Molekulare Forensik aus der Eiszeit 14.11.2025, 20:36 Uhr

40.000 Jahre konserviert: Erstmals Wollmammut-RNA entschlüsselt

Erstmals wurde 40.000 Jahre alte Mammut-RNA entschlüsselt. Die Analyse zeigt, welche Gene aktiv waren – und liefert neue Einblicke in das Leben der Eiszeitgiganten.

Mammut Yuka

Das Mammut Yuka, ausgestellt in einer Tiefkühlsammlung.

Foto: Valeri Plotnikov

Es passiert selten, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Blick in die Biologie eines Tieres werfen können, das vor Zehntausenden Jahren starb. Noch seltener gelingt es, den molekularen Zustand eines Organismus kurz vor seinem Tod zu rekonstruieren. Jetzt ist genau das passiert: Forschende aus Stockholm haben zum ersten Mal RNA aus Wollmammuts isoliert und sequenziert – und damit ein Archiv geöffnet, von dem man lange glaubte, dass es für immer verschlossen bleibt.

RNA gilt als hochsensibel. Sie zerfällt schnell, oft schon wenige Stunden nach dem Tod. Dass sie den Weg durch 40.000 Jahre Permafrost überstehen könnte, klang über Jahrzehnte wie eine akademische Fantasie. Doch nun liegt der Beweis vor: RNA kann überleben. Und sie kann erzählen.

Yuka – das Mammut, das seine Geschichte nicht losließ

Die zentrale Rolle spielt ein junges Mammut, das den Namen Yuka erhielt. Sein Körper blieb im sibirischen Permafrost außergewöhnlich gut erhalten. Schon beim ersten Blick auf das Gewebe war klar: Hier liegt die seltene Chance auf Erkenntnisse, die weit über ein klassisches DNA-Profil hinausgehen.

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Aus den Muskelresten extrahierte das Team verschiedene Arten von RNA – darunter Messenger-RNA, microRNA und weitere nicht-kodierende Formen. Sie alle tragen Informationen über Genaktivität in echten, lebenden Zellen. Und genau diese Aktivität hinterlässt Spuren.

Die RNA zeigte typische Muster, die man in modernen Organismen ebenfalls findet: Moleküle, die an Muskelkontraktionen beteiligt sind, sowie solche, die Stoffwechselwege regulieren – speziell unter Stress. Und Yuka hatte Stress. Frühere Untersuchungen deuten darauf hin, dass das Tier kurz vor seinem Tod von Höhlenlöwen angegriffen wurde. Die RNA bestätigt das Bild.

„Wir fanden Anzeichen von Zellstress“, sagt Studienautor Emilio Mármol. „Das passt gut zu der Vermutung, dass Yuka verletzt wurde, kurz bevor er starb.“ Selbst nach 40.000 Jahren erzählen Moleküle, was in den letzten Stunden eines Tieres passierte.

Eines von Yukas Beinen

Eines von Yukas Beinen, das die außergewöhnlich gute Erhaltung des unteren Teils des Beins nach Entfernung der Haut zeigt, wodurch die Gewinnung alter RNA-Moleküle möglich wurde.

Foto: Valeri Plotnikov.

Warum diese RNA so besonders ist

  • DNA sagt uns, welche genetischen Baupläne ein Organismus besitzt.
  • RNA sagt uns, welche Baupläne tatsächlich genutzt wurden.

Damit gewinnen Forschende Einsichten, die bislang völlig unerreichbar waren: Welche Gene waren in einem Mammut gerade aktiv? Welche Zellen arbeiteten besonders intensiv? Wie reagierte das Tier auf äußere Bedingungen?

Die RNA lieferte erstaunlich klare Antworten. So fanden die Forschenden auch microRNAs – winzige regulatorische Moleküle, die wie Schalter wirken und Gene an- oder ausschalten. Einige dieser microRNAs wiesen seltene Veränderungen auf, die typisch für Mammuts sind. Damit lässt sich zweifelsfrei belegen, dass die RNA tatsächlich aus dem uralten Gewebe stammte und nicht aus späteren Verunreinigungen.

In manchen Fällen entdeckte das Team sogar völlig neue microRNA-Gene, die bislang unbekannt waren und allein durch die Analyse der Mammut-RNA identifiziert werden konnten. Solche Funde zeigen, wie viel unerforschtes Terrain in uraltem Erbgut steckt.

Wie man 40.000 Jahre alte Moleküle überprüft

Bei einem Fund, der so überraschend ist, muss die Analyse besonders streng sein. Die Forschenden verwendeten daher mehrere Kontrollmechanismen, um sicherzugehen, dass die RNA authentisch ist:

  • Sie prüften typische chemische Alterungsspuren, die nur in sehr alten Proben auftreten.
  • Sie verglichen die Sequenzen mit modernen Elefanten, um die Zuordnung abzusichern.
  • Sie untersuchten, ob die RNA Muster von gespleißten Transkripten zeigt – ein eindeutiges Zeichen für echte Zellprozesse.
  • Sie bestimmten sogar das Geschlecht des Tieres über RNA-Fragmente vom Y-Chromosom: Yuka war männlich.
Die Haut und das Ohr aus einem Teil des Schädels eines Wollmammuts

Die Haut und das Ohr aus einem Teil des Schädels eines Wollmammuts, aus dem alte RNA sequenziert wurde. Die Haut wurde 2018 in Belaya Gora in der Nähe des Indigirka-Flusses in Sibirien entdeckt.

Foto: Love Dalén

Warum die Entdeckung weit über die Mammutforschung hinausgeht

Diese Studie öffnet ein neues Kapitel in der Paläogenetik. Während DNA uns das lange Gedächtnis einer Art liefert, könnte RNA eine Art Momentaufnahme sein – ein „Live-Bild“, eingefroren im Moment des Todes.

Möglich wird dadurch:

  • die Rekonstruktion physiologischer Reaktionen ausgestorbener Tiere
  • das Verständnis, welche Gene bei Hitze, Kälte oder Verletzungen aktiv waren
  • das Aufspüren alter RNA-Viren, die in Geweben konserviert sein könnten
  • die Kombination von DNA-, Protein- und RNA-Daten zu einem umfassenden Bild prähistorischer Lebewesen

Es entsteht eine Art „biologischer Film“, kein statisches Foto. Diese integrative Sichtweise könnte auch in der modernen Biotechnologie und Materialforschung eine Rolle spielen, etwa bei Fragen der molekularen Stabilität und Konservierung.

Ein Werkzeug für die Zukunft

Die Forschenden betonen, dass die Mammut-RNA nicht die Ausnahme bleiben soll. Ähnliche Studien könnten bald auch an anderen Eiszeitwesen möglich sein – von Riesenhirschen bis zu Wollnashörnern. Vielleicht sogar an prähistorischen Krankheitserregern, die in Geweben schlummern.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass RNA-Moleküle viel länger überleben können als bisher angenommen“, erklärt Love Dalén, einer der leitenden Wissenschaftler. Das öffnet ein neues Fenster in die Vergangenheit – und zeigt gleichzeitig, wie wenig wir über die Haltbarkeit biologischer Moleküle wirklich wissen.

Hier geht es zur Originalpublikation

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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