Weltweit erster KI-Ingenieur löst selbstständig Strömungsprobleme
Ein von der Universität Stuttgart entwickelter KI-Ingenieur simuliert Strömungen und schreibt eigenständig Fachartikel – ganz ohne menschliche Hilfe.

Dr. Xu Chu forschte bis Januar 2025 im Exzellenzcluster SimTech. Während seiner Zeit an der Universität Stuttgart entwickelte er den KI-Ingenieur.
Foto: SimTech
Ein Forschungsteam der Universität Stuttgart hat mit OpenFOAMGPT den weltweit ersten KI-Ingenieur entwickelt. Das System besteht aus mehreren Agenten, die selbstständig Strömungssimulationen durchführen – und sogar wissenschaftliche Manuskripte schreiben.
Inhaltsverzeichnis
Der digitale Ingenieur wird Realität
Wie gerade geschrieben, wurde an der Universität Stuttgart der weltweit erste KI-Ingenieur entwickelt. Das Team um Dr. Xu Chu vom Exzellenzcluster SimTech und der Fakultät für Luft- und Raumfahrttechnik sowie Geodäsie erschuf ein System, das komplexe Aufgaben der Strömungsmechanik nicht nur versteht – es löst sie auch.
OpenFOAMGPT vereint künstliche Intelligenz, Strömungsmechanik und Textgenerierung in einer Plattform. Die KI arbeitet eigenständig: Sie simuliert Strömungen, wertet Ergebnisse aus und formuliert daraus wissenschaftliche Artikel. Menschliche Hilfe ist dafür nicht mehr notwendig.
Was hinter dem KI-Ingenieur steckt
Das System basiert auf einem sogenannten Multi-Agenten-Ansatz. Dabei übernehmen vier spezialisierte Software-Agenten unterschiedliche Aufgaben im Konstruktionsprozess.
- Der Preprocessing Agent analysiert die Aufgabenstellung und entscheidet, wie komplex das Problem ist.
- Der Prompt Generate Agent erstellt dazu passende Eingabeaufforderungen („Prompts“) und speichert sie in einem Pool.
- Der OpenFOAMGPT Agent startet auf Basis dieser Prompts die Simulation mit der Open-Source-Software OpenFOAM.
- Der Postprocessing Agent wertet die Ergebnisse aus, erstellt Diagramme und bereitet die Daten visuell auf.
Herzstück des Systems ist ein Sprachmodell (Large Language Model), das mit technischen Daten und wissenschaftlichem Wissen trainiert wurde. Die Kopplung mit OpenFOAM macht es möglich, reale physikalische Prozesse zu simulieren – beispielsweise Strömungen von Flüssigkeiten oder Gasen.
„Unser KI-Ingenieur arbeitet sehr gründlich und zuverlässig, eben wie ein schwäbischer Ingenieur“, sagt Dr.-Ing. Xu Chu, der seit rund 20 Jahren in Baden-Württemberg lebt.
So wurde die Zuverlässigkeit getestet
Um die Leistungsfähigkeit der KI zu überprüfen, führten die Forschenden fünf verschiedene Fallstudien durch. Die Beispiele reichten von der einfachen Kanalströmung einer viskosen Flüssigkeit bis zu komplexen mehrphasigen Strömungen in porösen Medien. Auch turbulente Luftströmungen, wie sie etwa bei der Aerodynamik eines Motorrads auftreten, wurden simuliert.
Die Ergebnisse waren konstant. „Die Simulationen liefen bis zu hundertmal hintereinander – mit exakt dem gleichen Resultat“, berichtet Chu. Das sei durchaus ungewöhnlich. Denn bei vielen KI-Anwendungen, so Chu, könne eine Eingabe zehn verschiedene Ausgaben erzeugen. „Das darf bei technischen Berechnungen nicht passieren.“
Gerade diese Reproduzierbarkeit sei ein wichtiges Qualitätsmerkmal in der Ingenieurwissenschaft, sagt Chu. Das System habe das Team manchmal selbst überrascht: „Wir konnten einige Nächte nicht mehr ruhig schlafen, weil wir ahnten, welche Möglichkeiten sich damit auftun.“
Der KI-Wissenschaftler schreibt selbstständig Artikel
Doch Xu Chu und sein Team gingen noch weiter. Sie entwickelten ein zweites System, das auf OpenFOAMGPT aufbaut – Turbulence.ai. Es handelt sich dabei um einen autonomen KI-Wissenschaftler im Bereich der Strömungsmechanik. Dieser besteht aus weiteren Agenten, die Fachliteratur analysieren, Forschungsideen entwickeln, Simulationen planen und Ergebnisse auswerten.
Das Besondere: Turbulence.ai verfasst auch wissenschaftliche Manuskripte. Vollständig. Ohne menschliche Hilfe. Das erste Paper – über zweiphasige Verdrängungsvorgänge in porösen Materialien – ist bereits fertiggestellt.
Der Prozess folgt dabei wissenschaftlichen Standards: Hypothesen werden gebildet, Tests geplant, Daten erhoben, bewertet und visualisiert. Anschließend schreibt das System einen wissenschaftlichen Artikel, der zur Publikation geeignet ist.
„Da die Strömungsmechanik noch viele offene Fragen bereithält, könnte Turbulence.ai hier einen echten Mehrwert leisten“, meint Chu.
Was bedeutet das für die Ingenieurwelt?
Die Entwicklung von OpenFOAMGPT und Turbulence.ai könnte langfristig die Art verändern, wie technische Probleme gelöst und dokumentiert werden. Künftig könnten sich Ingenieurinnen und Ingenieure stärker auf kreative Aufgaben konzentrieren, während KI-Systeme wiederkehrende Analyseprozesse übernehmen.
Die automatisierte Manuskripterstellung dürfte zudem die wissenschaftliche Arbeit beschleunigen – insbesondere dort, wo komplexe Simulationen die Grundlage für neue Erkenntnisse bilden. Gleichzeitig wirft der Ansatz Fragen auf: etwa zur Autorschaft, Verantwortung und Nachvollziehbarkeit wissenschaftlicher Arbeiten.
Wer ist Xu Chu?
Xu Chu stammt ursprünglich aus China. Nach einem Fahrzeugtechnik-Studium an der Tongji-Universität in Shanghai kam er nach Stuttgart, um den dort hoch angesehenen Titel „Dipl.-Ing.“ zu erwerben. Anschließend promovierte er an der Universität Stuttgart im Bereich Maschinenbau und Energietechnik.
Er arbeitete unter anderem im Projekt DISS, als Leiter einer Nachwuchsgruppe am Institut für Thermodynamik der Luft- und Raumfahrt sowie im SimTech-Netzwerk. Seit Mai 2024 ist Chu als Senior Lecturer an der Universität Exeter tätig. Seine Habilitation erfolgte im Januar 2025 – ebenfalls an der Universität Stuttgart.
Seine Verbindung zur schwäbischen Ingenieurkultur scheint dabei mehr als nur fachlich: „Ich schätze die Sorgfalt und das systematische Denken hier sehr. Genau das haben wir mit unserem KI-Ingenieur nachgebildet.“
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