Römische Tunnel 04.07.2023, 08:16 Uhr

Tunnelbau in der Antike: Alles eine Frage der richtigen Technik

Tunnel sind vielleicht nicht so spektakulär wie Aquädukte, Brücken oder Amphittheater, dennoch verlangte der Tunnelbau den antiken Ingenieuren jede Menge Fachwissen ab. Erfahren Sie, wie die alten Baumeister Tunnel bauten.

Vespasians-Titus-Tunnel

In türkischen Fels gehauen: Blick in den Vespasians-Titus-Tunnel.

Foto: Panthermedia.net/Celcinar

Anders als Brücken, Kuppelbauten oder Wolkenkratzer sind Tunnel für den Laien unscheinbare Bauwerke, die eher im Verborgenen ihre Arbeit verrichten. Tunnelbauten bringen die Augen von Ingenieuren hingegen zum Leuchten, sind es doch technische Meisterwerke. Sie müssen Druck von der Seite und von oben aushalten, außerdem den gewünschten Weg (heißt, an vorher festgelegten Stellen in den Berg hinein- und wieder herauskommen) gehen. Es ist umso erstaunlicher, mit welcher Präzision (römische) Baumeister der Antike Tunnel bauten.

Wofür wurden Tunnel benötigt?

Zunächst einmal eine kurze Definition: Ein Tunnel ist ein künstliches Bauwerk, das geplant errichtet wird, um ein Hindernis zu durchqueren und auf beiden Seiten sichtbar zu sein. Im Gegensatz dazu hat ein Stollen nur eine Öffnung und folgt oft einer Rohstoffader im Bergbau, wodurch er nicht als vollständig durchkonzipiertes Bauwerk von Anfang bis Ende gilt. Im Römischen Reich findet man Tunnelbauten in fast allen Provinzen. Je nach den örtlichen Gegebenheiten und Anforderungen konnten sie unterschiedliche Bauarten und Verwendungszwecke haben.

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Oft wurden Tunnel im Zusammenhang mit Wasserleitungen errichtet, um eine flexible Streckenführung zu ermöglichen und somit eine Streckenersparnis zu erzielen. Es sind jedoch auch Tunnel bekannt, die zur Entwässerung von Sümpfen oder zur Absenkung von Seen genutzt wurden. Zum Beispiel wurden Tunnel für die Umleitung von Flüssen genutzt, wenn ein Hafen an der Mündung zu verlanden drohte. Straßentunnel ermöglichten die Durchquerung von Pässen oder ersparten Umwege um Felsmassive und Bergrücken. Darüber hinaus wurden Tunnel auch als Kriegsstrategie bei Belagerungen eingesetzt.

Welche Techniken wurde in der Antike für den Tunnelbau verwendet?

Gesicherte Informationen über Tunnelbauprojekte gibt es ab etwa 1000 v. Chr. Insbesondere die „Entdeckung“ von Eisen und die Möglichkeit, haltbare Werkzeuge daraus herzustellen, haben die Technik vorangebracht. Erste Tunnel sind in den israelitischen Königsstädten dokumentiert. Auch die Qanate im antiken Iran zählen dazu. Letztere waren Tunnel, die über große Strecken hinweg unterirdisch miteinander verbunden waren und der Wasserversorgung von Oasen dienten. Sie wurden von einer Kette von Bauschächten aus auf einer Niveaulinie errichtet. Das Qanat-Verfahren wird daher auch als Lichtschachtverfahren bezeichnet.

Eine andere in der Antike verwendete Technik war das Gegenort-Verfahren. Bei diesem Verfahren werden die Stollen von zwei Seiten vorgetrieben, um sich in der Mitte zu treffen. Dies verkürzt die Bauzeit und ermöglicht eine präzise Positionierung der beiden Tunnelöffnungen, erhöht jedoch je nach Länge der Strecke auch die Gefahr und die Auswirkungen von Richtungsabweichungen. Beispiele sind der Hiskia-Tunnel in Jerusalem mit einer Länge von 537 Metern und der Eupalinos-Tunnel auf Samos mit einer Länge von 1036 Metern. Sie sind im achten bis sechsten Jahrhundert v. Chr. entstanden.

Die Römer perfektionierten den Tunnelbau

Auf dem italienischen Stiefel waren es zunächst die Etrusker, die sich mit dem Bau von Tunneln beschäftigten. Untersuchungen haben ergeben, dass die Landschaft Mittelitalien seit dem 9. Jahrhundert regelrecht mit den sogenannten „cuniculi“ durchlöchert gewesen sein muss. Frühe Tunnel wurden unter etruskischem Einfluss im 6. Jahrhundert v. Chr. in den Albaner Bergen errichtet. Sie dienten beispielsweise der Absenkung des Nemi-Sees und hatten eine Länge von 1600 Metern.

Mit den Römern wurde die Technik des Tunnelbaus perfektioniert, insbesondere im Bereich der Aquädukttunnel, die weitgehend standardisiert wurden. Diese Technik verbreitete sich schließlich in den Provinzen Europas, Afrikas und Asiens. Tunnel wurden an vielen Orten für verschiedene Zwecke eingesetzt, wie Entwässerung, Flussumleitung, Straßen- und Aquädukttunnel. Beim Bau wurden je nach den örtlichen Gegebenheiten und dem erforderlichen Aufwand sowohl das Qanat- als auch das Gegenort-Verfahren angewendet.

Die Leistungen der römischen Ingenieure mit Tunneln von 5 Kilometer Länge oder Aquäduktrouten, die über eine Strecke von 20 Kilometer nahezu vollständig unterirdisch verliefen, blieben für lange Zeit unerreicht. Aus dem Mittelalter sind kaum nennenswerte Tunnelbauprojekte bekannt.

Wie konnten die antiken Baumeister Richtungsabweichungen vermeiden?

Die Herausforderungen, mit denen antike Baumeister konfrontiert waren, um eine geplante Trassenlinie unterirdisch umzusetzen, sind in vielen Bauwerken erkennbar. Bereits nach wenigen Metern des Tunnelvortriebs wurde eine Kontrollmessung durchgeführt, die in den meisten Fällen zu einer Korrektur der Richtung für den weiteren Vortrieb führte. Diese wiederholte Abfolge von Vortrieb, Kontrollmessung und Richtungskorrektur führte dazu, dass historische Tunneltrassen oft in einem leichten Zickzack-Verlauf durch den Berg verlaufen.

Fehler wirkten sich beim Gegenortverfahren umso größer aus, je länger der geplante Tunnel. Weniger fehleranfällig war die Qanat-Bauweise, obwohl auch hier Abweichungen und Korrekturen zu beobachten sind. Um nicht völlig in die falsche Richtung zu graben, bauten die antiken Ingenieure häufig von vornherein Versicherungsstrategien in ihre Baupläne ein, hier sind drei davon:

  1. Um sicherzustellen, dass sich zwei Vortriebsstollen im Berg nicht verfehlten, wurde der sogenannte „finale Versicherungshaken“ angewendet. Dabei knickte man von einer Seite aus ab und bog von der gegenüberliegenden Seite zunächst in entgegengesetzter Richtung ab. Anschließend erfolgte eine weite Bogenführung zurück, um den anderen Stollen seitlich anzuschneiden.
  2. Eine alternative Methode bestand darin, die Stollen schräg zueinander voranzutreiben. Dies erhöhte die Treffsicherheit, selbst wenn man nicht exakt am geplanten Treffpunkt aufeinandertraf.
  3. Ein weiteres Verfahren sah vor, die beiden Suchstollen parallel versetzt voranzutreiben und dann von einer Seite aus schräg auf den anderen Vortrieb zuzugehen.

Wie wurde die geplante Tunneltrasse in die Landschaft übertragen?

Je nachdem, ob ein Tunnel im Qanat-Verfahren oder der Gegenort-Bauweise gegraben wurde, kamen unterschiedliche Techniken zum Einsatz, um die Trasse vom Bauplan ins Gelände zu übertragen:

Im Qanat-Verfahren gestaltete sich die Umsetzung der Trasse einfacher. Hierbei wurde die gesamte Strecke über Tage mithilfe von senkrechten Schächten festgelegt. Von diesen Schächten aus arbeitete man sich in kleinen Stollenbauabschnitten zu den benachbarten Schächten vor. Die Übertragung der Richtung erfolgte nun von Schacht zu Schacht. Dazu wurden vermutlich Gerüste mit Richtscheiten über den Schächten aufgestellt, die korrekt ausgerichtet waren und durch herabhängende Lote Fixpunkte auf die Ebene des Tunnels projizierten. Es ist jedoch auch anzunehmen, dass besonders kurze Strecken oft nach Gefühl vorangetrieben wurden.

Im Gegenort-Verfahren wurden zunächst die Mundlöcher auf beiden Seiten des Berges festgelegt. Je nachdem, ob der Tunnel ein Gefälle haben sollte oder nicht, mussten die Mundlöcher auf entsprechendem Niveau platziert werden. Höhenunterschiede konnten leicht durch das Anvisieren von Messlatten berechnet werden, auch über den Berg hinweg oder herum. Anschließend galt es, die Trassenlinie zwischen den Mundlöchern zu bestimmen. Dabei behalfen sich die Baumeister mit Trigonometrie. Wenn es die natürlichen Gegebenheiten erlaubten, konnte die Trasse auch direkt über den Berg festgelegt werden. Hierfür wurde die einfache Methode des „gegenseitigen Einrichtens einer Geraden“ angewendet. Man verteilte Posten an den Berghängen, die sich gegenseitig über Einsicht von mindestens zwei weiteren Postenpunkten in einer Fluchtlinie auf die richtige Position dirigierten.

Welche Werkzeuge wurden für den Tunnelbau verwendet?

Wie bereits geschrieben, hat die Entdeckung von Eisenerz dafür gesorgt, dass nun Werkzeuge aus Metall hergestellt werden konnten. Damit kamen die Arbeiter sehr viel einfacher und schneller voran, um unter anderem auch Tunnel zu bauen. So waren in der griechischen und römischen Welt zum Beispiel bereits Spaten, Hacken, Handmeißel oder andere Werkzeuge aus Eisen oder Bronze bekannt. Solange es durch weicheren Untergrund wie Sandstein ging, reichte das aus. Durch Felsen kamen die Römer aber nur mit sehr großem Zeitaufwand.

Die Arbeit mit dem Handmeißel wurde im antiken Tunnelbau daher durch das sogenannte Brandsprengen ergänzt. Hierbei wurde ein Feuer an der Stelle gelegt, an der ein Felsen entfernt werden musste. Hatte sich der Stein erhitzt, schütteten die Arbeiter kaltes Wasser darüber, so dass er durch den plötzlichen Temperaturschock Risse bekam. Nun konnten die Arbeiter mit ihren Werkzeugen an den entstandenen Sprüngen einfacher ansetzen und den Fels entfernen.

Beispiele für römische Tunnelbauten

Nachdem wir nun einiges über Vermessung, Technik und Bau von Tunneln in der Antike gelernt haben, möchten wir Ihnen noch einige der bedeutendsten Tunnelbauten der Römer vorstellen. An ihnen ist zudem gut zu erkennen, welche verschiedenen Funktionen Tunnel in der Antike bereits hatten.

Seeabsenkung: Claudiustunnel

Der Claudiustunnel wurde zwischen 41 und 52 n. Chr. im Auftrag von Kaiser Claudius errichtet. Er besteht aus einem langen unterirdischen Kanal, sechs Schächten und 32 Brunnen. Mit einer Länge von mehr als 5,6 Kilometern war der Claudiustunnel bis zur Eröffnung des Mont-Cenis-Eisenbahntunnels im Jahr 1871 der längste Tunnel, der jemals gebaut wurde. Ursprünglich plante bereits Julius Caesar die Trockenlegung des Sees, um das Land nutzbar zu machen. Seine Ermordung machte dem Plan einen Strich durch die Rechnung.

Der Tunnel wurde im sogenannten Lichtschachtverfahren vorgetrieben, bei dem Schrägschächte von der Oberfläche abgeteuft wurden und durch senkrechte Schächte miteinander verbunden waren. Diese Schächte dienten hauptsächlich zur Orientierung und ermöglichten auch den Abtransport von Abraummaterial. Über einen Großteil der 5,6 Kilometer des Tunnels verlief der Vortrieb reibungslos. Jedoch stießen die Arbeiter nach etwa 3,4 Kilometern auf eine stark wasserführende Schicht aus Ton und Felsgeröll, was sogar den Einsatz von Schöpfwerken erforderlich machte.

Flussumleitung: Vespasians-Titus-Tunnel

Da der Fluss das Stadtgebiet von Seleukia Pierie und den Hafen der südtürkischen Stadt regelmäßig mit Geröll verstopfte, waren regelmäßige Ausbaggerungsarbeiten erforderlich. Zusätzlich führten jährliche Überschwemmungen aufgrund der Schneeschmelze zu weiteren Problemen. Aus diesem Grund beschloss man im 1. Jahrhundert n. Chr., den Fluss um die Stadt herumzuleiten. Die Bauarbeiten für diese Flussumleitung begannen unter Kaiser Vespasian (Regierungszeit 69-79) und wurden unter seinem Sohn Titus (Regierungszeit 79-81) fortgesetzt. Vermutlich wurde das gesamte Bauwerk erst im 2. Jahrhundert unter Kaiser Antoninus Pius (Regierungszeit 138-161) abgeschlossen.

Das Flussumleitungssystem erstreckt sich über eine Gesamtlänge von 875 Metern und besteht aus verschiedenen Tunnelabschnitten, offenen Kanälen und Brückenbögen. Es wurde entwickelt, um den Fluss um die Stadt herumzuführen und so den Hafen von Seleukia Pieria vor Verlandung und Überschwemmungen zu schützen. Der Vespasian-Titus-Tunnel ist seit dem 15. April 2014 in der Tentativliste des UNESCO-Welterbes eingetragen.

Straßentunnel: Crypta Neapolitana

Die Crypta Neapolitana ist ein antiker römischer Straßentunnel in der Nähe von Neapel. Er wurde im Jahr 37 v. Chr. erbaut und erstreckte sich über eine Länge von über 700 Metern. Der Tunnel verband Neapel mit den Phlegräischen Feldern und der Stadt Pozzuoli entlang der bekannten Via Domiziana. Ursprünglich waren Neapel und Pozzuoli durch einen großen und undurchdringlichen Sumpf voneinander getrennt. Die erste Straßenverbindung zwischen den beiden Städten wurde vermutlich von den Griechen geschaffen und war schmal und indirekt.

Im Zuge des Bürgerkriegs zwischen Octavian und Sextus Pompeius wurde der Tunnel um 37 v. Chr. von dem Architekten Lucius Cocceius Auctus im Auftrag von Agrippa erbaut. Die Crypta Neapolitana ist einer von vier Straßentunneln, die Cocceius in der Region errichtet hat. Die anderen sind die Grotta di Seiano (Tunnel von Sejanus) in Posillipo, die Grotta di Cocceio vom See Avernus nach Cumae und die Crypta Romana von Cumae bis zum Hafen. Diese Tunnel bildeten Teil eines Netzwerks militärischer Infrastrukturen, das auch den Bau des Portus Julius umfasste.

Aquädukttunnel: Nonius Datus-Tunnel von Saldae

Der Nonius Datus-Tunnel war Bestandteil eines Aquädukts, das Trinkwasser von der Quelle in die römische Stadt Saldae an der Küste Algeriens brachte. Die Fernwasserleitung war 21 Kilometer lang, der besagte Tunnel besaß eine Länge von 428 Metern und lag bis zu 86 Meter tief unter der Erde. Pro Tag konnten damit etwa 10.000 Kubikmeter Wasser transportiert werden. Beim Tunnelbau scheint einiges schiefgelaufen zu sein, wie eine Inschrift auf dem Grab des Ingenieurs Nonius Datus vermuten lässt.

Die Grabinschrift gibt Aufschluss darüber, dass Nonius Datus ein starkes Interesse daran hatte, nicht als Verantwortlicher für die Schwierigkeiten beim Bau des Aquädukts von Saldae in Erinnerung zu bleiben. Stattdessen präsentiert er sich wohl zurecht selbst als Problemlöser. Aufgrund des Fehlgriffs der beiden Bauabteilungen, die den Tunnel im Gegenort-Verfahren geplant und aneinander vorbeigegraben hatten, veranlasste Nonius Datus neue Vermessungen und ließ eine Querverbindung zwischen den beiden Abschnitten herstellen.

Längstes römisches Tunnelbauwerk nördlich der Alpen: Drover-Berg-Tunnel

Auch in Deutschland haben die Römer bekanntlich ihre Spuren hinterlassen. Eher unbekannt dürfte der Drover-Berg-Tunnel im Kreis Düren sein, dabei handelt es sich um den längsten bekannten römischen Tunnel nördlich der Alpen. Er beginnt südlich von Drove und endet nach 1660 Metern unter der Erde südlich von Soller. Gebaut wurde er vermutlich im 2. Jahrhundert n.Chr., bekannt ist er allerdings erst etwa seit Ende des 19. Jahrhunderts, als er wiederentdeckt wurde. Für den Bau nutzten die Ingenieure die Qanat-Technik mit Lichtschächten.

Die vermutliche Funktion der Wasserleitung bestand darin, das Wasser einer Quelle namens „Heiliger Pütz“ durch den Drover Heide-Berg zu leiten, um es auf der anderen Seite zu einer römischen Villa zu bringen. Die Wasserleitung selbst ist für Laien kaum erkennbar. Jedoch wurde ihr Verlauf durch blau angestrichene Holzpfähle markiert, um ihn sichtbar zu machen. Zusätzlich werden auf Schautafeln detaillierte Informationen über den Verlauf der antiken römischen Wasserleitung präsentiert, um ihn anschaulich zu erläutern.

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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