Oldowan-Werkzeuge 16.08.2025, 22:49 Uhr

Warum unsere Vorfahren Steine kilometerweit schleppten

Vor 2,6 Mio. Jahren transportierten Hominiden Steine für Werkzeuge kilometerweit – 600.000 Jahre früher als gedacht.

Steinwerkzeuge

Oldowan-Steinwerkzeuge aus verschiedenen Rohstoffen, die rund 10 Kilometer von ihrem Fundort im Südwesten Kenias entfernt gewonnen wurden.

Foto: E.M Finestone, J.S. Oliver, Homa Peninsula Paleoanthropology Project

Vor mehr als 2,6 Millionen Jahren griffen die Vorfahren des Menschen bereits zu Werkzeugen. Diese einfachen, aber wirkungsvollen Steinwerkzeuge sind unter dem Begriff Oldowan bekannt. Sie dienten dazu, Pflanzen zu zerkleinern und große Tiere wie Nilpferde zu zerlegen. Neueste Analysen zeigen nun: Schon damals transportierten Hominiden die passenden Steine über mehrere Kilometer hinweg – und zwar rund 600.000 Jahre früher, als bisher vermutet.

Die Erkenntnisse stammen aus einer aktuellen Studie, die im Fachjournal Science Advances veröffentlicht wurde. Beteiligt waren Forschende des Smithsonian National Museum of Natural History, des Cleveland Museum of Natural History und des Queens College.

„Die Menschen konzentrieren sich oft auf die Werkzeuge selbst, aber die eigentliche Innovation der Oldowan-Kultur könnte tatsächlich der Transport von Ressourcen von einem Ort zum anderen sein“, erklärt Rick Potts, Hauptautor der Studie und Leiter des Human-Origins-Programms am Smithsonian. Damit rückt nicht nur die Herstellung, sondern auch der Transport von Rohstoffen ins Zentrum der menschlichen Frühgeschichte.

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Warum die Wahl des richtigen Steins entscheidend war

Stein ist nicht gleich Stein. Für Werkzeuge, die Pflanzen schneiden oder Knochen aufbrechen sollten, brauchte es besonders harte und zugleich spröde Materialien. Diese Eigenschaften sorgten dafür, dass sich beim Schlag mit einem Hammerstein scharfe Kanten abspalten ließen.

Die Region Nyayanga im Südwesten Kenias, wo die Werkzeuge gefunden wurden, bot zwar viele Gesteine. Doch sie waren für scharfe Schneidwerkzeuge kaum geeignet. Lokale Steine waren weich, stumpften schnell ab oder zerbrachen bei starker Belastung.

Die Hominiden mussten also gezielt nach besserem Material suchen. Analysen ergaben, dass viele der gefundenen Werkzeuge aus Vulkangestein wie Rhyolith oder aus metamorphem Gestein wie Quarzit gefertigt wurden. Solche Steine kamen jedoch nicht direkt in Nyayanga vor. Die Forschenden schlussfolgern: Die Vorfahren des Menschen trugen diese Rohmaterialien über mehrere Kilometer hinweg in ihr Siedlungsgebiet.

Fundorte am Viktoriasee geben neue Hinweise

Die untersuchten Werkzeuge stammen von der Homa-Halbinsel, einer Landzunge, die in den Viktoriasee hineinragt. Dort liegen mehrere bedeutende Fundstellen, an denen seit den 1980er-Jahren systematisch Ausgrabungen stattfinden. Besonders wichtig ist Nyayanga, eine Stätte mit Funden aus einer Zeit vor rund drei Millionen Jahren.

Dort entdeckte das Team nicht nur Steinwerkzeuge, sondern auch zahlreiche Nilpferdknochen. Viele dieser Knochen tragen Schnittspuren, die klar auf den Einsatz von Steinwerkzeugen hinweisen. Die Funde legen nahe, dass Hominiden große Tiere zerlegten – ein Verhalten, das früheren Annahmen zufolge erst deutlich später auftrat.

„Hominiden verwendeten Steinwerkzeuge für eine Vielzahl von Aufgaben wie Zerkleinern und Schneiden, darunter die Verarbeitung pflanzlicher und tierischer Nahrungsmittel und die Bearbeitung von Holz“, erläutert Thomas Plummer vom Queens College, Mitautor der Studie.

Wie Forschende den langen Weg der Steine rekonstruierten

Die Frage, ob die Hominiden in Nyayanga ihre Werkzeuge wirklich über weite Strecken transportierten, ließ sich nicht allein durch den Fundort beantworten. Deshalb analysierten die Forschenden die geochemische Zusammensetzung der Werkzeuge. Mit dieser Methode lässt sich feststellen, woher ein Gestein stammt.

Das Ergebnis: Viele Steine hatten ihren Ursprung in Flussgebieten mehrere Kilometer östlich der Homa-Halbinsel. Dort treten Rhyolithe und Quarzite in großer Zahl auf. Damit war klar: Die Werkzeugmacherinnen und Werkzeugmacher suchten gezielt nach hochwertigem Material und brachten es zurück nach Nyayanga.

Diese Erkenntnis verschiebt den frühesten Nachweis für den bewussten Transport von Ressourcen deutlich nach vorne – um rund 600.000 Jahre. Bislang galt eine jüngere Fundstelle, Kanjera South, ebenfalls auf der Homa-Halbinsel, als ältestes Beispiel für dieses Verhalten. Die dort entdeckten Werkzeuge sind etwa zwei Millionen Jahre alt. Nyayanga zeigt jedoch, dass Hominiden schon vor 2,6 Millionen Jahren Steine über größere Entfernungen bewegten.

Mehr als Sammeln – ein Hinweis auf Planung

Die Fähigkeit, Rohstoffe nicht nur zu sammeln, sondern auch strategisch zu transportieren, markiert einen wichtigen Schritt in der Evolution. Damit verbunden ist die Fähigkeit, die Zukunft vorauszudenken. Wer Steine kilometerweit trägt, denkt an den späteren Nutzen – etwa beim Zerlegen eines Nilpferdes oder beim Zerkleinern von Wurzeln.

„Die mentalen Karten der ältesten bekannten Hominiden, die beharrlich Steinwerkzeuge herstellten, reichten weit über ihre unmittelbare Umgebung hinaus, sogar über mehrere Kilometer“, beschreibt Rick Potts diese Fähigkeit.

Solche mentalen Karten erlaubten es, gute Fundorte für Rohstoffe im Gedächtnis zu behalten. Damit war es möglich, bestimmte Orte immer wieder gezielt aufzusuchen. Dieses Verhalten unterscheidet frühe Hominiden deutlich von anderen Primaten. Zwar nutzen auch Schimpansen Steine, etwa zum Knacken von Nüssen. Doch sie transportieren solche Materialien nur über kurze Entfernungen. Die Funde aus Nyayanga zeigen hingegen, dass die Vorfahren des Menschen regelmäßig Strecken von mehr als sechs Meilen, also rund zehn Kilometern, zurücklegten.

Werkzeuge für viele Aufgaben

Die Oldowan-Werkzeuge waren erstaunlich vielseitig. Mit ihnen ließen sich Pflanzen zerschneiden, Fleischstücke abtrennen oder Knochen öffnen. Sie dienten auch zum Schaben von Holz oder zum Aufbrechen harter Schalen. Entscheidend war die Fähigkeit, mit einem Schlag auf einen Stein scharfe Kanten zu erzeugen. Diese Kanten waren robust genug, um auch widerstandsfähiges Material zu bearbeiten.

Plummer bringt es auf den Punkt: „Die Vielfalt der Tätigkeiten, für die Steinwerkzeuge eingesetzt wurden, lässt darauf schließen, dass Steinwerkzeuge bereits in dieser frühen Phase der kulturellen Entwicklung die Anpassungsfähigkeit der Hominiden verbesserten, die sie benutzten.“

Die Kombination aus Werkzeugbau und Transport verschaffte den frühen Menschen also klare Vorteile. Sie konnten mehr Nahrung erschließen, größere Tiere verwerten und flexibler auf ihre Umwelt reagieren.

Wer die Werkzeuge wirklich herstellte

Ein spannender Aspekt bleibt bis heute offen: Wer genau fertigte die Oldowan-Werkzeuge in Nyayanga an?

Bei den Ausgrabungen stießen die Forschenden neben Nilpferdknochen und Steinklingen auch auf fossile Überreste – darunter zwei Backenzähne. Sie stammen von Hominiden der Gattung Paranthropus. Diese Gruppe zeichnete sich durch kräftige Schädel und große Zähne aus, die zum Zermahlen harter Nahrung geeignet waren.

Bisher ging man davon aus, dass vor allem frühe Vertreter der Gattung Homo – also unsere direkten Vorfahren – die Oldowan-Werkzeuge herstellten. Die Nähe von Paranthropus-Zähnen zu den Werkzeugen eröffnet nun die Möglichkeit, dass auch andere Hominiden diese Technik nutzten.

Emma Finestone, Co-Autorin der Studie, fasst es so zusammen: „Solange man keine Fossilien von Hominiden findet, die tatsächlich ein Werkzeug halten, kann man nicht definitiv sagen, welche Spezies welche Steinwerkzeuge hergestellt hat. Aber ich denke, dass die Forschungen in Nyayanga darauf hindeuten, dass es eine größere Vielfalt an Hominiden gab, die frühe Steinwerkzeuge hergestellt haben, als bisher angenommen.“

Hier geht es zur Originalpublikation

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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