Wie Heron von Alexandria fast die Dampfmaschine erfand
Heron von Alexandria entwickelte vor 2000 Jahren fast eine Dampfmaschine – doch sie blieb ein Spielzeug. Warum, erklärt dieser Beitrag.

Heron von Alexandria zeigt die Funktionsweise der Aeolipile. Die antiken Griechen konnten damit jedoch wenig anfangen, sodass es bis zur Erfindung der ersten Dampfmaschine noch weit über 1000 Jahre dauerte.
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Heron von Alexandria war ein herausragender Mathematiker und Ingenieur der Antike. Um das Jahr 62 n. Chr. entwarf er mit der Aeolipile eine der ersten dokumentierten Wärmekraftmaschinen der Menschheitsgeschichte. Die dampfbetriebene Kugel setzte ein einfaches Rückstoßprinzip um – ähnlich einer modernen Turbine.
Doch obwohl Herons Maschine funktionierte, wurde sie nie praktisch genutzt. Die antike Welt verstand ihr technisches Potenzial nicht. Herons Werke zeigen jedoch, wie weit entwickelt das technische Verständnis im Alexandria der römischen Zeit bereits war – von Automaten über optische Geräte bis hin zu Kriegsmaschinen.
Inhaltsverzeichnis
- Ein Maschinenmensch im Zeitalter der Philosophen
- Die Aeolipile: eine Maschine mit Dampf, aber ohne Zweck
- Rückstoßprinzip mit antiken Mitteln
- Tempeltüren, Verkaufsautomaten und mechanische Theater
- Herons Maschinen als Lehrstücke der Pneumatik
- Warum wurde der Heronsball nicht zur Maschine der Zukunft?
- Mathematik als Werkzeug: Heron und die Heronsche Formel
- Herons Einfluss: Von Alexandria bis in die frühe Neuzeit
Ein Maschinenmensch im Zeitalter der Philosophen
Heron von Alexandria war kein gewöhnlicher Gelehrter. Im ersten Jahrhundert nach Christus unterrichtete er am Museion von Alexandria – jener legendären Forschungsstätte, die mit der berühmten Bibliothek verbunden war. Anders als viele seiner Zeitgenossen beschäftigte er sich nicht nur mit theoretischen Fragen, sondern auch mit konkreter Technik. Für ihn waren Mathematik und Mechanik zwei Seiten derselben Medaille.
Heron schrieb zahlreiche Werke über Geometrie, Messverfahren und Maschinenbau. Einige davon überlebten nur dank arabischer Abschriften. Seine Schriften zeigen, dass er die Natur nicht nur verstehen, sondern auch nutzbar machen wollte.
Die Aeolipile: eine Maschine mit Dampf, aber ohne Zweck
Am bekanntesten ist eine seiner Erfindungen, die bis heute fasziniert: die Aeolipile – auch bekannt als Heronsball. Es handelt sich um eine Kugel, die sich mit Dampf in Rotation versetzt. Technisch betrachtet ist sie die erste überlieferte Wärmekraftmaschine.
Die Funktionsweise ist einfach, aber wirkungsvoll: Ein Kessel wird erhitzt, darin entsteht Wasserdampf. Über zwei gebogene Rohre strömt dieser in eine kugelförmige Kammer. An der Kugel befinden sich zwei seitlich abgewinkelte Düsen. Tritt der Dampf aus, erzeugt er Rückstoßkräfte – und die Kugel beginnt sich zu drehen. Je mehr Dampf, desto schneller die Rotation.
Rückstoßprinzip mit antiken Mitteln
Heron nutzte hier ein physikalisches Prinzip, das Jahrhunderte später zur Grundlage der Raketentechnik wurde: den Rückstoßantrieb. Der Dampf verlässt die Düsen mit hoher Geschwindigkeit und bringt die Kugel in Bewegung – vergleichbar mit modernen Dampfturbinen oder Triebwerken.
Doch in der Antike fehlte das Verständnis für Energieumwandlung. Der Heronsball galt als Spielerei oder Schaustück. Er war nicht dafür gedacht, Arbeit zu verrichten. Weder Wasserpumpen noch Fahrzeuge wurden mit dem Gerät betrieben. Die Möglichkeit, Dampfkraft systematisch zu nutzen, blieb unerkannt.
Tempeltüren, Verkaufsautomaten und mechanische Theater
Die Aeolipile war kein Einzelfall. Heron entwickelte viele technische Apparate, die Luft-, Wasser- oder Dampfdruck nutzten. In seinem Werk Automata beschreibt er unter anderem Türen, die sich öffnen, wenn auf einem Altar Feuer entzündet wird. Die Idee dahinter: Hitze erzeugt Druck, dieser bewegt einen Mechanismus.
Ein weiteres Beispiel ist ein Verkaufsautomat: Wird eine Münze eingeworfen, fließt eine definierte Menge Wasser aus einem Behälter – ein System aus Hebeln und Ventilen steuert den Ablauf. Diese Vorrichtung könnte als einer der ersten Automaten gelten, die auf physikalischen Prinzipien beruhen.
Auch das Theater faszinierte Heron. Er baute kleine Bühnen, auf denen sich Figuren mit Seilzügen bewegten. Geräusche wie Donner erzeugte er durch fallende Metallkugeln. All das wurde durch einfache Maschinen wie Rollen, Zahnräder oder Gegengewichte in Gang gesetzt – und vor allem: durch präzise Berechnungen.
Herons Maschinen als Lehrstücke der Pneumatik
Ein zentrales Werk Herons trägt den Titel Pneumatika. Darin dokumentierte er Dutzende Apparaturen, die mit Luft und Wasser betrieben wurden. Viele davon waren Experimente, andere konnten tatsächlich praktische Aufgaben erfüllen. Das Werk wurde im Mittelalter häufig abgeschrieben – es war ein Standardbuch zur Mechanik.
In der Einleitung geht Heron auch auf die Eigenschaften von Luft ein. Er erwähnt das sogenannte horror vacui – die Vorstellung, dass ein Vakuum von der Natur nicht geduldet wird. Das war zwar physikalisch nicht ganz korrekt, führte ihn aber zu korrekten Beobachtungen: dass Luft Druck ausübt, dass man sie komprimieren kann, und dass sich damit Arbeit verrichten lässt.

Funktionsweise des Heronsball: Wasser wird in einem Kessel erhitzt, der Dampf steigt nach oben und tritt durch zwei gebogenen Düsen aus. Dadurch wird eine Kugel in Rotation versetzt.
Foto: Dominik Hochwarth
Warum wurde der Heronsball nicht zur Maschine der Zukunft?
Die große Frage bleibt: Warum entwickelte sich aus der Aeolipile keine funktionale Dampfmaschine? Schließlich war das Prinzip bekannt.
Ein Grund liegt in der fehlenden Verbindung zwischen Theorie und Praxis. Die Wissenschaft diente vor allem dem Verständnis, nicht der Technik. Es gab keine breite Ingenieurkultur, wie sie in der Neuzeit entstand. Auch fehlte das wirtschaftliche Interesse, Maschinen zur Arbeitsersparnis zu bauen. Arbeit wurde meist von Sklaven oder Tieren erledigt – mechanische Alternativen galten als unnötig.
Zudem mangelte es an Materialien: Hochdruckkessel oder präzise bearbeitete Metallteile waren mit antiken Mitteln kaum herstellbar. Die Ingenieure der Antike hatten Ideen, aber keine Industrie, um sie umzusetzen.
Mathematik als Werkzeug: Heron und die Heronsche Formel
Neben seinen mechanischen Entwürfen beschäftigte sich Heron intensiv mit Mathematik. Besonders bekannt ist die Heronsche Formel: Sie erlaubt es, die Fläche eines Dreiecks allein aus den Seitenlängen zu berechnen – ganz ohne Winkel oder Höhen.
In seinem Werk Metrica beschreibt er dieses Verfahren. Zudem entwickelte er ein Näherungsverfahren zur Berechnung von Quadratwurzeln, das heute noch in Lehrbüchern zu finden ist – das sogenannte Heron-Verfahren.
Heron kombinierte also angewandte Mathematik mit praktischer Technik. Seine Arbeiten zeigen, dass die Antike sehr wohl über ein tiefes Verständnis mechanischer Zusammenhänge verfügte – es fehlte lediglich der soziale und wirtschaftliche Rahmen, um daraus eine technologische Revolution zu machen.
Herons Einfluss: Von Alexandria bis in die frühe Neuzeit
Viele von Herons Schriften blieben erhalten – oft in arabischer Übersetzung. Erst im 19. Jahrhundert entdeckte man in Europa Originalmanuskripte und erkannte, wie weitreichend sein Denken war.
Seine Pneumatika beeinflussten Tüftler in der frühen Neuzeit, etwa bei der Entwicklung von Wasserpumpen und Luftdrucksystemen. Auch Leonardo da Vinci soll sich mit ähnlichen Konstruktionen beschäftigt haben.
Doch die große Zeit der Dampfkraft begann erst im 18. Jahrhundert – mit James Watt, Thomas Newcomen und der industriellen Revolution. Ihnen war nicht bewusst, dass ein Denker aus der Antike den Grundstein für ihre Technik bereits gelegt hatte.
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