Fachkräftemangel 14.08.2024, 13:00 Uhr

Warum man jetzt auf ausländische Ingenieure setzen muss

Der demografische Wandel stellt Deutschland vor die Herausforderung, verstärkt auf Fachkräftezuwanderung aus dem Ausland zu setzen. Kommen nun mehr ausländische Fachkräfte dank Chancenkarte nach Deutschland?

Ausländische Fachkräfte

Arbeitskräfte aus aller Welt: Die Vielfalt bereichert den deutschen Arbeitsmarkt.

Foto: PantherMedia / GaudiLab

„Wir brauchen eine breite Palette an Maßnahmen, um junge Menschen in Deutschland für Technik und Wissenschaft zu begeistern. Um die Fachkräftelücke zu schließen, sind auch ausländische Ingenieurinnen und Ingenieure unerlässlich“, sagt VDI-Direktor Adrian Willig.

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Von 2012 bis September 2023 stieg die Zahl der ausländischen Fachkräfte in Ingenieurberufen um 146,6 Prozent. Die Zahl der offenen Stellen sank im Vergleich zum Vorjahr um 15,6 Prozent, was eine positive Entwicklung zeigt. Dennoch bleibt der Engpass, insbesondere in der Energie- und Elektrotechnik, hoch. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) verursacht die aktuelle Fachkräftelücke in Ingenieur- und IT-Berufen einen jährlichen Wertschöpfungsverlust von etwa 9 bis 13 Milliarden Euro.

Dies sind die wesentlichen Ergebnisse des Ingenieurmonitors von VDI und IW zum Fachkräftemangel und zur Rolle ausländischer Beschäftigter auf dem deutschen Arbeitsmarkt.

„Der Rückgang ist sicherlich auch auf die wirtschaftliche Situation zurückzuführen, in der Unternehmen mit Neueinstellungen zurückhaltend sind. Dennoch gibt es positive Signale“, erklärt VDI-Direktor Adrian Willig. Sein ausführliches Interview lesen Sie bei VDI-Nachrichten.

Energie- und Elektrotechnik besonders betroffen

Die Engpasskennziffer, also die Anzahl offener Stellen pro 100 Arbeitslose, bleibt bei 333.
Größte Engpässe gibt es in:

  • Energie- und Elektrotechnik (Engpassrelation 558)
  • Bau, Vermessung, Gebäudetechnik und Architektur (Engpassrelation 433)
  • Maschinen- und Fahrzeugtechnik (Engpassrelation 368)
  • Informatik (Engpassrelation 303)

Positiv habe sich insbesondere die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte (ohne Flüchtlingsländer und UK) auf den deutschen Arbeitsmarkt entwickelt. Adrian Willig erklärte, dass der Bedarf an Ingenieuren und Informatikern in den kommenden Jahren durch Digitalisierung und Klimaschutz weiter steigen werde. Der Fachkräftemangel könne nur durch umfassende Maßnahmen gemildert werden, einschließlich der Begeisterung von mehr jungen Menschen und Frauen für Ingenieurberufe. Ingenieure würden von Batterien bis Windrädern wesentliche Beiträge zur Innovation leisten, und eine verstärkte Zuwanderung sei ebenfalls notwendig. Erfreulicherweise sei hier bereits Fortschritt zu verzeichnen.

Seit Ende 2012 bis September 2023 ist die Zahl der ausländischen Ingenieure von 46.489 auf 114.648 gestiegen, was einem Anstieg von 146,6 % entspricht. Der Anteil dieser ausländischen Ingenieure an allen Ingenieuren sei in diesem Zeitraum von 6 % auf 11 % gewachsen.

Die höchsten Anteile ausländischer Ingenieure sind in Bayern, Hessen, Thüringen, Brandenburg und Berlin zu finden. „Vor allem im forschungs- und patentstarken Großraum München hat sich die Zuwanderung als wichtiger Faktor für die Fachkräftesicherung erwiesen“, sagt Prof. Axel Plünnecke vom IW. „Hier arbeiten mit 11.681 Personen die meisten ausländischen Ingenieurinnen und Ingenieure – und damit mehr als in ganz Hessen und fast doppelt so viele wie Niedersachsen.”

Chancenkarte für ausländische Fachkräfte: Was Sie über die neue Regelung wissen sollten

Fachleute betrachten qualifizierte Zuwanderung als einen wichtigen Ansatz zur Bekämpfung des Fachkräftemangels. Die Bundesregierung plant, dem Fachkräftemangel durch die Einführung der Chancenkarte entgegenzuwirken.

Ab dem 1. Juni 2024 können Fachkräfte aus Drittstaaten diese Chancenkarte beantragen. Basierend auf der Novellierung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes von 2019 zielt die Einführung der Chancenkarte darauf ab, die qualifizierte Zuwanderung aus Drittstaaten branchenübergreifend um bis zu 65.000 Personen pro Jahr zu erhöhen.

„Die Chancenkarte ist der Einstieg in ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild und daher positiv zu bewerten“, sagt VDI-Arbeitsmarktexperte Ingo Rauhut. „Es bleibt aber dabei: Zuwanderungswillige Fachkräfte sehen sich mit einer Reihe hoher bürokratischer Hürden konfrontiert, die eine Zuwanderung nach Deutschland für sie nicht gerade attraktiv macht.“

Voraussetzungen für die Chancenkarte

Personen, die die Chancenkarte beantragen möchten, müssen bestimmte Kriterien erfüllen. Dazu gehören eine ausländische berufliche oder akademische Qualifikation, die in Deutschland vollständig anerkannt ist, oder alternativ ein Hochschul- oder Berufsabschluss aus Deutschland, sowie eine staatlich anerkannte berufliche oder akademische Ausbildung von mindestens zwei Jahren Dauer im Herkunftsland. Zusätzlich können einfache Deutsch- oder gute Englischkenntnisse erforderlich sein, um weitere Punkte zu sammeln, etwa durch die Anerkennung der Qualifikationen in Deutschland oder relevante Berufserfahrung im deutschen Kontext. Ähnlich wie in Ländern wie Kanada funktioniert dieses Punktesystem: Je mehr Punkte gesammelt werden, desto höher sind die Erfolgschancen. Die Chancenkarte wird zunächst für maximal ein Jahr ausgestellt, währenddessen muss der Lebensunterhalt nachweislich gesichert sein.

Wie funktioniert die Chancenkarte?

Mit der Chancenkarte können Fachkräfte entweder nach einer Arbeitsstelle suchen oder ein eigenes Unternehmen gründen. Während dieser Zeit dürfen sie auch Nebenjobs oder Probebeschäftigungen annehmen, solange sie darauf abzielen, eine qualifizierte Beschäftigung oder Ausbildung zu finden. Falls nach einem Jahr immer noch kein anderer Aufenthaltstitel vorliegt, aber ein Jobangebot besteht, kann die Chancenkarte um zwei Jahre verlängert werden.

„Die Chancenkarte ist der Einstieg in ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild und daher positiv zu bewerten“, erklärt VDI-Arbeitsmarktexperte Ingo Rauhut. „Es bleibt aber dabei: Zuwanderungswillige Fachkräfte sehen sich mit einer Reihe hoher bürokratischer Hürden konfrontiert, die eine Zuwanderung nach Deutschland für sie nicht gerade attraktiv macht.“

VDI-Projekt Xpand für eingewanderte Ingenieure und Ingenieurinnen

Das neue VDI-Projekt Xpand hat es sich zum Ziel gesetzt, Brücken für Ingenieure und Ingenieurinnen aus dem Ausland zu bauen. Diese stehen vor zahlreichen Herausforderungen, die den Weg zu einer angemessenen beruflichen Beschäftigung in Deutschland erschweren. Trotz ihrer Qualifikationen mangelt es ihnen oft an beruflichen und sozialen Netzwerken sowie an Kenntnissen über die regionalen Ingenieurarbeitsmärkte. Diese Faktoren sind entscheidend, um sich in Deutschland zu etablieren. „Wir wollen zugewanderten Ingenieuren, Ingenieurinnen und Studierenden der Ingenieurwissenschaften im höheren Semester die Integration in den Arbeitsmarkt, aber auch in die Gesellschaft erleichtern und ihnen damit eine Heimat bieten“, sagt Projektleiter Ingo Rauhut.

VDI-Xpand zielt darauf ab, erfahrene Fachkräfte als Mentoren mit zugewanderten Fachkräften, den sogenannten Mentees, zusammenzubringen. Das Ziel dieser Kooperation ist es, den Arbeitsmarkt mit hochqualifizierten Fähigkeiten zu bereichern. Die Initiative VDI-Xpand wird in Nordrhein-Westfalen pilothaft in Zusammenarbeit mit den VDI-Bezirksvereinen Aachen, Bochum, Münsterland und Ostwestfalen-Lippe durchgeführt. Neben der Unterstützung im Bewerbungsprozess ermöglicht das Programm den Austausch über den Umgang mit Vorurteilen und die Arbeitskultur.

Rauhut erläuterte weiterhin, dass es zum Selbstverständnis des VDI gehört, allen Ingenieuren und Ingenieurinnen in Deutschland, die eine Leidenschaft für Technik haben, als Anlaufstelle zu dienen. Dabei sei es nicht das Ziel, einen Brain-Drain in anderen Ländern zu fördern, sondern vielmehr, die Ingenieure und Ingenieurinnen aus dem Ausland, die sich bereits in Deutschland befinden, durch einen kollegialen Austausch auf Augenhöhe zu unterstützen und ihnen eine Heimat zu bieten.

„Es wird viel darüber geredet, wie wir qualifizierten Fachkräften die Zuwanderung und Aufnahme einer bildungsadäquaten Beschäftigung in Deutschland erleichtern können. Als VDI kümmern wir uns jetzt in der Praxis darum, dass auch etwas geschieht“, resümierte Direktor Adrian Willig.

Ab dem 1. März 2024 sind neue Regelungen in Kraft, die ausländischen Fachkräften aus Nicht-EU-Ländern mit Berufserfahrung ermöglichen, in Deutschland in nicht reglementierten Berufen zu arbeiten, ohne dass ihr Abschluss in Deutschland formal anerkannt werden muss. Diese Änderungen stellen eine Erleichterung der Einwanderung und eine Erweiterung der Beschäftigungsmöglichkeiten für qualifizierte Fachkräfte dar, was zu einer größeren Vielfalt und Innovationspotenzial auf dem deutschen Arbeitsmarkt führen könnte.

„Fachkräfte mit Abschluss und Berufserfahrung können dann auch ohne vorheriges Anerkennungsverfahren einreisen und in Deutschland arbeiten“, sagte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Mehr ausländische Beschäftigte für Deutschland?

In zahlreichen Arbeitsbereichen ist der deutsche Arbeitsmarkt seit langem von Fachkräftemangel betroffen und funktioniert nur dank der Beteiligung von Personen mit ausländischem Hintergrund. Insbesondere in Berufen wie der Reinigung (60 Prozent) und der Gastronomie (46 Prozent) ist der Anteil der Erwerbstätigen mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich hoch, wie das Statistische Bundesamt unter Berufung auf Daten für das Jahr 2022 mitteilte.

Im Jahr 2022 hatte demnach ein Viertel (25 Prozent) aller Erwerbstätigen im Alter von 15 bis 64 Jahren einen Migrationshintergrund. Nach Angaben der Behörde in Wiesbaden wird eine Person als mit Einwanderungsgeschichte bezeichnet, wenn sie seit dem Jahr 1950 selbst nach Deutschland eingewandert ist oder wenn beide Elternteile seit dem Jahr 1950 eingewandert sind.

Auch in den Bereichen Verkehr und Logistik stellten Personen mit Migrationshintergrund mit 38 % einen überdurchschnittlichen Anteil an allen Beschäftigten dar. Unter den Fahrern von Fahrzeugen im Straßenverkehr, einschließlich Berufskraftfahrern, Bus- und Straßenbahnfahrern, betrug ihr Anteil knapp 40 %. In den Hoch- und Tiefbauberufen zeigt sich ein ähnliches Bild, wobei der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund bei 36 % lag, in Hochbauberufen bei 40 % und in Berufen des Innenausbaus bei 34 %.

Auch in einem anderen Bereich zeigt sich ein Unterschied in der Beschäftigung von Personen mit und ohne Migrationshintergrund. Unter den Führungskräften waren Personen mit Migrationshintergrund weniger stark vertreten. Ihr Anteil an allen Führungskräften im Jahr 2022 betrug 18 %. Ähnliches galt für akademische Berufe, in denen 19 % der Beschäftigten einen Migrationshintergrund hatten. Personen mit Migrationshintergrund waren hingegen häufiger in gering qualifizierten Berufen tätig als solche ohne Migrationshintergrund. Im Jahr 2022 stellten sie die Mehrheit aller Hilfsarbeitskräfte (52 %).

Deutschland als attraktives Ziel

Laut einer aktuellen internationalen Umfrage bleibt Deutschland für ausländische Arbeitskräfte weiterhin attraktiv. In einer kürzlich veröffentlichten Befragung von 150.000 Arbeitnehmern aus 188 Ländern belegt Deutschland den fünften Platz auf der Liste der beliebtesten Arbeitsstandorte. Es ist somit das führende nicht-englischsprachige Land, hinter Australien, den USA, Kanada und Großbritannien. Die Studie wurde von der Unternehmensberatung Boston Consulting Group, der Stellenbörse Stepstone und ihrem Dachverband The Network veröffentlicht. Im Gegensatz dazu bleiben in Deutschland ansässige Arbeitnehmer in der Regel eher im Inland.

Im Gegensatz dazu sind die Arbeitnehmer in Deutschland vergleichsweise sesshaft, wie die Umfrage zeigt. Lediglich sieben Prozent der 14.000 Befragten hierzulande, darunter sowohl Einheimische als auch Einwanderer, gaben an, nach einem Auslandsjob zu suchen. Die bevorzugten Ziele waren die Schweiz und Österreich. Im Vergleich zu Ländern wie Italien, Großbritannien oder den USA ist dies eine eher niedrige Quote, da dort jeweils mehr als doppelt so viele Personen erklärten, im Ausland arbeiten zu wollen.

Dieser Umfrage zufolge sei London weltweit die beliebteste Stadt, gefolgt von Amsterdam und Dubai. Berlin belegt mit dem sechsten Platz ebenfalls eine herausragende Position. Für die große Mehrheit der Befragten ist jedoch das entscheidende Kriterium für einen Wechsel ins Ausland nicht das Land oder eine spezifische Metropole, sondern vielmehr die Attraktivität des Stellenangebots.

Fachkräfte und Arbeitgeber zu einer Anerkennungspartnerschaft verpflichten

Zukünftig dürfen Personen aus Drittstaaten bereits in Deutschland arbeiten, wenn sie mindestens zwei Jahre Berufserfahrung und einen im Herkunftsland anerkannten Berufs- oder Hochschulabschluss vorweisen können. Eine spezifische Anerkennung ihrer Ausbildung in Deutschland ist zunächst nicht erforderlich. Diese Maßnahme zielt darauf ab, Bürokratie zu reduzieren und die Verfahren zu beschleunigen. Das Arbeitsplatzangebot in Deutschland muss jedoch ein Bruttojahresgehalt von mindestens 40.770 Euro garantieren. Bei Tarifbindung des Arbeitgebers reicht eine Vergütung gemäß des Tarifvertrags aus.

Wenn eine Anerkennung der Berufsqualifikation weiterhin erforderlich ist, wie beispielsweise in vielen Gesundheits- und Pflegeberufen, und sich Fachkräfte sowie Arbeitgeber zu einer Anerkennungspartnerschaft verpflichten, kann das Verfahren künftig auch nach der Einreise nach Deutschland eingeleitet werden. In dieser Partnerschaft verpflichten sich Arbeitgeber und die betreffende Fachkraft, die Anerkennung nach der Einreise zu beantragen und das Verfahren aktiv zu unterstützen. Dabei kann die Fachkraft bereits in Deutschland nebenbei qualifizieren oder arbeiten. Die grundlegenden Voraussetzungen für eine Anerkennungspartnerschaft sind ein Arbeitsvertrag sowie eine im Herkunftsland anerkannte Berufsqualifikation von mindestens zwei Jahren oder ein Hochschulabschluss. Zusätzlich werden deutsche Sprachkenntnisse auf Niveau A2 verlangt.
Faeser sagte: „Wir sorgen dafür, dass die Fachkräfte in unser Land kommen können, die unsere Wirtschaft seit Jahren dringend braucht“.

Paradigmenwechsel in der Einwanderungspolitik

Der Migrationsexperte Martin Lange am ZEW Mannheim bezeichnete es als einen „Paradigmenwechsel in der Einwanderungspolitik“, dass Personen aus Drittstaaten künftig eine Beschäftigung in Deutschland aufnehmen können, ohne vorher ihre Qualifikationen anerkennen lassen zu müssen. Allerdings wies er darauf hin, dass ein „unverhältnismäßig hohes Einkommen“ nachgewiesen werden müsse. Lange äußerte den Wunsch, dass die Bundesregierung in diesem Bereich nachbessern solle, um mehr Zuwanderung über diesen Kanal zu ermöglichen. Er betonte jedoch, dass dies keine umfassende Reform sei, da die Einwanderung aus Drittstaaten attraktiver gestaltet werden müsse. Er forderte die Beseitigung administrativer Hürden und die Senkung hoher Verdienstschwellen.

Ein Beitrag von:

  • Alexandra Ilina

    Redakteurin beim VDI-Verlag. Nach einem Journalistik-Studium an der TU-Dortmund und Volontariat ist sie seit mehreren Jahren als Social Media Managerin, Redakteurin und Buchautorin unterwegs.  Sie schreibt über Karriere und Technik.

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