Ausstellung 15.04.2011, 19:52 Uhr

Gedenken an den Flugpionier Otto Lilienthal

Im brandenburgischen Dorf Stölln, wo Otto Lilienthal seine weitesten Flüge gelangen und wo er tödlich abstürzte, lebt der Geist der Fliegerei. Jetzt ist hier ein neues Lilienthal-Centrum eröffnet worden. Und auch an anderen Orten wird Otto Lilienthals gedacht.

Wer dem uralten Menschheitstraum vom Fliegen nachspüren möchte, der sollte nach Stölln fahren. Das 300-Seelen-Dorf liegt eine runde Autostunde nordwestlich von Berlin im Havelland – und ist getränkt von Fliegereigeschichte.

Kein Geringerer als Otto Lilienthal, der erste echte Flieger der Menschheit, hat den Ort 1893 entdeckt, als er auf der Suche nach geeigneten Übungsplätzen für seine immer gewagteren Flugversuche war. Seit zwei Jahren hatte er mit seinen Flugapparaten kleine Gleitflüge auf einer Sanddüne bei Potsdam und in einer Sandgrube in Steglitz mit einer Länge von 20 m bis 25 m geschafft. Doch das reichte ihm nicht mehr.

Nach längerer Suche im Berliner Umland entdeckte er schließlich den Gollenberg bei Stölln, eine zum Teil unbewaldete Kuppe der Rhinower Berge mit einer spürbaren Thermik. Hier gelangen ihm in den folgenden Jahren Sprünge – nein: Flüge! – von bis zu 250 m Länge.

Heute starten am Fuße des Gollenbergs Segelflieger und Motorsegler – auf dem ältesten Flugplatz der Welt, wie die Stöllner stolz sagen. Für 25 € kann hier samstags und sonntags jeder mitfliegen – eine sagenhaft schöne Runde im zweisitzigen Motorsegler „Falke“ über der abwechslungsreichen Landschaft zwischen Elbe und Havel. Am Horizont grüßt die Hauptstadt mit dem Kraftwerk Spandau. Die Begeisterung der Mitglieder des Flugsportvereins Otto Lilienthal in Stölln steckt an. Alter Fliegergeist ist spürbar auf dem jetzt frei zugänglichen Flugplatz, der zu DDR-Zeiten ein stark gesichertes Gelände war, das von der halbmilitärischen Jugendorganisation Gesellschaft für Sport und Technik (GST) genutzt wurde. Westberlin lag nur eine halbe Flugstunde entfernt.

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Und doch haben die Flugsportler in Stölln heute Nachwuchssorgen. Geflogen wird wie eh und je. Doch Gleitschirme, Hangglider und wie die anderen neuen Fluggeräte alle heißen, jagen ihnen die jungen Flieger ab. Dabei locken die Stöllner mit sensationellen Preisen. Fliegen, so oft und so viel man möchte, für 35 € im Monat, Flugzeug wird gestellt. Wo gibt’s das sonst?

Wie sich Otto Lilienthal vor 120 Jahren als erster Mensch den alten Traum vom Fliegen verwirklichte, kann in Stölln heute an zwei Orten erkundet werden. Im nagelneuen Lilienthal-Centrum in einer sanierten und erweiterten Brennerei sind einige Kopien von Lilienthals Flugapparaten in Originalgröße zu sehen. Modelle, Zeichnungen und viele biografische Informationen machen die Versuche des Berliner Ingenieurs und Flugpioniers anschaulich. Das Centrum ist für 2,2 Mio. € errichtet und Anfang April eröffnet worden.

Aber es gibt noch eine zweite Ausstellung zu Lilienthal in Stölln – und die befindet sich an einem äußerst ungewöhnlichen, aber dafür umso angemesseneren Ort: in einem waschechten Passagierflugzeug. Mitten auf der grünen Wiese, am Rande des Segelflugplatzes, steht eine große Iljuschin IL-62 der DDR-Fluggesellschaft Interflug. Die Langstreckenmaschine bediente seinerzeit die Routen von Berlin nach Kuba, Angola, Nordkorea. Im Oktober 1989, wenige Wochen vor dem Mauerfall, brachte der Pilot Heinz-Dieter Kallbach das Kunststück fertig, die nach 15 Jahren Flugdienst ausrangierte Maschine von Schönefeld kommend auf dem knapp 900 m langen Grasflugplatz zum Landen und Stehen zu bringen. Um den Luftwiderstand zu erhöhen, hob der Pilot nach dem Aufsetzen den Bug der Maschine noch einmal kräftig an. Eine abenteuerliche Aktion, die mit dem Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde belohnt wurde.

Die damalige Bürgermeisterin von Stölln hatte sich diese wilde Aktion ausgedacht, die schon wenige Wochen später an den sehr viel strengeren westdeutschen Flugbestimmungen gescheitert wäre. Eine weitsichtige Idee war es dennoch: Die gut gepflegte Maschine enthält heute eine sehenswerte Otto Lilienthal-Ausstellung – und ein Standesamt. Mehr als 700 flugbegeisterte Paare haben sich seit 1990 hier das Ja-Wort gegeben.

Und doch hängt ein Schatten über dem Traum vom Fliegen in Stölln. Denn hier war es auch, wo Otto Lilienthal am 9. August 1896 abstürzte.

Ein Thermikabfall wurde ihm zum Verhängnis, aus 15 m schmierte er ab. Schwer verletzt wurde Lilienthal in das Gasthaus von Stölln gebracht, ärztlich versorgt und am Folgetag auf holprigen Wegen nach Berlin transportiert. Dort starb er. Das Gasthaus, in dem Lilienthal seine letzte Nacht verbrachte, gibt es heute noch. Es heißt „Zum ersten Flieger“ und wird von einer begeisterten Fliegerin geleitet, die auch toll kochen kann. Zwischen Salat und Hauptspeise erzählt sie nebenbei, dass sie auch schon einmal heftig abgestürzt sei. Aber was sei schon dabei? Leider würde ihr beim Fliegen jetzt immer schlecht werden, was sie davon abhielte, ihrer jugendlichen Passion zu frönen.

Auch in Berlin wird derzeit übrigens der „Traum vom Fliegen“ geträumt. Im Haus der Kulturen der Welt ist eine Ausstellung zu sehen, die sich der Fliegerei aus vielfältigen Perspektiven nähert – vom Vogelflug über die Biografien großer Flieger, einer künstlerischen Imitation einer Fluggesellschaft, Fragen des Schamanismus bis zum Modell der Montgolfière. Die sehr assoziative Ausstellung bietet Denkanstöße in vielerlei Richtungen, ohne konzis und konzentriert einen Gedankengang wirklich zu Ende zu bringen. Das ist unterhaltsam, aber nicht übermäßig informativ – ein Angebot für junge Menschen, die hier aber durchaus nachvollziehen können, was Lilienthal meinte, als er schrieb: „Es kann Deines Schöpfers Wille nicht sein, Dich, Ersten der Schöpfung, dem Staube zu weih“n, Dir ewig den Flug zu versagen!“

JOHANNES WENDLAND

Ein Beitrag von:

  • Johannes Wendland

    Johannes Wendland ist freier Journalist und schreibt für überregionale Magazine, Zeitungen und Online-Medien u.a. über Wirtschaftsthemen, Raumfahrt und IT-Themen.

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