Fahrrinnenanpassung der Elbe 16.01.2020, 14:37 Uhr

Rinne für die Riesen der Meere  

Den Hamburger Hafen besser erreichbar machen – das ist das Ziel der Fahrrinnenanpassung. Die Fahrrinne der Elbe wird von Hamburg bis zur Elbmündung zum Teil vertieft und an einigen Stellen verbreitert. Es ist ein großes Projekt, das aus mehreren Teilprojekten besteht.

Mit rund 9 000 Schiffsanläufen im Jahr zählt der Hamburger Hafen zu einem der wichtigsten Logistikknotenpunkte weltweit. Der Umschlag dieser enormen Warenmengen setzt eine leistungsfähige IT-Infrastruktur voraus. Bild: HHLA

Mit rund 9 000 Schiffsanläufen im Jahr zählt der Hamburger Hafen zu einem der wichtigsten Logistikknotenpunkte weltweit. Der Umschlag dieser enormen Warenmengen setzt eine leistungsfähige IT-Infrastruktur voraus. Bild: HHLA

Der Hafen ist Hamburgs Herz. Das Tor zur Welt. Schiffe kommen und gehen. Ein stetes Geschäft. Dass es meist reibungslos verläuft, dazu trägt Andreas Stahn bei. Der 47-jährige gelernte Seegüterkontrolleur blickt aus seinem Büro auf den Kai des Containerterminals von Eurogate. Es ist ein wolkenverhangener Montag. Zwei Schiffe liegen am Kai. Die Containerbrücken surren, sie bringen Container aus aller Welt an Land und beladen das Schiff mit Containern aus Mitteleuropa.

Es ist ein ruhiger Wochenanfang. Die Gelassenheit täuscht jedoch. Jedes Telefonat, das Andreas Stahn oder einer seiner 5 Mitarbeiter in der Abteilung Operation annimmt, kann den Terminkalender durcheinander wirbeln. Etwa, wenn sich ein Schiff wegen Unwetter verspätet oder ein vollbeladenes Schiff die Flutwelle verpasst. „Einige Schiffe können nur bei Hochwasser ein- oder auslaufen“, erklärt Stahn. Für diese Schiffe soll die Fahrrinne vertieft werden. Die Fahrrinne der Elbe wird von Hamburg bis zur Elbmündung zum Teil vertieft und an einigen Stellen verbreitert. Es ist ein großes Projekt, das aus mehreren Teilprojekten besteht. Einblicke zeigen dieses Video.

In Zukunft sollen Schiffe mit einem Tiefgang von 14,5 Meter in Salzwasser den Hamburger Hafen voll abgeladen bedienen können. Da die Auslastung dieser Schiffe nicht Tag für Tag vorkommt, soll diesen Schiffen die tideabhängige Fahrt ermöglicht werden.

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Walter Rademacher steht oft hinter der Elbmündung auf dem Deich und sieht die Frachter vorbeiziehen. Öfter noch sitzt er im Arbeitszimmer in seiner Wohnung, wo dann ein Kaffee auf seinem Schreibtisch dampft. Auch hier: Der gemütliche Eindruck täuscht. Der PC brummt, der Drucker spuckt Flugblätter des Regionalen Bündnisses gegen die Elbvertiefung aus. Im Internet prüft der Sprecher der Initiative, welche Schiffe auf der Elbe fahren. 12,70 Meter – um diese Wassertiefe geht es. Schiffe, die tiefer eintauchen, müssen sich bislang nach Ebbe und Flut richten.

Damit niemand in der Abteilung von Rademacher die Übersicht verliert, hängt eine große Magnettafel an der Wand. Dort ist für die jeweils nächsten Tage für jeden sichtbar, wann welches Schiff kommt. „Wir versuchen, alle zufrieden zu stellen“, sagt Stahn. Das ist nicht einfach. Tausende Container müssen in einer bestimmten Zeit von einem Schiff ab- und aufgeladen werden. „Die Liegezeiten sollen so kurz wie möglich sein.“

Jede Verzögerung kostet Zeit, Geld und bringt den fein ausgetüftelten Terminplan durcheinander. Verspätet sich ein Schiff oder dauert das Be- und Entladen länger als geplant, müssen nachfolgende Schiffe warten. „Das sind keine Sonderfälle, die einmal im Monat vorkommen, das ist Tagesgeschäft“, erklärt Christiane Naujoks, Betriebsleiterin der Eurogate Container Terminal Hamburg. Sie steht am Kai und schaut zu den Containerbrücken hoch. Es ist kalt und grau, ein lauer Wind weht. Sie ist zufrieden, die Arbeit läuft. Doch sie blickt gedankenvoll in die Zukunft: „Die Schiffe werden größer und bringen mehr Container.“

Die heutige Generation der Meeresriesen ist 350 Meter lang, 46 Meter breit und kann mehr als 10.000 TEU (Twenty feet Equivalent Unit) laden. Diese Einheit bezeichnet einen Standard-Container mit einer Breite von 8 Fuß (2,67 Meter) und einer Länge von 20 Fuß (6,67 Meter). 181 Containerriesen sind derzeit in den Auftragsbüchern der Werften verzeichnet. Sie dürfen bis zu 14,50 meter ins Wasser eintauchen. Für Terminals wie Eurogate wäre es ideal, wenn diese Schiffe auch bei Ebbe bis in den Hamburger Hafen fahren könnten. Es gebe weniger Abstimmungsprobleme.

Dazu muss laut Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU) die Elbe vertieft werden: auf einer Länge von 136 Kilometer auf durchgehend 17 Meter Tiefe (das entspricht etwa 15 Meter bei Niedrigwasser). Ohne tieferen Fluss sieht der Senator 30.000 der 160.000 Arbeitsplätze, die direkt oder indirekt am Hamburger Hafen hängen, bedroht. Nämlich dann, wenn Konkurrrenzhäfen wie Rotterdam, Antwerpen oder Wilhelmshaven ihre Kapazitäten ausbauen. Walter Rademacher schlürft im vollgestellten Arbeitszimmer seinen Kaffee und schüttelt den Kopf. Er kann das Schreckensszenario nicht ernst nehmen. Der Containerumschlag habe sich zwar exponentiell entwickelt, doch der Umschlag könne sich nicht alle paar Jahre verdoppeln. „Wer soll all die Waren kaufen“, fragt Rademacher.

Das Euro-Zeichen in den Augen der Hamburger Wirtschaft verschließe zunehmend den Blick für ungelöste Probleme an der Unterelbe. Seit 1909 wurde die Fahrrinne der Elbe sechsmal vertieft und das Flussbett immer weiter eingeengt. Das hatte Folgen: Durch die Vertiefung fließt mehr Wasser in die Elbe, es kann aber weniger zur Seite ausweichen. Der Tidenhub – also die Differenz zwischen Flut und Ebbe – hat sich daher in Hamburg spürbar erhöht. Betrug er um 1960 noch 2,60 Meter, sind es heute um die 3,80 Meter.

Und weil das Wasser schneller durch die Fahrrinne fließt, ist der Strömungsdruck an den Ufern gestiegen. Das wirkt sich vor allem auf den Altenbrucher Bogen kurz vor der Elbmündung aus, wo die Fahrrinne nah am Ufer verläuft. „Teile der Strände wurden bereits weggespült“, betont Walter Rademacher. Heute brechen sich wesentlich höhere Wellen unmittelbar am Deich als noch vor 10 Jahren. „Das ist nirgendwo sonst an der Nordsee der Fall.“

Je tiefer die Fahrrinne, desto mehr ökologisch wertvolle Flachwasserzonen verlanden, um so weiter kann Salzwasser in die Elbe eindringen. Traditionell nutzten manche Obstbauern Elbwasser zur Bewässerung und zum Frostschutz. Salzhaltiges Wasser können sie aber nicht verwenden.

All diese Aspekte wurden in der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bereits untersucht und beantwortet. Fazit: Die Elbvertiefung ist machbar. Sie soll etwa 350 Millionen Euro kosten und 2 Jahre dauern. Die UVP wird unterschiedlich bewertet: Das Bundesverkehrsministerium sieht ein mittleres, das Bundesumweltministerium ein hohes Risiko für die Umwelt.  Fakt ist aber auch: „Die Kapazitäten in allen Häfen in Nordeuropa sind ausgereizt“, so Christiane Naujoks. Ihr geht es um die langfristige Perspektive. Aber auch die Betriebsleiterin verlangt keine Elbvertiefung um jeden Preis: „Wir gehen davon aus, dass die Standsicherheit der Deiche und deren Festigkeit gesichert sein muss.“

Ein Beitrag von:

  • Ralph H. Ahrens

    Chefredakteur des UmweltMagazins der VDI Fachmediengruppe. Der promovierte Chemiker arbeitete u.a. beim Freiburger Regionalradio. Er absolvierte eine Weiterbildung zum „Fachjournalisten für Umweltfragen“ und arbeitete bis 2019 freiberuflich für dieverse Printmedien, u.a. VDI nachrichten. Seine Themenschwerpunkte sind Chemikalien-, Industrie- und Klimapolitik auf deutscher, EU- und internationaler Ebene.

  • Sarah Janczura

    Sarah Janczura

    Sarah Janczura schreibt zu den Themen Technik, Forschung und Karriere. Nach einem Volontariat mit dem Schwerpunkt Social Media war sie als Online-Redakteurin in einer Digitalagentur unterwegs. Aktuell arbeitet sie als Referentin für Presse und Kommunikation beim VDI e.V.

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