Filter aus dem Kalten Krieg enthüllen 34 Jahre Artensterben
Luftfilter aus dem Kalten Krieg werden zur ökologischen Zeitkapsel. Umwelt-DNA dokumentiert jahrzehntelanges Artensterben. Eins vorweg: Der Klimawandel hatte darauf keinen Einfluss.
Daniel Svensson und Anna-Mia Johansson haben alte Luftfilter ausgewertet und dabei einen deutlichen Rückgang der Artenvielfalt über 34 Jahre festgestellt.
Foto: Bea Andersson
Was einst der Kontrolle radioaktiver Belastung diente, wird Jahrzehnte später zu einem Werkzeug der Ökologie. In Nordschweden haben Forschende alte Luftfilter analysiert, die seit den 1960er-Jahren regelmäßig Luftproben sammelten. Die Filter stammen von einer Messstation nahe Kiruna. Sie wurden im Kalten Krieg installiert, um radioaktive Niederschläge zu überwachen. Heute liefern sie ein detailliertes Protokoll darüber, wie sich die Artenvielfalt in der Region über mehr als drei Jahrzehnte verändert hat.
Die Ergebnisse, veröffentlicht in Nature Communications, zeigen einen deutlichen Rückgang der Biodiversität zwischen den 1970er- und frühen 2000er-Jahren. Entscheidend ist: Dieser Rückgang lässt sich nicht primär durch den Klimawandel erklären. Vieles deutet auf menschliche Eingriffe in die Landschaft hin, vor allem auf intensive Forstwirtschaft. Grundlage der Analyse ist sogenannte Umwelt-DNA, kurz eDNA, die aus der Luft gewonnen wurde.
Luft als Archiv des Lebens
Alle Lebewesen verlieren ständig winzige Partikel. Hautzellen, Pollen, Sporen oder andere Zellreste gelangen in die Umwelt. In ihnen steckt DNA. Diese Fragmente schweben auch in der Luft. Genau diese Eigenschaft macht sich die Forschung zunutze.
Die schwedische Messstation saugte Woche für Woche große Luftmengen durch Glasfaserfilter. Diese Filter hielten nicht nur Staub oder radioaktive Partikel zurück, sondern auch biologische Spuren. Über Jahrzehnte hinweg lagerten sich so genetische Fragmente von Pflanzen, Pilzen, Insekten, Mikroben und Tieren ab. Die Filter wurden luftdicht archiviert und blieben dadurch erstaunlich gut erhalten.
„Es war ein Glücksfall, dass die Filter aufbewahrt worden waren – und dass sie aus einem Material bestanden, das DNA konserviert. Das Archiv erwies sich als Zeitmaschine, die es uns ermöglichte, in die Vergangenheit zurückzukehren und die Veränderungen eines Ökosystems fast in Echtzeit zu beobachten“, sagt Studienleiter Per Stenberg von der Universität Umeå.
Tausende Organismengruppen, Woche für Woche
Das Forschungsteam analysierte 34 Jahre dieser Filter. Mithilfe moderner DNA-Sequenzierung konnten die Forschenden wöchentlich im Schnitt rund 2700 Organismengruppen identifizieren. Darunter fanden sich Bakterien, Pilze, Moose, Bäume, Insekten, Vögel, Fische und große Säugetiere wie Elche oder Rentiere.
Besonders bemerkenswert ist die zeitliche Auflösung. Klassische ökologische Studien arbeiten oft mit jährlichen oder saisonalen Erhebungen. Die Luftfilter liefern dagegen ein nahezu lückenloses Wochenprotokoll. So lässt sich nicht nur feststellen, welche Arten vorhanden waren, sondern auch, wann ihre Häufigkeit zunahm oder abnahm.
Die Forschenden kombinierten die Sequenzierung mit maschinellem Lernen, um falsche Zuordnungen zu vermeiden. Zusätzlich nutzten sie Modelle zur Luftströmung, um abzuschätzen, aus welchen Regionen die DNA-Spuren stammen könnten. Die Ergebnisse decken sich gut mit traditionellen Feldbeobachtungen, etwa bei Vögeln oder größeren Säugetieren.
Artenverlust ohne klaren Klimaeffekt
Die langfristige Auswertung zeigt einen klaren Trend: Die Artenvielfalt nahm über die Jahrzehnte deutlich ab. Besonders betroffen waren Birken, holzbewohnende Flechten und Pilze. Auch Moose und andere typische Arten naturnaher Wälder gingen zurück.
Wichtig ist die Einordnung. Die Forschenden prüften, ob sich die Veränderungen durch Temperatur oder Niederschläge erklären lassen. Das war nicht der Fall. Klimatische Faktoren beeinflussten zwar saisonale Schwankungen, nicht aber den langfristigen Rückgang.
Stattdessen fällt der zeitliche Verlauf mit Veränderungen in der Landnutzung zusammen. In der Region wurde über Jahrzehnte intensiv Forstwirtschaft betrieben. Alte, strukturreiche Wälder verschwanden zunehmend. Monokulturen, vor allem aus Kiefern, nahmen zu. Diese Verschiebung spiegelt sich auch in der Luft-DNA wider.
Forstwirtschaft als wahrscheinlicher Treiber
Die Studie legt nahe, dass nicht einzelne extreme Ereignisse den Ausschlag gaben, sondern schleichende Eingriffe. Kahlschläge, Wiederaufforstung mit wenigen Baumarten und eine Vereinfachung der Waldstruktur verändern Lebensräume nachhaltig. Arten, die auf altes Holz, Schatten oder hohe Luftfeuchtigkeit angewiesen sind, verlieren ihre Nischen.
„Diese Arbeit ist das Ergebnis von neun Jahren intensiver Forschung und Entwicklung. Ich freue mich darauf, diese Daten zusammen mit der laufenden Sequenzierung weiterer Filter auf eine Vielzahl von Fragen anzuwenden“, sagt Mitautor Daniel Svensson.
Potenzial für ein globales Monitoring
Luftüberwachungsstationen gibt es weltweit zu Hunderten. Viele davon besitzen Archive mit alten Filtern. Die Studie zeigt, welches Potenzial in diesen Sammlungen steckt. Sie könnten helfen, Biodiversitätsveränderungen auch dort zu rekonstruieren, wo es bisher keine systematischen Erhebungen gab.
Zugleich eröffnet die Methode neue Möglichkeiten für die Zukunft. Mit Luft-DNA lassen sich nicht nur Trends erfassen, sondern auch invasive Arten oder Krankheitserreger frühzeitig erkennen. „Mit dieser Methode lassen sich auch genetische Variationen sowie das Vorkommen invasiver Arten und Krankheitserreger nachweisen und verfolgen“, sagt Per Stenberg.
Ein Beitrag von: