Heiko Mell 01.01.2016, 12:28 Uhr

Welchen Wert hat die Diplomarbeit?

Ich befinde mich in einer Phase meines Studiums, wo ich mich mit der Frage beschäftigen muss, inwiefern das Thema, die Benotung oder das Ansehen einer Diplomarbeit für meinen weiteren Werdegang eine Rolle spielt.

Ich habe drei Themen zur Auswahl. Das erste genießt in meiner Branche einen hohen Stellenwert, da es sich um regenerative Energien handelt. Das zweite ist leider auch für mich nicht sehr interessant, aber die Benotung würde wahrscheinlich sehr gut ausfallen und meinen bisherigen Notendurchschnitt unterstreichen.
Beim dritten Thema ist eine angesehene Firma mit einer interessanten Aufgabenstellung vertreten, wobei es sich um eine sehr aufwändige Arbeit handelt, die wahrscheinlich leider auch mit einer eher mittelmäßigen Note honoriert wird (man kennt halt die Professoren und ihre Benotung).

Unter Studienkollegen kursiert die Meinung, dass nach Abschluss der Diplomarbeit kein Mensch mehr nach dem Thema fragt, sondern nur nach dem Notendurchschnitt, außer die jeweilige Firma beschäftigt sich mit ähnlichen Themen.

Antwort:

1. Die Diplomarbeitsnote hat großen Einfluss auf die Note des Gesamtexamens, wobei es Unterschiede zwischen Universitäten und Fachhochschulen und vielleicht sogar noch zwischen einzelnen Hochschulen (oder Bundesländern) gibt.

Die Diplomarbeit wird auf den Zeugnissen meist an besonderer Stelle aufgeführt, das Thema wird dort wörtlich abgedruckt, die Note springt ins Auge.Über das lebenslang den Bewerbungen beizufügende Examenszeugnis begleiten also Note und Thema der Diplomarbeit den Angestellten berufslebenslang.

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2. Bei Bewerbungen gilt es, (fachliche) „Brücken“ zu schlagen zwischen sich und der Zielposition. Das geschieht später vor allem über die „heutige Position“ und die insgesamt vorliegende Berufspraxis.Beim Anfänger, der noch keine Praxis hat, bleiben nur Studienschwerpunkte, Praktika – und das Thema der Diplomarbeit. In den letzten Phasen des Studiums ist allein letzteres noch beeinflussbar.Es ist also äußerst nützlich, wenn das Thema der Diplomarbeit zum vom Bewerber angestrebten Tätigkeitsgebiet (z. B. Konstruktion) und/oder zum Metier des Bewerbungsempfängers passt (z. B. Automobilbau)!

 

3. Im Laufe der Berufspraxis (so ab etwa drei bis fünf Jahren) verblasst die Bedeutung des Themas für Bewerbungen. Die Note jedoch behält ihre Bedeutung in dem Maße, wie alle anderen Examensnoten ihre Bedeutung auch behalten (nach fünfzehn Berufsjahren ist das Thema der Arbeit Historie, eine schlechte Note aber immer noch ein Ärgernis, das vielleicht sogar in Vorstellungsgesprächen noch zu Fragen führt – bei deren Beantwortung man schnell in die Defensive gerät (und „Ausreden“ braucht).

 

4. Eine schwach benotete Diplomarbeit gilt grundsätzlich als besonders schwerwiegende Niederlage. Sie wird von Bewerbungslesern oft kritischer gesehen als eine schwache Note in einem Einzelfach (man hatte Zeit genug, konnte alles sorgfältig ausarbeiten, überprüfen, zwischendurch ggf. mit dem Professor abklären, die Diplomarbeit kommt der Praxis näher als alle anderen Studiendetails).

 

5. Daraus folgt: Man riskiere in keinem Fall eine schwache Note, „befriedigend“ gilt schon als ziemlich ehrenrührig. Das Optimum ist also: Thema passt zur Bewerbung, Note ist gut, besser sehr gut. Im Zweifel ruiniert eine schwache Note den Wert eines passenden Themas (konkret: „ausreichend“ benotet taugt das beste Thema nichts, im Gegenteil).Wenn also unbedingt eine Rangfolge sein muss: Note ist noch wichtiger als Thema (siehe aber auch 2.).

 

6. Die Diplomarbeit bei und mit einem Unternehmen zu schreiben, ist sehr interessant. Teils steht das für Praxisbezug, teils ergeben sich dadurch Chancen im Hinblick auf eine Einstellung dort oder zumindest auf ein Empfehlungsschreiben eines (hoffentlich) renommierten Unternehmens. Aber: Letzteres gilt nur, wenn das Partner-Unternehmen (bei dem man die Diplomarbeit schreibt) dem späteren Empfänger der Bewerbung auch „imponiert“. Es ist also nicht klug, die Diplomarbeit beim 80 Mitarbeiter-Unternehmen der Branche A zu schreiben und auf positive Aspekte daraus bei der Bewerbung beim Großkonzern der Branche C zu spekulieren.

 

7. Professoren sind auch nur Menschen. Sie vergeben gute Noten, wenn sie das abgelieferte Machwerk für gut halten(!). Das gilt auch dann, wenn einzelne Hochschullehrer in dem Irrglauben befangen sein sollten, sie werteten ausschließlich objektiv. Noten sind immer auch subjektiv, insbesondere die Benotungen komplexer Ausarbeitungen!

Es gilt also, den bewertenden Professor „bei Laune“ zu halten. Negativ dabei schlägt zu Buch (kein Anspruch auf Vollständigkeit): die von ihm vorgeschlagenen Themen nicht zu akzeptieren, ein von ihm nicht gewolltes Thema durchzudrücken, bei der Ausarbeitung und der Erarbeitung von Schwerpunkten nicht seinen „Vorschlägen“ zu folgen, ihn eventuell trotz seines Angebots zwischendurch nicht zu konsultieren oder seinen dabei gegebenen „Winken“ nicht zu entsprechen.

Eine besonders böse „Falle“: Die Diplomarbeit bei und mit einem Wirtschaftsunternehmen – wenn der Professor „wissenschaftlichen Anspruch“ (mit vielen Formeln, viel Mathematik und viel Grundsätzlichem) will, während die Leute „draußen“ nur auf Praxisverwertbarkeit drängen. Hinterher ist dann oft der Professor „not amused“ und vergibt eine enttäuschende Note.

 

8. Es gilt also nicht, eine „gute Diplomarbeit“ zu schreiben. Dafür gibt es letztlich gar keine allgemeingültigen Maßstäbe. Es gilt hingegen, eine Arbeit zu erstellen, deren Thema spätere Bewerbungsempfänger möglichst interessiert und die der Professor unter allen Umständen gut benotet.

 

9. Ob das Thema für Sie interessant ist, spielt keine besondere Rolle. Studium ist Vorbereitung auf die Praxis. Und auch in dieser gilt es, Vorgaben „anderer Leute“ erfolgreich umzusetzen. Die Frage, ob man selbst daran Interesse hat, stellt man sich besser gar nicht erst. Oder anders: Es ist eine Frage der inneren Einstellung, was mich interessiert. Am besten: alles, was mir beruflich oder im Umfeld begegnet. Es gibt Leute, die bringen das. Ihnen gilt es nachzueifern.

Kurzantwort:

Die Diplomarbeit ist ein wichtiger Baustein des Examens sowie der Einsteiger-Bewerbung – und einiger Überlegungen und Anstrengungen wert.

Frage-Nr.: 1703
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 41
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2002-10-12

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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