Die Quantenuhr läuft perfekt – bis wir hinschauen
Quantenuhren ticken sauber – bis wir messen. Eine neue Studie enthüllt, warum der Messvorgang die größte Energiemenge verschlingt.
Die größte Überraschung der Quantenphysik: Beobachten kostet mehr Energie als das Uhrwerk. So verändert Messung die Richtung der Zeit.
Foto: Smarterpix / Prostock-studio
Zeit wirkt im Alltag stabil. Eine Uhr tickt, zeigt zuverlässig die Richtung an – vorwärts. Doch im Quantenbereich zerbröselt diese Selbstverständlichkeit. Dort verhalten sich Uhren anders: Sie funktionieren präzise, solange niemand hinschaut. Sobald wir messen, kippt die Bilanz.
Eine internationale Forschungsgruppe unter Leitung der Universität Oxford zeigt nun, dass nicht das Uhrwerk selbst die größte Energiemenge verschlingt, sondern das Ablesen. Die Messung erzeugt eine gigantische Menge Entropie – also Unordnung – und dominiert die thermodynamischen Kosten der Zeitmessung.
Inhaltsverzeichnis
Wenn Ticks plötzlich rückwärts laufen
In klassischen Uhren sorgt Reibung dafür, dass Zeit immer vorwärts läuft. Bei Quantenuhren ist dieses Prinzip abgeschwächt. Winzige Systeme produzieren kaum Entropie. Dadurch können die Zustände schwanken – und im Extremfall rückwärts ticken. Für zukünftige Quantensensoren oder Navigationssysteme ist das ein ernstes Problem. Sie brauchen extrem präzise Zeiten, dürfen aber nicht unnötig Energie verbrennen.
Die Forschenden stellten deshalb die Frage: Was kostet es wirklich, Zeit im Quantenmaßstab zu messen? Und wie groß ist der Anteil des reinen Uhrwerks im Vergleich zum Lesen der Uhr?
Die Uhr besteht aus zwei winzigen „Inseln“
Die Studie nutzt ein doppelt strukturiertes Quantenbauelement, ein sogenanntes Double Quantum Dot. Zwei winzige Halbleiterinseln liegen darin wenige Nanometer auseinander. Elektronen springen zwischen ihnen hin und her. Jeder Sprung entspricht einem Tick.
- Zustand „0“: kein Elektron
- Zustand „L“: Elektron links
- Zustand „R“: Elektron rechts
Diese drei Level erzeugen ein klar erkennbares Muster. Das Uhrwerk selbst benötigt dafür kaum Energie. Die Energie pro Tick ist so klein, dass sie fast verschwindet: rund 60 kB Entropie.

Grafik, die den Energieunterschied zwischen dem Betrieb einer Quantenuhr (links: ein einzelnes Elektron springt zwischen zwei nanoskaligen Bereichen hin und her) und dem Ablesen der Ticks der Uhr (rechts) veranschaulicht. Die zum Ablesen der Uhr erforderliche Energie ist etwa eine Milliarde Mal größer als die zum Betrieb der Uhr erforderliche Energie.
Foto: Natalia Ares, Vivek Wadhia, Federico Fedele.
Erst wenn wir messen, fließt Energie in Strömen
Das Überraschende: Das Messen erzeugt unglaublich viel Entropie. Um jeden Tick sichtbar zu machen, muss das Quantensignal verstärkt, gefiltert und in ein klassisches Signal umgewandelt werden. Ein Elektronensprung, der selbst kaum Energie verbraucht, wird zum teuren Posten, sobald ein Messgerät zuhört.
Die Studie vergleicht zwei Methoden:
- Messung über elektrische Ströme (dc)
- Messung über Radiowellen (rf-Reflectometry)
Beide Methoden wandeln das Quantenverhalten in ein klassisches Signal um. Beide brauchen dafür Energie. Und beide erzeugen Entropie – allerdings in dramatisch unterschiedlicher Menge.
- Das Uhrwerk selbst: ~60 kB Entropie pro Tick
- Messung via rf: ~10⁹ kB Entropie pro Tick
- Messung via dc: ~10¹¹ kB Entropie pro Tick
Damit ist klar: Die Messung schlägt das eigentliche Uhrwerk um bis zu neun Größenordnungen. „Stattdessen übersteigen die Quantenticks in Quantenuhren bei weitem die des Uhrwerks selbst,“ erläutert Prof. Natalia Ares von der University of Oxford.
Ihre Aussage kehrt einen verbreiteten Gedanken um. Forschende gingen lange davon aus, dass effizientere Uhren das Problem lösen würden. Jetzt zeigt sich: Die Uhr selbst ist gar nicht das Problem. Wir sind es – genauer gesagt, die Art und Weise, wie wir sie beobachten.

Doktorand Vivek Wadhia richtet das Quantenuhr-Experiment ein.
Foto: Martyna Sienkiewicz.
Der eigentliche Zeitschöpfer: unser Blick
Normalerweise treibt das Uhrwerk die Entropie an und erzeugt so seine Vorwärtsrichtung. Bei der Quantenuhr zeigt sich das Gegenteil: Der Messprozess gibt der Zeit ihren Pfeil. Die Richtung entsteht also erst, wenn Menschen (oder Maschinen) die Ticks lesen. Das macht die Beobachtung selbst zu einem thermodynamischen Prozess.
Mitautor Florian Meier von der TU Wien fasst das so zusammen: „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Entropie, die durch die Verstärkung und Messung der Ticks einer Uhr entsteht, die wichtigste und grundlegendste thermodynamische Kostenkomponente der Zeitmessung im Quantenmaßstab ist.“
Der Messprozess eröffnet neue Möglichkeiten
Was zunächst wie ein Nachteil wirkt, könnte für Quantentechnologien zum Vorteil werden. Denn die zusätzliche Messenergie liefert mehr Informationen als nur die reine Tick-Zählung.
Man kann:
- einzelne Sprünge exakt rekonstruieren
- rückwärtslaufende Ticks erkennen
- Zeit selbst dann schätzen, wenn das Uhrwerk fast stillsteht
So entsteht ein paradoxes, aber nützliches Bild: Die Messung zerstört die perfekte Balance des quantenmechanischen Systems – und schafft gerade dadurch ein präzises Zeitprotokoll.
„Indem sie zeigen, dass es der Vorgang des Messens ist – und nicht nur das Ticken selbst –, der der Zeit ihre Vorwärtsrichtung verleiht, entsteht eine starke Verbindung zwischen Energie und Information,“ schließt Florian Meier von der TU Wien.
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