Einstein trifft Quantenphysik – und das Internet ist mittendrin
Quantenvernetzung trifft Relativitätstheorie: Forschende nutzen drei verschränkte Atomuhren, um die Krümmung der Raumzeit messbar zu machen.
Mit Quantenvernetzung, verschränkten Atomuhren und verteilten Quantenprozessoren wollen Forschende erstmals testen, wie gekrümmte Raumzeit Quantenzustände beeinflusst – direkt auf der Erde.
Foto: Igor Pikovski
Einstein und Quanten – das sind zwei Pfeiler der modernen Physik. Doch wie sie miteinander zusammenhängen, ist bis heute unklar. Die Allgemeine Relativitätstheorie beschreibt die Schwerkraft als Krümmung von Raum und Zeit. Die Quantenphysik hingegen zeigt, dass Teilchen in mehreren Zuständen zugleich existieren können. Was passiert, wenn beide Welten aufeinandertreffen? Genau das versuchen Forschende nun mit einem außergewöhnlichen Experiment herauszufinden.
Dabei setzen sie nicht auf gigantische Teilchenbeschleuniger oder schwer zugängliche Astrophänomene. Stattdessen nutzen sie Technologien, die schon bald Teil des alltäglichen Internets sein könnten: Quantenvernetzung, verschränkte Atomuhren und Quantenprozessoren. Was technisch klingt, hat enormes Potenzial – auch für die Grundlagenforschung. Denn erstmals lässt sich nun testen, wie sich Raumzeitkrümmung auf Quantenzustände auswirkt. Und das mitten auf der Erde.
Inhaltsverzeichnis
Das Quanteninternet als Testlabor
Quantentechnologien gelten als Schlüssel für die sichere Kommunikation der Zukunft. Mit ihnen lassen sich Informationen verschlüsseln, Teilchenzustände über große Entfernungen übertragen und extrem empfindliche Messsysteme bauen. In vielen Ländern laufen bereits Programme für ein künftiges Quanteninternet – weltweit vernetzte Quantencomputer, verbunden über Lichtteilchen, sogenannte Photonen.
Doch genau diese Technologien könnten noch mehr leisten als erwartet. Sie könnten Einblick geben in eine der größten offenen Fragen der modernen Physik: Wie interagiert die Quantenmechanik mit der Schwerkraft? Die Forschenden Igor Pikovski (Stevens Institute of Technology), Jacob P. Covey (University of Colorado) und Johannes Borregaard (Harvard University) haben dazu ein konkretes Experiment vorgeschlagen.
Ihr Konzept verbindet Quantenvernetzung mit hochpräzisen Atomuhren. Es nutzt also nicht nur Superpositionen und Verschränkungen – zwei zentrale Prinzipien der Quantenmechanik – sondern auch die Zeitdilatation, wie sie durch Einsteins Theorie vorhergesagt wird. Die Idee: Wenn die Raumzeit gekrümmt ist, vergeht Zeit in unterschiedlichen Höhen leicht unterschiedlich schnell. Präzise genug gemessen, lässt sich dieser Effekt nachweisen. Und zwar mit verschränkten Quantenuhren, verteilt auf drei verschiedenen Höhenlagen.
Drei Uhren sehen mehr als zwei
Was nach Science-Fiction klingt, basiert auf konkreten physikalischen Überlegungen. Bisherige Versuche, die Effekte der Raumzeitkrümmung auf Quantenzustände zu untersuchen, hatten ein Problem: Sie benötigten riesige Aufbauten, große Distanzen und extrem lange Kohärenzzeiten – also die Zeit, in der ein Quantenzustand stabil bleibt.
Das neue Verfahren geht einen anderen Weg. Statt einzelne Atome makroskopisch zu überlagern, setzen die Forschenden auf sogenannte entangled clocks – also verschränkte Quantenuhren, die gemeinsam ein einziges, miteinander verbundenes System bilden. Doch zwei Uhren reichen nicht. Erst durch den Vergleich dreier Uhren an unterschiedlichen Höhenpunkten lässt sich zeigen, ob die Zeitdilatation wirklich nichtlinear verläuft. Und genau das wäre ein Hinweis auf die gekrümmte Struktur der Raumzeit.
Die drei Uhren bestehen aus Ytterbium-Atomen, eingeschlossen in optische Kavitäten. Sie dienen gleichzeitig als Taktgeber und als Quantenknoten. Der Clou: Sie tauschen nicht einfach nur Informationen aus, sondern sind quantenmechanisch verschränkt. Das bedeutet, ihr Zustand ist nicht unabhängig voneinander, sondern miteinander verbunden – selbst über große Distanzen hinweg.
Zeitmessung auf drei Ebenen
Der Versuchsaufbau besteht aus drei Quantenuhren, die auf unterschiedlichen Höhen positioniert werden – beispielsweise auf Meereshöhe, in 1 km und in 2 km Höhe. Jede Uhr ist ein Quantenprozessor, der aus Ytterbium-171-Atomen besteht. Diese Atome lassen sich in einem Quantenregister präzise kontrollieren, kühlen und verschränken. So wird aus klassischer Zeitmessung ein quantenmechanisches Experiment.
Im ersten Schritt entsteht in einer der drei Stationen – etwa auf Meereshöhe – ein sogenannter W-Zustand. Dabei handelt es sich um eine spezielle Art der Quantenverschränkung, bei der drei Atome gemeinsam einen Zustand bilden: Ein Atom ist angeregt, zwei befinden sich im Grundzustand. Dieses Quantensystem wird anschließend auf die anderen beiden Höhenlagen verteilt – nicht physisch, sondern durch Quanten-Teleportation. Diese Technik überträgt den Zustand eines Teilchens auf ein anderes, ohne dass Materie selbst bewegt wird.
So läuft die Messung ab
Anschließend beginnt die eigentliche Messung: Die Uhren laufen über eine bestimmte Zeitspanne. Aufgrund der unterschiedlichen Höhen sammeln sie dabei leicht verschiedene Eigenzeiten – also die Zeit, die in ihrem jeweiligen Gravitationspotenzial vergeht. Der Unterschied ist winzig, aber messbar. Entscheidend ist: Die Uhren sind verschränkt, ihr Zustand bleibt trotz Distanz miteinander verbunden. Dadurch lassen sich selbst minimale Phasenverschiebungen in den Zuständen detektieren.
Nach Ablauf der Zeitspanne werden die Zustände erneut zusammengeführt und gemeinsam gemessen. Aus dem resultierenden Interferenzmuster lässt sich ablesen, wie stark die Raumzeit an den verschiedenen Positionen gekrümmt ist. Entscheidend ist dabei nicht nur der Unterschied in der Zeit selbst, sondern wie sich dieser Unterschied im quantenmechanischen System bemerkbar macht.
Was sich aus Interferenzmustern ablesen lässt
Die Forschenden nutzen eine bestimmte Messgröße, die den Überlappungsgrad der drei Uhrenzustände beschreibt. Dieser Wert enthält Terme, die direkt mit der Raumzeitkrümmung verknüpft sind. Im Fall eines klassischen, linearen Verlaufs der Zeit mit der Höhe würde sich ein einfaches Interferenzmuster ergeben. Doch wenn die Raumzeit gekrümmt ist – wie Einsteins Theorie vorhersagt – zeigt das Muster charakteristische Abweichungen.
Diese Abweichungen erscheinen als Oszillationen im Frequenzbereich von wenigen Millihertz bis hin zu mehreren Hertz. Je nachdem, wie viele Atome in den Uhren verschränkt sind und wie lange die Messung dauert, lässt sich die Genauigkeit steigern. Simulationsdaten zeigen, dass mit drei sogenannten GHZ-Zuständen – also Gruppen von je 100 verschränkten Atomen pro Uhr – bereits innerhalb von fünf Sekunden ein messbares Signal erzeugt werden kann.
Diese „Superatome“ verhalten sich wie einzelne Quantenobjekte mit vervielfachter Empfindlichkeit. Statt auf einzelne Teilchen zu setzen, verstärken sie den Effekt der Zeitdilatation kollektiv. Das verbessert das Signal-Rausch-Verhältnis und macht die Messung technisch realisierbar.
Wo die Quantenphysik an ihre Grenzen stößt
Das Besondere an diesem Experiment ist nicht nur, dass es die Raumzeitkrümmung misst. Es prüft gleichzeitig grundlegende Annahmen der Quantenmechanik. Drei zentrale Prinzipien stehen dabei auf dem Prüfstand:
- Unitarität und Linearität
Die Quantenmechanik geht davon aus, dass die Entwicklung eines Systems stets linear und umkehrbar – also unitär – verläuft. Doch in einer gekrümmten Raumzeit könnte diese Annahme verletzt werden. Ein Vergleich mit einem identischen Experiment ohne Verschränkung soll Hinweise darauf liefern. - Nichtlineare Gravitationswirkungen
Bisherige Atominterferometrie-Experimente konnten nur lineare Effekte erfassen – etwa die Zeitdilatation nach Newtonscher Näherung. Das neue Verfahren ermöglicht dagegen Aussagen über höhergradige Abweichungen. Damit wird ein Bereich zugänglich, der bislang nur theoretisch modelliert werden konnte. - Test der Bornschen Regel
Die sogenannte Bornsche Regel beschreibt, wie Wahrscheinlichkeiten in Quantenexperimenten entstehen: durch das Quadrat der Amplituden. Sie setzt jedoch voraus, dass nur paarweise Interferenzen auftreten. Das vorliegende Experiment mit drei verschränkten Uhren könnte erstmals eine „dreiwegige“ Interferenz messen – und damit prüfen, ob es Abweichungen von der Regel im relativistischen Kontext gibt.
Mehr als nur ein Gedankenspiel
Was die Forschenden rund um Pikovski, Covey und Borregaard entworfen haben, ist weit mehr als ein theoretisches Szenario. Viele der eingesetzten Komponenten sind bereits real – oder stehen kurz vor der technischen Reife. Verschiedene Labore weltweit arbeiten an stabilen Quantenzuständen, hochpräzisen Atomuhren und verschränkten Photonenverbindungen. Die nötigen Bausteine existieren: von der Atom-Photon-Verschränkung über kohärente Qubits mit langen Lebensdauern bis hin zu Teleportationsprotokollen mit mehr als zwei Zuständen (Qutrits).
Auch deshalb rückt eine Vision näher, die lange als Science-Fiction galt: ein globales Quanteninternet. Dabei geht es nicht nur um ultrasichere Kommunikation und die Verbindung entfernter Quantencomputer. Es geht auch darum, diese Netze für neuartige Messungen zu nutzen – etwa zur Navigation, für die Materialforschung oder zur Erkundung physikalischer Grenzbereiche. Die Quantennetzwerke, die hier geplant werden, könnten zu Sensoren einer neuen Art werden. Sie messen nicht einfach nur Daten – sie tasten die Struktur der Raumzeit selbst ab.
Gravitation trifft Kommunikation
Doch was genau bedeutet das für die Kommunikationstechnologien der Zukunft? Heute funktioniert das Internet über Lichtsignale, Glasfaserkabel und Satelliten. Informationen werden verschlüsselt, übertragen und entschlüsselt – alles auf Basis klassischer Physik. Ein Quanteninternet funktioniert anders: Es basiert auf Quantenzuständen, die nicht kopiert werden können, aber miteinander verschränkt sind. Der Austausch erfolgt nicht über klassische Datenpakete, sondern über Zustände, die sich über große Entfernungen hinweg beeinflussen.
Dieser Mechanismus – Verschränkung – ist zentral für das Experiment zur Raumzeitkrümmung. Er macht es überhaupt erst möglich, dass Uhren an verschiedenen Orten wie ein einziges System agieren. Das wiederum eröffnet neue Möglichkeiten: Wenn sich mit einem solchen Netz nicht nur Informationen, sondern auch physikalische Größen wie Zeit, Frequenz oder Position exakt bestimmen lassen, wird daraus ein Werkzeug mit doppeltem Nutzen.
Ein Quanteninternet könnte also nicht nur die Kommunikation verändern, sondern auch helfen, Einsteins Theorie weiter zu überprüfen – oder sogar zu erweitern. Denn was bislang unvereinbar schien, wird durch diese Experimente zumindest gemeinsam messbar: die Gravitation, wie sie Einstein beschreibt, und die Quantenmechanik, wie sie in Superpositionen und Wahrscheinlichkeiten denkt.
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