Luftfahrt 21.07.2000, 17:26 Uhr

Landeanflug wie auf einem Flugzeugträger

Selbst ein Urlaubsflug kann ein kleines Abenteuer sein – wenn man nach Funchal auf Madeira unterwegs ist. Der Flughafen gilt noch immer als einer der schwierigsten der Welt.

Argwöhnisch lässt Flugkapitän Friedrich Keppler seine Augen über die Wellen des Atlantik schweifen. Vom Cockpit seines jetzt gut 119 t schweren Airbus A 310-300 beobachtet er die kleinen Schaumkronen auf den Wogen. Wind aus nördlicher Richtung mit einer Stärke von 15 km/h bis 20 km/h hatten die Wetterfrösche im fernen Hannover vorhergesagt. Aber die Dünung ist ruhig, so ruhig wie der Flug bisher. 246 Passagiere bringen Keppler und seine Crew auf die Urlaubsinsel Madeira. Ein Ferienflug wie jeder andere? Nicht ganz.
Rechts vor dem Flugzeug brechen sich die Wellen an den schroffen Felsen einer Insel. „Vier“, ruft Copilot Hans-Jürgen Rudolph aus, gibt damit die Entfernung zur Landebahn an, da taucht sie auch schon im Cockpitfenster auf. „Ist in Sicht,“ bestätigt Kapitän Keppler, und weist mit dem Finger auf einen von hier oben erschreckend schmalen Streifen zwischen Wasser und Felsen: die Landebahn des Flughafens Funchal auf Madeira.
Deutlich sind von hier oben auch die Stelzen zu erkennen, auf denen die Landebahn derzeit ins Meer hinaus verlängert wird. Die Runway liegt jetzt parallel zum Airbus und taucht im rechten Fenster des Cockpit auf. Mit ihren grauen Betonpfeilern wirkt sie, als hätte ein Riese sie an die Felsen direkt über das Meer geklebt. Um zu landen, fliegt die Maschine an der Piste vorbei, sinkt dabei stetig und muss dann eine scharfe Rechtskurve einleiten, an deren Ende die Landebahn unmittelbar vor dem Flugzeug liegen sollte.
Kein leichtes Unterfangen. Erst wenige Wochen zuvor hatten eine ganze Reihe von Flugzeugen bei extrem schlechtem Wetter den Anflug nach mehreren erfolglosen Versuchen abbrechen müssen. Dem Airbus von Hapag-Lloyd mit Kepplers Team war er im dritten Versuch sicher gelungen. „Das Wetter war mit uns“, kommentiert Keppler, „Risiken werden hier nicht eingegangen“.
Jetzt konzentriert er sich wieder auf einen neuen Anflug, wenn auch heute das Wetter besser ist. Die Maschine befindet sich nun exakt vier nautische Meilen von dem Funkfeuer Funchal entfernt. An dieser Stelle, die der Copilot Rudolph durch Zuruf anzeigt, muss die Besatzung Sichtkontakt zur Landebahn des Flughafens haben – ansonsten müsste Keppler den Anflug jetzt abbrechen: Vier Meilen Sicht sind das mindeste.
Diese Hürde ist genommen, das Flugzeug sinkt weiter – der Endanflug auf einen der gefährlichsten Flughäfen der Welt beginnt.
Rund 600 000 Urlauber kommen im Jahr nach Madeira, zumeist mit dem Flugzeug. Fast alle großen deutschen Charterlinien fliegen Funchal regelmäßig an, auch Hapag-Lloyd, Kepplers Arbeitgeber. Sie alle lassen beim Flug nach Madeira nur ihre besten Piloten ins Cockpit, oft „Check-Kapitäne“, Flugzeugführer, die wieder andere Piloten ausbilden.
Was den Piloten hier am meisten Kopfzerbrechen bereitet, sind unkalkulierbare Wallwinde, die von den nahen Bergen kommen. Zusammen mit unberechenbaren Böen aus bestimmten Richtungen, sog. Sektorwinden, und Turbulenzen machen sie es den Piloten schwer, die Flugzeuge präzise auf dem optimalen Aufsetzpunkt zu landen. Bisweilen wird der Anflug durch tiefhängende Wolken und damit ausgesprochen schlechter Sicht zusätzlich erschwert.
Nur Kapitäne, keine Copiloten, dürfen Funchal anfliegen. Das schreibt die portugiesische Luftfahrtbehörde vor. Neulinge müssen ein spezielles Training absolvieren – Theorie, Simulatorflüge, vor allem aber vor Ort reale Starts mit Triebwerksausfall, Landung, Go-Around. Nicht selten gehen die Flieger mit den jungen Piloten an Bord wieder in die Luft und üben, während die Urlauber schon ihre Koffer auspacken.
Und mindestens alle sechs Monate müssen die Kapitäne einmal in Madeira landen, sonst verlieren sie ihre Landeberechtigung und müssen von vorn anfangen.
Im Cockpit ist jetzt die Konzentration zu spüren. „Flaps 15“, ordnet Kapitän Keppler an und Hans-Jürgen Rudolph zieht den Schalter für die Klappen in der Mittelkonsole etwas zurück. Eine leichtes Vibrieren läuft durch das Flugzeug, als die Auftriebshilfen an der Rückseite der Tragflächen ausfahren.
Wenig später werden die Klappen auf 20 Grad, dann auf 30 Grad gesetzt. Der Autopilot ist jetzt ausgeschaltet. Keppler fliegt die Maschine von Hand. Sein Blick gleitet suchend nach rechts aus den Cockpitfenstern, während er mit ruhiger Hand das Flugzeug dirigiert.
„Dort drüben“, bemerkt Rudolph trocken, „waypoint Gelo“. Keppler hat sie im gleichen Moment gesehen, die ehemalige Eisfabrik an der Küste von Madeira. Das Gebäude, ein grauer Kasten, in den Flugkarten als „Waypoint Gelo“ vermerkt, ist ein wesentlicher optischer Bezugspunkt für den Landeanflug auf Funchal.
Und jetzt wird es auch schon richtig ungemütlich im Cockpit. Die scharfe Rechtskurve beginnt, dabei sinkt die Maschine in dramatischer Schräglage schnell ab. Turbulenzen packen den Flieger, heben ihn leicht an und lassen ihn dann plötzlich einige Meter durchsacken. Keppler lässt dabei die Landebahn nicht aus den Augen.
Das Ende der Kurve ist erreicht. Die Maschine richtet sich langsam aus der Schräglage wieder auf. Die Plastikverkleidungen schütteln sich in einer weiteren Turbulenz. Das Flugzeug befindet sich nun direkt über Gelo, der Eisfabrik. „850“, gibt First Officer Rudolph die Höhe in Fuß an. Damit fliegt der Airbus genau in der vorgeschriebenen Höhe über diesem Punkt. „Flaps 40“, sagt Keppler ruhig, während Rudolph die Anweisung auch schon ausführt. Die Maschine sinkt auf 600 Fuß, dann auf 500 Fuß.
Neben den Fallwinden ist die Landebahn ein Grund dafür, dass es in Funchal noch immer spannend ist zu landen. Die Piste – einem Flugzeugträger nicht unähnlich- wurde ins Wasser gebaut. Am Bahnende und am Bahnanfang endet die Runway jeweils abrupt in 60 m Höhe über dem Wasser des Atlantiks. Nördlich der Bahn steigen die Berge steil an. Und es gibt kein Instrumenten-Landesystem.

In Funchal wird nur nach Sicht geflogen

In Funchal fliegt der Kapitän mit Hilfe eines gerichteten Funkfeuers nach Sicht. Die Landebahn selbst ist extrem kurz, genau 1781 m lang. Für die Landungen der Maschinen stehen nur 1550 m zur Verfügung, dramatisch wenig im Vergleich zu Hannover etwa, wo Keppler herkommt: Hier ist die Bahn 3800 m lang.
Da muss der Touch-down genau bei einem exakt definierten optimalen Punkt erfolgen, denn bei dem ohnehin kurzen Bremsweg wird kein Meter verschenkt. Und dann muss die Maschine sehr viel stärker als normal abgebremst werden.
Gelingt das wegen des Windes nicht, ist die Piste nass und das Bremsen schwierig, wird sofort durchgestartet – ein Manöver, das in Funchal nicht selten ist. Dann wird entweder auf besseres Wetter gewartet oder eine Landung auf der gut 8 km entfernten Insel Porto Santo versucht. Klappt auch das nicht und der Sprit wird knapp, geht es nach Teneriffa zum Auftanken.
Selbst für kleine Flugzeuge wie die Boeing B 737 oder den Airbus A 320 ist Funchal schwierig anzufliegen und der Bremsweg schon knapp kalkuliert. Diese Flugzeugtypen wiegen bei der Landung aber „nur“ rund 60 t. Hapag-Lloyd aber fliegt Funchal mit einem Airbus A 310 an. Das Flugzeug ist bedeutend größer und wiegt bei der Landung mit 119 t fast das Doppelte.
Mittlerweile kommt die Piste immer näher, nur noch eine Meile ist das Flugzeug vom Aufsetzpunkt entfernt. Plötzlich wird es von einer Böe angehoben, um gleich darauf ruckartig einige Meter abzusacken. Vor dem Cockpitfenster tanzt die Landebahn auf und ab. Mit kaum sichtbaren Handbewegungen lenkt Keppler die Maschine, bis die Bahn stabil direkt voraus zu sehen ist.
Die Nase des Fliegers ist jetzt leicht angehoben, das Fahrwerk ausgefahren. „One-Hundred“, meldet der Bordcomputer mit metallischer Stimme die Höhe. Langsam, fast wie in Zeitlupe, nähert sich die Piste, wird größer. Wieder schüttelt sich das Cockpit in einer Turbulenz. Konzentriert fixiert Keppler die Bahn. Deutlich ist der unterbrochene Streifen der Mittelmarkierung zu sehen, dann die schwarzen Stellen des Gummiabriebs, genau dort, wo die Maschine am besten aufsetzen sollte. „Thirty – Twenty – Ten“, zählt der Computer gewissenhaft weiter – gefolgt von einem leichten Rumsen. „Touch down“, meldet Copilot Hans-Jürgen Rudolph.
Rund 250 km/h ist die Maschine jetzt noch schnell, auf 1500 m müssen 119 t auf 0 km/h heruntergebremst werden, das Bahnende kommt rasend schnell näher. Mit einem Schlag greifen die Bremsen, Piloten und Passagiere werden nach vorne in die Gurte gepresst, laut donnert der Umkehrschub.
Keppler steht derweil fast in den Pedalen unter seinen Füßen. Mit diesen wird das Seidenruder am Heck der Maschine bewegt. Und nur damit – und mit nichts anderem – hält er die Maschine in dieser Phase auf der Mittellinie der 178 m breitenPiste – besonders bei Seitenwind für jeden Piloten eine kraftraubende Arbeit.
Die Werte auf dem Geschwindigkeitsmesser fallen rasch, auch der Blick aus dem Fenster beruhigt, schon nach rund 1000 m Strecke ist der Airbus auf Rollgeschwindigkeit heruntergebremst. Aus der Passagierkabine dringt leises Klatschen ins Cockpit.
Die Piloten nehmen es gelassen. Sie sind gedanklich schon einen Schritt weiter, bei den Bauarbeiten, die auf dem Flughafen überall zu sehen sind. Funchal bekommt eine neue Landebahn – vor der Küste auf Betonstelzen ins Meer gebaut, gut 2700 m lang und selbst für Jumbos geeignet. Schon im September soll sie fertig sein, 2001 kommt eine neues Flughafengebäude dazu.
Dann ist der Flughafen Funchal nicht mehr das, was er einmal war. Für die Abwicklung der Flüge ist das „natürlich gut“, wie Kapitän Keppler versichert, als er den Airbus am Ende der Landebahn wie auf einem Teller wendet. Ein bisschen Wehmut schwingt trotzdem in seiner Stimme mit, während unterhalb des Cockpits die Klippen und das blaue Meer in der Tiefe sichtbar werden. FRANK LITTEK
Immer wieder ein kleines Abenteuer: Starten und Landen in Funchal.
Nach der geglückten Landung in Funchal inspiziert Kapitän Friedrich Keppler das Fahrwerk und die Triebwerke. Gerade das Fahrwerk wird bei dem starken Abbremsen des Flugzeugs auf der kurzen Landebahn extrem beansprucht.
Auf Stelzen aus Beton wird die Landepiste in Funchal um 1000 m verlängert.
Handarbeit gefragt: In der letzten Phase des Landeanfluges kommt alles auf die Kunst des Piloten an. Ein Instrumenten-Landesystem, das eine Landung per Autopilot möglich macht, gibt es in Funchal nicht.

Schwierig, aber nicht unsicher

Trotz seines schwierigen Anfluges gehört Funchal – wie Mariscal Sucre in Quito, Ecuador und Kathmandu im Himalaya – zu den Airports mit einer positiven Unfallbilanz. Sicher auch ein Ergebnis der intensiven Schulungs- und Vorbereitungsarbeit, die bei allen Airlines Bedingung für die Flüge nach Madeira ist. Der letzte große Crash ereignete sich am 19. November 1977. Eine Boeing 727-200 der Fluggesellschaft TAP Air Portugal wollte bei Regen und schlechter Sicht in Funchal landen. Nach zwei Durchstartmanövern setzte die Boeing beim dritten Landeversuch auf, doch zu schnell und erst 300 m hinter dem optimalen Aufsetzpunkt. Die Maschine schoss über das Bahnende hinaus und stürzte auf die Klippen. 131 Menschen starben. fl

 

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Ein Beitrag von:

  • Florian Langenscheidt

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