Luftfahrt 13.08.1999, 17:22 Uhr

Ein Flieger, der nicht fliegt, ist totes Kapital

Flugzeuge müssen fliegen, am Boden kosten sie nur Geld. Eine komplizierte Routine sorgt dafür, daß auch Langstreckenflieger nach nur drei Stunden am Boden wieder in der Luft sind – wenn nichts daneben geht. Dann aber steht die Sicherheit ganz oben.

Der Sommer hat eindeutig den Rückzug angetreten. Über dem Düsseldorfer Flughafen hängen dichte Wolken, aus denen immer wieder heftige Regengüsse fallen. Kurz nach sieben Uhr morgens: Eine LTU-Boeing löst sich aus dem grauen Himmel, Fontainen schießen in die Höhe, als die Maschine aus Miami auf der Rollbahn aufsetzt.
Schon lange bevor der Flieger zu sehen war, ist vor dem Flugsteig 45 der Halle C des Flughafens das Empfangskomitee aufgelaufen – der Bus mit der Putzkolonne, ein Bus, der die Crew abholen wird, einige Techniker und Ramp Agent Alphonso Wallace.
Wallace ist der wichtigste Mann in dieser Phase, er nimmt das ankommende Flugzeug in Empfang und ist die erste Anlaufstelle bei Problemen. Denn schon beim Anflug geben die Piloten dem Boden durch, was in ihrem Flieger während des Fluges an Problemen aufgetreten ist. Und der Ramp Agent koordiniert das Ent- und Beladen des Flugzeugs, kontrolliert vor allem die Gewichtsverteilung der Fracht, die für den Schwerpunkt des Flugzeugs wichtig ist.
Langsam löst sich jetzt aus dem grauen Regenschleier die Boeing 767-300, winzig blinken vor ihrem Vorderrad die gelben Warnlampen des Follow-me-Wagens. Kaum steht die Maschine vor dem Flugsteig 45, treten zwei Mechaniker die Bremsklötze am Vorderrad fest und legen Strom ans Flugzeug. Mit einem nervigen Piepgeräusch und blinkenden Warnlampen bewegt sich der Finger, durch den die Passagiere gleich die Boeing 767 verlassen werden, ans Flugzeug, gleichzeitig rollt ein Tankwagen heran.
Dann sind auf einmal ein halbes Dutzend Mechaniker am Flugzeug. Mit dem Schraubenzieher öffnen sie von außen kleine Klappen, hinter denen sich die hydraulischen Verriegelungen für die Gepäcktüren befinden, Hebebühnen fahren rechts, ein Fließband links an den Flieger heran, die ersten Container und Gepäckstücke haben das Flugzeug schon verlassen, während oben die Passagiere noch darauf warten, aussteigen zu können.
Bernhard Nanzka hat an diesem Morgen die Aufsicht über die Flugbetriebskontrolle, in den Ohren, wie fast alle hier, kleine Lärmstopper, die mit einem bunten Faden verbunden sind. Obwohl beide Triebwerke jetzt stehen, herrscht auf dem Gelände des Flugplatzes ein Höllenlärm.
Als erstes macht Nanzka seine Runde um das Flugzeug, den outside check. Mit der Taschenlampe leuchtet er in die Triebwerke, an den Kanten einiger Triebwerksschaufeln sind leichte Wellen zu erkennen, Ausfeilungen nach Macken durch Vogelschlag. „Sowas kommt immer wieder vor“. Diesmal sind die Schaufeln ok. In jedem der Triebwerke gibt es Generatoren zu Stromerzeugung, Nanzka checkt deren Ölstand, keine Beanstandung.
Langsam schwingen an der 767 die Abdeckungen der Fahrwerksschächte auf, es riecht nach warmem Öl, ein Durcheinander von Hydraulikleitungen. Aus dem hinteren Teil des Flugzeugs fließt Wasser, der Rest des Frischwassers wird in den Regen abgelassen.
Nanzka setzt seine Runde fort, leuchtet in das Fahrwerk untersucht die fast profillosen Reifen auf Schäden. Mehr als eine Viertelstunde nach den Landung sind sie noch immer warm.
Nach einem Langstreckenflug ist eine solche Flugbetriebskontrolle die normale Routine: „Wir checken alle Hauptsysteme einmal durch“. Er stopft sich eine Stöpsel wieder in die Ohren und setzt seinen Rundgang fort. Viel Zeit bleibt ihm nicht. In weniger als drei Stunden soll der Flieger wieder in Richtung Los Angeles starten.
Kritisch ist heute morgen das rechte Triebwerk. Bereits vor der Landung hatte der Pilot gemeldet, daß es mehr Öl verbraucht als zulässig ist. Vier Liter Öl sind noch im Triebwerk, es müßten deutlich mehr sein.
Wie zwei Krähenflügel stehen jetzt die Ummantelungen des Triebwerks offen, wieder riecht es nach Öl, alles ist überzogen mit einer feinen Ölschicht. Zwei Kollegen Nanzkas machen sich daran, das Gewirr von Leitungen und die Kammern des Triebwerks abzuwischen, in der Hoffnung, mit dem bloßen Auge ein Leck erkennen zu können. Nanzkas Gesicht wird immer nachdenklicher. Der Ölverlust gehört eindeutig nicht zur Routine.
Mittlerweile ist oben in der Maschine Hektik ausgebrochen. Die Passagiere sind von Bord, die Crew hat die Maschine verlassen. Jetzt sprintet eine Putzkolonne in das Flugzeug, schleppt neue Decken und Kopfkissen herein. Einige Frauen ziehen Staubsauger an langen Kabeln durch die Maschine, ein zweiter Trupp sammelt alte Zeitungen, Berge von leeren Papiertüten, Erdnußschalen und Dosen ein – was eben so übrig bleibt von einen 9-Stunden-Flug aus Miami.
In all dem Durcheinander geht ein Mann durch die Reihen, prüft jeden Sitz, ein zweiter folgt ihm, zieht die Bezüge von den monierten Sitzkissen ab und saubere drüber.
Immer wieder drängt sich jemand an ihnen vorbei, prall gefüllte blaue Müllsäcke über dem Kopf balancierend, weil sonst in den engen Gängen kein Durchkommen ist.
Mittlerweile sind auch die Techniker an Bord gekommen, offenbar war der Ölverlust im Triebwerk nicht das einzige Problem. Einer der Kocher in der Küche hat seinen Geist aufgegeben, im Cockpit suchen drei Techniker nach Gründen für den Ausfall des HF, eines Hochfrequenz-Funksystems, mit dem man über große Distanzen funken kann. Der Haken dieses Systems, erklärt einer von ihnen, ist die Antenne. Sie sitzt über dem Cockpit in der Isolation des Fliegers, dort ist es sehr kalt und dort schlägt sich auch das Kondenswasser nieder.
Aber der HF ist es nicht allein. Eines der elektronischen Systeme zur Entfernungsmessung, ein Distance Mesuring Equipment Interrogator, ist ausgefallen. Die Boeing hat drei davon, das linke auf der Seite des Kapitäns ist defekt.
Nach ein paar Handgriffen hat einer der Techniker den HF wieder online bekommen, aber um herauszufinden, ob er stabil bleibt und woran es bei dem DMS hapert, dafür muß er erst „in den Keller“.
Vor dem Eingang zum Cockpit der 767-300 ist ein kleiner Deckel in den Boden eingelassen, kaum größer als ein Fernsehschirm. Martin Burrows, der Spezialist für die Elektronik der 767, klettert durch das Loch und verschwindet nach unten ins elektronische Herz des Fliegers, einer engen Kammer, in der in einem Stahlregal Dutzende von elektronischen Modulen stehen. Burrows zieht einen der Einschübe heraus, schiebt ein neues DMS ein, etwas kleiner als ein Schuhkarton. Nach ein paar Testläufen bleibt auch die Hochfrequenz-Funkeinheit stabil.
Währenddessen bahnt sich an der rechten Seite des Cockpits Ungemach an. Durch die Tür neben der Küche holt die LTU-eigene Catering-Gesellschaft die leeren Container mit den Essensresten ab, Berge von leeren Dosen und Flaschen. Die Tür steht auf, der Regen schlägt rein und eine Pfütze nähert sich bedrohlich dem Einstieg in den Elektronik-„Keller“. Jemand schnappt sich ein paar Decken und erledigt das Problem, indem er die Pfütze austrocknet.
In der kleinen Küche stapeln sich mittlerweile die Wein- und Wasserflaschen und das neue Essen für den langen Flug nach Los Angeles.
Es wird eng.
Ein Techniker geht noch einmal durch das Flugzeug, kontrolliert die Notbeleuchtung am Boden, über einem der Lämpchen fehlt die Kunststoffabdeckung und wird erneuert.
Derweil rollen von draußen die Gepäckwagen heran, ein Tankwagen pumpt den „Vorlauf“ ins Flugzeug, genau 52 t Kerosin. Der Vorlauf ist die minimale Treibstoffmenge für einen bestimmten Flug, endgültig betankt wird erst, wenn das genaue Gewicht von Passagieren und Fracht feststeht, wenn Wind- und Wetterverhältnisse auf dem Flug nach Los Angeles vorliegen und die Route klar ist. „Jede Tonne Kerosin zuviel an Bord“, so Wallace, „kostet Geld“. Vom Tankwagen läuft einen dünnes Kabel zum linken Fahrwerk, die Erdung, die Funkenschlag bei statischen Umladungen verhindert.
Oben im Flugzeug haben sich Burrows und die Techniker gerade darauf geeinigt, daß das HF stabil ist und die dritte DMS sicher läuft, da taucht Bernhard Nanzka auf, schüttelt nur den Kopf und alle scheinen Bescheid zu wissen: Der Grund für den Ölverlust im rechten Triebwerks war nicht zu finden, der Flieger bleibt am Boden.
Keine Diskussion, „ob nicht doch“ und ob nicht „vielleicht doch“. Sicherheitsrisiken nimmt hier niemand in Kauf.
Glücklicherweise steht ein Flieger gleichen Typs ein paar 100 m entfernt in der LTU-Halle des Düsseldorfer Flughafens. Nicht einmal eine Stunde später steht er am Abflugsteig 46.
Doch jetzt wird der Zeitdruck spürbar. Co-Pilotin Sandra Thoms und Pilot Harald Haverkamp sind zwar die Ruhe selbst, aber sie wissen, daß ihre Uhr tickt. Fliegt die Maschine nicht bald los, dann ist absehbar, daß die Crew ihre maximale Einsatzzeit von 14 Stunden überschreiten wird. Bei einem 10,5-Stunden-Flug nach Los Angeles kann eine Verspätung in Düsseldorf deshalb schnell dazu führen, daß eine neue Crew herbeizitiert werden muß, bevor die alte richtig angefangen hat, zu arbeiten. Und oben in der Abflughalle warten knapp 260 Fluggäste darauf, daß sie in die schönsten Tage des Jahres starten können.
Die Caterer holen derweil das Essen wieder aus der stillgelegten Boeing, verfrachten es in die neue Maschine. Ein Techniker checkt noch einmal die Electronic Engine Control, eine Art Vergaserkontrolle der Triebwerke, gibt sein ok.
In dem engen Raum vor dem Cockpit stapeln sich jetzt Berge mit Zeitschriften und Kartons mit Getränken. Ein LTU-Mann in seiner roten Latzhose verstaut schwitzend die letzten Kartons, während die ersten Passagiere schon an Bord kommen.
Dann taucht Wallace mit der Ladeliste vorn im Cockpit auf, Pilot Haverkamp kann jetzt mit den Passagierdaten den exakten Schwerpunkt des Flugzeugs berechnen und die Trimmung für den Start darauf einrichten.
Während sich die Passagiere schon ihre Plätze suchen, verschwindet Wallace wieder von Bord.
Als Haverkamp die Boeing schließlich zum Start rollt, wird die andere gerade abgeschleppt in Richtung LTU-Halle. Hier wird sie mit laufendem Motor ein paar Stunden in der schallisolierten Runner Box stehen, bis die Techniker das Ölleck gefunden haben. Sonst muß ein neues Triebwerk her. Denn ein Flieger, der am Boden steht, ist totes Kapital.
W. MOCK
Ramp Agent Alphonso Wallace ist der wichtigste Mann am Boden bei der Ankunft eines Fliegers.
Während das Flugzeug noch gecheckt wird, verhandelt Wallace schon über die neue Ladung.
Martin Burrows im „Keller“, dem elektronischen Herz der Boeing 767. Bernhard Nanzka kontrolliert das Öl im Generator des rechten Triebwerks. Co-Politin Sandra Thoms checkt die Ladelisten vor dem Start.

Ein Beitrag von:

  • Wolfgang Mock

    Redakteur und Reporter VDI nachrichten. Fachthemen: Wissenschafts- und Technologiepolitik, Raumfahrt, Reportagen.

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