Ein Käfer schreibt Geschichte: Der W30-Prototyp rollt wieder
Der älteste VW Käfer der Welt fährt wieder: Ein Sammler restauriert den W30 von 1937 – und bringt ein Stück Automobilgeschichte auf die Straße.
In mühevoller Kleinarbeit wurde der VW Käfer W30 von 1937 wieder aufgebaut. Sogar eine TÜV-Zulassung gab es dafür.
Foto: picture alliance/dpa | Moritz Frankenberg
Ein rostiges Fahrwerk, ein Dachdeckermeister mit Geduld – und eine Liebe zur Technik, die acht Jahre durchhielt: In Hessisch Oldendorf steht ein ganz besonderes Stück Automobilgeschichte. Der vermutlich älteste Volkswagen Käfer der Welt, ein Prototyp der sogenannten W30-Serie von 1937, ist nach Jahrzehnten der Vergessenheit wieder fahrbereit. Und tatsächlich zugelassen für den Straßenverkehr.
Inhaltsverzeichnis
- Ein Auto, das den Krieg überstand
- Vom Kübelwagen in Österreich zurück nach Niedersachsen
- Acht Jahre Arbeit, viele helfende Hände
- TÜV-Prüfung mit weißem Blatt Papier
- Ein Auto wie ein Zeitdokument
- Der Käfer als Idee – ein Auto fürs Volk
- Vom Schrott zum rollenden Kulturgut
- Warum der Käfer Generationen bewegt hat
Ein Auto, das den Krieg überstand
Traugott Grundmann sitzt aufrecht im schmalen Sitz seines grauen Käfers, die Knie angewinkelt, die Stirn fast an der Frontscheibe. „Das ist Fahren im Urzustand, sozusagen back to the roots – und es ist laut“, sagt er und lacht. Die Hände fest am dünnen Lenkrad, das Chassis vibriert, der luftgekühlte Motor dröhnt. Ab 80 km/h, so erzählt er, wird es holprig. „Aber das gehört dazu.“ Laut TÜV schafft der Wagen 100 km/h – mehr als genug für ein Auto, das seine erste Fahrt vor fast 90 Jahren absolvierte.
Der Wagen trägt die Seriennummer 26 und stammt aus der W30-Versuchsreihe, die Ferdinand Porsche 1937 bauen ließ – damals noch im Auftrag des NS-Regimes und mit Unterstützung von Mercedes-Benz. Nur 30 Fahrzeuge wurden gefertigt, um sie in einem groß angelegten Straßentest zu erproben. Der W30 war sozusagen die Generalprobe für den späteren VW Käfer.
Doch kaum jemand hätte gedacht, dass eines dieser frühen Modelle den Zweiten Weltkrieg überstehen würde. Die meisten wurden verschrottet – Material war knapp. Nur das Fahrwerk von Wagen Nummer 26 blieb erhalten. Es legte rund 56.000 Kilometer zurück, ehe es irgendwann in den Wirren der Zeit verschwand.

Traugott Grundmann am Steuer seines Käfers.
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Vom Kübelwagen in Österreich zurück nach Niedersachsen
Seine Wiederentdeckung klingt fast wie ein Kriminalfall: In den 1970er-Jahren tauchte das Fahrgestell in Schwäbisch Gmünd auf – unter einem Kübelwagen, also einer militärischen Variante des Käfers. Über Umwege gelangte es zu einem Sammler in Österreich, wo es jahrzehntelang in einer Halle stand. Erst 2003 wechselte es den Besitzer: Traugott Grundmann, leidenschaftlicher Sammler und Restaurator, tauschte das Fahrgestell gegen einen Schwimmwagen – ebenfalls ein VW-Entwicklungsfahrzeug aus Kriegszeiten.
„Ich wollte das Ding eigentlich nur sichern“, erinnert sich Grundmann. In seiner Sammlung in Hessisch Oldendorf stand das Gestell zunächst einfach an der Wand. „Ich habe mir den Wiederaufbau damals gar nicht zugetraut.“ Doch irgendwann packte ihn der Ehrgeiz. Der erfolgreiche Wiederaufbau eines 1938er-Käfers machte Mut – und so begann eines der aufwendigsten Restaurierungsprojekte der VW-Geschichte.
Acht Jahre Arbeit, viele helfende Hände
Fast acht Jahre schraubte, sägte und nietete Grundmann in seiner Werkstatt. Freunde, Familie, Fachleute aus halb Europa halfen mit. „Bei einem Käfer kann man noch fast alles selbst machen“, sagt er. Dennoch war es eine Puzzlearbeit über Jahre hinweg.
Die Karosserie existierte nicht mehr – sie musste komplett neu aufgebaut werden. Grundlage war eine lebensgroße Zeichnung, die Andreas Mindt, heutiger Chefdesigner von Volkswagen, auf Basis alter Fotos und des erhaltenen Fahrgestells anfertigte. Eine offizielle Konstruktionszeichnung war nicht mehr auffindbar.
Mindt sagte später, diese Arbeit sei „mehr als eine technische Aufgabe“ gewesen. Für ihn sei der W30 „eine Verbindung zwischen Handwerkskunst, dem Erbe und der Zukunft des Volkswagendesigns“.
Das Projekt war echte Teamarbeit: Zeitgenössische Scheinwerfer, Türgriffe und Scheibenwischer suchten die Beteiligten weltweit zusammen – in Großbritannien, Frankreich, Polen. Viele Teile waren damals Standardkomponenten anderer Hersteller. So wurde das Auto nach und nach zu dem, was es einmal war – ein fahrbereiter Prototyp von 1937.

In diesem Prototypen brauchte es keinen Schnick-Schnack: as Amaturenbrett des VW Käfer von Traugott Grundmann.
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TÜV-Prüfung mit weißem Blatt Papier
Die offizielle Straßenzulassung war die nächste Herausforderung. Schließlich wurde der Wagen gebaut, bevor die Straßenverkehrszulassungsordnung überhaupt existierte. „Ein Mustergutachten dafür habe ich nicht“, sagte TÜV-Nord-Oldtimerexperte Thomas Rusch in einem Facebook-Beitrag des TÜV Nord. „Meine Abnahme ist ähnlich wie der Neuaufbau dieses Fahrzeugs reine Handarbeit – ich beginne mit einem weißen Blatt.“
Seine Aufgabe bestand darin, das Fahrzeug auf Verkehrssicherheit zu prüfen und korrekt zu beschreiben. Viele heutige Vorschriften waren damals schlicht noch nicht erfunden. So musste für manches eine Sonderlösung gefunden werden – etwa beim Warnblinklicht, das heute vorgeschrieben ist. Der W30 hat stattdessen ein mobiles System, das manuell angebracht wird.
Am Ende bestand der Oldtimer die Prüfung ohne Beanstandungen. Rusch nannte das Projekt „eine Freude, die man nur einmal im Leben hat“.
Ein Auto wie ein Zeitdokument
Wenn der W30-Käfer nicht gerade auf der Straße unterwegs ist, steht er in einer holzvertäfelten Garage in Hessisch Oldendorf. Der Raum wirkt fast wie ein Museum: alte Fotografien, Originaldokumente, ein Buch über den Wiederaufbau, alte Maschinen und Schränke. Wer das Auto dort sieht, ahnt, wie viel Herzblut in ihm steckt.
Wenn Grundmann ihn doch einmal ausfährt, etwa zu VW-Treffen oder Oldtimer-Events, dann ist das jedes Mal ein kleines Spektakel. Menschen bleiben stehen, winken, filmen mit ihren Smartphones. Und immer wieder hört man das gleiche leise Staunen: „Das ist der älteste Käfer der Welt.“
Für Grundmann ist das mehr als nur ein Satz. „Das Auto erzählt Geschichte – und zwar wortwörtlich auf Rädern.“
Der Käfer als Idee – ein Auto fürs Volk
Die Geschichte dieses Fahrzeugs ist eng verknüpft mit der Geschichte des VW Käfers selbst – jenes Autos, das später Millionen Menschen bewegte. Die Idee eines „Volkswagens“ entstand in den 1930er-Jahren. Ferdinand Porsche erhielt 1934 den Auftrag, ein Auto zu entwickeln, das vier Personen Platz bietet, 100 km/h erreicht und nicht mehr als 1.000 Reichsmark kostet.
1935 präsentierte Porsche erste Prototypen, aus denen die W30-Reihe hervorging. Doch der Zweite Weltkrieg stoppte die zivile Autoproduktion. Statt Käfern für Familien wurden im neuen Volkswagenwerk Kübelwagen und Flugzeugteile gebaut.

Zwei Ur-Käfer auf einem Foto um 1937. Links: VW 3 (Vorserie), Baujahr 1936; rechts: VW 30 (Prototyp), Baujahr 1936/37.
Foto: picture-alliance / akg-images | akg-images
Nach Kriegsende übernahmen die Briten die Kontrolle über das zerstörte Werk in Wolfsburg – und sie sahen Potenzial. 1945 liefen die ersten Käfer wieder vom Band, zunächst als Dienstwagen für Behörden. 1946 begann der zivile Verkauf. Schnell wurde der kleine Wagen zum Symbol für Aufbruch, Mobilität und das Wirtschaftswunder.
1955 feierte VW den millionsten Käfer. 1972 überholte das Modell sogar Fords legendäre „Tin Lizzy“ und wurde das meistgebaute Auto der Welt. Bis 2003 liefen über 21 Millionen Käfer vom Band – zuletzt in Mexiko.
Der W30, den Grundmann heute fährt, ist somit der Urvater all dieser Fahrzeuge. Ein Bindeglied zwischen Vision und Wirklichkeit.
Vom Schrott zum rollenden Kulturgut
Dass dieses Auto heute wieder fährt, grenzt an ein Wunder. Oder eher: an technische Präzision, Geduld und ein gutes Netzwerk. Grundmann suchte jahrelang nach Originalteilen – und fand sie in alten Werkstätten, auf Flohmärkten, in Kellern. Manche Bauteile musste er neu anfertigen lassen, andere tauchten zufällig auf, wenn sich Sammler gegenseitig halfen.
„Ohne die Community wäre das nicht gegangen“, sagt er. Alte VW-Fans weltweit vernetzen sich über Foren und Clubs. Sie tauschen Baupläne, Tipps, Kontakte. Gerade bei Fahrzeugen aus den 1930er-Jahren ist das Wissen selten – vieles existiert nur noch in Köpfen oder vergilbten Notizbüchern.
Das Ergebnis: ein fahrbereiter, authentischer Prototyp, der den Geist seiner Zeit konserviert. Kein Showcar, kein poliertes Museumsstück, sondern ein Auto, das sich bewegen darf – mit Kennzeichen, TÜV und Versicherung.

Wenn er nicht gerade durch die Landschaft rollt, steht der Käfer stilecht in einer Halle.
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Warum der Käfer Generationen bewegt hat
Kaum ein Auto hat so viele Geschichten erlebt wie der Käfer. Er fuhr über Alpenpässe und durch Wüsten, war Familienwagen, Hippie-Mobil und Rennwagen. Seine Technik war einfach, robust und nachvollziehbar. Der luftgekühlte Boxermotor galt als unverwüstlich, auch wenn er mit 23 PS nicht viel mehr als Gemütstempo lieferte.
Vielleicht liegt genau darin der Reiz: Der Käfer war nie perfekt, aber verlässlich. Ingenieure, Mechaniker und Tüftler liebten ihn, weil sie ihn verstanden. Er war ein Auto, das man nicht nur fahren, sondern auch reparieren konnte.
Der W30-Prototyp, der heute in Hessisch Oldendorf steht, zeigt, wo alles begann: mit dem Wunsch, Mobilität für alle zu schaffen. (mit dpa)
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