Heiko Mell 02.01.2016, 10:55 Uhr

Reicht der Uni-Bachelor als Ingenieur?

Ich bin Maschinenbaustudent der TH … und stehe kurz vor meinem Bachelorabschluss. Aktuell absolviere ich ein Pflichtpraktikum bei einem Automobil-Premium-Hersteller im Bereich Konstruktion Motoren. Hier konnte ich schon einen guten Einblick in das Berufsleben erlangen und stelle fest, dass der Bachelor alleine oft schon für eine ordentliche Festanstellung ausreicht (1).

Ich habe das Gefühl, dass das Bachelor/Master-System noch etwas unübersichtlich ist (2).

Ich stelle mir die Frage, ob es wirklich nötig ist, den Master im Maschinenbau zu machen. Kann man ohne den Master auch Führungspositionen erlangen (3)?

Ich überlege auch, nach dem Bachelor einen MBA statt des Maschinenbau-Masters anzuhängen. Wäre das aus Ihrer Sicht sinnvoll (4)?

Oder sollte ich den Master machen und einen MBA berufsbegleitend anhängen (5)?

Stimmt es, dass jemand, der sich durchsetzt und kompetent ist, auch mit (nur) dem Bachelor alles erreichen kann (6)?

Mein Abitur habe ich mit einem Schnitt von 2,5 bestanden (Leistungskurse Mathe und Englisch). Den Bachelor werde ich mit einer 3,0 abschließen (7).

Aus meiner Sicht sind Noten nicht immer aussagekräftig (8). Es kommt, wie Sie oft schreiben, auf die Persönlichkeit an (9).

In meinem Fall muss ich sagen, dass ich nie viel Wert auf Noten gelegt habe. Meine Familie, Freizeit und Sozialumfeld haben da einen größeren Stellenwert. Was macht man mit einer 1,0, wenn man sonst nichts erlebt hat (10)?

Antwort:

Die angehängten Ziffern sind von mir, sie erleichtern es dem Leser, den Bezug zwischen dem jeweiligen Frageteil und meiner Antwort herzustellen.

Fangen wir mit 7 + 10 an: Wir sind eine Leistungsgesellschaft. Sie wollen eines Tages „in die Wirtschaft“ unseres Landes – und der geht es im internationalen Vergleich so gut, weil ihre Träger, die Menschen auf allen Ebenen und in allen Funktionen, ein sehr hohes Leistungsniveau aufweisen. Die Devise lautet: Mehr leisten und besser sein als die Mitbewerber auf dem Weltmarkt.

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Ein Abitur mit 2,5 geht unter „na ja“ so eben noch durch, ein Bachelor mit 3,0 gilt Bewerbungsempfängern bereits als Ausdruck schwächerer Leistungsbereitschaft und/oder geringeren Leistungsvermögens.Wenn Ihre ganze Fragestellung einen Sinn haben soll, empfehle ich dringend eine sofortige, tiefgreifende Änderung Ihrer Lebens- und vor allem Berufsphilosophie.

Zu 6: Im Prinzip ja, aber mit einer anderen Einstellung zur beruflichen Leistung:Man muss zwischen zwei verschiedenen Szenarien unterscheiden.

a) Die schriftliche Bewerbung – eine Hürde, die Sie nehmen müssen, um überhaupt eingeladen und später eingestellt zu werden. Anspruchsvolle Unternehmen, die eine anspruchsvolle Position zu besetzen haben, dürften die Bewerbung eines Uni-Bachelors, der auf einen Weg springen will, auf dem er „alles“ erreichen kann, gleich wieder zur Absage freigeben. Dieser Kandidat kommt gar nicht erst dazu, seine – vielleicht vorhandene, aber nur schwer beweisbare – Persönlichkeit ins Spiel zu bringen.

b) Wenn Sie dann irgendwo eingestellt sind, haben Ihre „Noten“ aus der Vergangenheit immerhin noch die Einstiegsposition bzw. Laufbahn bestimmt. Dabei gerät mit jedem Jahr Ihre aus der Vergangenheit stammende berufliche Basis (Noten) in Vergessenheit. Was zählt, sind Leistung und Persönlichkeit, vor allem Ihr Potenzial. Sollten Sie aber – was heute die Regel ist – irgendwann wechseln und Bewerbungen schreiben, geht das ganze „Theater“ von vorn los. Man kennt Sie nicht, bewertet die Fakten und fängt dabei mit den Noten an …

Zu 9: Meine Aussage „Die Persönlichkeit entscheidet“ ist kein Trost für Leistungsschwache, es sei alles nicht so schlimm, sie könnten mit „Persönlichkeit“ alles herausreißen. Sie ist hingegen eine Warnung an Leute mit Zweier- oder Einser-Examen: Damit haben die erst einmal nur eine Eintrittskarte in die Großveranstaltung, die sich Berufsleben nennt. Über den dann dort zu erzielenden Erfolg entscheidet die Persönlichkeit.

Zu 8: Was immer es in Schule und Studium an Beurteilungssystemen gibt, man will vor allem daran ablesen können, wie gut der Kandidat in Relation zu den anderen ist. Ein ganz ähnliches System haben wir mit den jährlichen Mitarbeiterbeurteilungen in der Industrie auch. Ach und dort, wo Sie jetzt Praktikant sind, wird man Ihnen anschließend ein Zeugnis ausstellen – mit „Noten“, die sich aus Kreuzchen ergeben, die Ihr Chef auf einem Formular bei verschiedenen Kriterien macht. Wenn die Summe dieser Kreuzchen auch bloß wieder einer 3 entspricht, können Sie einen aussichtsreichen Berufseinstieg dort und anderswo glatt vergessen.Warum nur halten erwachsene Menschen es für bedeutsam und betrachtenswert, wenn eine Fußballmannschaft von Platz 13 der Tabelle auf Platz 4 vorrückt, während sie auf ähnlichen Leistungskriterien beruhende Benotungen/Bewertungen für sich selbst verdammen?

Bei der Gelegenheit: Argumente von Kandidaten, die ihr Examen mit schlechtem Ergebnis abgeschlossen haben, im Hinblick auf die fehlende Aussagekraft von Noten sind eher traurig. Wer mit 1 abschließt und sagt, das bedeute eigentlich nichts, wird deutlich ernster genommen.

Zu 1: Wir sind hier eine Karriereberatung. Man muss nicht im Sinne Ihrer Nr. 6 „alles“ erreichen wollen, aber eine Führungslaufbahn passt schon ins Bild. Eine „ordentliche Festanstellung“ mit 26 und 40-jähriges Verbleiben in derselben ist weniger unser Thema. Hier liegt Ihre Latte zu tief (Sie selbst hängen Sie dann ja auch höher).

Zu 2: Das ist noch zurückhaltend formuliert. Fachleute sagen resignierend: „Der Einführungsprozess ist so weit fortgeschritten, wir werden wohl damit leben müssen.“ Viele der Erwartungen, die man an das System geknüpft hatte, haben sich bisher nicht erfüllt.

Zu 3: Der Master an der Uni ist eine Säule des Systems. Er repräsentiert die Spitze des klassischen Studiums und dürfte vollständig dem alten Dipl.-Ing. (univ.) entsprechen. Die andere Extremseite ist der Bachelor (FH), der etwas unter dem alten Dipl.-Ing. (FH) rangieren dürfte und mit dem viele Betriebe in der Praxis nicht ganz zufrieden sind („Die können weniger als die FH-Dipl.-Ing. konnten“). Aber die Unternehmen werden sich – teils zähneknirschend – darauf einstellen, schon weil es praktisch keine Alternativen mehr gibt.

Der Master (FH) scheint nach dem Prinzip „Master ist Master“ dem Uni-Master praktisch gleichzustehen – er kann aber an seiner Fachhochschule nicht promovieren. Und nicht jeder Bewerbungsbeurteiler muss in seinen persönlichen Wertmaßstäben diese Quasi-Gleichsetzung nachvollziehen. Wer als Entscheider selbst von einer TU/TH/Uni kommt, erwartet für die anspruchsvollsten Positionen unter ihm oft instinktiv auch eine TU/TH/Uni-Ausbildung.

Bleibt Ihr Uni-Bachelor. Der überzeugt viele Entscheidungsträger nicht so, wie das vielleicht gedacht war. Um mit etwas Positivem anzufangen: Besser als ein ohne Abschluss abgebrochenes Uni-Studium ist er allemal. Aber nach dem Abitur als Ziel den Uni-Bachelor setzen, dann dort abgehen und die Ausbildungsphase beenden? Warum erst die Elite-Institution Uni, um dort nach der Hälfte des Möglichen aufzuhören? Irgendwie fehlt dafür das überzeugende Argument.

Wenn man erst einmal angestellt worden ist, dann sind in jenem Hause mit dem Uni-Bachelor sicher auch Führungspositionen erreichbar. Aber mit Grenzen und zwar aus diesem Grund: Wer weit nach oben will, alles erreichen möchte, leistungsstark und ehrgeizig ist, der betritt keine elitäre Ausbildungsinstitution, die zwei aufeinander aufbauende Stufen beinhaltet – und geht nach der ersten nach Hause.

Und – nebenbei gesagt – er wählt auch nicht nach dem Abitur die vermutlich anspruchsvollere Möglichkeit des Uni-Studiums und geht dann mit einer 3 dort ab. Was ich Ihnen nicht vorwerfe, nur vor Augen halte.

Zu 4 + 5: Gerade dem Uni-Bachelor würde ich den weiterführenden Master seiner Fachrichtung (Maschinenbau) empfehlen. Aber: Diese Empfehlung steht wie ein Fels in der Brandung, wenn der Bachelor „sehr gut“ abschloss. Und sie steht immer noch solide da, wenn der Bachelor „gut“ endete. Bei Ihrem „befriedigenden“ Resultat warne ich: Der Master kann scheitern – oder auch mit 3 enden. Dann ist in den Augen vieler Entscheidungsträger bewiesen, dass Ihre Bäume nicht in den Himmel wachsen.

Einen schwachen Uni-Bachelor mit einem MBA ungewissen Ausgangs zu kombinieren, das macht aus Ihnen letztlich keinen Ingenieur mit BWL-Kenntnissen, sondern einen eher kaufmännisch-geschäftlich ausgerichteten Master, der früher einmal ein bisschen Ingenieur gewesen ist. Ob das in Ihre Zielsetzung passt, müssen Sie selbst wissen (stets entscheidet die höherwertige Ausbildung darüber, was man nun eigentlich „ist“. Und der MBA ist ein Master).

Erst einen Maschinenbau-Master erfolgreich abzuschließen und später den MBA berufsbegleitend anzuhängen, das erhält Ihre technische Basis (Beispiele für berufliche Zielsetzung: Entwicklungsleiter, technischer Leiter, technischer Geschäftsführer) und gibt Ihnen wichtiges außertechnisches Zusatzwissen obendrauf. So etwas ist nicht immer direkt gefordert, wäre jedoch eine Art Optimum. Aber: Für jemand mit Abitur 2,5 und Bachelor 3 ist das eine „harte Nuss“! Und der Maschinenbau-Master muss deutlich besser werden, sonst häufen Sie „Titel“, aber keine Qualifikation an. Für die Noten beim nebenberuflich erworbenen MBA gäbe es in Betrachteraugen dann etwas „Rabatt“.

Und gesagt werden muss auch: Die Abiturienten und Studenten mit guten Noten (niemand verlangt eine 1,0) erleben in ihrer Bildungsphase nicht nur – wenn sie denn wollen – auch „sonst etwas“, sie erleben vor allem vorzeigbare, sie und andere befriedigende Leistungsbeweise und Erfolgserlebnisse auf Gebieten, auf denen sie gerade gefordert waren. Das baut ungemein auf.

Kurzantwort:

Frage-Nr.: 2745
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 13
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2015-03-26

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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