Evolution rückwärts? Galápagos-Tomaten aktivieren uralte Gene
Kann das wirklich sein? Tomaten auf Galápagos-Inseln produzieren wieder uralte Gifte – kehrt hier die Evolution um?

Wildtomaten auf Galápagos: Einige dieser Pflanzen produzieren uralte Alkaloide – ein möglicher Fall von evolutionärer Umkehr.
Foto: Adam Jozwiak/UCR
Auf den Galápagos-Inseln produzieren wild wachsende Tomatenpflanzen wieder Alkaloide, die seit Millionen Jahren verschwunden waren. Forschende sprechen von einer möglichen „Rückentwicklung“ – ausgelöst durch harsche Umweltbedingungen.
Inhaltsverzeichnis
- Aufbruch in die Vergangenheit der Pflanzenbiologie
- Alkaloide: Chemische Abwehr mit Geschichte
- Uralte Moleküle aus jungem Gestein
- Anpassung durch Rückgriff
- Rekonstruktion des evolutionären Ursprungs
- Was „Rückentwicklung“ wirklich bedeutet
- Ist eine Reaktivierung der Genfunktionen auch bei Menschen möglich?
Aufbruch in die Vergangenheit der Pflanzenbiologie
Die Galápagos-Inseln gelten als lebendiges Labor der Evolution. Doch nun stellen Forschende fest: In einigen Regionen des Archipels scheint die Natur nicht nur neue Wege zu beschreiten – sondern alte Pfade wieder aufzugreifen. Im Zentrum dieser Entdeckung steht eine Tomatenart, die auf bestimmten Inseln begonnen hat, urzeitliche chemische Substanzen zu produzieren.
Dabei handelt es sich um Alkaloide – bitter schmeckende, oft giftige Moleküle, die Pflanzen vor Fressfeinden schützen. Was diese Alkaloide jedoch besonders macht: Sie entsprechen nicht der modernen „Tomaten-Version“, sondern erinnern an Substanzen, wie sie bei Auberginen vorkommen.
Alkaloide: Chemische Abwehr mit Geschichte
Tomaten gehören zur Familie der Nachtschattengewächse. Gemeinsam mit Kartoffeln und Auberginen teilen sie sich eine chemische Schutzstrategie: die Produktion von Alkaloiden. Diese Moleküle können Insekten, Pilze und pflanzenfressende Tiere fernhalten – wirken bei hoher Konzentration aber auch auf den Menschen toxisch.
„Unsere Gruppe hat intensiv daran gearbeitet, die Schritte der Alkaloidsynthese zu charakterisieren, damit wir versuchen können, sie zu kontrollieren“, erklärt Adam Jozwiak, Molekularbiochemiker an der University of California, Riverside.
Auf den östlichen Inseln des Archipels, die älter und ökologisch stabiler sind, zeigen die Tomatenpflanzen ein bekanntes chemisches Profil. Sie produzieren Alkaloide, wie man sie auch aus Zucht-Tomaten kennt. Doch auf den jüngeren, westlichen Inseln geschieht etwas Unerwartetes.
Uralte Moleküle aus jungem Gestein
Forschende analysierten mehr als 30 Proben wild wachsender Tomaten. Dabei entdeckten sie: Auf den westlichen Vulkaninseln produzieren die Pflanzen Alkaloide mit einem anderen molekularen Aufbau. Die Struktur entspricht Molekülen, wie sie vor Millionen von Jahren typisch für Tomatenvorfahren waren – oder heute noch bei Auberginen vorkommen.
Der Unterschied liegt nicht in der Zusammensetzung, sondern in der räumlichen Anordnung der Atome – der sogenannten Stereochemie. Diese bestimmt maßgeblich, wie ein Molekül in biologischen Systemen wirkt.
Was genau führt zu dieser Umkehr? Die Forschenden isolierten Enzyme, die für die Synthese der Alkaloide verantwortlich sind. Bereits vier veränderte Aminosäuren in einem Enzym reichten aus, um das chemische Endprodukt von modern zu urzeitlich umzubauen.
Anpassung durch Rückgriff
Dass Pflanzen alte genetische Informationen reaktivieren, ist kein alltäglicher Befund. Denn die Evolution gilt meist als gerichteter Prozess, bei dem Anpassung an neue Umweltbedingungen im Vordergrund steht. Dass sich frühere Merkmale erneut durchsetzen – und das über den gleichen genetischen Weg wie einst – ist selten.
„Das ist nichts, was wir normalerweise erwarten“, sagt Jozwiak. „Aber hier ist es, es geschieht in Echtzeit, auf einer Vulkaninsel.“
Die westlichen Inseln sind karg, mit wenig Boden und Vegetation. Die Umweltbedingungen sind rauer als auf den älteren Inseln. Das könnte erklären, warum sich gerade dort die alte Alkaloidstruktur durchsetzt. Sie bietet womöglich besseren Schutz vor Fressfeinden oder Krankheiten.
Rekonstruktion des evolutionären Ursprungs
Um den Ursprung dieser chemischen Veränderungen besser zu verstehen, verglich das Team die DNA der heutigen Pflanzen mit rekonstruierten Sequenzen ihrer Urahnen. Das Ergebnis: Die Tomaten auf den jüngeren Inseln ähneln in ihrem chemischen Profil jenen hypothetischen Vorfahren, die vor Millionen Jahren gelebt haben könnten.
Die Forschenden verwendeten dabei ein Verfahren der sogenannten Evolutionsmodellierung. Damit lässt sich auf Basis heutiger genetischer Informationen ableiten, wie ausgestorbene Merkmale einst ausgesehen haben könnten.
Was „Rückentwicklung“ wirklich bedeutet
In der Fachwelt ist der Begriff der „umgekehrten Evolution“ umstritten. Biologische Entwicklungen verlaufen in der Regel nicht wie ein Film, der rückwärts abgespielt wird. Zwar können sich verlorene Merkmale vereinzelt erneut zeigen – dies aber auf gleichem genetischem Weg zu belegen, ist selten.
In diesem Fall liegt ein solcher Nachweis nun erstmals für einen chemischen Mechanismus vor.
„Manche Leute glauben nicht daran“, sagt Jozwiak. „Aber die genetischen und chemischen Beweise deuten auf eine Rückkehr zum ursprünglichen Zustand hin.“
Ist eine Reaktivierung der Genfunktionen auch bei Menschen möglich?
Diese Erkenntnisse könnten weitreichende Folgen haben – nicht nur für das Verständnis von Pflanzenbiologie. Das gezielte Reaktivieren alter Genfunktionen eröffnet neue Perspektiven für die Züchtung robuster Nutzpflanzen, die Entwicklung von Medikamenten oder die gezielte Steuerung von chemischen Abwehrstoffen.
Wenn der Rückgriff auf frühere genetische Stadien unter bestimmten Bedingungen möglich ist, dann stellt sich die Frage: Könnte das auch bei anderen Lebewesen passieren – vielleicht sogar beim Menschen?
Jozwiak formuliert es vorsichtig, aber deutlich: „Ich denke, es könnte auch beim Menschen passieren. Das würde nicht innerhalb von ein oder zwei Jahren passieren, aber mit der Zeit vielleicht, wenn sich die Umweltbedingungen ausreichend verändern.“
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