Al-Dschazarī: Wie ein Ingenieur im Mittelalter Roboter erfand
Al-Dschazarī entwarf im Mittelalter Maschinen, Roboter und Uhren – viele davon programmierbar. Ein Pionier des Maschinenbaus.

Pionier des Maschinenbaus: In diesem Boot hat Al-Dschazarī eine Vorform der Nockenwelle verbaut.
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Der Name Al-Dschazarī ist nur wenigen bekannt – dabei zählt der islamische Gelehrte, Ingenieur und Autor aus dem 12. Jahrhundert zu den frühen Pionieren des Maschinenbaus. Seine mechanischen Erfindungen vereinten Funktion, Gestaltung und Symbolik auf neuartige Weise. In seinem Hauptwerk „Das Buch des Wissens von sinnreichen mechanischen Vorrichtungen“ beschreibt er insgesamt 50 Apparate. Vier davon zeigen besonders deutlich, wie weit sein Denken seiner Zeit voraus war.
Inhaltsverzeichnis
Die Kerzenuhr: Zeitmessung mit Licht und Mechanik
Neben Wasseruhren und automatisierten Figuren entwickelte Al-Dschazarī auch Zeitmesser, die auf Kerzen basierten. Sie eigneten sich besonders für Innenräume, die keinen Zugang zu Wasser hatten – oder für die Nacht, wenn Sonnenlicht oder Schattenmessung unmöglich waren.
Im Gegensatz zu einfachen Kerzenuhren, wie sie in Asien oder Europa verwendet wurden, kombinierte Al-Dschazarī das Prinzip des Abbrennens mit Mechanik und Anzeigeelementen. So entstanden Geräte, die nicht nur die verstrichene Zeit sichtbar machten, sondern auch kleine mechanische Bewegungen auslösten.
Zeitmessung mit Gewicht und Skala
Eine seiner Kerzenuhren bestand aus einer genau kalibrierten Wachskerze, die in einem zylindrischen Gehäuse stand. Die Kerze war mit gleichmäßigen Markierungen versehen – jede entsprach einem bestimmten Zeitintervall, beispielsweise einer Stunde.
Durch das Wachs lief ein Draht, an dessen unterem Ende ein kleines Gewicht befestigt war. Während die Kerze brannte und kürzer wurde, sank das Gewicht langsam nach unten. Über eine daran befestigte Schnur wurde ein mechanischer Zeiger bewegt, der entlang einer Skala die vergangene Zeit anzeigte.
Diese Art der mechanischen Übertragung verwandelt das einfache Abbrennen einer Kerze in ein genau ablesbares Zeitmessgerät – ohne Wasser, ohne Räderwerke, allein mit Licht und Gewicht.

Diese Kerzenuhr nutzt das gleichmäßige Abbrennen einer markierten Wachskerze, um über ein Gewicht und eine Schnurmechanik die verstrichene Zeit auf einer Skala sichtbar zu machen.
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Die akustische Weckuhr mit Auslöser
Eine andere Variante arbeitete mit akustischen Signalen. In definierten Abständen waren kleine Metallkugeln oder Nägel in das Wachs eingelassen. Erreichte die Flamme eine dieser Einlagen, fiel sie durch das geschmolzene Wachs auf eine Metallplatte und erzeugte ein hörbares Geräusch – ähnlich einer Glocke oder eines Wecksignals.
So konnte man die Kerze zur Ankündigung bestimmter Zeiten oder als Weckmechanismus nutzen – ein Prinzip, das bis in die frühe Neuzeit erhalten blieb.
- Vollständiger Name: Badi az-Zaman Abul-Izz ibn Ismail ibn ar-Razzaz al-Dschazarī
- Lebenszeit: ca. 1136–1206
- Wirkungsort: Diyarbakır (heutige Türkei)
- Hauptwerk: „Das Buch des Wissens von sinnreichen mechanischen Vorrichtungen“
- Erfindungen: Wasseruhren, Roboter, Pumpensysteme, Nockenwellen-Mechaniken
- Bekannteste Konstruktionen: Elefantenuhr, musikalisches Boot, Wasserradpumpe
- Technisches Erbe: Frühformen programmierbarer Automaten und Kurbelmechanismen
Die Elefantenuhr: Mechanik als Erzählung
Eine seiner bekanntesten Erfindungen ist die sogenannte Elefantenuhr. Sie zeigt eindrücklich, wie Al-Dschazarī Technik als künstlerisches Mittel einsetzte. Die Uhr war eine Kombination aus Wassermechanik, Figurenautomaten und Symbolik. Ihre äußere Form – ein großer, kupferner Elefant – trug auf dem Rücken eine Miniaturburg. Dort bewegten sich Figuren zu bestimmten Zeitpunkten, während ein Wassermechanismus im Innern den Takt vorgab.
Der zentrale Mechanismus basiert auf einer langsam sinkenden Schale in einem mit Wasser gefüllten Hohlraum. Diese perforierte Schale füllte sich allmählich und sank dabei ab. Über Seilzüge und Hebel steuerte sie eine komplexe Kette von Bewegungen. So konnte ein mechanischer Schreiber mit seinem Federkiel auf eine Zeitskala zeigen.

Wassermechanik, Figurenautomaten und symbolische Darstellung verschmelzen in der Elefantenuhr zu einer komplexen Zeitanzeige – bei der jede halbe Stunde ein neues mechanisches Schauspiel beginnt.
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Was die Elefantenuhr besonders macht
Alle 30 Minuten setzte ein neues Schauspiel ein: Eine Metallkugel fiel aus einem Korb in den Schnabel eines Falken, rollte über Rampen, aktivierte weitere Figuren, ließ Klänge ertönen – und schlug schließlich eine Schlange in Bewegung, die eine Vase traf. Diese Kaskade führte dazu, dass der Wasserbehälter wieder nach oben gezogen wurde – bereit für den nächsten Durchlauf.
Dabei schlug der Mahut, der Elefantenführer, mit einem Stab auf ein Becken. So wusste man, dass eine weitere halbe Stunde vergangen war. Die Genauigkeit lag bei etwa vier Minuten – für das 12. Jahrhundert ein beachtlicher Wert. Noch wichtiger war jedoch, dass Technik sichtbar wurde. Sie wurde in Bewegung übersetzt. Der Mechanismus war nicht versteckt, sondern Teil eines Spiels mit dem Staunen.
Wer die Elefantenuhr heute sehen möchte, hat zwei Möglichkeiten: In der Ibn Battuta Shopping Mall in Dubai steht ein Nachbau. Ein weiterer ist im Uhrenmuseum im schweizerischen Le Locle zu finden. Beide machen deutlich, dass Al-Dschazarīs Prinzipien bis heute faszinieren.
Die Wasserradpumpe: Praktische Innovation mit Kurbelwelle
Die Wasserpumpe von Al-Dschazarī gilt als eine der frühesten bekannten Kolbenpumpen mit mechanischem Antrieb. Sie kombiniert auf geniale Weise hydraulische Prinzipien mit einer ausgeklügelten Übertragungstechnik. Herzstück der Konstruktion sind zwei Zylinder, die jeweils mit einem Kolben und zwei Rückschlagklappen ausgestattet sind. Diese Klappen, auch Ventile genannt, sorgen dafür, dass Wasser nur in eine Richtung strömt – beim Ansaugen öffnet sich die untere Klappe, beim Ausstoßen die obere.
Angetrieben wird die Pumpe durch ein vertikal gelagertes Wasserrad, das in einem Fluss oder Bach platziert ist. Die Strömung des Wassers versetzt das Rad in Bewegung. Über eine senkrechte Welle wird die Drehung des Wasserrads auf ein Zwischenrad übertragen, das wiederum ein horizontales Kurbelrad antreibt. Diese mechanische Kopplung zweier Rotationsachsen – vertikal und horizontal – stellt eine bemerkenswerte ingenieurtechnische Lösung dar, insbesondere für das 12. Jahrhundert.

Mit Wasserkraft angetrieben und durch eine frühe Kurbelwelle gesteuert, fördert diese Doppelkolbenpumpe kontinuierlich Wasser.
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Frühe Form der Kurbelwelle
Das Kurbelrad bewegt eine Pleuelstange, die die Drehbewegung in eine lineare Hin-und-her-Bewegung übersetzt. Diese Bewegung wird auf die beiden gegenüberliegenden Kolben übertragen. Während sich der eine Kolben nach außen bewegt und Wasser ansaugt, wird beim anderen Kolben Wasser durch die obere Klappe nach oben gepresst. Auf diese Weise arbeiten beide Zylinder im Wechsel und sorgen für einen nahezu kontinuierlichen Wasserfluss. Die Bewegung der Kolben ist dabei exakt aufeinander abgestimmt.
Diese Technik gilt als frühe Form der heute noch genutzten Kurbelwelle. Sie wandelte erstmals kontinuierliche Drehbewegung in wechselseitige Linearbewegung um – ein Prinzip, das später in Dampfmaschinen und Verbrennungsmotoren Anwendung fand. Dass diese Technik schon im 12. Jahrhundert zum Einsatz kam, zeigt Al-Dschazarīs Weitblick. Besonders bemerkenswert: Die Pumpe arbeitete autonom und konnte oberhalb des Wasserspiegels montiert werden – ein technischer Vorteil gegenüber älteren Pumpensystemen.
Das musikalische Boot: Frühe Automation mit Nockenlogik
Unter Al-Dschazarīs zahlreichen Erfindungen nimmt das sogenannte musikalische Boot eine besondere Stellung ein. Es ist nicht nur ein technisches Kunstwerk, sondern ein früher Beleg für das Prinzip der Programmierbarkeit mechanischer Systeme. Sein Aufbau vereint hydraulische Steuerung, präzise Mechanik und eine Art mechanischen „Speicher“ – lange bevor es Lochkarten oder Prozessoren gab.
Das Boot war vor allem für repräsentative Anlässe gedacht – etwa für Feste am Hof des Artuqiden-Herrschers. Auf dem hölzernen Schiff waren unbewegliche Figuren wie ein König, ein Becherträger und Wachen dargestellt. Im Mittelpunkt standen jedoch vier musizierende Kupfersklavinnen, deren Arme sich scheinbar wie von selbst hoben und senkten. Die Bewegung wirkte rhythmisch, fast lebendig – und wurde rein mechanisch erzeugt.
Wasserkraft als Energiequelle
Herzstück des Antriebs war ein geschlossener Wasserkreislauf. Über eine kleine Öffnung tropfte Wasser kontinuierlich in einen Auffangbehälter. Sobald dieser ein bestimmtes Gewicht erreichte, kippte er und entleerte sich. Die entstehende Kraft setzte ein sogenanntes Löffelrad in Bewegung – ein Rad mit kleinen, schalenförmigen Aussparungen, die das Wasser aufnahmen und in Rotationsenergie umwandelten.

Ein durch Wasserkraft betriebenes System aus Hebeln, Nocken und Seilzügen lässt die Kupferfiguren auf dem Boot in rhythmischer Bewegung musizieren – ein früher programmierbarer Automat aus dem 12. Jahrhundert.
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Vorform der Nockenwelle
Diese Drehbewegung wurde auf eine horizontale Welle übertragen. Auf ihr befanden sich kleine Stäbe oder Nocken, die fest montiert oder in bestimmten Winkeln eingesetzt waren. Ihre Position war entscheidend: Beim Drehen der Welle stießen sie in regelmäßigen Abständen gegen Hebelarme, die über ein System aus Achsen und Zugstangen mit den Armen der Musikerinnen verbunden waren.
Jede Nocke entsprach dabei einem Taktimpuls – vergleichbar mit den Mitnehmern einer Spieluhr oder der Welle eines Nockenmotors. Die Position und Anzahl der Nocken bestimmten also, wann und wie sich die Figuren bewegten. In mindestens einem Fall wurde durch eine dieser Bewegungen auch ein Blasebalg aktiviert, der Luft durch eine Pfeife leitete – eine einfache, aber funktionale mechanische Flöte.
Ein früher programmierbarer Automat?
Was Al-Dschazarī damit gelang, war mehr als bloße Mechanik: Es war eine Form der Automatisierung durch mechanische Kodierung. Der Ablauf war nicht spontan, sondern reproduzierbar – und vor allem veränderbar, indem die Nocken auf der Welle in anderer Reihenfolge oder mit anderen Abständen montiert wurden. So konnte das „Programm“ angepasst werden.
Der britische Robotikforscher Noel Sharkey sieht in diesem Prinzip eine der ersten realisierten programmierbaren Maschinen der Geschichte. Zwar fehlten dem System moderne Rechenlogiken oder flexible Eingaben – aber das Konzept von Steuerung über eine konfigurierbare Mechanik war vorhanden.
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