Heiko Mell 01.01.2016, 09:04 Uhr

Ist ein Jobwechsel im Alter noch sinnvoll?

Zum besseren Verständnis meines Problems vorab meine Berufslaufbahn in Stichpunkten:Nach dem Maschinenbaustudium ca. vier Jahre beim ersten Arbeitgeber als Konstrukteur und anschließend ca. zehn Jahre beim zweiten Arbeitgeber als Entwicklungsplaner, Projektleiter und Gruppenleiter Betriebsdatenerfassung. Danach ca. vier Jahre arbeitslos (inkl. Weiterbildung und ABM-Tätigkeit). Jetzt seit drei Jahren beim dritten Arbeitgeber im Bereich Projektabwicklung als Kalkulator tätig.

Meine Arbeit bereitet mir nicht sehr viel Freude. Ich vermute die Ursachen in nach meiner Meinung nicht hundertprozentigem Fachwissen (Kalkulationskenntnisse nur selbst angeeignet, zusätzlich Besuch dreier Seminare), weshalb ich mich in meiner Arbeit teilweise unwohl fühle und auch schon einmal Schlafprobleme hatte.

Ich erledige meinen Job halt so gut ich kann. Mein Jahresgehalt beträgt ca. 92.000,- DM. Nach meiner langen Arbeitslosigkeit war ich sehr froh, überhaupt wieder eine feste Anstellung zu finden (begonnen hatte ich beim jetzigen Arbeitgeber mit einem auf zwei Jahre befristeten Vertrag).

In Kürze werde ich 48 Jahre alt. Ist es ratsam, jetzt noch einmal zu wechseln oder soll ich nicht doch besser versuchen, mich noch stärker zu profilieren und beim derzeitigen Arbeitgeber bis zum Rentenalter zu bleiben? Wenn ich doch noch wechseln würde, welche Gehaltsforderung könnte ich realistisch betrachtet stellen?

Antwort:

Jeder Mensch sollte eine ziemlich klare Vorstellung über seine Stärken und Schwächen haben. Nur so kann er Berufswege und wichtige private Entscheidungen planen – und Misserfolge richtig deuten.

Falls Sie ein Beispiel wollen: Ich habe während des Maschinenbaustudiums festgestellt, dass ich kein räumliches Vorstellungsvermögen habe: „Zwei Kegel von der und der Größe durchdringen sich, ihre Achsen sind 27° gegeneinander geneigt und um 13 mm gegeneinander versetzt. Zeichne die Drauf- und Seitenansicht“ – das bringt mich an den Rand des Wahnsinns. Und, für mich damals höchst verblüffend (weil mich sonst fast alles interessierte, was so geboten wurde): Es ist mir vollständig gleichgültig, wie die unmöglichen Kegel … Ich kann auch keine technischen Zeichnungen lesen; bis ich weiß, wo ein in der Draufsicht erkennbarer Träger in der Seitenansicht steckt, vergehen Stunden.

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Aus der Traum vom begnadeten Konstrukteur, den man als Student so träumt. Konsequenz: Wirtschaftsingenieurwesen mit Volks- und Betriebswirtschaft, Kostenrechnung und solchen Sachen. Es gibt auch ein Leben ohne Kegel – und wenn gar nichts anderes bleibt, kann man immer noch Berater …

Soviel zu mir, damit Sie sehen, dass auch andere Leute so ihre Probleme mit Begabungsschwächen haben. Die zu lösen sind (als Aussage und als Imperativ gleichermaßen gemeint).

Nun zu Ihnen:

1. Es fehlt Ihnen am Blick für das Wesentliche, für den Inhalt eines Paketes unter lauter Verpackung. Ihre ganze Darstellung schreit doch geradezu „WARUM?“ (sind Sie arbeitslos geworden). Was war da los, wie viel davon verantworten Sie, was steht in Ihrem Zeugnis, das damals nach zehnjähriger Betriebszugehörigkeit entstand? Sie legen den Lebenslauf bei, der Ihre verbale Darstellung stützt, aber lassen dieses alles entscheidende Zeugnis weg, geben keine Erklärung – weil Sie nicht erkennen, dass sie eine unverzichtbare Basis wäre für jeden, der Sie jetzt beraten soll. Das sind Ihre „Kegel“.

2. Im engsten Zusammenhang damit: Warum fanden Sie als bis dahin problemlos aussehender Ingenieur (es sei denn: Zeugnis!) von damals 40 Jahren vier lange Jahre lang keinen Job? Was haben Sie unternommen, wie viele Bewerbungen haben Sie geschrieben, wie oft wurden Sie eingeladen, wie oft gab es Vertragsangebote oder Absagen?

Nun auf meiner etwas schwachen Informationsbasis dennoch zu einer versuchten Empfehlung: Ihr beruflicher Werdegang ist stark angeschlagen. Allein die extrem lange Arbeitslosigkeit rechtfertigt diese Feststellung. Vom neuen Job fühlen Sie sich ein bisschen überfordert. Ihre Diagnose im Hinblick auf das fehlende Fachwissen teile ich nicht: Nach drei Jahren in einer Tätigkeit weiß man „alles“ darüber.

Ich sehe die Ursachen Ihrer Schlaflosigkeit in der Arbeitslosigkeit bzw. in den Umständen, die dazu geführt haben. Das alles hat Ihr Selbstbewusstsein untergraben, hat Zweifel in Ihnen gesät, zu Unsicherheiten geführt. Als Erklärung haben Sie sich nun zurechtgelegt: „Ich bin auf dem Gebiet nicht ausgebildet.“ Das glaube ich so nicht, ich sehe die Ursachen allein im psychologischen Bereich. Setzen Sie dort an, lassen Sie sich gegebenenfalls fachkundig medizinisch helfen.

Was die „Freude“ an der Arbeit angeht: Nirgends steht, dass jeder das Recht auf Freude an der Arbeit hat – es gibt noch nicht einmal ein Recht auf Arbeit überhaupt. Mit vier Jahren Arbeitslosigkeit im Gepäck und 48 Lebensjahren sollten Sie sich eher über den Job an und für sich freuen und mit den Arbeitsinhalten Ihren Frieden machen (Sie stehen jetzt viele Stufen über der früheren Langzeit-Arbeitslosigkeit – durchaus ein Grund, Spaß am täglichen Tun zu haben).

„Freude an der Arbeit“ ist zum Teil auch eine Lebenseinstellung. „Was ich mache, tue ich gut“, ist eine nachahmenswerte Maxime, „was ich mache, macht mir auch Freude“ kommt gleich danach und ist überwiegend eine Frage der inneren Einstellung – die auch ich noch nicht vollständig, aber doch weitgehend gelöst habe. Wie sehr viele andere auch. Der häufig vertretene Typ des Arbeitnehmers, der über seinen Job klagt und sich ständig beschwert, ist demgegenüber eigentlich bedauernswert.

Also nach so langer Arbeitslosigkeit sollte doch „Ich darf arbeiten“ das „Der Job ist nicht mein theoretisches Ideal“ deutlich überstrahlen.

Zum Wechseln: Ich rate dringend ab. Das würde ich schon wegen des Alters tun. Bei Ihnen kommt hinzu, dass wegen der Belastung des Werdeganges die Marktchancen eher schlecht sind. Damit steigt die Gefahr, dass Sie keinen erst-, sondern nur einen zweitklassigen Job bekommen. Dann begänne alles von vorn. Scheitern Sie dort, stecken Sie in einer existenzgefährdenden Situation. Dagegen ist Ihr heutiger Job eher ein Anlass, freudig zur Arbeit zu gehen. Und so schlimm ist Kalkulation doch auch nicht.

Die Frage nach der Gehaltsforderung sollten Sie vergessen. Das ist nun wirklich nicht Ihr Problem.

Kurzantwort:

1. Eine vierjährige Arbeitslosigkeit im Lebenslauf drückt die Marktchancen auch später noch fühlbar – besonders wenn ein kritisches Alter erreicht ist.

2. Freude an der Arbeit ist – auch – eine Frage der Lebenseinstellung.

Frage-Nr.: 1567
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 9
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2001-03-02

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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