Studie 22.11.2024, 13:00 Uhr

Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter – Worauf kommt es an?

Eine Analyse der Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter in 26 europäischen Ländern zeigt große Unterschiede in den Beschäftigungsquoten. Diese Unterschiede sind Gegenstand anhaltender Diskussionen über die Wirksamkeit unterschiedlicher Integrationsstrategien.

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55 Prozent der Ukraine-Flüchtlinge nach einem Jahrzehnt erwerbstätig.

Foto: PantherMedia / Olaf Karwisch

„Sprache zuerst“ in Deutschland

Deutschland verfolgt weiterhin die Strategie „Sprache zuerst“ und befand sich Anfang 2024 mit einer Beschäftigungsquote von 27 Prozent im europäischen Durchschnitt. Diese Erkenntnisse stammen aus einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

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  • Im ersten Quartal 2024 verzeichnete Litauen mit einer Beschäftigungsquote von 57 % den höchsten Wert unter den untersuchten Ländern.
  • Dänemark und Polen folgten mit ähnlich hohen Quoten von 53 % bzw. 48 % an beschäftigten ukrainischen Geflüchteten.
  • Am unteren Ende der Skala lagen hingegen Länder wie Finnland, Norwegen, Rumänien und Spanien, wo weniger als 20 % der ukrainischen Geflüchteten erwerbstätig waren.

In Ländern, in denen viele Arbeitsplätze für weniger qualifizierte Arbeitskräfte benötigt werden, sind mehr Menschen beschäftigt.

„Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass diese Jobs an geringere sprachliche und andere Voraussetzungen gebunden sind und sie schneller besetzt werden können“, erklärt IAB-Bereichsleiterin Yuliya Kosyakova. In Ländern mit steigender Arbeitslosigkeit gibt es weniger Arbeitsplätze, wodurch die Konkurrenz um Arbeit zunimmt. Strengere Arbeitsmarktregeln machen es neuen ukrainischen Geflüchteten schwerer, einen Job zu finden. In flexibleren Arbeitsmärkten ist es hingegen einfacher für Zuwandernde, Arbeit zu finden, weil die Kosten und Risiken für Arbeitgeber niedriger sind.

Faktoren für die Beschäftigungsquote ukrainischer Geflüchteter

In öffentlichen Diskussionen wird oft vermutet, dass allein Transferleistungen für die Beschäftigung verantwortlich sind. Diese Analyse betrachtet soziale Transferleistungen als Anteil der durchschnittlichen Ausgaben pro Geflüchteten am BIP pro Kopf. Die Ergebnisse zeigen jedoch nur einen geringfügigen und statistisch nicht signifikanten Zusammenhang mit der Beschäftigungsquote ukrainischer Geflüchteter. Andere Faktoren wie soziale Netzwerke haben einen stärkeren Einfluss auf die Beschäftigungsquote: Länder mit einem höheren Anteil ukrainischer Staatsangehöriger an der Bevölkerung – auch schon vor dem Krieg – weisen höhere Beschäftigungsquoten auf.

„Auch ausgeprägte Englischkenntnisse in der Bevölkerung beeinflussen die Beschäftigungsquoten positiv, wahrscheinlich weil sie die Kommunikation und damit auch die Integration in den Arbeitsmarkt erleichtern“, kommentiert IAB-Forscherin Kseniia Gatskova.

Demografische Zusammensetzung spielt auch eine Rolle

Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass die demografische Zusammensetzung der ukrainischen Geflüchteten, insbesondere die Anzahl der Kinder pro Frau im erwerbsfähigen Alter, einen starken Einfluss auf ihre Integration in den Arbeitsmarkt hat. Da die meisten Geflüchteten Frauen sind und viele von ihnen Mütter, sind die Beschäftigungsquoten in Ländern mit guter Kinderbetreuungsinfrastruktur wie Dänemark und den Niederlanden höher. Ein umfassender Zugang zu Gesundheitsdiensten geht ebenfalls mit höheren Beschäftigungsquoten einher.

Integrationsmaßnahmen, die langfristig die Bildung und Integration fördern, wie flächendeckende Sprach- und Integrationskurse, können kurzfristig jedoch die Beschäftigungsquoten senken.

„Für Deutschland zeigen die Erfahrungen mit den zwischen 2013 und 2019 Geflüchteten jedoch, dass diese Investitionen in Bildung mittel- und langfristig die Beschäftigungswahrscheinlichkeit und die Nachhaltigkeit der Arbeitsmarktintegration erhöhen“, erklärt IAB-Forscherin Theresa Koch.

Untersuchung: Mehrheit der ukrainischen Flüchtlinge haben in 10 Jahren einen Job

Die Ankunft von Menschen aus der Ukraine, die vor dem Krieg fliehen, könnte eine Chance für den deutschen Arbeitsmarkt sein, der teilweise unter einem Fachkräftemangel leidet. Eine Simulation deutet darauf hin, dass ihre Integration möglich, aber nicht unbedingt einfach sein wird, so das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg.

Laut der Studie wird die Erwerbsquote dieser Kriegsflüchtlinge nach fünf Jahren bei 45 % liegen und nach zehn Jahren auf 55 % steigen. So würden die Menschen aus der Ukraine ein vergleichbares Maß an Arbeitsmarktbeteiligung erreichen wie die Flüchtlinge, die während der Bewegung von 2015/2016 hauptsächlich aus Ländern wie Syrien und Afghanistan nach Deutschland kamen. Allerdings hatten jene teilweise bessere Voraussetzungen, da der Arbeitsmarkt damals aufnahmefähiger war als heute. Zudem war die Quote von alleinstehenden Männern und der Bedarf an Kinderbetreuung deutlich höher.

Unterschiede zu anderen Flüchtlingen

In der Untersuchung wird darauf hingewiesen, dass es bedeutende Unterschiede zwischen den ukrainischen Flüchtlingen und anderen gibt. Diese Unterschiede umfassen einen hohen Frauenanteil aufgrund von Ausreiseverboten für wehrpflichtige Männer, die häufige Flucht mit Kindern und die damit verbundenen Belastungen, insbesondere für Alleinerziehende, sowie ein höheres Durchschnittsalter bei ihrer Ankunft im Vergleich zu anderen Geflüchteten.

Die Familienkonstellationen der meisten ukrainischen Geflüchteten, die oft alleinerziehende Mütter umfassen, wirken sich negativ auf ihre Teilnahme am Arbeitsmarkt aus, so die Einschätzung von Yuliya Kosyakova, Bereichsleiterin beim IAB. Auch der vergleichsweise schlechte Gesundheitszustand der ukrainischen Geflüchteten habe eine dämpfende Wirkung. Jedoch seien das relativ hohe Bildungsniveau und der Wegfall des Asylverfahrens positive Faktoren.

Fünf Jahre nach ihrer Ankunft hatten laut der Studie 58 Prozent der Männer und 41 % der Frauen einen Job. Nach zehn Jahren stieg diese Zahl auf 68 % bei Männern und 52 % bei Frauen.

Erwerbstätigenquoten erhöhen

„Gezielte Sprachförderungsmaßnahmen verbessern nicht nur kurzfristig die Sprachfähigkeiten, sondern tragen auch mittel- bis langfristig zur Erhöhung der Erwerbstätigenquoten bei und können somit den Sozialleistungsbezug reduzieren“, wird IAB-Bereichsleiter Herbert Brücker in einem LinkedIn-Post zu dieser Studie zitiert. Denn: Eine positive Verbindung besteht auch zwischen der Sprachförderung und der Teilnahme an Sprachkursen sowie der Entwicklung der Erwerbstätigenquoten.

Die Studie verwendete ein Basisszenario, das als realistisch betrachtet wird und sowohl die Arbeitsmarktbedingungen vor Ort als auch die Zusammensetzung der Flüchtlinge hinsichtlich Bildung, Gesundheit und Familienstruktur berücksichtigt. Die Wissenschaftler betonen jedoch, dass es sich bei der Simulation nicht um eine Prognose handelt.

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ist die Zahl der ukrainischen Staatsbürger in Deutschland von 156.000 auf 1.240.000 gestiegen. Obwohl viele dieser Personen nach dem Ende des Konflikts planen, in ihre Heimat zurückzukehren, zeigt sich, dass mit zunehmender Dauer des Krieges immer mehr von ihnen einen längeren oder sogar dauerhaften Aufenthalt in Deutschland in Betracht ziehen.

Mehr Ukrainerinnen und Ukrainer starten duale Ausbildung

Im Jahr 2023 ist die Zahl der Ukrainerinnen und Ukrainer, die eine Ausbildung im dualen Berufsbildungssystem in Deutschland begonnen haben, deutlich gestiegen. Sie hat sich im Vergleich zu 2022 mehr als verdoppelt – von etwa 900 auf knapp 1.900. Der Zuwachs von 112 Prozent bleibt jedoch deutlich hinter dem Anstieg der ukrainischen Bevölkerung im Alter von 15 bis 30 Jahren zurück, der von 2021 auf 2022 bei 662 Prozent lag. Diese Altersgruppe ist besonders relevant für duale Ausbildungsangebote. Die Zahlen stammen aus einer Analyse des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) basierend auf der Berufsbildungsstatistik der statistischen Ämter (Stand 31.12.).

Im Jahr 2023 haben viele Ukrainerinnen und Ukrainer ihre Ausbildung in Berufen begonnen, in denen ein großer Fachkräftemangel herrscht. Dazu gehören beispielsweise Zahnmedizinische Fachangestellte, Kfz-Mechatroniker/-innen und Köchinnen und Köche – Berufe, die von der Bundesagentur für Arbeit als Engpassberufe eingestuft werden.

Die Zahl der neuen Ausbildungsverträge von Ukrainerinnen und Ukrainern wird voraussichtlich in diesem Jahr deutlich steigen. Ab 2026 oder 2027 könnten viele von ihnen ihre Ausbildung erfolgreich abschließen. Daten aus der Fluchtbewegung von 2015 zeigen, dass die Zahl der Absolventen im dualen System etwa fünf Jahre nach einem Bevölkerungsanstieg und rund drei Jahre nach einem Anstieg der Neuabschlüsse steigt.

Ein Beitrag von:

  • Alexandra Ilina

    Redakteurin beim VDI-Verlag. Nach einem Journalistik-Studium an der TU-Dortmund und Volontariat ist sie seit mehreren Jahren als Social Media Managerin, Redakteurin und Buchautorin unterwegs.  Sie schreibt über Karriere und Technik.

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