Russische Turbulenz-Theorie von 1941 funktioniert auch bei Blasen
Experimente mit Blasen bestätigen Kolmogorovs Turbulenz-Theorie von 1941. Erkenntnisse helfen Technik und Klimaforschung.
Hochgeschwindigkeitskameras erfassen Schwärme von Blasen, die durch eine LED-beleuchtete Wassersäule aufsteigen, und zeigen die chaotischen Strömungsmuster der durch die Blasen verursachten Turbulenzen. Bild: B. Schröder/HZDR
Strömungen gehören zu den schwierigsten Aufgaben in der Physik. Besonders dann, wenn Flüssigkeiten ins Chaos kippen und Turbulenzen entstehen. Diese Wirbel beeinflussen fast alles: von der Brandung an der Küste über Wolkenbildung bis zu industriellen Mischanlagen. Forschende suchen seit Jahrzehnten nach Regeln, die Ordnung in dieses Chaos bringen.
Ein Name steht dabei im Zentrum: Andrei Kolmogorov. Der russische Mathematiker entwickelte 1941 eine Theorie, die bis heute als Maßstab gilt. Sie beschreibt, wie Energie von großen Wirbeln zu immer kleineren weitergereicht wird, bis sie durch Reibung verschwindet. Doch gilt diese Theorie auch, wenn Blasen den Antrieb für die Turbulenz liefern?
Inhaltsverzeichnis
Blasen als Antrieb für Wirbel
Wer ein Glas Mineralwasser einschenkt, sieht Blasen aufsteigen. Jede einzelne Blase zieht das Wasser in Bewegung und erzeugt Wirbel. In industriellen Prozessen wie chemischen Reaktoren oder der Abwasserbehandlung spielt dieser Effekt eine wichtige Rolle. Auch in den Ozeanen tragen Blasen dazu bei, dass Wasser durchmischt wird. Fachleute sprechen von „blaseninduzierter Turbulenz“.
Die Frage, ob sich Kolmogorovs Theorie auf solche Systeme anwenden lässt, blieb lange unbeantwortet. Simulationen und Experimente hatten widersprüchliche Ergebnisse geliefert. Nun konnte ein internationales Forschungsteam erstmals einen klaren Nachweis erbringen.
Der Versuchsaufbau: Eine Wassersäule voller Blasen
Das Team vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) arbeitete mit Kolleg*innen der Johns Hopkins University und der Duke University. Gemeinsam bauten sie eine Versuchsanlage: eine Wassersäule von rund 90 Zentimetern Höhe, in die kontrolliert Blasen eingeleitet wurden.
Die Blasen hatten Durchmesser zwischen drei und fünf Millimetern. In diesem Bereich geraten sie beim Aufstieg ins Schwingen und hinterlassen kräftige Nachströmungen. Genau diese Wirbel wollten die Forschenden untersuchen.
Dazu nutzten sie vier Hochgeschwindigkeitskameras, die 2500 Bilder pro Sekunde aufnahmen. Mit einer modernen 3D-Tracking-Methode konnten sie sowohl die Blasen selbst als auch winzige Markierungspartikel im Wasser verfolgen. So entstand ein vollständiges Bild der Strömung – in unmittelbarer Nähe der Blasen und in den ruhigeren Bereichen dazwischen.
„Wir wollten eine definitive Antwort erhalten, indem wir die Turbulenzen zwischen und um die Blasen herum auf sehr kleinen Skalen genau untersuchten“, erklärt Dr. Tian Ma vom HZDR.
Kurz erklärt: Kolmogorov in der Blasensäule
Was wurde gezeigt?
Die klassische Kolmogorov-Skalierung von 1941 tritt auch in blaseninduzierter Turbulenz auf – jedoch vor allem außerhalb der direkten Nachläufe der Blasen und für Wirbel, die kleiner sind als die Blasen selbst.
Wer war beteiligt?
Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR), Johns Hopkins University, Duke University.
Wie wurde gemessen?
3D-Lagrange-Tracking beider Phasen (Blasen & Tracer-Partikel) mit vier Hochgeschwindigkeitskameras (ca. 2500 Bilder/s).
Versuchsaufbau
Wassersäule (~90 cm); Blasen mit ca. 3–5 mm Durchmesser; mehrere Fälle mit variierter Blasendichte/Gasanteil.
Kernaussage zur Energiedissipation
Der Energieverlust der Turbulenz hängt vor allem von Blasengröße und mittlerem Abstand bzw. Dichte der Blasen ab; je dichter und größer, desto stärker die Wirbel und die Dissipation.
Grenzen der Theorie
Ein breiter Trägheitsbereich, wie in „reinen“ Turbulenzen, bildet sich in Blasensäulen kaum aus. Dafür wären deutlich größere Blasen nötig, die in der Praxis rasch zerfallen.
Warum ist das relevant?
Bessere Auslegung von Reaktoren, Abwassertechnik und Mischprozessen; nützlich auch für Modelle zum Austausch von Wärme und Gasen in Ozeanen.
Begriffe kurz erklärt
Turbulente Energiekaskade: Energie fließt von großen zu immer kleineren Wirbeln, bis Reibung sie in Wärme überführt.
Trägheitsbereich: Skalenbereich, in dem die Energiekaskade weitgehend ohne äußere Einflüsse abläuft.
Blaseninduzierte Turbulenz (BIT): Turbulenz, die durch aufsteigende Gasblasen in einer Flüssigkeit angetrieben wird.
Kolmogorov gilt – aber nicht überall
Die Ergebnisse waren eindeutig. In zwei der vier untersuchten Fälle zeigte sich: Die Turbulenzen entsprachen Kolmogorovs Vorhersagen. Vor allem für Wirbel, die kleiner waren als die Blasen selbst, passte die Theorie erstaunlich gut.
„Kolmogorovs Theorie ist elegant. Sie beschreibt, wie die Energie von großen turbulenten Wirbeln zu immer kleineren übergeht und dort schließlich durch Reibungseffekte verloren geht – und wie dieser Prozess die Schwankungen der turbulenten Strömungsbewegung steuert“, sagt Dr. Andrew Bragg von der Duke University.
Allerdings gilt das nur eingeschränkt. Direkt in den Nachläufen der Blasen, also dort, wo die Wirbel besonders stark und unregelmäßig sind, bricht das Muster auf. Die Strömung wird dort so gestört, dass sich keine klassische Energiekaskade ausbilden kann. Außerhalb dieser Bereiche aber verhält sich die Turbulenz ähnlich wie in klassischen Windkanalexperimenten.
Eine neue Erklärung für den Energieverlust
Neben der Überprüfung von Kolmogorovs Theorie entwickelten die Forschenden auch ein eigenes Modell. Sie wollten besser verstehen, wie schnell Turbulenzen ihre Energie verlieren. In der Fachsprache heißt das Energiedissipation.
Das Team fand heraus, dass dieser Energieverlust nicht nur von der Größe der Blasen abhängt. Entscheidend ist auch, wie dicht die Blasen beieinanderliegen. Steigen viele Blasen gleichzeitig auf, verstärken sich die Wirbel gegenseitig. Liegen die Blasen weiter auseinander, schwächen sie sich weniger stark. Mit dieser Erkenntnis lassen sich Vorhersagen für technische Anwendungen einfacher treffen.
Grenzen der Theorie
Ganz ohne Einschränkungen funktioniert die Kolmogorov-Theorie nicht. Ein entscheidender Punkt ist der sogenannte Trägheitsbereich – das Intervall, in dem sich ihre Gesetze am besten zeigen. Damit er klar erkennbar wäre, müssten die Blasen deutlich größer sein, über zwei Zentimeter im Durchmesser. In der Praxis zerfallen Blasen dieser Größe jedoch, bevor sie einen stabilen Wirbelstrom aufbauen können.
„In gewisser Weise verhindert die Natur, dass wir mit Blasen eine perfekte Kolmogorov-Turbulenz erreichen. Aber unter den richtigen Bedingungen wissen wir jetzt, dass sie sich dieser annähert“, erklärt Dr. Hendrik Hessenkemper vom HZDR.
Bedeutung für Technik und Wissenschaft
Die Erkenntnisse gehen weit über die Grundlagenphysik hinaus. Ingenieur*innen können sie nutzen, um Prozesse zu optimieren, in denen Blasen eine Rolle spielen. Dazu gehören chemische Reaktoren, in denen Gasblasen den Stoffaustausch verbessern, oder Anlagen zur Abwasserbehandlung. Auch in Klimamodellen könnte das Wissen helfen, da Blasen im Meer eine wichtige Rolle beim Austausch von Gasen spielen.
Für die Physik bedeutet das Ergebnis, dass Kolmogorovs Theorie auch in Systemen gilt, die auf den ersten Blick zu unruhig und ungleichmäßig erscheinen. Die Robustheit der Idee von 1941 überrascht selbst viele Fachleute.
„Je besser wir die grundlegenden Regeln der Turbulenzen in Blasenströmungen verstehen, desto besser können wir sie in realen Anwendungen nutzen“, fasst Dr. Ma zusammen.
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