Heiko Mell 26.01.2018, 07:51 Uhr

Mein Arbeitszeugnis gefällt mir nicht

Frage/1: Ich übersende Ihnen mein Arbeitszeugnis, welches ich aufgrund eines Vorgesetztenwechsels erhalten habe.

Antwort/1: Es handelt sich um ein Zwischenzeugnis (hier auch korrekt so bezeichnet). Das ist eine spezielle Abart eines Zeugnisses und weist einige Besonderheiten auf:

  1. Für das Ausstellen eines Endzeugnisses (das offiziell nur „Zeugnis“ heißt) gibt es beim Unternehmen eine interne verwaltungstechnische Abwicklungsroutine: Der Mitarbeiter hatte gekündigt (oder ihm wurde gekündigt), damit liegen das Ausscheidedatum und der Tag fest, an dem ein Endzeugnis ausgehändigt werden muss.

Ein Zwischenzeugnis hingegen fällt irgendwann „plötzlich“ und außerhalb der Routine an. Sei es, weil ein Vorgesetzter wechselt, weil der Mitarbeiter mit oder ohne Begründung plötzlich eines haben will, weil der Vorgesetzte leichtsinnigerweise eines zugesagt hat oder aus anderem Grunde. So etwas stört die Tagesroutine und ist im Jahresablauf nicht planbar.

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Wenn ein Unternehmen 1000 Mitarbeiter hat und eine Fluktuation von 10%, dann kann es sich auf 100 Endzeugnisse/Jahr einstellen und die Kapazität dafür schaffen. Bei Zwischenzeugnissen geht das nicht, sie werden in der Kapazitätsplanung vieler Personalabteilungen gern vernachlässigt – und dann als zusätzliche Belastung empfunden.

  1. Viel gravierender aber ist: Der Empfänger eines Endzeugnisses geht für immer aus dem Haus. Er spielt in der hausinternen Betrachtung keine Rolle mehr. Seine Kündigung ist endgültig, weder ein zu gutes noch ein zu schlechtes Zeugnis haben noch Einfluss auf das Beschäftigungsverhältnis. „Schönt“ man das Endzeugnis etwas über das verdiente Maß hinaus, fühlen sich Chef und Personalabteilung gut dabei, haben sie doch ohne Kosten für das Unternehmen dem ehemaligen Mitarbeiter etwas Gutes getan. Und sie haben das berufliche Fortkommen dieses Menschen gefördert – „wie das Gesetz es befahl“ – (nach Schiller).

Der Empfänger eines Zwischenzeugnisses aber ist üblicherweise weiterhin Mitarbeiter im Unternehmen. Er kann Forderungen stellen (Gehalt, Beförderung), sich wehren (gegen Abmahnung, Degradierung, Entlassung). Und er bekommt nun mit dem Zwischenzeugnis ein offizielles Dokument des Arbeitgebers in die Hand, in dem steht, wie der ihn beurteilt hat. Schönt man dieses Dokument zu sehr, gibt man eventuell dem Mitarbeiter ein Beweismittel in die Hand, das dem Arbeitgeber noch Ärger machen kann.

  1. Leider gibt es aber noch ein Argument, das genau in die Gegenrichtung zielt: Schönt man ein Zwischenzeugnis nicht in der üblichen Form, dann demotiviert man vielleicht einen weiterhin noch dort beschäftigten Mitarbeiter, enttäuscht ihn oder – was gar nicht beabsichtigt war – treibt ihn zur Kündigung. Ein Mitarbeiter, der bisher nur ein bisschen faul war (ein willkürliches Beispiel), aber noch eingesetzt werden konnte, bleibt nach Aushändigung eines wahrheitsgemäß formulierten Zwischenzeugnisses immer noch faul, ist jetzt aber auch noch beleidigt.
  2. Ein reines Sachargument: Die Beurteilung in einem Zwischenzeugnis beeinflusst die Formulierung eines möglichen Endzeugnisses noch etwa ein bis drei Jahre nach Ausstellung (mit abnehmender Tendenz).

Jetzt verstehen Sie, warum manche bis viele Unternehmen sich mit Zwischenzeugnissen so schwer tun.

Frage/2: Vor acht Monaten habe ich das Zeugnis allein schon wegen der Länge reklamiert, habe aber bis heute noch keine neue Version erhalten.

Antwort/2: Da sehen Sie, wie ungeliebt dieses für Arbeitnehmer so wichtige Instrument bei Arbeitgebern ist.

Ich weiß ja nicht, wie Sie „reklamiert“ haben. In der Sache hatten Sie völlig recht: Das Dokument läuft weit auf die vierte Seite hinaus. Verursacht wird das ausschließlich durch eine viel zu ausführliche Aufzählung von Sachdetails zu Aufgaben und Zuständigkeiten. Das liest in dieser Detaillierung anlässlich von Bewerbungen „kein Mensch“. Aber ein messbarer Nachteil für Sie ist damit eigentlich nicht verbunden – der Leser kann diese endlosen Auflistungen ja problemlos „überblättern“ und zum Kern der Sache, der Beurteilung und Bewertung, vorstoßen.

Bei der Art der „Reklamation“ gilt: Das Zeugnis ist Sache des Arbeitgebers, wenn Sie etwas ändern wollen, was nicht auf einen offensichtlichen Fehler hinausgeht, sind Sie gut beraten, eher als Bittstellerin aufzutreten.

Besonders wichtig aber ist: Kritisieren Sie das „Machwerk“ des Arbeitgebers nicht einfach, etwa mit „Es ist zu lang, ich bitte um Kürzung“. Damit zwingen Sie Ihren beurteilenden Chef und HR, gemeinsam in die – lästigen – Sachdetails einzusteigen und sich Gedanken zu jedem einzelnen Satz zu machen. Und dann wissen die beiden Partner immer noch nicht, ob das nun Ihren Vorstellungen entspricht oder ob neue „Meckereien“ Ihrerseits zu befürchten sind.

Auch hier gilt meine Standardempfehlung: Legen Sie Vorgesetzten und anderen „höheren Dienststellen“ (z. B. HR) stets einen eigenen ausgearbeiteten (Gegen-)Vorschlag vor, den diese notfalls „abnicken“, sprich ohne eigenen großen Denkaufwand einfach durchwinken können. Zeigen Sie ihnen also, was genau nach Ihrer Meinung gekürzt bzw. verändert werden sollte.

Frage/3: Laut Aussage des Vorgesetzten sollte die Note des Zeugnisses etwa eine 1,3 (oder in manchen Details eine 1,7) widerspiegeln.

Antwort/3: Das ist ein bisschen wie das Herumschrauben mit einem Uhrmacherschraubendreher an einer Dampflok. Zwar kann jedes Unternehmen ohne Mühe einen Katalog von einzelnen Formulierungen aufstellen, die angeblich jeweils einer Zehntelnote nach dem Komma entsprechen. Aber die Leser solcher Dokumente, die ja ausnahmslos „draußen“ angesiedelt sind, können das dann nicht nachvollziehen.

Ich halte ein Abstufung in ganzen Noten für relativ einfach machbar und sehe oft den Versuch, diese mit einem „+“ auf- oder mit einem „-“ abzuwerten bzw. einen Trend anzudeuten. Auch eine „1–2“ ist denkbar. Es gibt einen Trick der Unternehmen bei der Bewertung: Da der Mitarbeiter gern eine „sehr gute“ Gesamtnote hätte und ständig nörgelt, wenn er sie nicht findet, gibt man sie ihm, „damit Ruhe ist“. Dann aber vergibt man bei den diversen Einzelbewertungen deutlich schlechtere Noten, sodass der Fachmann erkennt: Diese angebliche „1“ ist gar keine. Das bedeutet: Wer ein rundum sehr gutes Zeugnis anstrebt, braucht – wie beim Studienexamen auch – diverse sehr gute Einzelnoten, die ein solches Gesamtergebnis erst glaubwürdig machen.

Schauen wir in die Details Ihres Dokumentes (komplett abdrucken kann ich es aus Gründen der Vertraulichkeit natürlich nicht, aber vorsichtig daraus zitieren schon): - Die Dienstzeit beträgt mehr als fünf Jahre, davon waren Sie die weitaus längste Zeit als …-Ingenieurin tätig, seit gut einem Jahr haben Sie eine erste disziplinarische Führung eines kleinen Teams.

– Ihre „Gesamt-Schulnote“ lautet „stets zu unserer vollsten Zufriedenheit“ und ist damit sehr gut. Außerdem heißt es dort noch „und entspricht unseren Erwartungen in jeder Hinsicht in bester Weise“. Das setzt noch ein positives Zeichen dahinter.

– Ihre „Arbeitsergebnisse sind immer gut“. Das ist „gut“, keinesfalls besser. Diese äußerst wichtigen Ergebnisse passen absolut nicht zur Gesamtnote! Der Leser wird misstrauisch und könnte irgendeine raffinierte Absicht wittern.

– Unten werden noch einmal die „stets guten Leistungen“ erwähnt. Das reicht auch nicht für die Untermauerung der „stets vollsten Zufriedenheit“.

– Das Verhalten gegenüber internen Partnern aller Art ist „stets sehr vorbildlich“. Ich bezweifle, dass „sehr vorbildlich“ sprachlich korrekt und machbar ist, aber man erkennt, was gemeint ist: ein Höchstwert. Unmittelbar danach steht aber: „Auch ihr Auftreten gegenüber unseren Kunden … ist stets einwandfrei.“ Das geht so nicht! Niemand weiß mehr, was gemeint sein soll. Die Formulierung ist auf dem Niveau eines Schulzeugnisses angesiedelt, in dem steht: „In Mathe war sie ausgezeichnet. Auch in Deutsch stand sie auf 2.“ Ja, was denn nun?

– „Sie findet stets effektive Lösungen“ – das geht als „2+“ durch.

– „… erfüllt ihre Pflichten selbst in Zeiten hohen Arbeitsaufkommens in lobenswerter Weise“ – das ist ein Lob, aber noch kein Höchstwert; und es sind „nur“ ihre Pflichten, eine Führungskraft muss aber oft bis sehr oft mehr tun als das, z. B. eigene Ideen einbringen, sich auch selbst Ziele setzen.

– „… zielbewusst, zügig und dennoch sorgfältig“ – das sind positive, aber eben nicht sehr positive Aussagen (dazu fehlen zusätzliche Superlativ-Beiwörter wie „äußerst zielbewusst“ und „sehr zügig“).

– „… eine sehr aktive Mitarbeiterin“, „… setzt sich stets mit äußerst beachtlichem Engagement in höchstem Maße für unser Unternehmen ein“ – ich finde das ausgesprochen positiv, das sind Superlative.

– Auf die seit einem Jahr bestehende, auch disziplinarische Führung des Teams wird mit keinem Wort eingegangen! Wenn ich als Leser unterstelle, dies sei Absicht, ist das äußerst schlecht! Man darf ja in Zeugnissen nichts wirklich Kritisches sagen, z. B. einen absolut nicht kreativen Mitarbeiter niemals etwa genau so bezeichnen. Man darf dann höchstens alles weglassen, was auf Kreativität hindeuten könnte. Also heißt das Weglassen Ihrer Führungsqualitäten in diesem Dokument etwa: „Ob sie führen kann und diesen speziellen Anforderungen gerecht wird? Reden wir besser nicht darüber.“

Frage/4: Was ist in meinem Zeugnis eine „aktive Mitarbeiterin“? Dass die Arbeitsergebnisse immer gut sind, ist doch wohl eine „3“? Die Formulierung „sie übt ihre Position … aus“ ist für mich irgendwie zweideutig: übe ich denn nur eine Position aus? Gehört eine Auflistung der Schulungen wirklich in ein Zeugnis? Was halten Sie von diesem Dokument?

Antwort/4: Zur aktiven Mitarbeiterin: In Verbindung mit dem von mir danach zitierten nächsten Satz finde ich das durchaus anerkennend-positiv.

Zu den „guten Arbeitsergebnissen“: So kompliziert ist die Zeugnissprache nun auch wieder nicht. Wenn „Noten“ genannt werden, bedeuten sie auch, was da steht. Also „sehr gut“ meint eine „1“; „gut“ eine „2“; „befriedigend“ würde eine „3“ meinen, kommt aber selten vor. Das Problem ist ein anderes: Die Ansprüche an ein Arbeitszeugnis sind, insbesondere bei weiter aufstiegswilligen Führungskräften, etwa eine Stufe höher als bei Examensnoten: Eine „4“ kommt praktisch nicht vor, ein solcher Mitarbeiter wäre schon vor Jahren entlassen worden. Eine „3“ ist die schlechteste in Einzelfällen überhaupt denkbare Note, sie sieht man sehr selten. Damit ist eine „2“ die schlechteste der irgendwie noch akzeptablen Noten; wer auf sich hält, strebt eine „1“ an.

Oder anders: Da Arbeitszeugnisse vom Wohlwollen gegenüber den beruflichen Interessen des Arbeitnehmers getragen werden und also geschönt sein müssen, zieht der Leser für „Geschöntes“ wieder etwas ab. Daher kommt letztlich der Anspruch „etwa eine Note besser als Examenszeugnisse“ – was wiederum Leute mit Einser-Examen schon technisch nicht erfüllen können.

Und wegen der vielen, durch erbitterte Verhandlungen unter Einschaltung von Anwälten und Gerichten „aufgepeppten“ Zeugnisse gilt etwa: Ein rundum sehr gutes Zeugnis beweist letzten Endes auch nichts mehr, jedenfalls nicht uneingeschränkt. Aber wenn es – wofür manches spricht – eine Inflation sehr guter Arbeitszeugnisse gäbe, was würde das denn für die eindeutig nicht sehr guten Dokumente bedeuten (sofern der Bewerber ehrgeizig ist und aufsteigen will)? Die Antwort liegt auf der Hand.

Zu „… übt ihre Position aus“: Das leitet den Satz mit der wichtigen „Gesamt-Schulnote“ ein und geht dadurch in der Betrachtung unter. Ich halte es für eine unglücklich gewählte Formulierung, die sprachlich nicht besonders toll ist – aber man kann erkennen, was gemeint sein soll. Sollte ich Anlass zum Misstrauen haben, könnte ich eine Deutung vermuten wie: „Sie tut ihre Pflicht, das war es denn aber auch“- das aber harmoniert dann wieder nicht mit anderen Beurteilungsdetails.

Zu „aufgelistete Schulungen“: Ich hätte sie nicht alle in einem Zeugnis aufgelistet. Aber: Zeugnisgestaltung ist Sache des Unternehmens, gegen die Auflistung, die nun einmal da steht, fällt mir außer „Textaufblähung“ kein Sachargument ein.

Zu „Was halten Sie von diesem Dokument?“: Ich finde, es steht auf Messers Schneide: Ich glaube (Bauchgefühl), dass nur Ungeschicklichkeit und fehlende fachliche Erfahrung oder Qualifikation zu den kritisch zu sehenden „Besonderheiten“ geführt haben. Viele Chefs und HR-Leute sind nicht besonders gut im Schreiben solcher Dokumente. Ich würde insgesamt eine „2+“ erkennen – aber die fehlende Führungsbewertung zusätzlich kritisch sehen.

Nur: Sollten Sie entlassen werden oder schon arbeitslos sein und legen dieses Zeugnis vor, dann holt der misstrauische Leser eine große „Lupe“ hervor und unterstellt Absicht bei der Formulierung, wo vermutlich nur Unbedachtheit ursächlich war.

Frage-Nr.: 2.924
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 4/5
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2018-01-26

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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