Gemeinsam arbeiten in Parallelwelten 10.01.2023, 06:58 Uhr

Industrie im Metaverse: Ist der Avatar schon da?

Migriert die Industrie ins Metaverse? Macht das Sinn? Sieht ganz danach aus, denn erste Unternehmen erproben bereits interessante Ansätze in der Konstruktion und Produktionsplanung. Immersives kollaboratives Arbeiten in digitalen Umgebungen ist keine allzu ferne Zukunftsvision mehr.

industrial Metaverse

Industrial Metaverse könnte ein neues Zeitalter einläuten, erste Hersteller loten die Möglichkeiten aus.

Foto: Panthermedia.net/photonphoto

Die digitale dreidimensionale Parallelwelt, von vielen als bloßer Hype abgetan, wird real – und könnte auf die Industrie disruptiv wirken. Siemens möchte mit dem Chip-Giganten Nvidia das industrielle Metaversum verwirklichen, Branchengrößen wie Bosch, Rockwell Automation und Kuka loten die neuen Möglichkeiten genauso aus wie Autohersteller von BMW bis Hyundai. Doch was versteht man überhaupt unter „Metaversum“ oder „Metaverse“?

Darum geht es

Der Begriff setzt sich aus den Worten „Meta“ (Jenseits) und „Universum“ zusammen. Damit gemeint ist ein virtuelles 3D-Universum, in das Menschen jenseits des Realen, etwa mit einer für Virtuelle Realität (VR) eintauchen, um sich dort in Form eines digitalen Zwillings, eines Avatars, mit anderen zu treffen oder zu arbeiten. Reales und Virtuelles verschmelzen zu einer Parallelwelt, in der beispielsweise weltweit verstreute Teams gemeinsam Maschinen konstruieren können – fast so, als ob sie dies gemeinsam vor Ort täten. Dazu muss die 3D-Welt möglichst realistisch gestaltet sein.

So gelangt man in das Metaverse

Die technischen Tools, um das Metaverse zu bauen, liegen längst bereit: Als Hardware-Basis dient eine VR/AR-Brille, also eine für virtuelle oder erweiterte Realität. Softwareseitig gibt es leistungsstarke 3D-Engines, um immersive Erlebnisse zu generieren, unter anderem von Unity, Roblox Studio und Omniverse. Nvidia bietet mit Onmiverse eine KI-fähige, physisch simulierte und industrietaugliche Virtual-World-Engine, die in Echtzeit originalgetreue digitale Zwillinge ermöglicht. So werden auch Veränderungen des digitalen Zwillings für jeden Nutzer sofort sichtbar, was eine echte Kollaboration ermöglicht. Ingenieurinnen und Ingenieure können zum Beispiel Änderungen und Anpassungen an Produkten in frühen Phasen gemeinsam bewerten, erproben und optimieren. Etwa über die kollaborative CAD-Software Onshape von PTC.

Was dem Metaverse weiterhin technologisch zum Durchbruch verhelfen wird, ist, dass sich binnen Minuten ganze Gebäude samt Maschinen räumlich mit dem Smartphone als 3D-Scan (Volumetric video) erfassen lassen. Über die hochleistungsfähige Cloud kann man via AR und VR vernetzt mit Tools wie Onshape zusammenarbeiten und in Arbeitsabläufe eintauchen. All diese Entwicklungen lassen es künftig durchaus denkbar werden, dass im Metaverse ganze Fabriken remote geplant, bedient und gewartet werden.

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Ab in die Praxis: Erste industrielle Anwendungen

Die Industrie reizt insbesondere, dass man bereits bevor Prototypen entstehen oder Abläufe live getestet werden, Produkte und ganze Werke soweit entwickeln und erproben kann, dass man schon vorab weiß, ob diese funktionieren werden. Und im laufenden Betrieb lässt sich ohne Behinderungen testen, ob etwa Effizienzsteigerungen tatsächlich realisierbar sind oder nicht. Es ist wie ein Blick in die Zukunft.

So erprobt unter anderem Audi bereits virtuelle Montageabläufe und Logistikprozesse, bevor diese in die Tat umgesetzt werden. Während bisher etliche Stunden mit Simulationen am Computer und mit physischen Tests in der Fabrikhalle verbracht worden sind, setzen die Planer nun VR-Brillen auf und tauchen in das ein, was erst in Zukunft sein wird – und dann dank der Vorarbeit ergonomisch optimiert und logistisch reibungslos funktioniert.

Auch BMW probt gemeinsam mit Nvidia die Produktionsplanung in der digitalen Parallelwelt. Der Autohersteller übersetzt ganze Fabriken mit Maschinen und Menschen fotorealistisch in eine virtuelle Welt. Dazu werden Daten aus diversen Design- und Planungstools unterschiedlicher Hersteller zusammengeführt, um daraus realistische Echtzeitsimulationen in einer einzigen kollaborativen Umgebung zu formen. Dort werden dann Prozesse in der Autoproduktion durchgespielt, so dass später der Hochlauf einer echten Produktionsstraße möglichst fehlerfrei erfolgt. Im Laufe dieses Jahres, so der ehrgeizige Plan, soll jedes BMW-Werk weltweit ein digitales Abbild erhalten. Das ist die Eintrittskarte ins Metaverse.

So geht es weiter

Auch wenn Experten davon ausgehen, dass noch eine Dekade verstreichen kann, bis das Metaverse in vollem Umfang entwickelt sein wird, ist der Anfang gemacht. Wobei sich die Industrie als Early Adopter erweist. Was angesichts der Möglichkeiten, die das Industrial Metaverse bietet, nicht weiter verwundert: Von nie dagewesenen Kollaborationsmöglichkeiten über beschleunigte Entwicklungsprozesse bis zu neuen Aus- und Weiterbildungsformen. Die Arbeit von Entwicklern, Konstrukteuren und Werkern könnte sich künftig derart grundlegend wandeln, wie einst die von Büroangestellten durch Microsoft Office. Die Tools dafür gibt es bereits.

Ein Beitrag von:

  • Chris Löwer

    Chris Löwer

    Chris Löwer arbeitet seit mehr als 20 Jahren als freier Journalist für überregionale Medien. Seine Themenschwerpunkte sind Wissenschaft, Technik und Karriere.

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