplexen Tools konzentriert, sondern auch eine benutzerfreundliche Bedienoberfläche entwickelt: die PALM-4U GUI. Sie bietet eine klare Übersicht und einen logischen Aufbau, der den Umgang mit dem Modell erleichtert. Gleichzeitig ermöglicht sie die Anpassung aller notwendigen Funktionen und Parameter, um präzise und maßgeschneiderte Simulationen durchzuführen.

PALM-4U wird mit unzähligen Daten gefüttert

Das Stadtklimamodell wurde im Rahmen der Initiative „Stadtklima im Wandel“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) entwickelt. Fraunhofer-Experte Winkler sagt: „PALM-4U ermöglicht nicht nur, die klimatischen Folgen baulicher Maßnahmen zu bestimmen, sondern auch, diese exakt zu quantifizieren.“ Diese Fähigkeit ermöglicht es Planern, nicht nur die Wirksamkeit einer Maßnahme abzuschätzen, sondern auch deren Wirtschaftlichkeit zu bewerten.

Die Datenbasis für PALM-4U setzt sich aus verschiedenen Quellen zusammen. Zum einen werden meteorologische Daten verwendet, die beispielsweise vom Deutschen Wetterdienst (DWD) oder aus regionalen Klimamodellen stammen. Darüber hinaus haben Kommunen die Möglichkeit, Wetterdaten von eigenen regionalen Messstationen einzubinden. Diese Daten enthalten wichtige Informationen wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Windgeschwindigkeit bis hin zur Feinstaubbelastung an bestimmten Orten. Darüber hinaus sind umfangreiche Geodaten und Stadtkarten in das Tool integriert. Straßen, Plätze, Gebäude, Gewässer und Grünflächen werden detailliert erfasst.

Thermischer Komfort, Windkomfort und Schadstoffbelastung

Die Analyse des urbanen Klimas fokussiert sich auf drei wesentliche Themenbereiche:

  1. Thermische Komfort und nächtlicher Kaltlufthaushalt: Hierbei wird untersucht, wie sich Wärmebelastung bei Hochdruckwetterlagen auf Gebäude, Plätze und Straßen auswirkt und ob ausreichende Frischluftschneisen vorhanden sind, die das Gebiet in der Nacht durchlüften können.
  2. Windkomfort: Durch Simulationen und lokale Windstatistiken werden Gebiete mit unterschiedlichen Windkomfortkriterien identifiziert. Dadurch lässt sich feststellen, inwieweit bestimmte Flächen für Aktivitäten wie beispielsweise Außengastronomie nutzbar sind.
  3. Feinstaubbelastung der Luft: Das Stadtklimamodell untersucht hierbei die Belastung der Luft durch Feinstaub, die durch Hausbrand oder Autoverkehr entstehen kann. Natürlich vorausgesetzt, dass die relevanten Daten hierzu verfügbar sind.

Die PALM-4U GUI bietet bei Bedarf einen Expertenmodus, der es ermöglicht, weitere Simulationen nach individuellen Anforderungen durchzuführen. Durch diese Flexibilität kann das Tool sowohl für eine ganzheitliche Betrachtung des Stadtklimas als auch für spezifische Untersuchungen auf unterschiedlichen räumlichen Skalen eingesetzt werden. Die Skalierbarkeit von PALM-4U ist laut Winkler ein großer Vorteil, da das Klima einer ganzen Stadt, eines Stadtteils, einzelner Quartiere oder sogar einzelner Plätze analysiert werden kann.

Stadtklimamodell

Das Stadtklimamodell PALM-4U analysiert die Auswirkungen von städtebaulichen Maßnahmen auf das lokale Klima.

Foto: Fraunhofer IBP

Typische meteorologische Randbedingungen bereits hinterlegt

In PALM-4U sind bereits standardisierte meteorologische Randbedingungen hinterlegt, die als Ausgangspunkt für die Berechnung verschiedener Fragestellungen dienen. Die Anwenderinnen und Anwender haben die Möglichkeit, diese Randbedingungen an die lokalen Gegebenheiten anzupassen. So wird beispielsweise für die Untersuchung der thermischen Behaglichkeit eine sommerliche Hochdruckwetterlage als Ausgangsszenario angenommen.

Ein wesentlicher Vorteil von PALM-4U ist die Möglichkeit, verschiedene Planungsvarianten miteinander zu vergleichen. Dadurch können typische Planungsfehler frühzeitig erkannt und vermieden werden. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist die Gewährleistung des thermischen Komforts für Kinder auf Spielplätzen. Durch den Vergleich verschiedener Planungsvarianten können Planerinnen und Planer sicherstellen, dass Spielplätze nicht zu hohen thermischen Belastungen ausgesetzt sind und somit die Sicherheit und das Wohlbefinden der Kinder sichergestellt ist.

Fraunhofer-Expertin Sabine Giglmeier, zuständig für die Geschäftsentwicklung im Bereich Hygrothermik, betont die Vielseitigkeit von PALM-4U. So lassen sich damit nicht nur Spielplätze optimieren, sondern auch andere wichtige Bauvorhaben wie Anbauten für Seniorenheime oder Krankenhäuser überprüfen. Bereits in der Planungsphase können diese Bauvorhaben hinsichtlich ihrer klimatischen Bedingungen analysiert werden.

Fraunhofer IBP bietet Kommunen Unterstützung an

Die Simulationsergebnisse lassen sich einfach über die Nutzeroberfläche analysieren und visualisieren. Bei der Entwicklung dieser Bedienoberfläche hat das Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP) das wertvolle Feedback von Fachleuten aus der Praxis genutzt, darunter kommunale Mitarbeitende aus Städten wie Berlin, Stuttgart und Dresden. Diese enge Zusammenarbeit ermöglichte es den Forschenden, die konkreten Anforderungen der Anwenderinnen und Anwender besser zu verstehen und die Praxistauglichkeit des Systems, also PALM-4U, zu optimieren.

Besonders hilfreich ist die langjährige Erfahrung und das umfangreiche Know-how des Fraunhofer IBP, insbesondere in Fachbereichen wie Hygrothermik und Raumklima. Diese Expertise kommt in die Entwicklung der Software ein und gewährleistet ihre hohe Qualität und Leistungsfähigkeit. Die Cloud-basierte Arbeitsweise von PALM-4U ermöglicht zudem eine problemlose Nutzung ohne aufwändige Installation. Das Stadtklimamodell lässt sich zudem problemlos in vorhandene IT-Systeme einbinden.

Das Fraunhofer IBP ist bestrebt, Städte und Kommunen bei der effektiven Nutzung von PALM-4U zu unterstützen. Dazu bieten sie Schulungen an, um Anwenderinnen und Anwender zu qualifizieren und sie in die vielfältigen Funktionen des Tools einzuführen. Darüber hinaus stehen sie beratend zur Seite, wenn es um den konkreten Einsatz von PALM-4U zur Entwicklung individueller Lösungen für eine Stadt geht. Sabine Giglmeier betont, dass das Institut auf Wunsch auch stadtklimatische Untersuchungen durchführt, um Städte und Kommunen mit fundierten Daten zu versorgen und sie bei der Planung klimaresilienter Maßnahmen zu unterstützen.

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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