Architektur 16.04.1999, 17:21 Uhr

Tagheller Plenarsaal

Am 19. April erhält der Bundestagspräsident in Berlin den Schlüssel des umgebauten Reichstags. In altem Gemäuer begegnet den Parlamentariern neueste Gebäudetechnik.

Ein altes Wahrzeichen in neuer Pracht wird seiner Bestimmung übergeben: Der deutsche Bundestag erhält seinen Parlamentssitz im alten Berliner Reichstag, wo er noch in diesem Jahr seine Arbeit aufnehmen will. In rund vierjähriger Bauzeit hat die Bundesbaugesellschaft Berlin das Gebäude – einstmals Sitz der preußischen Regierung, später über lange Jahre Bauruine und Mahnmal an die Zerstörungen des zweiten Weltkrieges – zu einem hochmodernen Funktionsbau umgestaltet. Herausragendes Merkmal des neuen Regierungssitzes ist die gewaltige Glaskuppel, die das „Herz“ des Gebäudes – den Plenarsaal – überspannt. Die Glaskuppel steht aber nicht nur im Dienst architektonischer Wirkung. Sie schafft die Voraussetzung für einen sparsamen Umgang mit Kunstlicht. Gespart wird auch beim Heizen. Ein Aquiferspeicher unter der Erde sammelt im Sommer die Wärme für den Winter.
Zum Bau der weithin sichtbaren Kuppel wurden 3000 m2 Glasfläche in eine 800 t schwere Stahlkonstruktion eingefügt. Indes: Bei dieser Glaskuppel handelt es sich nicht nur um einen simplen Lichteinlaß, vielmehr findet sich unterhalb der Konstruktion ein trichterförmiges Lichtumlenkelement, das mit Hilfe von 360 Spiegelelementen dafür sorgt, daß natürliches Licht in den 10 m tiefergelegenen Plenarsaal geleitet wird. Entworfen wurde die rund 23 m hohe und 40 m breite Kuppel durch den britischen Architekten Sir Norman Foster, dem jetzt in Los Angeles der mit 100 000 Dollar dotierte Pritzker-Preis zugesprochen wurde. Die Ausführung der Arbeiten lag bei der Arbeitsgemeinschaft Reichstagskuppel, bestehend aus den Firmen Waagner-Biro AG, Wien, Waagner-Biro GmbH, München, Götz GmbH – München/Wien/Dillingen.
Die Kuppel besteht aus 24 Hauptstahlrippen, die auf einem unteren Ringträger aufgelagert sind und oben durch einen weiteren umfaßt werden. Die Stahlrippen haben einen Dreiecksquerschnitt, der im unteren Bereich konstant ist und sich bis zum oberen Ringträger verjüngt. Aus insgesamt 17 Stahlringen, die im gleichmäßigen Abstand an der Außenseite der Hauptstahlrippe aufgesetzt werden, besteht die Horizontalaussteifung. Die Horizontalprofile sind wesentlicher Bestandteil der Fassade und dienen der Auflagerung der Verglasung sowie der Aussichtsplattform. Aus 17 übereinanderliegenden Reihen von Glasscheiben (24 mm dick) mit jeweils 24 Scheiben (5,1 m x 1,7 m) besteht die Verglasung der Kuppel. Die einzelnen Reihen sind schuppenartig übereinander angeordnet. Die sich daraus ergebenden Zwischenräume sind ebenfalls verglast. Zur besseren Durchlüftung der Kuppel bleiben die unteren vier Reihen unverglast.
Die Lichtumlenkung im Innern der Kuppel erfolgt über 30 Spiegelreihen mit jeweils 12 Spiegeln so daß insgesamt 360 Einzelspiegel (4,2 m x 0,6 m) das Sonnenlicht reflektieren werden. Dabei werden zur Vermeidung direkter Sonneneinstrahlung die jeweils der Sonne zugewandten Spiegel bei Bedarf durch ein mitfahrendes Sonnenschutzelement abgeschattet. Dieses Element besteht aus einem umlaufenden Stahlrahmen sowie Aluminiumlamellen.
Die computergestützte Steuerung für die Ausrichtung des Sonnenschutzelements ist so konzipiert, daß die jeweiligen Einstrahlwinkel entsprechend der unterschiedlichen Jahreszeiten berücksichtigt werden. 24 Meßstellen überprüfen die Positionierung des Verschattungselements in Abhängigkeit zum Sonnenstand. Zusätzlich sorgt das Lichtumlenkelement durch Ausnutzung des thermischen Auftriebs für die Abluftführung aus dem Plenarsaal. Die verbrauchte Luft wird über eine Abluft-düse nach oben geleitet und entweicht durch eine 10 m breite zentrale Öffnung am Kuppelscheitel. Sämtliche funktionalen und technischen Einrichtungen sind in den Konus integriert, so daß die gesamte Haustechnik – so für die Entlüftung und Entrauchung des Plenarsaals – für den Besucher nicht wahrnehmbar ist.
Unterhalb der Kuppel befindet sich der, ebenfalls von Norman Forster konzipierte, rund 1200 m2 große rundum verglaste Plenarsaal mit seinen in West-Ost-Richtung angeordneten Abgeordnetensitzen. Die Anordnung der Abgeordnetensitze erfolgte auf Beschluß der Parlamentarier in einer Geometrie abgeflachter Kreisbögen mit unterschiedlichen Zentren, die den Eindruck einer Ellipse erwecken. Bei ansteigendem Saalboden bilden die Sitze und Tische annähernd einen Zweidrittelkreis. Präsidium, Bundesregierung und Bundesrat befinden sich in leicht gekrümmter Sitzordnung dem Plenum gegenüber. Dadurch werden die Abstände zwischen Redner, Regierung und Parlament geringgehalten.
Der Reichtstag war von Beginn der Bauarbeiten an nicht nur eine Herausforderung für die beteiligten Bauunternehmen und die verantwortlichen Architekten. Auch der Denkmalschutz hatte bei allen anfallenden Arbeiten stets ein gewichtiges Wort mitzureden, hatte das Gebäude im Laufe seiner wechselvollen Geschichte doch zahlreiche Änderungen und Umbauten erfahren, die es, zumindest zum Teil, zu erhalten galt. Noch in den 60er Jahren war der zerstörte Südflügel wieder aufgebaut und rund zehn Jahre später das ganze Gebäude zu einem Parlamentssitz umgestaltet worden, der jedoch aufgrund des Vier-Mächte-Abkommens nie genutzt wurde.
Als im Jahre 1995 der Rückbau und die teilweise Entkernung des Reichstagsgebäudes begann, trat von der Originalsubstanz Paul Wallots, des ursprünglichen Erbauers, Erstaunliches zutage: großzügige Raumfluchten und Treppenhäuser, Figuren, Säulen und Wandschmuck aus dem letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Norman Foster hat die unerwarteten Entdeckungen in seine Planung einbezogen, ohne sein modernes Konzept aufzugeben.
Besonderer Wert wird im neuen Parlamentsgebäude auf Besucher gelegt. So haben Interessenten nicht nur die Möglichkeit auf Tribünen, die aus einem neugeschaffenen Zwischengeschoß in den Plenarsaal hineinragen, die Debatten zu verfolgen. Nicht zuletzt auch um Bürgernähe zu demonstrieren, ist der Reichstag gleichzeitig ein begehbares Monument deutscher Geschichte. So ist die Glaskuppel über eine spiralförmige Rampe von innen begehbar. Diese Rampe führt zu einer Aussichtsplattform, von der aus die Besucher in rund 50 m Höhe das Panorama der neuen Bundeshauptstadt genießen können. Gleichzeitig lädt eine Cafeteria auf der Dachterrasse zum Verweilen ein.
Während sich der Plenarbetrieb hauptsächlich im ersten Obergeschoß abspielt, ist das zweite Obergeschoß dem Präsidium und seinen Mitarbeitern, dem Ältestenrat und der Bundestagsverwaltung vorbehalten. Im dritten Obergeschoß befinden sich schließlich die Fraktionssitzungssäle und die zentrale Presselobby.
Mit Einweihung des neugestalteten Reichtstagsgebäudes findet nicht nur eine bemerkenswerte architektonische und bautechnische Leistung ihren Abschluß. Von der Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt, wurde beim Umbau auch ein zukunftsweisendes Energiekonzept in die Praxis umgesetzt. So galt für alle Gebäude im neuen Parlaments- und Regierungsviertel die Vorgabe, mit natürlichen Ressourcen möglichst sparsam umzugehen. Unter dieser Voraussetzung wurde für den Reichstag, wie auch für die anderen Regierungsgebäude ein Heizsystem konzipiert, das auf mit Rapsöl betriebenen Blockheizkraftwerken basiert. Diese BHKW decken rund 80 % des Gebäudebedarfs an elektrischer Energie und durch ihre Abwärme gleichzeitig rund 90 % des gesamten Wärmebedarfs. Gleichzeitig wird im Sommer in einer wasserführende Erdschicht Wärme für den Winter gespeichert. Dieses Prinzip der Aquiferspeicher wird auch für die erforderliche Kühlung des Gebäudes angewandt.

Mit 360 Spiegelelementen sorgt das trichterförmige Lichtumlenkelement der Reichstagskuppel für ein natürliches Licht im 10 m tiefer gelegenen Plenarsaal.
Neuer Berliner Reichstag: Herausragendes Merkmal des modernisierten Parlamentsgebäudes – die Glaskuppel des Architekten Norman Foster.

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Ein Beitrag von:

  • Han

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